Feuilletonisten wollen gar nicht verstanden und redigiert werden – wegen der Tiefe ihrer Gedanken
Es gibt einen Typus von Kulturschaffenden, der will gar nicht verstanden werden, schreibt der unbekannte Autor des Streiflichts am zweiten Tag nach der Bekanntgabe: Patrick Modiano bekommt den Literatur-Nobelpreis. Der Franzose bekommt den Nobelpreis, weil er verständlich schreibt.
Das ist für manche Kulturschaffende schon eine Zumutung:
Sie wollen gar nicht verstanden werden. Der Nichtverstehende soll gar nicht erst auf die Idee kommen, er könnte die Tiefe ihrer Gedanken jemals ermessen… Ewig Unverstandene sind eine Elite.
Der Streiflicht-Autor vermeidet es, zu den Kulturschaffenden auch die Feuilletonisten zu zählen. Sie mögen gerne Unverständliches in Theater, Buch und Film, schreiben gern unverständlich – und sind ein Schrecken für jeden, der sie redigieren muss. Für Feuilletonisten ist jeder, der redigiert, ein Barbar: Sie schreiben schließlich für die Feuilletonisten der anderen Zeitungen und Magazine, für die Kulturradios, die nur die Elite einschaltet, und für die Opern- und Theater-Intendanten – je schwieriger desto besser -, Künstler, Verleger, Filmregisseure und für alle, die nicht so reden wie jeder redet.
Der Streiflicht-Autor legt sich mit ihnen nicht an, er will schließlich noch viele Streiflichter schreiben und sich lustig machen über die „Wiederbesetzung diskursiver Räume“ und das Schwinden „legitimatorischer Ressourcen sozialer Demokratie“. Was? Das versteht doch kein Leser? Man sollte ihnen das Abo entziehen.
Zur Vermeidung unnötiger Mails und Kommentare: Es gibt auch gute, verständlich schreibende Feuilletonisten. Sie dürfen auf den Nobelpreis hoffen, die anderen auf den Himmel, in dem sie keiner versteht.
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Quelle: SZ, 11. Oktober 2014
Freud und der Deppen-Apostroph (Friedhof der Wörter)
An diesem Häkchen scheiden sich die Sprach-Geister: Braucht die Couch von Sigmund Freud ein Häkchen? Oder ist das Häkchen überflüssig, gar falsch, wenn sich einer auf die Freud’sche Couch legt?
In der Dienstag-Ausgabe der Thüringer Allgemeine stand auf der viel gelesenen „Thema des Tages“-Seite: „Thüringer auf der Freud’schen Couch“. War das ein freudscher Verschreiber, analog dem berühmten freudschen Versprecher?
„Deppen-Apostroph“ nennen Sprach-Puristen das Häkchen, der vor zwei Jahren an dieser Stelle schon einmal das Thema war – als Beleg für die besinnungslose Übernahme der englischen Sprache. „Ingo’s Bierstube“ und „Angela’s Haarstübchen“ waren immer öfter zu sehen und galten als klassisches Beispiel für den Verfall der Sprache.
Mittlerweile sind wir milder gestimmt. Der Duden, der große Dulder, lässt den Apostroph zu, etwa in „Willi’s Würstchenbude“: „In vielen Fällen können die Schreibenden selbst entscheiden, ob sie ihn setzen wollen oder nicht.“
Zu Goethes Zeiten, als das Englische keine Rolle spielte, war der „Deppen-Apostroph“ schon üblich: „Goethe’s Werke“ steht auf dem Titelblatt, als Cotta sie 1827 verlegte. Und Freud?
Nach der Regel werden Adjektive, von Namen abgeleitet – klein geschrieben: freudsche Couch und goethesche Dramen und platonische Liebe. Schreiben wir aber den Namen groß und bilden das Adjektiv mit „sch“, um an einen Großen zu erinnern, dann müssen wir das Häkchen setzen, also „Freud’sche Couch“.
Übrigens ist „Andrea’s Haarstübchen“ nicht nur möglich, sondern die einzig korrekte Form: „Andreas Haarstübchen“ machte aus der Frau einen Mann.
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Thüringer Allgemeine 29. September 2014
Wenn sich Sprachbilder verkeilen: Die SPD gräbt ihr Totenbett
Wenn sie jetzt noch einen Linken zum MP wählen, graben sie an ihrem Totenbett.
Sagt Hubertus Knabe in der Bildzeitung über die SPD in Thüringen; Knabe ist Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte in Hohenschönhausen. Da geraten zwei Bilder ineinander und verkeilen sich.
Das eine Bild: Sie schaufeln ihr eigenes Grab; das andere: sie liegen bald auf dem Totenbett. Und welches sollen sich die Leser in ihrem Kopf zeichnen?
