Razzia im Haus des Spiegel-Reporters Osang
Alexander Osang, einer der berühmten Reporter Deutschlands, schaut zu, wie Steuerfahnder sein Haus durchsuchen. Dabei denkt er über das Wesen des Journalismus nach:
Ich schrie und bockte ein bisschen herum, schließlich nahm ich mir ein Notizbuch, ließ mir die Namen der Menschen in meiner Wohnung geben, beobachtete sie bei der Arbeit und schrieb alles auf. Ich war ein Reporter in eigener Sache.
Das half, weil Journalisten ja von oben auf die Welt schauen und sich, wie Hanns Joachim Friedrich eins festgestellt hatte, mit keiner Sache gemeinmachen dürfen. Auch nicht mit einer guten.
Man bekommt einen kühlen Blick, wenn man von außen auf seine Objekte schaut, auch auf sich selbst. Es ist ein seltsamer Beruf manchmal.
Über die Razzia reportiert Osang im aktuellen Spiegel 17/2013, Seite 56f.
„taz am wochenende“: Fällt der Weltuntergang sonntags aus?
Am Wochenende darf man sich doch auch mal des Lebens freu’n,oder?
Ines Pohl, taz-Chefredakteurin.
Das Zentralorgan des deutschen Weltuntergangs bringt in der 3,20 Euro teuren Wochenend-Ausgabe zwei Seiten nur mit „Fortschritts“-Nachrichten, Positives eben, unglaubliche zwei Seiten Positives – um neue Leser ans Blatt zu binden.
(Quelle: SZ 20. April 2013, „Die Entdeckung der Langsamkeit“)
Annika Bengtzon (7): Journalisten als Gewerkschaftler – quengelig, unbegabt, arbeitsscheu
Wer wird neuer Betriebsrats-Vorsitzender? Ein Politikredakteur wird vorgeschlagen. Der besitzt doch keine Eigenschaft dafür, sinniert der Chefredakteur. „Sjölander war smart, witzig und beliebt. Solche Leute blieben nie lange Gewerkschaftsfunktionäre. Wer sich entschied, die Gewerkschaftsarbeit zum Hauptberuf zu machen, war meistens quengelig, unbegabt oder arbeitsscheu.“
(Lebenslänglich, 206)
Und das im Roman von Liza Marklund, einer schwedischen Autorin!
Annika Bengtzon (5): Flanelllappen und Konferenzen, nichts als Konferenzen!
Der erste Chefredakteur in Liza Marklunds Journalisten-Krimis, Schymans Vorgänger also, lud die Redaktionsleitung jeden Dienstag- und Freitagnachmittag zu Teilchen, Biskuit und Kaffee, um Kampagnen und Strategien zu besprechen. Alle trugen ein dunkelblaues Flanellsakko – und wurden in der Redaktion „Flanelllappen“ genannt.
Alle in der Redaktionsleitung waren „Fürsten auf ihrem Gebiet“:
Keiner von ihnen wollte dem anderen Macht oder Einfluss abtreten. Deshalb konnte es in extremen Fällen sogar so weit kommen, dass die einzelnen Ressort- und Schichtleiter ihre Nachrichten für sich behielten, um sie als Erste in der eigenen Redaktion zu bringen.
Das verhindert die Zusammenarbeit, stellt Schyman fest, bevor er Chefredakteur wurde. Er will die Macht brechen, die endlosen Konferenzen beenden und stellvertretende Chefredakteure einführen.
Aber es blieb dabei, er saß den ganzen Tag in Besprechungen, bekam schlechte Laune und fragte sich: „Wie schaffte man es bloß, eine Zeitung zu produzieren, wenn alle die ganze Zeit über nur herumsaßen und schwafelten?“ (Paradies 334)
Anders Schyman ging mit dem gleichen Gefühl von Frustration zu seinem Büro zurück, das ihn noch jedes Mal nach den Planungsbesprechungen überkommen hatte. Die schematische Aufteilung der Wirklichkeit durch die redaktionellen Leiter der Zeitung, ihre homogen-inzestuöse Sicht der Dinge, der entsetzliche Mangel an Selbstkritik ermüdeten ihn.
(Paradies 115ff.)
