Alle Artikel der Rubrik "B 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht"

Journalismus und PR: Was sie trennt. Was sie verbindet.

Geschrieben am 9. März 2017 von Paul-Josef Raue.

 

Sabine Adler ist Osteuropa-Korrespondentin des Deutschlandfunks (Foto: Deutschlandradio / Bettina Straub)

Sabine Adler ist Osteuropa-Korrespondentin des DLF (Foto: Deutschlandradio / Bettina Straub)

Ulrike Demmer war Redakteurin der Madsack-Redaktionen in Berlin. Sie wechselte ins Presseamt und ist stellvertretende Regierungssprecherin. Sabine Adler war Korrespondentin des Deutschlandfunks und wurde Sprecherin des Bundestagspräsidenten; sie kehrte nach knapp einem Jahr vom PR-Job zurück in die Redaktion: „Man wird mundtot gemacht; ich fand das furchtbar. Man büßt doch ein hohes Maß an Freiheit ein“, sagte sie in einem Zapp-Interview.

Auch wenn immer mehr gut ausgebildete Redakteure in die PR wechseln, rümpfen die meisten fest angestellten Redakteure die Nase, wenn sich Pressesprecher oder PR-Leute Journalisten nennen. Klaus Kocks, der letzte VW-Sprecher mit Vorstandsrang, ärgert sich über solche Redakteure, „die sich auf dem Ruhekissen der vierten Gewalt räkeln“ und spottet über die „Speichelleckerei gegenüber Lobbying, über die Bequemlichkeit, mit der einige nachbeten, was andere vorsetzen“.

Redakteure, die – ohne sich zu räkeln – in der Unabhängigkeit bleiben, ärgern sich umso mehr, wenn sogar Leser ihre Unabhängigkeit anzweifeln. Degradieren sie ihre Leser zu besseren Pressesprechern, reagieren sie wie Henning Noske, der Lokalchef der Braunschweiger Zeitung ist; er schrieb vor wenigen Tagen in seiner Kolumne „Offen gesagt“:

Kürzlich las ich in einem unserer Internet-Kommentarforen: ‚Herr Noske macht seinem Ruf als Pressesprecher der BISS wieder alle Ehre.‘ Die BISS, das ist die ,Bürgerinitiative Strahlenschutz‘ im Braunschweiger Norden. Zu viel der Ehre, liebe Kommentatoren. Denn wenn einer Pressesprecher wird, muss er sich aus der Redaktion verabschieden. Pressesprecher ist ein ehrenwerter Beruf, den viele Journalisten einschlagen und klasse ausüben. Klar ist allerdings auch: Sie verbreiten Informationen und Wahrheiten, die im Interesse ihres Unternehmens oder ihrer Organisation liegen. Die Zeitung – gedruckt oder online – leistet sich ein Leser, der unabhängig und unvoreingenommen informiert werden will.

Die Pressefreiheit, die unsere Verfassung garantiert, gilt eben nicht für Pressesprecher und Lobbyisten, auch wenn sie mitunter meinen, Parteien und  Politiker, für die sie arbeiten, würden sie verleihen und garantieren – und auch einschränken, wenn es sein muss.

Der Public Relations-Sektor wächst, der Journalismus schrumpft; Öffentlichkeitsarbeit wird vom Journalismus unabhängiger,

stellt der Journalistik-Professor Stephan Ruß-Mohl fest, beklagt eine zunehmende Abhängigkeit und mahnt: „Eine sehr gefährliche Dynamik.“

Der Professor trennt scharf: Hier Journalismus – und auf der anderen Seite PR, die folglich kein Journalismus ist. Was unterscheidet also, wenn überhaupt, Journalismus von PR?

Erst einmal: nichts. Beide nutzen die Sprache; sie schreiben so, dass ihre Leser sie verstehen; sie buhlen um Aufmerksamkeit; sie verführen mit Bildern und Grafiken; und sie schreiben für einen Auftraggeber, ob es ein Referatsleiter im Ministerium ist oder Millionen lesend hinter der Bildzeitung. Die Sprache beherrschen müssen alle, die von Menschen und für Menschen schreiben. Und die Regeln der Verständlichkeit gelten für einen Bericht über die Bundestags-Sitzung ebenso wie für einen PR-Artikel über neue Produkte.

Und jeder, der schreibt, wird von einem bezahlt, für den er schreibt. Für den Pressesprecher ist es sein Chef, der meist eitel ist, oder der Referatsleiter im Ministerium, der seine Bürokratensprache schätzt, oder die Marketing-Chefin, die ungenießbare Adjektive verlangt.

