Das Herz von Journalisten schlägt weit links
Die Frage lautete hier am 21. September: Wo schlägt das politische Herz von Redakteuren? Es schlägt links.
Den Hinweis auf eine Weischenberg-Studie von 2005 gab Alexander Will: „Journalismus in Deutschland“ nach einer Repräsentativbefragung durch das Journalistik-Institut der Universität Hamburg. Danach wählen Journalisten völlig anders als ihre Leser. Rund 1500 Journalisten wurden nach ihrer Parteineigung befragt, nicht nach ihren Wahlabsichten:
1. Die Grünen (35,5)
2. SPD (26,0)
3. Wechselwähler / „Ich neige keiner Partei zu“ (19,6)
4. CDU (8,7)
5. FDP (6,3)
Auf einer Skala von 1 (politisch weit links) bis 100 (politisch weit rechts) liegen die Journalisten mit 38 recht weit links; ihre eigenen Medien ordnen sie ziemlich genau in der Mitte ein.
Die Vorliebe für die Grünen ist vor allem bei den Journalistinnen zu finden (43 Prozent) und den Jüngeren von 36 bis 45 Jahren (42 Prozent).
Dieser Text folgte im Blog am 21. September, also am Tag vor der Bundestagswahl (leicht redigiert):
Wen wählen Redakteure? Wir hatten in einem kleinen Kreis diskutiert: Sollen wir in der Redaktion eine geheime Wahl abhalten? Wir entschieden uns dagegen: Das Ergebnis wird in die Öffentlichkeit kommen und der Redaktion das Leben schwer machen, gleich wie das Ergebnis ausgehen wird.
Die FTD, als es die deutsche Ausgabe noch gab, war sogar einen Schritt weitergegangen: Sie hat eine eigene Wahlempfehlung abgegeben, wie es in angelsächsischen Zeitungen sogar üblich ist.
Die Bildzeitung schreibt heute nicht, wie die Redakteure wählen; sie zeigt 50 Reporter, die sagen, wen sie nicht wählen. Die unbeliebteste Partei bei den ausgewählten Bild-Reportern sind die Grünen und die Linken; die FDP zieht weniger Abneigung auf sich als die beiden Volksparteien und die AfD.
Zwei Reportern gelingt es sogar, zu schreiben, wen sie wählen: “Ich wähle lieber ein Original und nicht die CDU, weil die nie von allein auf die Energiewende und die Homo-Ehe gekommen wären.” (Jörg Schallenberg, Nachrichten) Und: “Ich möchte, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.” (Stephanie Bilges, Politik) Da wäre allerdings noch die Leih-Zweit-Stimme für die FDP möglich.
Weitere Abneigungen:
Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil mir gut verdienende Öko-Intellektuelle, die sich mit grünem Anstrich zum Gutmenschen stilisieren, stinken. (Claudia von Duehren, Berlin)
Sorry, Linkspartei, das wird nichts mehr mit uns! Ex-SED-Genossen, Staatsgläubigkeit, verlogener Pazifismus, Wirtschaftsfeindlichkeit – never. (Ralf Schuler, Politik)
Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil niedersächsisches Fleisch mein Gemüse ist! 🙂 (Cornelia Missling, Hannover)
Ich wähle auf keinen Fall FDP, damit die weltfremden Liberalen endlich im Niemandsland der Politik verschwinden. (Olaf Wehmann, Berlin)
Ich fand Steinbrück im Wahlkampf so unerträglich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben NICHT die SPD wähle. (Claudia Weingärtner, Nachrichten)
Ich wähle auf keinen Fall CDU, weil ich Frau Merkel den Mut zu wirklichen Reformen abspreche. (Victor Reichardt, Politik)
Quellen: Media-Perspektiven 7/2006 (Journalismus in Deutschland 2005) / Bild, 21. September 2013
Reich-Ranickis Abschiedssätze
Nach einem langen Abend im Rosengarten an der Ostsee, erinnert sich Doris Runge, verabschiedete sich Marcel Reich-Ranicki stets:
Es hätte ein wunderschöner Abend werden können, hättet ihr mich auch einmal zu Wort kommen lassen.
Quelle: FAZ, 20. September 2013
Wo schlägt das politische Herz von Redakteuren?
Wen wählen Redakteure? Wir hatten in einem kleinen Kreis diskutiert: Sollen wir in der Redaktion eine geheime Wahl abhalten? Wir entschieden uns dagegen: Das Ergebnis wird in die Öffentlichkeit kommen und der Redaktion das Leben schwer machen, gleich wie das Ergebnis ausgehen wird.
