„Es gibt viele Ecken in der Redaktion, die sich vehement gegen den digitalen Wandel sträuben“ (Zitat der Woche)
Auch wenn viele Chefredakteure wissen, dass ihre Teams schnell und agil sein müssen, um im wachsenden Wettbewerb mit digitalen und sozialen Medien zu bestehen, gibt es viele Ecken in den Redaktionen, die sich vehement gegen den Wandel sträuben.
Aus der Einladung der WAN-Ifra zu einer Diskussion in Amsterdam, an der zum Beispiel teilnehmen der Digitalchefredakteur bei La Stampa, und die Chefredakteurin für Digitale Innovation bei den Trinity Mirror Regionalzeitungen. Präsentiert werden bei der Expo im Oktober „die besten Beispiele, wie Chefredakteure dieser Herausforderung begegnen und ihre Redaktion mit der digitalen Welt in Einklang bringen können“.
Was ist der Unterschied zwischen Meinungsfreiheit und Pressefreiheit?
Meinungsfreiheit ist das Recht eines jeden Bürgers, das er ausüben kann oder lassen.
Meinungsfreiheit liegt auch der Pressefreiheit zugrunde, sie ist aber auch eine Pflicht: Ein Journalist kann nicht selbst entscheiden, ob und wie er eine Nachricht bringt; er handelt im Auftrag der Verfassung, er ist Treuhänder des Bürgers, dem er alles, was für ihn wichtig ist, mitteilen muss.
Aus einem Leitartikel zur Thüringenwahl „Das Elend der Politik – und die AfD“ entstand auf Facebook eine kleine Debatte um die Pressefreiheit, die hier in Auszügen dokumentiert ist:
Mario Schattney
Das Elend der Politik wäre vielleicht auch das Elend einer mit der Politik symbiotisch verstrickten Medienklasse? Muss sich der Bürger in krisenhaften Zeiten wie diesen am Ende von beiden verschaukelt fühlen? Erstaunlich und bemerkenswert ist doch, wieviel politisch-mediale Häme und Geringschätzung in unserer vorgeblich demokratischen Kultur der AfD entgegen bläst …
Raue:
Sicher sind die Medien mit der Politik verbunden. Wir haben die Mächtigen zu kontrollieren und – wie das Verfassungsgericht bestimmte – Diskussionen in Gang zu halten, um als orientierende Kraft zu wirken. Die kritische Nähe von Medien und Politik ist also ein Verfassungsauftrag: Die Presse als Verbindung zwischen Volk und Politik. Die Frage heute ist: Reicht das? Müssen wir nicht selber aktiv werden, Konzepte entwickeln? Dann bewegen wir uns aber in vermintes Gebiet und könnten selber zum Akteur von Politik werden. Dürfen wir das? Müssen wir das tun?
Wolfgang Kretschmer:
Selbstverständlich ist die verfassungsmäßig aus guten Gründen unklar definierte Schnittmenge von Politik und Medien ein „vermintes Gebiet“. Diesen Begriff hätte ich derzeit allerdings nicht gewählt.
Medien und Politik, Medien und Wirtschaft, diese Verhältnisse sind Hochspannungssektoren in der Meinungsbildung demokratischer Gesellschaften, die auch wegen allerlei irrlichtender Gestalten unter „Strom“ Stehenden einiges ethisch aushalten müssen, weil sie jeweils teils einig in der Meinung teils kontrovers sind, aber auch von einander lernen, jedenfalls im besten Falle.
Journalistenjob ist es nun, abgesehen von Meinungsumfragen, herauszufinden, wo sind die Abstimmungshochburgen der AfD und dort vor Ort herumzuforschen. Je nach gutem Journalismus wird dies dann für „Volk und Politik“ aufschlussreich sein. Kurz und gut, wir sind irgendwie immer „Mitakteure“, im Sinne der aus der Ethnologie und aus anderen Disziplinen bekannt problematischen wissenschaftlichen Figur der „teilnehmenden Beobachtung“. Und wenn wir unsere Meinung sagen wollen, tun wir dies in einem fundiert furiosen Kommentar, der das Blatt fürs Publikum interessant macht. Pressefreiheit ist Meinungsfreiheit.
Raue:
Einverstanden, aber Pressefreiheit ist mehr als Meinungsfreiheit, ist Verantwortung für die Demokratie und die Gesellschaft, ist Verantwortung für die Freiheit.