Redakteure schreiben für den Chefredakteur oder Verleger, Feuilleton-Redakteure für Intendanten und Dirigenten, deren Beachtung sie suchen und finden; im besten Fall schreiben Redakteure für die Leser, für Tausende und Zigtausende, die eine Zeitung abonnieren oder kaufen.

Man mag den Redakteur mehr achten, der für Tausende schreibt, als den Lobbyisten, aber im luftleeren Raum schreibt keiner. Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler, mag eine zynische Boulevard-Weisheit sein, aber sie stellt klar: Thema oder Richtung, Sprache oder Ansprache – bestimmt in der Regel der, der bezahlt, ob es die Bürger sind oder der Bürgermeister.

Doch es gibt, bei vielen Gemeinsamkeiten,  eine klare Grenze: Sie verläuft eben zwischen unabhängiger Information auf der einen Seite und Verlautbarung wie Propaganda auf der anderen Seite. Der unabhängige Redakteur ist eigentlich nur einem Auftraggeber verpflichtet: Den Bürgern, denen er die notwendigen Informationen zu beschaffen hat, damit sie ihre Macht in der Demokratie ausüben können.

Die Pressefreiheit, die unabhängige Journalisten genießen, ist nicht ihre Freiheit, es ist die Freiheit der Bürger. Sie leihen den Journalisten die Macht, für sie alle Informationen zu sammeln, und verbinden sie mit der Verpflichtung, wichtige Informationen sofort an sie weiterzugeben. Der Journalist handelt also für seinen Auftraggeber – wie ein Treuhänder.

Zeitungen sind ein Markenartikel, sogar der Markenartikel der Demokratie. Und so sind Redakteure, im Gegensatz zur PR-Mitarbeitern,  unverzichtbar für unsere Gesellschaft.

Mehr auf https://kress.de/news/detail/beitrag/137198-vom-ruhekissen-der-vierten-gewalt-pr-und-journalismus.html

Bearbeitete und erweiterte Fassung auf der Webseite von KM (Kompaktmedien): http://www.kompaktmedien.de/wie-viel-journalismus-steckt-in-der-pr/

Fehlerkorrektur

Dies ist eine bearbeitete Fassung. Die Funktion von Ulrike Demmer ist nun korrekt angegeben. Dank an dp-Chefredakteur Sven Goesmann für den Hinweis.

Die Erben wollen nicht einsteigen: Süderländer Tageblatt verkauft

Geschrieben am 15. Februar 2017 von Paul-Josef Raue.
Stefan Aschauer-Hundt (links) mit der Redaktion des Süderländer Tageblatts. Foto: ST

Stefan Aschauer-Hundt (links) mit der Redaktion des Süderländer Tageblatts. Foto: ST

Vor einem Jahrzehnt wäre der Verkauf einer Zeitung ein öffentliches Thema gewesen, sogar für die nationalen Zeitungen – selbst bei einer kleinen Zeitung mit einer Auflage von fünftausend. Heute merkt es gerade mal die Gewerkschaft Verdi und meldet es auf einer Regionalseite im Internet: „Märkischer Zeitungsverlag (Ippen-Gruppe) übernimmt Süderländer Tageblatt aus Plettenberg“; die Meldung stand am 30. Januar im Netz, einen Monat nach der Übernahme.

Offenbar ist das Verschwinden einer „publizistischen Einheit“ so normal geworden wie die Streichung von Mantel- und Lokalredaktionen, Ressorts und Stellen. Wir haben uns gewöhnt.

In Plettenberg sind keine Stellen gestrichen worden, gleichwohl ist die Übernahme ein Thema wert: Warum verschwindet die beste der kleinen Lokalredaktionen in einem Konzern? Warum gibt eine Verleger-Familie nach 137 Jahren auf?

„Aus wirtschaftlicher Sicht bestand nicht der geringste Grund, den Zusammenschluss zu suchen“, so Stefan Aschauer-Hundt, Geschäftsführer und Chef der Redaktion.

Die Kinder als Erben wollen nicht mehr, in der Verwandtschaft will auch keiner, die erfolgreiche Zeitung weiterführen: Also blieb nur der Verkauf.