Konferenzen als Zeitfresser – davon handelt auch ein Artikel über Redaktionsgemeinschaften, erschienen auf der Medienseite der Süddeutschen nach dem Scheitern von Frankfurter Rundschau und FTD:
„Da ist ein Riesenapparat mit vielen Reibungsverlusten entstanden“, sagt ein Mitarbeiter. Viele Journalisten säßen seither den halben Tag in Konferenzen und seien derart mit der Organisation beschäftigt, dass sie kaum noch Lust hätten, die Sitzungen mit inhaltlichen Debatten zu verlängern… Man darf sich die Redaktionsgemeinschaft nicht als harmonischen Ort vorstellen.“ (SZ, 23.11.2012)
Annika Bengtzon (3): Der neue Nachrichtenraum – groß, enger, billiger
„Diese Zeitung braucht mehr Disziplin. Die Organisation funktioniert nicht mehr, das muss überdacht werden. In Zukunft wird alles anders aussehen“, denkt der Chefredakteur, als die Reporter wieder einmal selber entschieden, welche Themen sie recherchieren werden.
Er lässt einen neuen Nachrichtenraum bauen: Es gibt für alle keine Einzelzimmer mehr, es gibt für alle weniger Platz, auch für die Chefs; im alten Zimmer des Chefredakteurs kommt die komplette Sportredaktion unter; auf einer Seite der Redaktion, in den alten Büros der Tagesreporter, wird die Marketingabteilung untergebracht; im Pausenraum entsteht ein TV-Studio.
(nach Liza Marklunds „Nobels Testament“, Seite 63, Taschenbuch 2008)
Annika Bengtzon: Journalismus und Wahrheit („In die Zeitung kommen ist nicht das Gleiche, wie in der Scheiße landen“)
Immer wieder geht es in den Krimis der schwedischen Autorin Liza Marklund um die Wahrheit und den Journalismus; ihre Hauptfigur ist die Boulevard-Reporterin Annika Bengtzon. „Mein einziger Auftraggeber ist die Wahrheit“, antwortet Annika einem alten Offizier, der in einem Wutanfall geschrien hatte: „Journalisten sind Lakaien, genau wie Soldaten. Nur dass ihr mit Lügen statt mit Waffen kämpft.“
Der Offizier versteht nicht, wie eine Zeitung, die man kaufen muss, frei sein kann: „Ihre Stimme ist gekauft, korrupt, verlogen.“ Doch dann erzählt er der Reporterin doch von der Mafia und ihren dunklen Geschäften – und Annika fragt ihn, ob die Mafia sie nach der Veröffentlichung verfolgen würde.
Der alte Offizier sieht sie müde an und fragt sie:
Sie haben Angst um Ihre Haut? Sind Sie etwa wichtiger als die Wahrheit? Kann Ihr Staat aus freien Bürgern sich nicht um Sie kümmern und Sie beschützen?
(Paradies 448ff., zitiert nach dem Taschenbuch, 2005)
Die TV-Filme über Ostern mit Annika Bengtzon sind ein Anlass, noch einmal in den Journalisten-Krimis von Liza Marklund zu schmökern. In den nächsten Tagen werde ich in meinem Blog ein paar Themen aus diesen drei Romanen aufgreifen: Paradies / Nobels Testament (der ergiebigste aus journalistischer Sicht) / Lebenslänglich.
In „Nobels Testament“ begegnet Annika einem hohen Beamten aus dem Justizministerium – einem der mitwirkt, die Privatsphäre der Bürger durch Kontrolle und Gesetz einzuschränken. Annika erzählt ihm, sie schreibe meistens über Gewalt und Politik.
„Na, so was“, sagte Larsson. „Sie könnten oben bei uns arbeiten.“
Annika stellte ihr Glas ab. „Wir verletzen beide die Privatsphäre von Menschen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, ist es das, was Sie meinen?“
„Sie stellen sie in der Öffentlichkeit bloß, und wir sorgen dafür, dass sie in den Knast wandern?“, sagte Jimmy Halenius (Staatssekretär).
Zu ihrer eigenen Überraschung musste Annika lachen.
(Nobels Testament 305, zitiert nach dem Taschenbuch von 2008)
**
Unter den Ressortleitern entbrennt ein Streit, ob man von einer Frau mit zwielichtigen Geschäften Name und Bild veröffentlichen dürfe. „Warum sollten wir auf diese verdammte Sau Rücksicht nehmen?“, fragt einer. Anders Schyman, der Redaktionsleiter, antwortet:
Weil wir für die Wahrheit sind und nicht gegen den Verbrecher. Weil wir eine ethische und publizistische Verantwortung tragen, weil wir die Macht haben und das Vertrauen genießen, die Wirklichkeit für die Menschen in unserer Gesellschaft zu definieren. Wir werden unsere Macht nicht dazu benutzen, einzelne Personen zu vernichten, egal, ob es sich um Politiker oder Kriminelle oder Prominente handelt. In die Zeitung zu kommen ist nicht das Gleiche, wie in der Scheiße zu landen.