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Quelle: BILD THÜRINGEN 16. September 2014
Wahlprogramme im Osten: Bürgerfern. Der Experte: „Wer nicht verstanden wird, kann nicht überzeugen“ (Friedhof der Wörter)
Was sind „revolvierende Fonds“? Wer sind „LSBTTIQ-Menschen“? Und was bedeuten „Trittsteinbiotope“, „Kaskadenmodelle“ und „Außenwirtschaftsgutscheine“? Genug! Genug!
Alle Jahre wieder schauen sich Wissenschaftler aus Hohenheim die Wahl-Programme an.
Und alle Jahre wieder, so auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen, lautet ihr Fazit: Unverständliche Wörter, Fachbegriffe und Anglizismen und viel zu lange Sätze und Schachtelsätze. Kurzum: Die meisten Programme sind unverständlich, bürgerfern und nähren die Verdrossenheit der Wähler.
Offenbar können sich die Experten in den Parteien austoben und Sätze schreiben, die nur sie verstehen. Oder haben die Parteien den Wähler schon abgeschrieben? Denken sie: Programme liest doch keiner, allenfalls die Mitglieder?
Die Wissenschaftler um Professor Frank Brettschneider fanden in Thüringer Programmen Wörter wie
„Contractings“ (Linke), „Public-Private-Partnership-Verträge (PPP)“ (Piraten), Clustermanagement, Green-Tech, Spin-Offs oder Racial Profiling (alle SPD). Trotzdem kommt die SPD zusammen mit den Grünen auf dem zweiten Platz der Verständlichkeits-Parade.
Sieger im Verständlichkeits-Wettstreit ist die CDU, die von 20 möglichen Punkten immerhin 11 holte. Auf den letzten Platz mit knapp 4 Punkten kommt die Linke. „Ihre Wahlprogramme in Sachsen und in Thüringen sind noch unverständlicher als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten“, sagt Professor Brettschneider.
„Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, fasst der Hohenheimer Professor zusammen. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind einige Inhalte schwer verständlich. An den Bedürfnissen der Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben Parteien damit vorbei.“
Warum hat die ständige Kritik an den Programmen kaum eine Resonanz? Schon ein Deutsch-Leistungskurs wäre in der Lage, etwa einen 54 Wörter-Satz im Linken-Programm lesbarer und somit verständlicher zu machen; ein Doppelpunkt und die Auflösung des Endlos-Nebensatzes reichte:
Wir machen uns dafür stark, dass die Koordination von Kriegen der Bundeswehr in anderen Staaten so schwer wie möglich gemacht wird, offizielle Vertreterinnen und Vertreter des Landes sich der militärischen Traditionspflege und bei Gelöbnissen enthalten, internationale Friedensinitiativen auch von Thüringen aus gestartet werden und die Bundeswehr nicht in Schulen für ihre Rekrutierung werben darf.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter 8. September 2014
Wahl-Slogans: Besser gut geklaut als selbst schlecht erfunden (Friedhof der Wörter)
Wahl-Slogans sind selten sprachliche Edelsteine. Wenn sich Freunde der deutschen Sprache und Skeptiker des politischen Geschäfts über die Slogans hermachen, wird der Untergang des Abendlands beschworen wie bei Rainer Link:
Ein erfolgreicher Politiker muss nicht nur ein guter Redner sein, er muss ein Verkäufer sein, der die Kunst des Schönredens, notfalls des Verschleierns beherrscht.
Doch die Slogans werden erfunden von Werbe-Managern, die zu anderen Zeiten für Wirtschafts-Unternehmen dichten, wobei ihnen bisweilen Sätze einfallen, die sprichwörtlich werden wie „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ oder „Geiz ist geil“.
Was ist ein guter Werbespruch? Er fällt auf, zielt aufs Gemüt und hat im besten Fall sogar eine Aussage, die zum Parteiprogramm passt – und sich deutlich vom politischen Gegner abhebt.
„Mut zu Thüringen – Unser Land geht vor“, plakatiert die CDU zur Landtagswahl in Thüringen. Aber baumelte ein ähnlicher Spruch nicht vor wenigen Monaten schon an den Laternen? „Mut zu Deutschland“ lautete der Slogan der AfD in der Europawahl.
Der „Mut für Deutschland“ deutete bei der AfD auf den Unmut über Euro und Europa hin. Nun plant die Thüringer CDU sicher keinen eigenen Staat mit Sitz in der UN, aber die Werbemanager haben zumindest ungeschickt einen Slogan geborgt und die Nähe zu einer Partei angedeutet, mit der die Ministerpräsidentin nichts zu tun haben will.
Besser geborgt hat die Linke. Neben dem Bild des Spitzenkandidaten Bodo Ramelow lesen wir: „Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen.“ Ähnlich lautete der Slogan von Gerhard Schröder im erfolgreichen Wahlkampf 1998. Der Satz gefiel dem neuen Kanzler so gut, dass er ihn gleich eingangs seiner Regierungserklärung wiederholte.