Wolfgang Kretschmer
Pressefreiheit ist in einer Demokratie Meinungsfreiheit (Kommentieren, das begann mal mit Flugbättern), das Recht, möglichst ungehindert investigativ zu recherchieren, Aktenzugang zu haben, im Gespräch mit Menschen die Hintergründe von bedeutenden Ereignissen zu eruieren oder durch journalistische Arbeit zunächst Unbedeutendes als wichtig ins öffentliche Bewusstsein zu transportieren. Insofern nehmen wir Verantwortung für Demokratie, Gesellschaft und Freiheit wahr, sind daher auch politische Akteure und Beförderer demokratischer Prozesse.
Um mal im Bild zu bleiben: Andere haben ein Interesse daran, ihr Terrain zu verminen, wiederum andere aus unserer Branche legen Minen. Das geneigte Lesepublikum macht sich ja auch selber so seine Gedanken, ob per Paper oder zunehmend online. Die sind auch mitunter schlauer als unsereins. Wir sind doch gar nicht weit auseinander. Oder?
Harald Klipp
Die Verantwortung für die Grundwerte darf aber nicht dazu führen, dass wir selbst mitmischen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass ein Journalist mit Parteibuch seiner Rolle als Journalist nicht mehr gerecht werden kann. Das Beispiel Susanne Gaschke zeigt, dass es ein Riesenunterschied ist, ob man als Journalist beobachtet, bewertet und kommentiert oder selbst zum politischen Akteur wird. Wenn es beim HSV in der Fußball-Bundesliga nicht läuft, biete ich mich ja auch nicht als Trainer oder Torwart an. Und das ist gut so.
Paul-Josef Raue
Zu Wolfgang Kretschmer: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind zwar in einem Artikel des Grundgesetzes erwähnt, aber unterscheiden sich: Jeder, der eine Meinung hat, darf sie äußern – es ist ein Recht, das nur an den Rändern eingeschränkt ist (z.B. Beleidigung, üble Nachrede, Leugnung des Holocaust); die Meinungsfreiheit ist keine Pflicht: Wer seine Meinung nicht äußern will, kann nicht dazu gezwungen werden.
Die Pressefreiheit wird von Journalisten wahrgenommen; ihnen gilt der Schutz vor Eingriffen des Staates wie Zensur, Beugehaft o.ä. Die Pressefreiheit ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht. Wir handeln im Auftrag der Bürger – das ist eben der Verfassungsauftrag – und wir besorgen den Bürgern alle wichtigen Informationen, wahrheitsgemäß und unverzüglich. Das müssen wir tun.
Auch beschränken wir freiwillig, dem Verfassungsauftrag folgend, unsere Meinungsfreiheit: Der Pressekodex ist über weite Strecken eine solche Einschränkung. Jeder darf sagen: Metzger Schweinebrust hat die besten Schnitzel und nirgends gibt es bessere; wir dürfen es nicht schreiben usw.
Wolfgang Kretschmer
Meinungs- und Pressefreiheit sind im Grundgesetz nicht erwähnt, sondern hammerhart festgeschrieben.Grauzonen gibt es im alltäglichen Schreibgeschäft. Ich sehe gar nicht, wo wir auseinander sind! Unsere Texte zum Thema dienen eher einer notwendigen reflektierenden Selbstvergewisserung. Unser langsam dahinschwindener Beruf genießt ja nicht den allerbesten Ruf. Und as ist auch gut so.
Ich bleibe dabei: Wir sollten zu den AfD-Hochburgen gehen und nachschauen, was die Menschen bewegt und in ihren Köpfen haben. Darüber kann man ganz sanft und viele Aspekte betrachtend und beobachtend schreiben. Selbst dann, wenn man was von Habermas und Luhmann gelesen hat. Wir müssen als Redakteure und Journalisten manches auch verständlich machen und überraschende Varianten und Widersprüche aufdecken. Das gibt interessanten Lesestoff und ändert vielleicht gängige Meinungen. Womöglich könnte unsereins auch mal darüber nachdenken, dass wir in unserem Job auch in sich ebenso seelisch wie seelig hin- und hergerissene Figuren sind (Kir Royal, Heidemann etc etc.)..