Dabei ist das Süderländer Tageblatt ein Edelstein: Dreimal auf der Siegerliste des Deutschen Lokaljournalistenpreises wegen tiefer und überraschender Recherchen, die Bürger zum Nachdenken und Mitmachen animieren; einmal der Ralf-Dahrendorf-Preis, den Redaktionen bekommen, die unsere Demokratie stärken.

Die Redaktion steht vorbildlich für guten Lokaljournalismus: Kein Zeigefinger, keine Überheblichkeit, keine Kampagnen – einfach tiefe Recherche und klare Analyse, um den Bürgern das eigene Urteil zu ermöglichen.

So sieht es auch Stefan Aschauer-Hundt, der Chef der Redaktion bleibt: „Ich glaube an das Aufleuchten der post-postfaktischen Zeit und daran, dass  die Sehnsucht nach Analyse und Einordnung wiederkehrt. Demokratie und Journalismus unterliegen einer stetigen Wellenbewegung.  Wir segeln dabei mit, gar keine Frage. Und unser Anspruch ist es, uns auf der Welle zu befinden!“

 

Das Interview mit Stefan Aschauer-Hundt in meiner Kolumne JOURNALISMUS! auf kress.de: https://kress.de/mail/news/detail/beitrag/137044-die-kolumne-von-paul-josef-raue-warum-die-beste-kleine-lokalzeitung-nach-137-jahren-verkauft-wurde.html

 

„Ohne gute Medien wird es der Gesellschaft schlechter gehen“ (Zitat der Woche)

Geschrieben am 3. Januar 2017 von Paul-Josef Raue.

„Journalisten müssen als Vertrauensleute aufgeklärter Bürger eingreifen“, schreibt Stefan Plöchinger im Journalist-Aufmacher „Was 2017 zählt: 2016 und die Folgen — fünf Lehren aus einem schwarzen Jahr für die Auseinandersetzungen, die uns Journalisten noch bevorstehen“. Und weiter:

Das Mediensystem, wie wir es kennen, ist inhaltlich wie finanziell an einem Scheidepunkt. Vielen Titeln geht es nicht gut, und ohne gute Medien wird es der Gesellschaft schlechter gehen, deshalb geht es gerade um viel. Journalismus wird die kommenden Jahre nur überleben, wenn die Bürger ihm vertrauen können. Vertrauen kostet Zeit, Arbeit, Geld. Darin zu investieren, ist das wichtigste Zukunftsprojekt für jedes Medienhaus, jeden Journalisten.

Plöchinger in der Januar-Ausgabe des Journalist:

http://ploechinger.tumblr.com/post/155304939352/was-2017-z%C3%A4hlt

Das Lesen deutscher Zeitungen ist Arbeit

Geschrieben am 23. Oktober 2016 von Paul-Josef Raue.
Der Designer Norbert Küpper

Der Designer Norbert Küpper

In Skandinavien sind die meisten Lokalzeitungen ein Fest fürs Auge, die dennoch ausreichend Futter für den Verstand bieten: Zeitungen sind aufgemacht wie Magazine mit großzügigem und frischem Layout.

Warum sind deutsche Redakteure offenbar so verschieden im Vergleich zu skandinavischen?, fragte ich Norbert Küpper, einen der wichtigsten Designer für Tageszeitungen in Deutschland:

In Deutschland ist man Journalist, weil man gerne schreibt. Man geht gerne mit Sprache um, ist sprachlich kommunikativ. Dass man auch visuell kommunikativ sein kann und viele Informationen so noch besser übermitteln kann, wird offenbar noch nicht ausreichend vermittelt. Redaktionssysteme scheinen auch zu kompliziert, um alternative Storyformen zu gestalten – jedenfalls für Redakteure.

Die Abneigung, Design zu schätzen, wurzelt tief in der deutschen Zeitungs-Geschichte und der Philosophie, wie wir Journalismus sehen. Die fünf Gründe:

  1. Das Lesen deutscher Zeitungen ist Arbeit. Wer seinen Verstand nutzen will, muss sich mühen. Immanuel Kant ist der Vater dieser Vermutung, er schreibt in seinem Essay „Was ist Aufklärung?“: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen gerne zeitlebens unmündig bleiben.“ Das Gegenteil der Faulheit sind Eifer und Mühe; der ideale Zeitungsleser ist also der Eifrige, der im Weinberg der Aufklärung schuftet.
  2. Schreiben ist Arbeit.Wolf Schneider hat die Idee festgeschrieben: Nicht der Leser muss sich plagen, um Texte zu verstehen, sondern der Journalist, um sie verständlich zu schreiben. Schneiders Idee ist zwar in vielen Köpfen, die Wirklichkeit ist meist davon entfernt: Menschen scheuen Mühe, Redakteure auch, sie überlassen den Lesern die Arbeit und nennen ihr Ergebnis „anspruchsvoll“.
  3. Die Welt ist wichtiger als der Nachbar. Der Typ des Generalanzeigers, der in die weite Welt schaut, ist noch immer das Ideal vieler Verleger und der meisten Chefredakteure, auch wenn fast alle Leser- und Marktforschungen das Gegenteil belegen: Das Lokale vorn! Selbst den Oberstudienrat interessiert am meisten das neue Konzept für das Stadtzentrum, auch wenn er kritisiert: Dann erfahren die Bildungsfernen nichts mehr von der Regierungskrise in Bangladesch.
  4. Der Leser ist nicht bereit. Der Chefredakteur, der im Wochenend-Magazin mit mehr Weißraum spielt, bekommt gleich Anrufe und Briefe von Lesern: „Bekommen Sie den Platz in der Zeitung nicht mehr gefüllt? Ich hätte da einige Anregungen“; andere drohen gleich: „Ich bezahle das Abo nicht für leere Seiten“; wieder andere empfehlen: „Schreiben Sie doch darüber ,Raum für Notizen‘, dann hat es wenigstens einen Sinn.“
  5. Es hat noch keiner so radikal versucht. Der Verleger fürchtet Ärger und Abo-Kündigungen; er kennt die Schilderung von Kollegen, die nach einem Relaunch von den schrecklichsten Stunden ihres Lebens berichten. Der Chefredakteur fürchtet sich vor dem Unmut seiner Redakteure, die weniger Stellen bekämen zugunsten von Layoutern und Infografikern, die er für ein Qualitäts-Layout einstellen muss.

Mehr zum skandinavischen Layout und zu „Kvinnheringen“, Europas Lokalzeitung des Jahres, die aus Nordnorwegen kommt, im Blog JOURNALISMUS! bei kress.de

Was wäre, wenn Google unsere Volontäre ausbildete?

Geschrieben am 6. September 2016 von Paul-Josef Raue.
Der Newsroom der Axel-Springer-Akademie, eine der vorbildlichen Journalistenschulen in Deutschland. Foto: Springer-Akademie

Der Newsroom der Axel-Springer-Akademie, eine der vorbildlichen Journalistenschulen in Deutschland. Foto: Springer-Akademie

Volontäre kritisieren die Qualität ihrer Ausbildung, wie eine Studie der Universität Ilmenau in Thüringen belegt, an der gut zweihundert Volontäre teilgenommen haben. Diese Studie und die Charta der Journalistenschulen sind Thema der Kress-Kolumne JOURNALISMUS, die komplett hier zu lesen ist.

„Journalisten werden für eine Zukunft in der Vergangenheit ausgebildet“, schrieb ein Volontär in seinen Fragebogen. Kathrin Konyen aus dem Bundesvorstand des Deutschen-Journalisten-Verbands (DJV), der die Umfrage in Auftrag gegeben hat, kommentiert die Ilmenauer Studie:

Während die Vermittlung von klassischen journalistischen Fähigkeiten einigermaßen zufriedenstellend ist, hat die Ausbildung offenbar den Anschluss an die veränderten Anforderungen im Journalismus verpasst.

Selbst diese Interpretation, das Handwerk werde ausreichend vermittelt, ist reichlich optimistisch: Drei von zehn Volontären geben an, weder zu lernen, wie ein Journalist recherchiert, noch Recherche trainiert zu haben.

Nun mag man einwenden: Nicht die Volontärin soll bestimmen, was sie lernen muss, sondern Chefredakteur und Verleger – nach der alten Weisheit: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber diese Hybris kann sich keiner mehr erlauben: Die Volontäre sind heimisch in der digitalen Welt, während ihre Ausbilder noch elektrische Schreibmaschinen kennen und Klebe-Umbruch. So denken Volontäre offenbar intensiver an die Zukunft als viele ihrer Chefs, die eigentlich die Zukunft systematisch vordenken sollen. Eine Volontärin schreibt ihre Verwunderung in den Ilmenauer Fragebogen:

Die Journalistik hinkt Jahre hinter der Realität des Mediensystems hinterher.