Die FTD, als es die deutsche Ausgabe noch gab, war sogar einen Schritt weitergegangen: Sie hat eine eigene Wahlempfehlung abgegeben, wie es in angelsächsischen Zeitungen sogar üblich ist.
Gemeinhin werden Redaktionen eher links eingeordnet, offenbar weil Intellektuelle sich eher links drehen. Gibt es seriöse empirische Untersuchungen aus Redaktionen? Antworten erbeten!
Die Bildzeitung schreibt heute nicht, wie die Redakteure wählen; sie zeigt 50 Reporter, die sagen, wen sie nicht wählen. Die unbeliebteste Partei bei den ausgewählten Bild-Reportern sind die Grünen und die Linken; die FDP zieht weniger Abneigung auf sich als die beiden Volksparteien und die AfD.
Zwei Reportern gelingt es sogar, zu schreiben, wen sie wählen: „Ich wähle lieber ein Original und nicht die CDU, weil die nie von allein auf die Energiewende und die Homo-Ehe gekommen wären.“ (Jörg Schallenberg, Nachrichten) Und: „Ich möchte, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.“ (Stephanie Bilges, Politik) Da wäre allerdings noch die Leih-Zweit-Stimme für die FDP möglich.
Weitere Abneigungen:
Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil mir gut verdienende Öko-Intellektuelle, die sich mit grünem Anstrich zum Gutmenschen stilisieren, stinken. (Claudia von Duehren, Berlin)
Sorry, Linkspartei, das wird nichts mehr mit uns! Ex-SED-Genossen, Staatsgläubigkeit, verlogener Pazifismus, Wirtschaftsfeindlichkeit – never. (Ralf Schuler, Politik)
Ich wähle auf keinen Fall Grün, weil niedersächsisches Fleisch mein Gemüse ist! 🙂 (Cornelia Missling, Hannover)
Ich wähle auf keinen Fall FDP, damit die weltfremden Liberalen endlich im Niemandsland der Politik verschwinden. (Olaf Wehmann, Berlin)
Ich fand Steinbrück im Wahlkampf so unerträglich, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben NICHT die SPD wähle. (Claudia Weingärtner, Nachrichten)
Ich wähle auf keinen Fall CDU, weil ich Frau Merkel den Mut zu wirklichen Reformen abspreche. (Victor Reichardt, Politik)
Merkel und ihre Unbestimmtheit: Die stellt Journalisten doch zufrieden
Von wem hat Angela Merkel das Nicht-Genau-Festlegen gelernt? Das Abwartende? Das Unbestimmte? Von Hans-Dietrich Genscher und den Journalisten: Genscher mochte das Unbestimmte, und die Journalisten mochten Genscher.
Auf der Feier zum 80. Geburtstag von Genscher sprach Merkel diesen Satz, für sie seltsam verschwurbelt:
Die aus meiner Sicht doch in seinen Äußerungen vorhandene Unbestimmtheit über den Gegenstand, den er beschrieb, und die gleichzeitige Zufriedenheit der Journalisten, die hat bei mir, ehrlich gesagt, auf meinem politischen Lernweg eine nachhaltige Wirkung entfaltet.
Merkel hatte sich, so erzählt sie, diese Technik von Genscher bei einer Moskau-Reise abgeschaut; damals war sie stellvertretende Regierungssprecherin.
Michael Hanfeld hat sich Stephan Lambys Film „Das Duell Merkel gegen Steinbrück“ vorab angeschaut und daraus in seiner Rezension zitiert; der Film läuft am Montag um 22.45 Uhr im Ersten. Hanfeld lobt den Film: Er zeige die beiden Kandidaten klarer als in dem TV-Duell mit vier Journalisten als „Wichtigtuer“.