Schnitzel: Meine Recherchen etwa zur Südtiroler Speckproduktion oder meine Meinung zum geplanten Seilbahnprojekt in Brixen bringe ich jeweils anderswo unter (Textsorten). Und immer ist selbst dabei klar ersichtlich, dass ich ein spezielles forschendes Erkentnisinteresse habe. Und wenn Metzger Schweinebrust bei seiner Werbung für die besten Schnitzel pfuscht,, dann haue ich den selbst als Kunden einer Tageszeitung in die Pfanne. Dies wird dann im Verlag durchgestanden
Das Elend der Politik (Kommentar zur Landtagswahl in Thüringen)
Wer, um alles in der Welt, wählt eigentlich die AfD? Wer dort sein Kreuz malte, der wusste: Die Partei wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in keiner Koalition mitregieren. Eine Stimme für die AfD ist also – wenn es um die Macht geht – eine verlorene Stimme.
Trotzdem stimmte jeder zehnte Thüringer, der sich zum Wählen entschlossen hatte, für eine nahezu unbekannte Truppe, die zerstritten war und kein klares Konzept hat. Nehmen wir die Thüringer hinzu, die bei dem trüben Wetter lieber zu Hause blieben, dann kommen wir auf die stärkste Fraktion überhaupt: Die Bürger, die es nicht so recht interessiert, wer über ihre Zukunft bestimmt.
Selten ist das große Problem unserer Demokratie so klar geworden wie gestern in Thüringen: Den Mächtigen läuft das Volk davon. Die beiden größten Parteien haben zwar Prozentpunkte gewonnen, aber wahrscheinlich Wähler verloren. Der Jubel bei CDU und Linke in Thüringen, die sich beide wie Sieger fühlen, wird nur ein paar Tage anhalten, dann wird Katzenjammer einsetzen und hoffentlich das Nachdenken: Wieviel Desinteresse kann eine Demokratie aushalten? Wird sich das Problem auswachsen?
Nein, im Gegenteil: Schauen wir auf die Wahlanalysen, dann wird die Lage noch dramatischer: Die Wähler der AfD sind gerade die jungen Wähler. Wer jünger ist als 29, der machte öfter bei der AfD sein Kreuz als bei der SPD und fast so oft wie bei der Linken.
Wer zynisch das Ergebnis interpretiert, der könnte sagen: Wenn es den Bürgern schlechter geht, wird sich schnell wieder alles richten. In der Tat sind fast zwei Drittel so zufrieden wie nie zuvor. Doch auf schlechte Zeiten zu hoffen, ist ebenso töricht wie gefährlich.
Politiker müssen endlich klar machen, dass sich die Bürger mit Verdrossenheit und Verweigerung selber schaden. Wir brauchen mehr Politiker, die Vertrauen und Kompetenz zeigen. Es ist Zeit!
PS. Und was ist der Auftrag an uns Journalisten? Dürfen wir nur zuschauen? Oder müssen wir selber Konzepte und Lösungen finden?
**
Thüringer Allgemeine 15.9.2014 (hier erweiterte Fassung)
Ice-Bucket-Challenge: Darf sich ein Redakteur von einem Politiker im Wahlkampf einladen lassen?
Wahlkampf in Thüringen. 16.000 Zuschauer im Erfurter Stadion warten auf den Anpfiff des Ost-Derbys gegen Dresden in der Dritten Liga. Am Rande des Rasens steht Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken, mit einem roten „Linken“-T-Shirt; rechts und links von ihm stehen auf zwei Hockern Rot-Weiß-Balljungen mit Eiskübel. Ein künftiger Ministerpräsident, möglicherweise, schüttet sich nicht selber Eiswasser über den Kopf.
Wir sind bei der Eiswasser-Wette, dem Ice Buckett Challenge, in den USA erfunden, um Geld für die kaum erforschte Nervenkrankheit ALS zu besorgen. Wer nicht Eiswasser über seinen Kopf kippt, zahlt hundert Dollar; Bill Gates hat sich beteiligt, Mark Zuckerberg und Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (der einen „gewissen Christian Wulff“ und seine Frau nominiert haben soll). Nicht reagiert haben Joachim Löw, Angela Merkel und Wladimir Putin.
Auch das gehört eben zum Ritual der Wette: Bodo Ramelow nennt drei Menschen, die seinem Vorbild folgen sollen. Darunter ist sein „spezieller Freund“, der Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, gegen den er im Wahlkampf unzählige Tweets, Retweets, eine Unterlassungserklärung verfasst hat und reichlich Missfallens-Bekundungen erlassen.