Was die Thüringer Wissenschaftler herausgefunden haben, bestätigt der Hamburger Medienprofessor Weichert, der von der Arroganz der Ausbilder spricht, die sich vom alten Denken nicht lösen wollen. „Leider gibt es viele Kollegen, die noch nicht verstanden haben, dass journalistische Ausbildung neu gedacht werden muss.“

Journalismus muss allerdings nicht neu gedacht werden, aber er ist schwieriger geworden. In Zukunft muss ein Journalist das Handwerk beherrschen, so wie es Generationen vor ihm gelernt haben, aber er muss auch die sich stets wandelnde Technik beherrschen, muss immer wieder neu lernen, muss sich an den Lesern ausrichten, und er muss unternehmerisch denken, ohne die Unabhängigkeit seiner Profession zu gefährden. Das ist ein Dilemma, das ist das Dilemma der Ausbildung in den Verlagen:

  • Es reicht nicht mehr, dass eine Volontärs-Mutter ihre Schützlinge behütet, ihnen das Porträt-Schreiben erklärt und oft vergeblich kämpft, wenn beim Engpass in einer Lokalredaktion die Volos nicht zu Kursen geschickt werden.
  • Es reicht nicht, die Volontäre zu den Schulen zu schicken: Training und Theorie müssen verzahnt werden mit der Praxis in den Redaktionen. Das wird torpediert, wenn die Volontäre in ihrer Redaktion empfangen werden mit dem Schulterklopfen: Jetzt wird wieder richtig gearbeitet, vergiss lieber schnell das theoretische Gequassel-
  • Es reicht nicht, die Volontäre ein paar Wochen in die Online-Redaktion zu schicken, sie Zeitungs-Artikel ins Netz transportieren oder der Polizei hinterherhecheln zu lassen.

Wie würde Google Journalisten ausbilden? Oder ein anderer der digitalen Konzerne? Dabei ist nicht entscheidend, was sie lehren, sondern vor allem wie sie lehren, wie sie miteinander arbeiten, wie sie führen, mit Fehlern umgehen – kurzum: wie sie mit Phantasie und Neugier die Welt neu erschaffen, ohne beliebig zu werden und nur nett zu sein (auch die digitale Welt ist eine harte Welt).

Ausbilden wie Google – das können Konzerne wie Springer, Gruner und Burda leisten, und sie tun es auch. Journalistenschulen, die nicht an Redaktionen angebunden sind, können es nur mühsam simulieren; Redaktionen könnten es leisten, wenn die Chefs es wollen und auch mal Geld in die Ausbildung und Ausbilder investieren, viel mehr Geld als heute.

Die meisten Volontäre müssen die Chefredakteure nicht zum Jagen tragen. Sie sind schon auf der Pirsch. Die Ilmenauer Studie belegt: Zwei von drei Volontäre wollen mehr über wirtschaftliches Handeln lernen und es auch trainieren, nicht zuletzt um im Überlebenskampf zu bestehen außerhalb einer Festanstellung. Die meisten Chefredakteure und Manager übersehen die Chance für die Verlage: Wer, wenn nicht die jungen Journalisten, wird in der Lage sein, neue Geschäfte auszudenken, auszuprobieren und zu verwirklichen?

In der Ilmenauer Volontärs-Studie beklagen die Volontäre:

  • Wir werden nicht auf Management-Aufgaben vorbereitet.
  • Wir trainieren nicht den Umgang mit Sozialen Medien.
  • Wir wissen zu wenig über unsere Leser (und erst recht die Nicht-Leser).
  • Wir lernen nicht, welche digitalen Werkzeuge es gibt und wie man sie nutzt.

Wenn Verlage nicht lernen, auszubilden wie Google es täte, wird es irgendwann Google selbst tun.

Was heißt „wahrhaftig“? RBB-Intendantin Patricia Schlesinger antwortet

Geschrieben am 3. Juli 2016 von Paul-Josef Raue.
RBB-Intendantin Patricia Schlesinger (Foto: RBB online)

RBB-Intendantin Patricia Schlesinger (Foto: RBB online)

Wahrhaftig sein heißt: alles wahrnehmen, auch wenn es nicht ins eigene Weltbild passt. Es heißt, sich zu hinterfragen, seine eigene Voreingenommenheit zu überwinden. Wahrhaftig heißt, alle Seiten zu berücksichtigen, auch jene, die mir nicht passen.