Quelle: FAZ 14.9.13
Wie Christian Nienhaus einen guten Chefredakteur definiert: Klar, direkt, oft ruppig – aber immer nah bei den Menschen
Wie muss ein guter Chefredakteur sein? Christian Nienhaus, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, definiert ihn so:
Ein guter Chefredakteur
> hat einen Hang zur Kompromisslosigkeit, gerade auch bei der Wahrheitssuche, und zur Unnachgiebigkeit;
> ist ein führendes Mitglied des „Clubs der offenen Aussprache“: Klar, direkt, sicherlich oft auch ruppig. Aber zielgerichtet und letztlich auch fair;
> hat kein Interesse an Hierarchien: Viel wichtiger ist für ihn das „Machen“, das Gestalten und Bewegen;
> ist ein politischer Journalist: Nicht nur Realität abbilden, sondern auch Realität mitgestalten! Nicht nur berichten über Regierungen und Parteien, über Wirtschaft und Gesellschaft – nein, Entscheidungen und Entwicklungen mitprägen, mitgestalten;
> macht Meinung und mischt sich in den „Meinungskampf“ ein;
> weiß sehr genau um seine Meinungsmacht als Publizist;
> kümmert sich nicht um die Parteien-Zugehörigkeit: Entscheidend ist ausschließlich die Frage, ob der Politiker im Sinne der Kommune oder des Landes gute Politik macht;
> bringt Aktionen auf den Weg ;
> macht seine Zeitung zum selbstbewusstesten, ja wichtigsten Sprachrohr der freiheitlich-demokratischen Grundordnung;
> ist nah bei den Menschen, den wirklichen, nicht den postulierten: Das ist ein wichtiger Faktor für erfolgreichen Lokal- und Regionaljournalismus;
> ist ein Lokalpatriot, er identifiziert sich mit seiner Region;
> entwickelt seine Zeitung weiter;
> gibt dem Regionaljournalismus eine Zukunft, wenn er sich einmischt im Sinne des regionalen Gemeinwohls.
Diese Tugenden eines Chefredakteurs zählte Christian Nienhaus auf in seiner Festrede auf Hans Hoffmeister, den scheidenden Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung, den er als Vorbild pries.
Nienhaus vergass aber nicht zwei Zusätze; der erste:
„Das sind Eigenschaften, die vielleicht das tägliche Miteinander nicht unbedingt einfach und bequem machen. Es sind aber Eigenschaften, die einen guten Journalisten auszeichnen.“
Der zweite: „Es muss nicht immer alles so kantig und eckig sein, vielleicht auch nicht immer so polarisierend.“
Doch gehöre es zum verlegerischen Verständnis der Mediengruppe: „Der Chefredakteur ist frei in der Gestaltung der Inhalte und kann sich unabhängig von Interessengruppen um journalistische Qualität kümmern.
Am Ende ist nur entscheidend, ob es den Lesern gefalle. „Denn auch hier gilt das Credo erfolgreicher Verleger: Wenn man predigen will, muss man dafür sorgen, dass die Kirche voll ist.“
Sollen Journalisten in der Zeitung ihr Gesicht zeigen?
Die Debatte entzweit Redaktionen: Dürfen Journalisten, auch im Lokalen, bei Kommentaren ihr Porträt-Foto zeigen? Journalisten, die lange Debatten lieben, debattieren darüber mit Inbrunst, als gehe es um die Zukunft der Zeitung.
Wir spielen uns in den Vordergrund!, ist das am meisten erwähnte Argument. Wir sind nicht wichtig, es geht um die Sache, die Meinung, nicht um mich!, lautet ein ähnliches Argument. Die Leser wollen das nicht!, ist das beliebteste Hilfs-Argument, das allerdings von keiner Leserbefragung gedeckt wird.
Anton Sahlender, Leseranwalt der Mainpost (Würzburg), hält in seiner wöchentlichen Kolumne ein Plädoyer: „Mit ihren Autoren können Tageszeitungen mehr Gesicht zeigen“:
In einer Zeit, in der Absender von Botschaften in Internet-Netzwerken sich weltweit profilieren, sollten Zeitungen in lokaler Nähe mehr Gesicht zeigen – nicht alleine in Bildern zu Kommentaren oder persönlich gehaltenen Kolumnen. Einige im TV oft präsente Moderatoren genießen fast Kultstatus. Zeitungen bieten dagegen mit gesetzlich vorgeschriebenen Impressen leblose Verzeichnisse von Namen und Aufgaben.
Mit persönlichen Anmerkungen sollten aber nur stilistisch markante Artikel oder solche mit aufwendigen Recherchen verlängert werden. Geeignet erscheinen mir auch Themen, zu denen die Autorin oder der Autor einen besonderen Bezug haben, aber auch solche, bei denen sie Neuland betreten. Sie können besondere Beweggründe nennen, etwa für eine ungewöhnliche Form, in der das Thema dargestellt ist.
Manche Autoren sind sogar Teil ihres Themas. Das müssen Leser ohnehin erfahren. Sie sollten aber nicht ständig denselben Lebenslauf eines Autors geboten bekommen. Es sind Sätze, die vom Beitrag zum Autor führen, die den Inhalt weiter erschließen können.