Soll ein Chefredakteur (oder auch jeder andere Redakteur) über dies Stöckchen im Wahlkampf springen? Wird er dann nicht Teil des Wahlkampfs? Macht er sich nicht lächerlich vor seiner Leserschaft einer seriösen Zeitung? Oder ist er einfach ein Spielverderber? Einer, der alles zu ernst nimmt?
„Kann er nicht digital“, twittert einer, als meine Antwort nicht rechtzeitig kommt. Man muss, nach den Regeln, innerhalb von 24 Stunden eiskübeln. Meine Antwort an Ramelow:
Sie können mich nicht einladen: ich bin Journalist, kein Wahlkämpfer. Ich kämpfe weder für sie, noch für andere.
Ramelow ist indigniert und grummelt, ich hätte das Ganze nicht verstanden und sollte mal Wikipedia lesen. Meine Antwort:
Wiki lesen: „Ein Internet-Phänomen, von vielen ausgenutzt, sich selbst in Szene zu setzen.“
Übrigens: Die Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis lehnte auch ab: „Ich spende lieber still und leise.“
Hanns Joachim Friedrichs sprach den legendärer Satz, im Handbuch auf Seite 176 zu finden:
Einen guten Journalist erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.
Den beiden schließe ich mich an, ebenso:
Mittlerweile schwappt die Eiskübel-Welle weiter, ohne dass noch großartig auf diesen ernsten Hintergrund hingewiesen wird. Bei der aktuellen Flut an Eiswasser in sozialen Netzwerken bekommt man den Eindruck, es werde nur noch Wasser geschüttet, um sich ins Gespräch zu bringen. […] So wird aus einer Idee, die eine ernste Angelegenheit humorvoll verpackt, ein verwässertes Internet-Phänomen, das von vielen letzten Endes nur ausgenutzt wird, um sich selbst in Szene setzen.
Tanja Morschhäuser: Verwässertes Internet-Meme. Frankfurter Rundschau, abgerufen am 23. August 2014.
Wenn Politiker ausrasten: Wahlkampf und die Nerven von Redakteuren wie Kämpfern
Der Wahlkampf in Thüringen war ein heftiger. Es deutet sich ein Wechsel an, und ein Novum in der deutschen Geschichte: Der erste deutsche Ministerpräsident von den Linken, der Nachfolge-Partei der SED – im 25. Jahr nach dem Fall der Mauer.
Selten thematisieren Redakteure, was sich alles zwischen Politikern und Redaktionen abspielt. Mirko Krüger, Desk-Chef der Thüringer Allgemeine, hat in einem Leitartikel auf der Titelseite die „Misstöne im Thüringer Wahlkampf“ erklärt:
Je näher die Entscheidung rückt, umso mehr liegen die Nerven vieler Kandidaten blank. Das bekommen auch Journalisten zu spüren. Seit Tagen häufen sich Anrufe von Politikern in der Redaktion; wohlgemerkt: von Politikern aus nahezu jedem politischen Lager.
Der eine fühlt sich beleidigt, wenn wir über ihn berichten. Ein anderer flippt regelrecht aus, dass über ihn angeblich zu wenig berichtet würde. Ein dritter droht mit Abbestellung seines Zeitungsabos. Ihm passt nicht, dass sein parteiinterner Konkurrent in einem Artikel erwähnt worden ist.
In solchen Momenten macht unter Journalisten gern mal eine ketzerische Bemerkung die Runde. Zeitung machen könnte so schön sein, wenn es keine Politiker gäbe. . .
Wirklich? Natürlich ist das Gegenteil der Fall. Die letzten Tage vor einer Wahl offenbaren nicht selten auf besondere Weise den wahren Charakter mancher Kandidaten.
In den USA lauern deshalb vor allem politische Gegner auf verbale Entgleisungen und Wutausbrüche ihrer Gegner. Wenn etwa ein Funktionär, der ach so gern ein Staatsmann wäre, ab und an ausrastet, lässt sich das herrlich ausschlachten.
Solche Videos zeigt man gern im eigenen Wahlkampf – und fragt dabei die Bürger: Möchten Sie wirklich die Zukunft unseres Landes in die Hände dieses Politikers legen?
Gut möglich, dass noch heute mein Telefon klingelt. Gut möglich, dass schon wieder ein Kandidat meint, ich könne ja nur ihn allein gemeint haben. Das wäre sogar gut: Jede Besserung beginnt mit Einsicht.