Patricia Schlesinger, vor einigen  Monaten zur RBB-Intendantin gewählt, in einem Interview mit Jens Schneider von der Süddeutschen Zeitung. Darin geht sie auch auf die Lügenpresse ein und auf die Menschen, die den Medien nicht mehr trauen:

Wir müssen die Menschen sehen, die nicht denken wie wir – und uns eingestehen, wenn wir das mal versäumt haben. Wenn wir das tun, wird der Vorwurf Lügenpresse an uns abgleiten.

Quelle: SZ 2. Juli 2016 „Niveau ohne Geldhaufen“

Risse im Rechtsstaat und Schwäche in der Demokratie

Geschrieben am 22. Juni 2016 von Paul-Josef Raue.
Peter M. Huber ist Richter im Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (Foto: Bundesverfassungsgericht)

Peter M. Huber ist Richter im Zweiten Senats des Bundes-Verfassungsgerichts (Foto: Gericht)

Was tun Zeitungen und Magazine, wenn unsere Demokratie schwächelt? Was setzen Lokaljournalisten, Reporter und Korrespondenten dagegen, wenn der Staat in einer Sinnkrise steckt?

Die Diagnose stellt mit Peter M. Huber ein Verfassungsrichter, geschrieben in einem Essay zum 25-Jahr-Jubiläum der Einheit vor einem Jahr, noch einmal zitiert heute in einem FAZ-Huber-Porträt:

Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung steckt der durch das Grundgesetz verfasste Nationalstaat in einer Sinnkrise, der Rechtsstaat zeigt Erosionstendenzen, die Demokratie schwächelt, das Gewaltenteilungsgefüge hat sich weiter zugunsten der Exekutive verschoben, und die Entwicklung des Bundesstaats lässt eine Orientierung vermissen.

Die Therapie in den Medien ist eine Debatte wert, auch jenseits von AfD und Pegida. Die Presse und ihre Freiheit zählen zu den Grundrechten, also zu den Pfeilern, auf denen Staat und Demokratie stehen: Wer durch ein Grundrecht privilegiert ist, hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Zu den Pflichten eines Journalisten zählt, die Demokratie zu stärken.

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Quelle: FAZ, 1.10.2015

 

Wer stiftet einen Preis für Journalisten, die Journalismus kritisch sehen?

Geschrieben am 30. Mai 2016 von Paul-Josef Raue.
Frank A. Meyer, Cicero-Kolumnist (Foto: cicero.de)

Frank A. Meyer, Cicero-Kolumnist (Foto: cicero.de)

Es gibt Preise für Journalisten, die über Wölfe schreiben oder „Die Apotheke in der Gesellschaft“, es gibt Preise für wirtschaftliche Bildung und Natur-Arzneien – aber keine für Journalisten, die über den Journalismus nachdenken. Solch einen Preis müsste es  für Journalisten geben, die sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzen, schlägt Frank A. Meyer in der aktuellen Ausgabe von Cicero vor.

Cicero-Kolumnist Frank A. Meyer ist einer, der sich stört am elitären Blick vieler Journalisten auf die Wirklichkeit.  Drei Gründe nennt er für die Abgehobenheit von Journalisten:

  1. „Die Gesellschaft spiegelt sich nicht mehr in den Lebensläufen der Medienarbeiter.“ Das ist korrekt und deckt sich mit den Lebensläufen der meisten Politiker. Mein erster Lokalchef lenkte im ersten Beruf Straßenbahnen; so schrieb er auch, aber die Leser mochten ihn, weil er wusste, wie sie denken.

  2. Zu starke Nähe zu den Mächtigen der Gesellschaft: „Dazugehören ist alles.“

  3. „Schwarm-Mentalität ist stilbildend. Dem Kollegen gefallen und keineswegs missfallen zu wollen.“

Meyer fragt und irrt: „Wenn die Medien aber keine vierte Gewalt sind und keine Kontrollinstanz sind, was sind sie dann?“ Sie sind nach unserer Verfassung Kontrollinstanz. Ob man sie deshalb vierte Gewalt nennt, darüber kann man streiten. Juristisch sind sie es nicht, faktisch sind sie es – und werden auch so vom Verfassungsgericht gesehen.

Im Spiegel-Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“

Das ist aber kein Grund für Arroganz, das ist ein Grund für Meyers Forderung im Juni-Heft von Cicero: Seid demütig!