(Paradies 332f.)
Annika Bengtzon: Die gute Journalistin hinter dem TV-Klischee
Annika Bengtzon ist der neue schwedische Krimi-Star, in drei Folgen – auch heute Abend – in der ARD zu sehen: Sie ist blond und charmant, und eine Reporterin, die alle Klischees einer Boulevard-Journalistin erfüllt – aber nur im Fernsehen.
Die Romane von Liza Marklund sind die besten Journalisten-Romane, die es zur Zeit gibt. Die schwedische Schriftstellerin, Jahrgang 1962, hat als Journalistin gearbeitet, kennt sich genau in modernen Redaktionen aus und schildert realistisch die Abläufe, die Probleme und die Gruppendynamik einer Redaktion, aber auch die Sinnkrise des Journalismus, der zur Wahrheit ebenso verpflichtet ist wie zum Erfolg verdammt.
In dem Roman „Paradies“ zeichnet Liza Marklund das Porträt einer guten Journalistin. Für den Chefredakteur ist Annika Bengtzon, die junge, hitzige Textredakteurin, die erste Wahl für die Nachrichtenredaktion:
Sie war nicht sehr gebildet, hatte aber ein Bewusstsein für ethische Fragen. Sie war unbestreitbar von einem großen Gerechtigkeitssinn angetrieben. Sie war schnell und schrieb stilsicher. Außerdem hatte sie etwas von einem Panzer, was für einen Reporter von ungeheurem Vorteil war. Wenn sie ein Hindernis nicht umgehen konnte, walzte sie es platt, gab niemals auf…
Die restliche Redaktionsleitung… war nicht seiner Meinung gewesen. Sie wollten Carl Wennergren einstellen, den Sohn eines Aufsichtsratsmitglieds, einen hübschen und reichen Jungen mit erheblichen moralischen Defiziten. Er nahm es weder mit der Wahrheit noch mit dem Schutz seiner Informanten so genau.
Leser fragen zur Wulff-Affäre: Waren Journalisten übereifrig?
Lange hielt die Mehrheit der Deutschen Christian Wulff die Treue und kritisierte die Journalisten, sie organisierten eine Kampagne gegen den Präsidenten. Nachdem die Ermittlungen offenbar wenig ergiebig waren, schreibt ein Leser der Thüringer Allgemeine an den Chefredakteur:
Dabei habe ich noch nicht vergessen, mit welchem Eifer auch Ihre Leute hier bei der Sache waren.
Der Leser reagiert auf einen Bericht am 18. März: „Ermittlungen gegen Wulff sollen eingestellt werden“:
Wenn Herr Wulff tatsächlich wegen eines Freundschaftsdienstes in der Größenordnung von 800 Euro aus dem Höchsten Staatsamt gedrängt worden ist, so ist das eine tief beschämende Angelegenheit.
Den Leserbrief habe ich in meiner Samstags-Rubrik „Leser fragen“ beantwortet (30. März):
Sie haben Recht, wenn Sie den Ausgang der Ermittlungen gegen den früheren Bundespräsidenten Wulff eine „tief beschämende Angelegenheit“ nennen. Nur – für wen beschämend?
Zuerst für die Staatsanwaltschaft: Sie wusste, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten seinen Rücktritt provozieren würde. Dabei hatte sie offenbar kaum Beweise und nur windschiefe Indizien.
Nun ist ein Oberstaatsanwalt, der die Ermittlungen anordnet, an Weisungen gebunden – im Gegensatz zu einem Richter, der völlig frei in seinen Entscheidungen ist. Der damals zuständige Justizminister Busemann in Hannover war ein Parteifreund von Christian Wulff, mit dem er in Niedersachsen sogar gemeinsam am Kabinettstisch gesessen hatte.
Die Staatsanwälte halten heute Christian Wulff immer noch verdächtig der „Bestechlichkeit bzw. Bestechung“, bieten aber gleichzeitig an, der Verdächtige könne sich schuldig erklären und freikaufen – wie in hunderttausend und mehr Fällen in jedem Jahr. Will Wulff seine Unschuld beweisen, lässt er es auf einen Prozess ankommen.