Journalismus-Lehrer fordern vor dem Hintergrund der komplett veränderten Medienlandschaft längst mehr Transparenz für Tageszeitungsredaktionen. Über ihre Autoren können sie wiedererkennbarer und damit unverwechselbarer werden.
Gesicht zeigen ist zudem Teil einer guten Kommunikation. Inhalte bekommen eine persönliche Note, wenn neben den Quellen gleichermaßen die Autoren besser erkennbar werden. Es erhöht Glaubwürdigkeit und zeigt Streben nach Objektivität, wenn auch Subjektivität bei Journalisten offen sichtbar gemacht wird.
Der Dialog wird gefördert. Es ist leichter, einen Redakteur anzusprechen oder anzuschreiben, der zuvor selbst etwas von sich preisgegeben hat. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Der Autor solle nie wichtiger werden als der Inhalt. Journalistischen Starkult brauchen wir nicht. – Was denken Sie?
Anlass für Sahlenders Ansprache an seine Leser war ein flott geschriebener Vorschau-Text auf das Bundesliga-Derby zwischen Bayern München und dem 1. FC Nürnberg, unter dem der Autor mit Bild zu sehen war.
Erste Wahl! Was auf den neuen dpa-Chefredakteur zukommt
So prominent war der Chefredakteur der dpa noch nie besetzt: Sven Gösmann führt mit der Rheinischen Post eine der größten Regionalzeitungen Deutschlands, die – im Vergleich zu anderen – wenig Auflage verliert: Wir dürfen ihn einen sehr erfolgreichen Chefredakteur nennen.
Er weiß genau, wie wichtig ein Lokalteil ist; er weiß genau, wie man die Ausgaben zuschneiden muss, um die Bedürfnisse der Leser zu befriedigen; er weiß genau, wie man in einem großen Verbreitungsgebiet die Wünsche der Städter wie in Düsseldorf und der Kleinstädter und Dörfler wie am Niederrhein unter einen Mantel bringt. Gösmann hat ein Gespür für Themen, gerade auch für regionale Themen, wie kaum ein anderer in Deutschland. Man kann die Idee für einen Aufmacher mindestens ein, zwei Mal in der Woche von ihm borgen.
Man spürt seine Sozialisation bei Bild, wo er Diekmanns Stellvertreter in der Chefredaktion war (der immer noch voll des Lobes ist, wenn er von Gösmann spricht). Man spürt auch seine Lehr- und ersten Herrenjahre im Lokalen und Regionalen bei der Braunschweiger Zeitung.
Fast bin ich geneigt zu sagen: Der Mann ist zu schade für dpa, wo er sein Themengespür nicht mehr voll entfalten kann. Aber er weiß mit Wünschen von Lesern umzugehen: Gut eine Million in Düsseldorf, rund zehn Millionen bei Bild und bald ein paar tausend Redakteure, die täglich in die News bei dpa schauen.
Gösmann hat selber erlebt, was es bedeutet, bei einer großen Zeitung ohne dpa-Texte und Bilder auskommen zu müssen. Er weiß also, wie er seine Kunden bedienen muss. Sein Vorgänger hat die Agentur, die zum Beamtenhaften neigt, heftig durchgeschüttelt und neu organisiert, was ihm nicht nur Freunde eingebracht hat; die Kämpfe, die Büchner beim Spiegel erleidet, kennt er schon von dpa – allerdings ohne die öffentliche Begleitung und Häme der schreibenden Kollegen.
Büchner, nach dem Vorbild von Spiegel Online, schuf „dpa News“, eine grandiose Hilfe für jeden Desk. Er war der große Organisator, da muss Gösmann nicht mehr viel anpacken. Er wird Ideen entwickeln müssen auf einem Gebiet, auf dem Büchner wenig Erfahrung hatte: Das Lokale und Regionale.
Was kann eine Agentur diesen Zeitungen – auch fürs Online-Geschäft – anbieten? Die ersten Versuche mit der „Drehscheibe“ sind dürftig und weitgehend unbeachtet. Die Landesdienste könnte eine Neuausrichtung gebrauchen – nur wohin?
Ich freue mich jedenfalls auf den neuen Chefredakteur, der sicher auch die eine oder andere Geschäftsidee für die Agentur hat jenseits des Mediengeschäfts, das ja zunehmend schrumpft.
Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Sven Gösmann. Der Aufsichtsrat hat die beste Entscheidung getroffen.