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Quelle: Das neue Handbuch des Journalismus, Seite 21

 

SZ und Recherche-Journalismus: Investition in Investigativ wirtschaftlich erfolgreich

Geschrieben am 23. Mai 2016 von Paul-Josef Raue.
Stefan Plöchinger, Chefredakteur SZ.de (Foto: SZ)

Stefan Plöchinger, Chefredakteur SZ.de (Foto: SZ)

Die einen investieren in Zentralredaktionen, die Süddeutsche Zeitung investiert in Journalismus, in ein Recherche-Ressort, geleitet vom Investigativ-Papst Hans Leyendecker, sowie in Aus- und Weiterbildung von Redakteuren, die lernen, tief und tiefer zu recherchieren. SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach zu Horizont-Online:

Die SZ unterscheidet sich hier von allen anderen Zeitungen in Deutschland. Die Investition in die investigative Recherche zahlt sich für uns sowohl journalistisch als auch wirtschaftlich aus.

Konkret wird Gesamtvertriebsleiter Mario Lauer:

  • Der Einzelverkauf stieg am Montag, als die „Panama Papers“ erstmals im Blatt standen, um das Doppelte an den Bahnhof-Kiosken und um 80 Prozent an den anderen Verkaufsstellen. An den ersten drei Tagen verkaufte die SZ über 30.000 Exemplare mehr als an vergleichbaren Wochentagen.
  • Die Downloadzahlen stiegen um mehr als 30 Prozent gegenüber den Vorwochen, bei den Testzugängen über 50 Prozent.
  • Das Interesse sank rasch: „Dies hat ganz sicherlich damit zu tun, dass sich Informationen rascher über das Netz verbreiten und zu jedem Zeitpunkt und über verschiedenste Kanäle verfügbar sind.“

Und Online?

Digitalchef Stefan Plöchinger:

Wir machen mit exklusiven Geschichten gerade auch im Netz klar, was der Wert von unabhängigem Journalismus ist und dass wir nicht zuletzt deshalb ein Bezahlmodell eingeführt haben.

Die Zahlen konkret:

  • Der Gesamt-Traffic hatte am Sonntag und Montag des Erscheinens das Drei- bis Vierfache normaler Werktage erreicht, zwischen 3 und 4 Millionen Visits je Tag.
  • In der ersten Woche 13 Prozent mehr Visits als in der Vorwoche, 10 Prozent mehr Nutzer und 7 Prozent mehr PI. Die Werte blieben auch in der zweiten Woche leicht höher.
  • Mehr Zugriffszahlen aus dem englischsprachigen Raum. Der erfolgreichste Text insgesamt, die englische Variante des Erklärstücks „Das ist das Leak“, kam auf mehr als 2 Millionen PI. Die erfolgreichste Einzelgeschichte war mit mehr als 400.000 PI die Island-Geschichte auf Englisch.
  • Aus dem Ausland kamen mit Abstand die meisten Zugriffe. Das ist ein Novum in der Geschichte von SZ.de: USA 36 Prozent, Deutschland 33 Prozent, Kanada 5 Prozent, Großbritannien 4 Prozent, China, Österreich, Australien, Schweiz und Niederlande je 2 Prozent. Die englischen Übersetzungen haben sich also zur internationalen Profilbildung bestens bezahlt gemacht.

„Journalisten schalteten sich zu spät in Netz-Debatten ein“ (Interview Thomas Krüger)

Geschrieben am 27. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

In einem Interview mit kress.de spricht Thomas Krüger (56),  Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über „Dunkeldeutschland“,  Journalisten und das Misstrauen der Bürger gegenüber den Medien, Medien-Manipulation und den Fehlern, die Journalisten verschweigen oder zugeben.Thomas Krüger (56)  studierte Theologie in der DDR, war nach der Revolution Jugend-Senator in Berlin und ab 1994 einige Jahre Abgeordneter im Bundestag.

Gerade im Westen sagen viele: 25 Jahre Einheit müssten doch ausreichen, um die Diktatur aus den Köpfen zu vertreiben.


Thomas Krüger: Diktatur-Aufarbeitung dauert lange, das ist ein Generationen-Projekt. So etwas braucht seine Zeit. Nehmen Sie mal die Zeit des Nationalsozialismus. Sie dauerte 12 Jahre. Der zeitliche Abstand zur DDR ist heute 26 Jahre, also wären wir, was die NS-Aufarbeitung angeht, heute gerade mal im Jahr 1971 angelangt, also: vor der TV-Serie „Holocaust“, dem Gedenkstättenboom, dem kritischen Nachfragen einer neuen Generation. Die DDR dauerte 40 Jahre, also fast zwei Generationen. Warum sollte die „Aufarbeitung“ und Bewältigung schneller gehen als bei der des Nationalsozialismus?