Sie suggerieren auch eine Mitschuld unserer Zeitung und offenbar der Journalisten insgesamt. In der Tat sind einige Medien übers Ziel hinausgeschossen, aber vergessen wir nicht Wulffs Halbwahrheiten vor dem Parlament in Hannover und zu seinen Krediten, die Erpressungs-Versuche gegen Journalisten und anderes mehr.
Dieser Präsident hat sich als Präsident moralisch ins Zwielicht gestellt. Es Aufgaben von Journalisten, dies fair zu berichten – ohne die Rolle des Richters einzunehmen; das ist eine andere Gewalt.
Der Anwalt des Staates täte jetzt gut daran, Wulff in Ruhe zu lassen und die Ermittlungen einfach zu beenden. Der Verlust des Amtes, der Ehefrau, des Seelenfriedens und eines Teils des Vermögens reichen als Strafe. Es ist genug.
Nach Thüringer Allgemeine vom 30. März 2013
Facebook-Kommentar von Super Illu-Chefreporter Gerald Praschl: „Treffend analysiert“
Keine Pressekarten mehr nach schlechten Kritiken!
Der Musikkritiker des Corriere della Sera bekommt keine Pressekarten mehr, weil er die Institution Scala schlecht gemacht habe, sagte ein Sprecher des Opernhauses in Mailand. „Wenn Paolo Isotta die Scala besuchen möchte, soll er sich Karten und ein Programmheft kaufen.“
Was wäre, wenn es überhaupt keine Pressekarten mehr gäbe? Und keine Journalistenrabatte?
(Quelle: SZ 11. März 2013)
Chefredakteur in Thüringen über Sexismus: „Küsschen, Küsschen“
Hans Hoffmeister, Chefredakteur der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) , hat in seiner Samstag-Kolumne einige Fälle von Sexismus geschildert, so die aufdringliche Annäherung eines Manager:
Ein namhafter Kaufhaus-Boss schickte seine eigene Ehefrau vor, um eine TLZ-Redakteurin fragen zu lassen, ob sie mit ihm schlafen wolle. Als es rauskam, schenkte er ihrem Mann ein Gummibärchen.
Hoffmeister erzählt auch vom Auftritt Dieter Althaus‘, Ex-Ministerpräsident in Thüringen, bei einem CDU-Landes-Parteitag in Eisenach, „wo er dem vorn neben ihm sitzenden Silvergirl so überschwänglich für die gute Organisation dankte, dass die ganze wahrscheinlich schon bierselige Männerhorde im Saal ,Küsschen, Küsschen‘ grölte, worauf er sie schnappte und ihr tatsächlich einen langen, scharfen Kuss verpasste. Zum Gaudi der Gemeinschaft.“
In der TLZ gibt Hoffmeister auch „Verhaltensmaßregeln“, wie sie für seine Redakteurinnen gelten:
An der Bar, immer schon Ort der Kontaktanbahnung dieser oder jener Art, kann eine Frau bei verbalen Übergriffen, bei Grenzüberschreitungen, drei Schritte zurücktreten, den Politiker zu einem Kurzgespräch unter vier Augen zur Seite bitten und gesichtswahrend Klarheit schaffen.
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Das komplette „Schlüsselloch“ der THÜRINGISCHE LANDESZEITUNG vom 29. Januar .2013:
Patriarch hat ausgedient
Die Debatte um den Sexismus und der Blick zurück
Von Hans Hoffmeister
Haben wir in Thüringen mit dieser Debatte was zu tun? Aber ja! Seit etwa einer Woche geht es hin und her um die Äußerung des Spitzenpolitikers Rainer Brüderle, des Gesichts der FDP , gegenüber einer Redakteurin. Thema war des nachts an der Bar deren Körbchengröße, also das, was man gemeinhin Zoten-Inkontinenz nennt.
Durfte der das? War das eine Äußerung noch im Grenzbereich, nämlich um genau zu sein, dass die Oberweite der Dame in einem Dirndl durchaus Platz hätte? Worauf sie sich wohl sehr sachlich wehrte und er, der ihr auch noch eine Tanzkarte verkaufen wollte, offenbar nicht aufhören mochte.
Ein Jahr später hat sies nun enthüllt, nachdem Brüderle, inzwischen allenthalben ein ältlicher und faltiger Dödelgescholten, bei der notleidenden FDP als die große Nummer bestätigt wurde. Da sei die Frage erlaubt: Ist das nicht eigentlich dann auch so etwas wie Altersdiskriminierung?