Diekmann erfindet ein neues Wort: „Dünnsinn“ – und wundert sich, was so in „unseren Blättern“ steht
Auch in unseren Blättern steht mitunter eine Menge Dünnsinn…
twittert der Bild-Chef. @KaiDiekmann zum ersten: Er erfindet ein neues Wort – „Dünnsinn“. Erfunden hat er es für Kai-Hinrich Renner, der in der Welt raunt:
„Wenn irgendwann in ferner Zukunft die Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland geschrieben werden sollte“, dann könnten die beiden letzten Augustwochen 2013 „das Vorspiel zu einer existenzbedrohenden Krise des Spiegel sein.
Kai Diekmann zum zweiten: So viel Selbstkritik, zumal ins Nachbarhaus, ist selten. Angefügt hat Diekmann nicht den Kurzlink des Artikels aus der Welt, er macht kurzen Prozeß und schießt mit seinem Smartphone einen Schnappschuss, auf dem der Artikel-Anfang zu lesen ist und deutlich der Name des Autors.
Ich bin eines Ihrer Opfer! – Wie Weimars Oberbürgermeister einen Chefredakteur verabschiedet
Beim Abschied keine tadelnden, gar bösen Worte? Weimars Oberbürgermeister begann seine Rede für den scheidenden TLZ-Chefredakteur Hans Hoffmeister so:
Fast ganz Thüringen ist hier heute zu Ihrem Abschied versammelt – ich vermisse nur eine Gruppe: Ihre Opfer – deshalb fühle ich mich hier heute auch ein wenig einsam.
Stefan Wolf, SPD, wurde 2006 zum Oberbürgermeister Weimar gewählt und 2012 in einer Stichwahl wiedergewählt; Hans Hoffmeister war 22 Jahre Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung, in Wolfs Worten „leidenschaftlich, cholerisch, erzählfreudig“ und oft Wolfs härtester Kritiker.
Der Oberbürgermeister lobte und tadelte in seiner Rede. Er lobte das gemeinsame leidenschaftliche Engagement gegen den Rechtsextremismus und manche Unterstützung etwa bei der Öffnung der Kulturstadt für die klassische Moderne, für das Bauhaus und die Weimarer Republik.
Der Oberbürgermeister erinnert an die „Theaterkämpfe“ – was für ein Wort! – und vor allem an den vierten:
Manche dieser Kämpfe schienen mir damals und scheinen mir auch heute noch in ihrer Vehemenz überzogen gewesen zu sein. In Ihrem vierten Theaterkampf stand ja nicht zuletzt ich in Ihrem Visier. Das waren Medien-Erfahrungen, die ich auch meinen politischen Gegnern nicht unbedingt wünsche. Vor allem aber hätte ich sie meinen Mitarbeitern damals gern erspart.
Mussten diese Verletzungen sein? Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt: Ja, das muss so sein. Politiker, Verwaltungsmitarbeiter stehen als Inhaber der staatlichen Machtfülle in der Pflicht, sich ein dickes Fell anzulegen und auch unfaire öffentliche Kritik, persönliche Verletzungen zu ertragen.
Dann widmet sich der Oberbürgermeister den journalistischen Regeln:
Kampagnenjournalismus, lieber Hans Hoffmeister, ist nicht jedermanns Sache, denn er kann auch (sehr faustisch) Gutes wollen und Böses bewirken. Eine Zeitung soll und muss eine Meinung haben, deshalb gibt’s neben dem Bericht z.B. den Leitartikel (ein leider verschwindender Klassiker des Journalismus) oder den Kommentar.
Hans Hoffmeisters Schreibe kennt aber auch seine Mischformen ganz gut und weiß, wie man sie richtig platziert. Erst letztes Wochenende haben Sie noch einmal gezeigt, dass Sie – wenn’s um eine pointierte Meinungsäußerung geht – weder Freunde noch Verwandte kennen, von Bekannten, Politikern oder Kulturschaffenden ganz zu schweigen.
Dieses Kampfblatt TLZ wurde geliebt und geschmäht, und es war und ist ohne die Instanz des Chefredakteurs Hans Hoffmeister nicht wirklich vorstellbar…
Sie haben stets (oder doch fast immer?) geglaubt, was Sie geschrieben haben. Das hat nicht jedem gefallen, doch wenn es Gegenwind gab, z.B. aus der Politik, war Ihnen das – ich zitiere: „scheißegal“, wenn nicht gar das Salz in der Suppe. Das ehrt Sie außerordentlich! Sie haben kämpferisch, emotional, mit Herzblut geschrieben. Manchmal skurril, immer engagiert. Sie haben es sich und uns nicht einfach gemacht.