Was sich detailliert in der Redaktion an Druck und Drohung durch Politiker abspielt, können andere besser beschreiben. Claus Peter Müller hat in der FAZ den Linken-Kandidaten Bodo Ramelow beobachtet:
Ob alles stimmt, was über Ramelow geschrieben wird, sei dahingestellt. Aber er hält das Stöckchen, über das die anderen springen. Er macht sich interessant, um dann aber auch die Grenzen der Berichterstattung mit aller juristischen Entschlossenheit aufzuzeigen. In der „Tageszeitung“ steht, seine Mutter habe ihn wegen seiner schulischen Leistungen mit der Peitsche geschlagen. Von „Gewaltorgien“ soll er gesprochen haben.
Kaum eine Reflexion über Ramelow versäumt, seine Legasthenie zu thematisieren. Als aber jüngst ein Autor der Zeitung „Thüringer Allgemeine“ zu dem Schluss kam, Ramelow sei ein Narzisst, wurde er ungehalten und forderte von der Chefredaktion die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung.
Die Korrespondenz versandte er im ganzen Land. Nun haben es alle schriftlich: „Lesen konnte und kann ich und zwar sehr gut“, steht dort als einer von vielen Punkten. Auch dass Ramelow nie Lehrling in Marburg gewesen sei, sondern dort Lehrlinge ausgebildet habe. Ferner habe er nicht an der Beerdigung von Professor Wolfgang Abendroth teilgenommen, und der „Abbruch des Interviews“ mit dem „Spiegel“ sei aufgrund von Beleidigungen durch den fragenden Journalisten „notwendig“ gewesen.
Das ist eben auch ein Wesenszug des Kandidaten Ramelow. Er gilt als dünnhäutig und empfindsam.
Die Thüringer Allgemeine hat keine Unterlassungserklärung abgegeben. Im Klartext-Verlag hat sie ein E-Book herausgegeben: Frank Schauka – Bodo Ramelow. Eine biographische Skizze
Im Frühjahr gab ebenfalls der Klartext-Verlag die Biografie der Ministerpräsidentin heraus, geschrieben vom TA-Redakteur Martin Debes: Christine Lieberknecht – Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin (Besprechung in der WAZ und im MDR).
**
Quellen:
FAZ-Online vom 11. September „Ramelow im Präsidenten-Modus“
TA vom 6. September
Kann man sich hinter der „Floskel der Objektivität“ verschanzen?
Thomas Scheen schreibt in der FAZ ein Porträt der südafrikanischen Richterin Masipa, die das Urteil im Prozess gegen Oscar Pistorius spricht. Sie war Journalistin bei der Post in Johannesburg, kämpfte gegen die Apartheid und galt „als zäher Brocken“:
Das war in den siebziger Jahren, als das Apartheidsregime mit roher Gewalt gegen seine Gegner vorging und ein Reporter sich nicht hinter der Floskel der Objektivität verschanzen konnte, sondern Farbe bekennen musste.
Gelten die journalistischen Regeln der Objektivität nur in friedlichen und demokratischen Zeiten? Darf ein Journalist ansonsten Nachricht und Meinung vermischen? Und wenn ja: Warum? Darf auch ein Richter die Objektivität als Floskel sehen?
Quelle: FAZ 12. September 2014
Ein journalistisches Prinzip: „Wir müssen auf die Präzision der Sprache achten“
„Eine Lichtung, von Wald umgeben“ schrieb Annette Milz, Chefredakteurin des Medium Magazin , in einem ihrer ersten Artikel. Ihr Chef fragte sie: „Wo hast Du schon einmal eine Lichtung gesehen, die nicht von Wald umgeben ist?“. Sie antwortete reflexartig: „Natürlich gibt’s das!“
Der Chef blieb ungerührt: „Wenn Du mir diese Lichtung nennst, die nicht von Wald umgeben ist, darfst Du das schreiben. Wenn nicht, streichst Du ,Von Wald umgeben'“. Das erzählte Milz in einem Interview mit Wolfram Kiwit, dem Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten.
Das Erlebnis prägte Milz in zweierlei Hinsicht:
1. Wir müssen als Journalisten auf Präzision der Sprache achten.
2. Wir müssen auf eine präzise Information achten.
Ein Glück, wer solch einen Chef hatte. Hochachtung vor dem, der solch eine Lektion wirklich lernte – und nach ihr lebte.
Epische Diskussionen über Print und Online sind vergeudete Zeit (Zitat der Woche)
Journalisten wie Verlagsmanager haben zu spät damit begonnen, die eigene Rolle unter den veränderten Rahmenbedingungen neu zu definieren. Die epischen Diskussionen der letzten Jahre zwischen «Print» und «Online», zwischen «gut» und «böse» haben uns alle in der Medienbranche Zeit und Energie gekostet – und Innovation und Reformen verlangsamt. Das muss sich ändern.