Ist es angemessen, dass Parteifreund Wolfgang Kubicki (auch) ein solches Gespräch für vertraulich und somit geschützt, dazu noch für natürlich erklärt? Dass die FDP ansonsten tagelang gar nichts dazu zu sagen hat? Nur Silvana Koch-Mehrin, die langjährige FDP-Frau für Europa, blond und schön, aber leider vom Blitzstrahl der Plagiatsvorwürfe schwer getroffen, sprach Klartext:
Die FDP ist das Schlusslicht, wenn es darum geht, Gleichberechtigung in der eigenen Partei zu leben.
Ja, natürlich haben wir auch hier zu Lande mit dem Thema was zu tun. Was gab s nicht alles an Machotum. Wir erinnern uns dabei zuerst an die gängige Christinchen -Herabsetzung von Frau Lieberknecht, die Bernhard Vogel eingeführt hatte.
Wir erinnern uns an die in der TLZ wiederholt so genannte Erfurter Bussi-Gesellschaft, die vielen angejahrten Herren aus diesen zahlreichen Klubs, die zeitweise von der Umgebung jüngerer, fröhlicher Frauen halböffentlich so angetan waren, dass die Ehefrauen gar einen Umgangsboykott ausriefen. Wo ein jahrelang in vorderster Front agierender, ansonsten tadelloser, namhafter, hochrenommierter Kaufhaus-Boss seine eigene Ehefrau vorschickte, um eine TLZ-Redakteurin fragen zu lassen, ob sie mit ihm schlafen wolle. Als es rauskam, schenkte er ihrem Mann ein Gummibärchen…
Wo sich erst spät und zögerlich die Erkenntnis durchzusetzen begann, dass solche und andere Nummern gar nicht gehen.
Wir erinnern uns an den Auftritt des (wow!) Dieter Althaus bei einem kleinen CDU-Parteitag in Eisenach, wo er dem vorn neben ihm sitzenden Silvergirl so überschwänglich für die gute Organisation dankte, dass die ganze wahrscheinlich schon bierselige Männerhorde im Saal
Küsschen, Küsschen grölte, worauf er sie schnappte und ihr tatsächlich einen langen, scharfen Kuss verpasste. Zum Gaudi der Gemeinschaft.Was ihm dennoch schlecht bekommen sollte: Im Eichsfeld sprach sich das rum, und dort mögen sie das schon gar nicht. Schließlich schoss ein Gerücht ins Kraut und schlug immer weitere Wellen, so dass er es auf einerBild -Titelseite meinte dementieren zu müssen. Das war natürlich die denkbar beste Weiterverbreitung eben dieses Gerüchts…
Hang zum Weiblichen (und umgekehrt) hat immer sehr die Fantasie zu Nachwendezeiten beschäftigt. Das Image half ihm und der CDU politisch: so ein dynamischer, sportlicher, gesunder,jungenhafter Politiker… Doch er vermochte es nie, richtig glaubwürdig die Grenze zu ziehen. Er hatte einfach keine Idee davon.
Wobei: Dass Redakteurinnen (und Redakteure) auch gern neben Politikern Platz nahmen, sich so gar geehrt fühlten, das kann man sich heute eigentlich gar nicht mehr in dieser Art vorstellen. Aber das gab’s.
Und noch immer nutzten diesen Wunsch nach Nähe zur Macht nicht nurPolitiker, sondern auch schon mal Wirtschaftsführer aus. Der eine verschenkte ein Kompliment: Sie ist aber auch eine angenehme Erscheinung gegen den Preis zurückwirkender Nettigkeit . Der andere schenkte einer anderen ein Osterei gegen den Preis eines (hoffentlich) genehmen Interviews. Welche Redakteurin (und welcher Redakteur) hat so etwas noch nicht erlebt?
Wenn die Frontfrau Zimmermann, früher FAZ, später Mitteldeutsche Zeitung, in der damals üblichen nächtlichen Chefredakteursrunde des Ministerpräsidenten neben Bernhard Vogel Platz nehmen durfte (auf der anderen Seite neben IHM saß der Frauen-Freund MDR-Landesfunkhaus-Direktor Kurt Morneweg), dann platzte sie schier vor Ego und belehrte die Runde im Wettbewerb mit TA-Lochthofen den ganzen Abend über.
Vogel brauchte eigentlich kaum noch was zu sagen: Morneweg vollendete sonor und klug seine halben Sätze, und Zimmermann spielte stacheldrahtig die CDU-Agitatorin. Und Regierungssprecher Hans Kaiser hatte stets mit erhobenem Kinn die Übersicht über das Agitationsprogramm, während sein Auge mit Wohlgefallen auf der Szene ruhte. Zeiten waren das! Die Zeiten sind vorüber.