Der erste Band der „Bibliothek des Journalismus“: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt
Er ist ein Getriebener, ein Schwarz-Weiß-Seher, ein Himmelhochjauchzendundzutodebetrübter, atemlos mit dem geschriebenen wie dem gesprochenen Wort.
So schreibt Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig über Hans Hoffmeister, 22 Jahre Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung; er wurde, der am Freitag in den Ruhestand verabschiedet wurde (30. August 2013). Machnig war einer der 250 Gäste, die zum Abschied in den Weimarer „Elephant“ gekommen waren. Machnig, auch ein Politiker starker Worte. schreibt weiter:
Das feine Florett war nicht Hoffmeisters Waffe, eher die schwere Nagelkeule.
Machnigs Einschätzung ist zu lesen in einem Interview-Buch, das Paul-Josef Raue, Autor dieses Blogs, über Hans Hoffmeister verfasst hat; es ist der erste Band der neu gegründeten „Bibliothek des Journalismus“, die im Klartext-Verlag erscheint mit Raue als Herausgeber:
Paul-Josef Raue: Hans Hoffmeister – Harmonie ist mir suspekt. Klartext-Verlag, 163 Seiten, 13,95 Euro
„Wir haben nicht über die Wende berichtet. Wir haben sie gemacht“, sagt Hans Hoffmeister in dem fünfstündigem Interview, in dem der scheidende Chefredakteur ausführlich seinen Anfang in Thüringen direkt nach der Wende erzählt. Die Kapitel-Überschriften führen durch das Buch wie durch das Hoffmeistersche Leben. In der ersten Hälfte sind die Wende und die folgenden Jahre das Thema:
> „Eine Affekthandlung“ – Hoffmeisters Aufbruch in den Osten
> „So war der wilde Osten“ – Der Start der „Tagespost“ in Eisenach
> „Wie sollten sie denn plötzlich Demokraten sein?“ – Die ersten Tage in der Weimarer Redaktion
> „Nicht nur nicken, auch handeln“ – Die ersten Jahre der TLZ
> „Harmonie ist mir suspekt“ – Wie es dem Westdeutschen im Osten erging.
Im zweiten Teil erzählt Hans Hoffmeister aus seinem Leben und von seinen Anfängen als Journalist im Westen: „Es wurde unfassbar viel gesoffen“. Immer wieder räsonieren die beiden Chefredakteure auch über den Journalismus, seine Werte und Regeln.
Zwei Auffassungen von Journalismus prallen in dem Interview aufeinander:
> Hoffmeister bekennt sich zur Einmischung der Redaktion in die Politik, er nimmt Partei, ist gegen die Trennung von Nachricht und Meinung und begründet dies so: „Ich will nicht, dass dieses Land, mein Land, Schaden nimmt“.
> Paul-Josef Raue, Chefredakteur der konkurrierenden Thüringer Allgemeine (TA), plädiert dagegen für eine Distanz, die dem Leser die Freiheit lässt, selber ein Urteil zu bilden, und zitiert den TV-Moderator Friedrich: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.“
Im Anhang antworten 21 Prominente auf die Frage „Hatten Sie Angst vor Hans Hoffmeister:
Erfurts MDR-Funkhaus-Chef Werner Dieste:
Viel spannender ist die Frage: Hat Hans Hoffmeister in den vielen Jahren in der Weimarer Marienstraße manchmal Angst gehabt – gar vor sich selbst?
TA-Redakteur Henryk Goldberg:
Ich habe ein wenig Angst vor einer Fähigkeit, die Hans Hoffmeister auszeichnet, und die mir seit 1990 abhandenkam: Sich so ganz, so rückhaltlos einer Sache hinzugeben.“
Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht: „Wir sind stolz darauf, dass er Bürger unseres Landes ist.
Ex-Jenoptik-Chef Lothar Späth:
Parlaments- und Regierungsvertreter hatten bei ihm kaum eine Chance, ihre Sicht der Dinge vorzutragen. Am liebsten hätte er das Ganze selbst übernommen.
Thüringens Vize-Ministerpräsident Christoph Matschie über Hoffmeisters Samstagkommentar, das „Schlüsselloch“:
Im Schlüsselloch ließ Hans Hoffmeister nicht selten das Fallbeil auf Politiker nieder. Mich traf es auch, aber ich lebe noch.
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