NZZ (Neue Zürcher Zeitung)-Verwaltungsratchef Etienne Jornod in der eigenen Zeitung am 6. September 2014
Die Debatte geht weiter: Wieviel Mantel braucht eine Regionalzeitung? (Interview der „Drehscheibe“)
Viele Besucher kamen in meinem Blog, um die Eröffnung einer Debatte über Newsdesk, Lokales, Qualität und die richtige Gewichtung in einer Regionalzeitung zu lesen. Eine Debatte ist nicht aufgekommen. Noch nicht? Die Drehscheibe ist jetzt eingestiegen mit einem Interview:
Herr Raue, Sie fordern auf Ihrem Blog einen anderen Umgang mit dem Desk. Wie sieht für Sie der ideale Desk aus?
Es gibt keine gängigen Modelle in deutschen Zeitungen, nahezu jeder Desk ist ein Unikat. Das verwirrt Redaktionen, Verleger und Manager. Der klassische Desk ist einfach: Am Tisch, den der Boulevard „Balken“ nennt, sitzen die „Editors“, die Blattmacher: Sie sind die Textchefs, die auf Verständlichkeit, Logik und Korrektheit achten ebenso wie auf das Einhalten von rechtlichen und ethischen Normen, auf die Linie des Blatts usw.
Die Reporter recherchieren und schreiben, sie sind die Streetworker der Redaktion, befreit von den zu Recht beklagten Einschränkungen durch Technik: Sie sind keine Layouter und Redaktionshocker mehr, sie brauchen nur noch ihren Laptop, eine kleine Kamera und ein Smartphone für die schnellen Meldungen ins Netz. Das ist der eigentliche, wohl auch der ideale Desk.
Wäre damit der klassische Mantelteil, gefüllt mit dpa-Material, überholt?
„Mantel“ ist ein Begriff aus der alten Zeit der zwei Welten: Hier die große Welt, die eigentliche; dort die kleine Welt, die lokale. Heute verlangt der Leser, dass die Zeitung die Welt, die komplette Welt, aus seiner Perspektive sieht, dass sie ihm die Welt ordnet in wichtig und unwichtig für sein Leben – und nicht für das Leben des Redakteurs.
Jede Regional-Zeitung muss selber erkennen, wie viele nicht-lokale Seiten sie bietet, das wird in Flensburg anders sein als in Düsseldort. Diese Seiten sind auch nicht die entscheidenden für Abo und Kiosk. Die Entscheidung fällt im Lokalen, dort muss die Qualität zu Hause sein.
Die Bedeutung des Lokalen für die Zeitung der Zukunft dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Was hindert viele Verlag noch daran, diesen Weg – die Stärkung des Lokalen – entschlossen zu gehen?
Nichts hindert sie. Aber dem Denken und vor allem dem Handeln eine neue Richtung zu geben, fällt vielen schwer. Im Zweifelsfall holt sich der Verleger doch einen Korrespondenten als Chefredakteur, weil er eben stolz ist, wenn die Kanzlerin auch seinem Blatt ein Interview gewährt.
Vielleicht gibt es auch zu wenige, die aus dem Lokalen kommen und zum Chefredakteur taugen. Da rächt sich, dass über Jahrzehnte das Lokale kaum beachtet und oft belächelt wurde. Vielleicht fehlt auch immer mehr Chefredakteuren die Leidenschaft für den schönsten Beruf in einer Demokratie: Sie lassen sich eher von Excel-Tabellen faszinieren als von starken Themen und guten Recherchen.
Interview: Stefan Wirner
Link zur Drehscheibe:
http://www.drehscheibe.org/im-lokalen-muss-die-qualitaet-zu-hause-sein.html
Facebook-Kommentare
von Frank Fligge
Provokant wäre die Fragestellung: Braucht Regionalzeitung einen Mantel?