Ist der Osten also wirklich noch Dunkeldeutschland?

Thomas Krüger: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich sehe – wie der Bundespräsident – in ganz Deutschland und auch in Ostdeutschland eine engagierte und organisierte zivilgesellschaftliche Willkommenskultur, viele Ostdeutsche verurteilen die Fremdenfeindlichkeit und die Übergriffe aufs Schärfste. Aber gerade in den letzten Monaten, wo sich Menschen, die aus größter Not zu uns gekommen sind, gewalttätigen rechtsextremen Demonstranten aussetzen, gibt es eine Notwendigkeit, diese Schattenseiten klar und deutlich anzusprechen.

Haben Journalisten diese Schattenseiten nicht deutlich genug angesprochen. Kurzum: Haben die Medien, haben die Journalisten versagt?

Thomas Krüger: Nein, ich bin Anhänger der These, dass der Journalismus heute nicht schlechter, die Leser aber sehr viel kritischer sind. Als publizistisches Rückgrat der demokratischen Öffentlichkeit bleiben Journalisten unersetzlich und natürliche Verbündete der politischen Bildung. Beiden geht es darum, Sachverhalte zu erklären, Kontroversen aufzuzeigen und letztendlich das demokratische Bewusstsein und die aktive Mitarbeit zu stärken.

Offenbar haben auch Journalisten einiges falsch gemacht. Umfragen deuten an: Das Vertrauen ist bei vielen Bürgern erschüttert. Haben Journalisten vielleicht wie Oberlehrer aufs Volk hinabgeschaut – was die Bürger eben nicht mögen?

Thomas Krüger: Wenn Journalisten etwas falsch gemacht haben, dann höchstens zwei Dinge: Erstens, dass sie sich zu spät in die Debatten im Netz, in den sozialen Medien eingeschaltet haben. Hier haben viele Journalisten die Möglichkeiten unterschätzt, sich frühzeitig Gehör zu verschaffen. Und zweitens haben Sie ihr Licht unter den Scheffel gestellt. Guter Journalismus setzt sich schon durch, dachte man, dass dazu aber heute eine transparente Kommunikation gehört, haben viele noch nicht begriffen.

Journalisten wie der ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte schreiben: Medien manipulieren, lassen sich korrumpieren und von Amerika und der Nato einspannen. Stimmt unsere Politik-Berichterstattung nicht mehr?

Thomas Krüger: Natürlich kann man manches kritisieren. Wenn zum Beispiel der Eindruck entsteht, im politischen Berlin würde eine Art „Hofberichterstattung“ stattfindet, und zum Beispiel Pressekonferenzen nur dazu genutzt werden, um O-Töne einzuholen, statt Dinge kritisch zu hinterfragen – dann werden Journalisten ihrer Rolle als „vierte Gewalt“ nicht mehr gerecht. Aber es gibt sie ja noch, die investigativen und meinungsstarken Formate und Reporter und die genannten Vorwürfe von Herrn Ulfkotte sind doch sehr verschwörungstheoretisch. Da macht es auch keinen Unterschied, dass er mal für die FAZ geschrieben hat.

Wenn Redaktionen Fehler öffentlich zugeben, laufen sie Gefahr, dass andere wie beispielsweise der Ministerpräsident Seehofer sagen: Seht Ihr, jetzt geben sie schon selber zu, dass sie Fehler machen! Wäre es da nicht besser zu schweigen und die Fehler auszusitzen?

Thomas Krüger: Auf keinen Fall! Fehler müssen benannt und analysiert werden – auch öffentlich. Die Taktik, solche Dinge totzuschweigen, ist nicht mehr zeitgemäß und führt keinesfalls dazu, Vertrauen, das durch einen Fehler möglicherweise verloren gegangen ist, wieder zurückzugewinnen. Gerade in den lokalen und regionalen Tageszeitungen konnten wir aktuell feststellen, dass sich besonders die Lokalredaktionen herausgefordert sehen, sie aktiv auf ihre Leser zugehen – durch Bürgerdialog-Veranstaltungen und andere Events. Hinzu kommt eine neue Ombuds-Bewegung, die sich den Fragen und der Kritik der Leserschaft annimmt.

Teil 2 folgt.

Das komplette Interview, geführt von Paul-Josef Raue:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134670-interview-mit-bpb-praesident-thomas-krueger-stimmt-unsere-politik-berichterstattung-nicht-mehr.html

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