Heute halten längst Frauen (und Männer) zumal in der Zeitungsbranche
Abstand. Regierungs-, Minister- oder sonstige Sprecher (es soll von ihnen um die 200 in Thüringen geben), die tatsächlich und dennoch Einflusszonen für ihre Chefs zu schaffen versuchen, sind entweder blöd oder sollten ihren Job wechseln. Oder beides.Vogels stets angestrebte Übernähe wurde schon damals jedenfalls von der TLZ als übel empfunden. Denn Übernähe hatte den Preis mehr oder weniger verdeckter Forderungen, und seien es nur gefällige Kommentare, Erwartungen, die natürlich kaum je erfüllt wurden. Mit der Folge von Verärgerung und Abstrafung im Gegenzug. Ein normaler Machtkampf, mochte man meinen. Doch normal war das nicht.
Heute können sich Frauen wehren. Damals ging das nicht immer. Schnell stand sie als Zicke oder blaustrumpfige Altjungfer in der Ecke.
Was sollte die TLZ-Redakteurin tun, der der Jenaer Mitarbeiter der Net-Zeitung ein Verhältnis mit dem Thüringer Kulturstaatssekretär und Weimarer Ex-Unirektor andichtete, was schnell die ganze Stadt und das halbe Land wussten? Es handelte sich um eine simple Verwechslung. Was partout nicht zu vermitteln war, man hätte denn den Althaus gemacht und per Dementi das Gerücht noch weiter verbreitet.
Klar, sie müsste klagen! Das tat sie. Doch die Pressekammer des Landgerichts war ähnlich hilflos wie heute noch immer, wenn es um Schmähungen im Netz geht: So sexistisch Beschuldigte können sich schon juristisch kaum durchsetzen. Die Verhandlung ging so: Der Richter fragte, wo denn der Schaden sei? Wie viele Klicks? Sie hatte plötzlich die Beweislast für die Folgen eines Gerüchts, dessen Opfer sie doch war und das längst durch aller Munde ging. Und sie verlor tatsächlich das Gerichtsverfahren. Am Ende durfte sie auch noch die Rechnung bezahlen.
Doch es gilt auch dies: An der Bar, immer schon Ort der Kontaktanbahnung dieser oder jener Art, kann eine Frau bei verbalen Übergriffen, bei Grenzüberschreitungen, drei Schritte zurücktreten, den Politiker zu einem Kurzgespräch unter vier Augen zur Seite bitten und gesichtswahrend
Klarheit schaffen. Sich Notizen zu machen und ein Jahr später rachedurstig zu versuchen, den mittlerweile zum mutmaßlichen FDP-Retter Aufgestiegenen aus dem Amt zu kegeln, das hat ein zusätzliches Geschmäckle.Nicht minder ein Geschmäckle hat es, wenn jüngere Menschen ältere pauschal alstüdelig bis notgeil bezeichnen und sie des notorischen Heranwanzens an junge Dinger bezichtigen.
Eine Beziehung zwischen einem älteren Mann und einer jungen Frau, die vielleicht seine Führungs-, seine Formulierungsstärke, seine Erfahrung, seine analytische Kraft, seine Bedachtsamkeit, seinen ausgeprägten Schutzinstinkt und vielleicht auch das graue Haar schätzt siehe Franz Müntefering, Peter Röhlinger oder Willy Brandt ist so selten nicht. Alte Männer haben was, das weiß man doch!
Und es ist meist mit einem großen Glück verbunden, wenn solch einem Mann so eine 15 Jahre, vielleicht noch jüngere Frau, die auch noch lächeln kann, an seinem Lebensabend beschert wird. Sich über solches Glück zu erheben, hat auch etwas Diskriminierendes. Zwischen Männern und Frauen hat sich das Verhältnis in den vergangenen Jahren grundlegend geändert.
Der Patriarch, dessen Großvater noch mit Pickelhaube ging, der Prinzipal mit Gönnertum, wird heute präpotent und breitbeinig gescholten. Er ist out. Es ist gut und richtig, dass dies bei Gelegenheit des Rainer Brüderle nochmals in der aktuellen, überraschend breiten, neuerlichen Aufschrei-Debatte wieder einmal öffentlich vorgeführt und betrieben wird. Sie hält uns, den Herren über 60, zu Recht den Spiegel vor.
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