Joachim Widmann
Eine Regionalzeitung, die im klassischen Sinne einen Mantel hat (z.B. weil sie ihn als typischen dpa-Sampler von einem anderen Anbieter bezieht), vergibt ihre Chance, mit blattmacherisch überzeugender regionalisierter Berichterstattung über nationale und internationale Top-Themen Lesern in ihrem Verbreitungsgebiet nahe zu kommen. Das heißt, dass sie bei relevanten Themen Verzicht übt oder schwächelt, was gerade das kritische jüngere Publikum fernhalten dürfte. Ergo: kein Mantel (im klassischen Sinne) ist besser, aber die wichtigsten Mantelthemen gehören unbedingt mit eigenem Dreh und Inhalt sowie hoher Erklärqualität in die Zeitung und müssen von ihr kommentiert und auf Social Media auch mit ihren Lesern diskutiert werden.
Raimund Hellwig:
Provokant wäre: Brauchen wir Regionalzeitungen. Oder tun`s Lokalblätter auch?
Lars Reckermann
Lokalblätter klingt so abwertend gegenüber RegionalZEITUNGEN. Lokales macht auch Zeitung. Ihnen, lieber Herr Raue, pflichte ich bei: Desk ist nicht gleich Desk. Ich muss auf der Ostalb nicht 18 Lokalredaktionen vereinen. Ich muss durch den Desk wieder unsere Reporter zu Reportern machen und sie von Verwaltern zu Gestaltern machen. Damit beginnen wir intensiv im Oktober. Und wir bleiben brutal lokal. Ja, auch mit Vereinen. Ja, auch mit Berichten aus jeder Ecke der Ostalb, in der wir täglich Nachrichten finden (müssen). Wir sind digital auch nicht mehr kostenlos. Wir sind so selbstbewusst, dass wir unsere Lokalnachrichten nicht verschenken. Auch diese Koordination muss ein Desk, nein, muss UNSER Desk übernehmen. Eine Online-Redaktion haben wir nicht. Wir haben EINE Redaktion für unsere Nachrichten. Ich glaube zudem, dass wir mir all dem „alles-muss-sich-ändern“ unseren treuen Leser vor den Kopf stoßen. Lasst uns gute Geschichten schreiben, die gefallen treuen und neuen Lesern. Mir kommt es immer so vor, als hätten wir vor der Einführung von Desks nur schlechte Nachrichten geschrieben – das ist Blödsinn. Ein Desk sorgt nur für bessere Koordination, nicht für bessere Geschichten.
Frank Fligge
DER Desk ist eine Erfindung von Unternehmensberatungen, die vorgeben, von außen kommend, Universallösungen parat zu haben. Das ist Bullshit, den phantasielose Verlagsmanager in ihrer Einfallslosigkeit allerdings sehr gerne glauben. Ein Desk muss auf die ganz speziellen Bedürfnisse der Redaktion/en, für die er arbeitet, ausgerichtet sein. Dann, und nur dann, macht er Sinn. Im Optimalfall arbeitet ein Desk auch nicht FÜR Redaktionen, sondern HAND IN HAND mit ihnen.
Paul-Josef Raue
Der Desk ist älter als jede Unternehmensberatung: Desks gibt es im angelsächsischen Raum seit langem, die Trennung von Editor und Reporter ist weltweit die normale Redaktions-Organisation. Nur Deutschland und die deutschsprachigen Nachbarn gingen nach dem Krieg einen Sonderweg – außer Zeitschriften und Boulevard (der Balken bei Bild).
Frank Fligge
. . . und dann haben findige Berater den Desk zum Sparmodell erklärt, sich selbst ein wunderbares Geschäftsmodell erschlossen und zur weiteren Irritation Begrifflichkeiten wie „Producerdesk“ und „Entscheiderdesk“ eingeführt. Da krieg‘ ich Pickel, wenn ich das höre.
Lars Reckermann
Also ich habe sogar selbst als Volo layoutet und getextet – ich wusste, welches Layout das Blatt hat (4:3) und das jede Seite einen Aufmacher mit harten Facts und eine bunte Geschichte benötigt. Da war mir der angelsächsische Raum, ehrlich gesagt, ziemlich Schnuppe.
Frank Fligge
Als ich Ende der 90er als Jungredakteur in der Lokalredaktion Unna eine zentrale Produktion der Seiten für Unna, Fröndenberg, Holzwickede und Bönen eingeführt habe, also so eine Art internen Mini-Desk, muss Angelsachsen auf einem anderen Planeten gelegen haben.
Frank Jungbluth
Da fällt mir mein geschätzter früherer Kollege #Hans-Albert Limbrock ein, mit dem wir in der WP-Lokalredaktion Soest 1994 eine Revolution veranstaltet haben, die nicht allen Kollegen gefiel: Er spiegelte als stellv. Lokalchef fünf bis sechs Seiten, wir drei anderen Lokalredakteure waren Draußen und recherchierten, schrieben, teilweise auch Zuhause, weil’s manchmal schneller ging. Abends wurde vorgeplant: Wie sieht’s mit der und der Geschichte aus? Rat machen wir aktuell! Ich fand’s großartig, konnte unterwegs sein, mit den Leuten reden, alles einsammeln, was alle „offiziellen“ Verlautbarer uns nie erzählt haben und hätten. Wir sind schlicht und ergreifend hingefahren zu den Leuten und haben nicht nur angerufen. Wir waren nahe dran und besser als die weitaus auflagenstärkere Konkurrenz … Layouten konnten wir alle, auch Filme entwickeln und Negative scannen oder vorher Positive abziehen, im Sonntagsdienst musste man das auch, aber mit dem „Lokaldesk“ 😉 war einfach mehr Zeit für das Wesentliche: Den Journalismus!
Paul-Josef Raue
Der Desk ist einfach ein Tisch, mehr nicht. Es geht um die Organisation der Arbeit, es geht um den Journalismus: Die einen recherchieren, die anderen machen das Blatt. Frank Jungbluth beschreibt es sehr genau, und er beschreibt es so, dass selbst eine kleine Lokalredaktion davon einen großen Nutzen hat. Der Redaktroniker war nie das Ideal des Journalismus: Layouter, Fotograf, Planer, Rechercheur und Schreiber in einem. Sicher gab es begnadete Redakteure, die 12 Stunden im Einsatz waren und alles gestemmt haben; aber ich bin mehr für Professionalität statt für Gnade. In zu vielen Redaktionen sind die meisten nicht mehr rausgegangen: Sie haben mühsam layoutet, auf die Freien gewartet, zwischendurch ein paar Mal telefoniert, Pressemitteilungen umgeschrieben usw. Der Desk macht aus Redaktronikern wieder Journalisten.
Zudem: Die Talente sind in der Regel auch ungleichmäßig verteilt, der eine kann gut recherchieren und mag die Menschen; der andere kann gut redigieren und organisieren und mag seine Kollegen.Und ich bin sicher, verehrter Herr Reckermann: Wenn Sie immer schon wie in der NewYork Times gearbeitet hätten, wären Sie in der Chefredaktion des Spiegel.
Frank Fligge
Ich glaube, den Widerspruch, auf den es hier gerade hinaus läuft, gibt es in Wahrheit gar nicht.
Lars Reckermann
Paul-Josef Raue Es gibt keinen Widerspruch. Ich bin ganz bei Ihnen, wie ich es auch jüngst in meinem Blog beschrieben haben. Den Kollegen das vor-Ort-sein ermöglichen -das muss der Desk. Aber dennoch sei mir, verehrter Herr Raue, erlaubt zu ergänzen: Wer sagt denn, dass ich zum SPIEGEL will. Ich bin Lokalredakteur und das gerne.
Frank Fligge
Wer will schon zum Spiegel?
Paul-Josef Raue
Lieber Herr Reckermann, es war pure Wertschätzung – in jeder Hinsicht.
Auch das noch! Mitleid mit Chefredakteuren: Ob es solche Menschen überhaupt geben sollte (Zitat der Woche)
Mittlerweile sind Chefredakteure die bedauernswertesten Kollegen an Bord, noch schlimmer dran als Fußballtrainer… Als Mitspieler im Betrieb fragt man sich manchmal, wie jemand beschaffen sein müsste, der das alles wuppt – und ob es solche Menschen überhaupt geben sollte. Manche schaffen es ja einigermaßen. Aber es gibt nicht mehr so viele auf den Kommandoständen, die man nicht immer mal wieder bedauert.
Peter Praschl „Nachruf auf den Chefredakteur“ in der Welt am Sonntag, 31. August 2014
**
Wolfgang Molitor Facebook-Kommentar:
Chefredakteure brauchen Stehvermögen und kein Mitleid!
Volker Hagenauer auf Facebook:
Chefredakteure braucht es genau in einem Punkt: für die Justierung der Schreibe aller Redakteure und dem richtigen Gefühl für Kritik und Menschen. Oftmals erleben wir aber einen Stil, der eher dem Vorgehen mit dem Bohrhammer gleicht. Worte können doch auch extrem verletzen; so manche Zeitung (!) ist dann nicht mehr Bestandteil der Community, sondern eher das Feindbild par excellence.
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