Allerdings war Schröders Erfolgs-Slogan einprägsamer: „Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser“ – 8 Wörter statt 12 bei Ramelow: Je kürzer, desto besser, das ist ein Werbe-Gesetz.
Aber auch Schröders mehrfach imitierter Spruch findet keine Gnade bei Kritikern wie Rainer Link, der ihn allerdings als „einen der geschicktesten Slogans“ einschätzt:
Ja, was wollen Sie denn dann noch sagen? Das ist so inhaltsschwer und gleichzeitig leer, dass es eigentlich nicht mehr zu über- oder unterbieten geht.
Die Thüringer SPD wird sich ärgern, dass die Linke ausgerechnet einen SPD-Erfolgs-Slogan ausgeliehen hat. „Besser bleiben“ heißt ihr leicht rätselhafter Spruch: Will Mensch oder Partei nicht besser werden? Oder gut bleiben?
Immerhin borgte die SPD bei einer thüringischen Geistes-Größe, die im West-östlichen Divan im „Buch des Unmuts“ schrieb:
Denn die Menschen die sind gut
Würden besser bleiben
Sollte einer wie’s einer tut,
Auch der Andre treiben
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> Quelle Rainer Link: „Es gilt das gesprochene Wort“ DLF 7. Juni 2005
> Erweiterte Fassung des „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine 1. September 2014
Militärische Weichspül-Sprache: Von der Leyens nicht-letale Waffen (Friedhof der Wörter)
Der finale Rettungsschuss hört sich harmlos an, ist aber in der Regel tödlich. Der Kollateralschaden hört sich harmlos an, ist aber auch in der Regel tödlich.
Wenn Offiziere, ob beim Militär oder der Polizei, tödliche Waffen einsetzen, erfinden sie gerne Wörter, die eher an ein Fußballspiel in der Verlängerung denken lassen oder an zerbrechende Kaffeetassen – als an Menschen, die sterben, ob schuldig oder unschuldig.
In die Wörter-Sammlung der Verharmloser bittet in dieser Woche die „nichtletale Waffe“ um Aufnahme. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will Nicht-Letales ins Kurdengebiet liefern, also Waffen, die nicht töten sollen – aber töten können.
Nicht-letal ist beispielsweise Narkose-Gas, das in einen Raum gesprüht wird, um Menschen zu betäuben. Als Soldaten 2002 bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater eine zu hohe Dosis versprühten, starben 170 Menschen.
„Non-Lethal“ ist ein englisches Wort, das mit „nicht-tödlich“ zu übersetzen ist. Aber Minister und Soldaten sprechen nicht gerne vom Tod.
Das Fraunhofer Institut, eine angesehene Wissenschafts-Organisation, forscht nicht nur an neuen Waffen, sondern auch an der Sprache und schreibt auf seiner Internetseite: „Das Fraunhofer ICT sieht die aktuelle Aufgabe darin, die existierenden NLWs weiterzuentwickeln, zu verbessern und auszubauen.“
NLW sind nicht-letale Wirkstoffe, nur ein bisschen tödlich.
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 18. August 2014
Von Unzucht, dem Kuppel-Paragraphen und Kuppel-Problemen der Deutschen Bahn (Friedhof der Wörter)
Wer kann sich noch an Kuppel-Probleme erinnern? In den fünfziger und sechziger Jahren konnten solche Probleme einen Vermieter ins Gefängnis bringen: Wer einem unverheirateten Studenten-Paar ein Zimmer vermietete, leistete – so das Gesetz – der Unzucht Vorschub. Wer duldete, dass eine unverheiratete Frau Herrenbesuch bekam – der konnte fünf Jahre ins Gefängnis gehen.
So sittenstreng und prüde war das Kaiserreich, in dem der Kuppel-Paragraph erfunden wurde, so sittenstreng und prüde blieb das Nachkriegs-Deutschland. Im Magazin Der Spiegel listete 1968 ein Oberlandesgerichtsrat beispielhaft auf, wer mit Zuchthaus, Entzug bürgerlicher Ehrenrechte und Polizeiaufsicht rechnen musste:
> Der Aufseher des Campingplatzes, der im Namen der Gemeinde bei unverheirateten Pärchen die Gebühr kassiert und sie „gewohnheitsmäßig“ im Zelt gewähren läßt.
> Der Vater, der dem Sohn Geld und Auto für die Ferienfahrt mit der Freundin zur Verfügung stellt.
Ende der achtziger Jahre war Schluss mit der gesetzmäßigen Prüderie – und eigentlich hätten wir Kuppel-Probleme auf dem Friedhof der Wörter begraben können. Wenn da nicht die Deutsche Bahn wäre!
„Wegen Kuppel-Problemen verlassen Sie bitte den hinteren Zugteil und steigen in den vorderen um“, hörten am Donnerstag genervte ICE-Insassen auf dem Leipziger Bahnhof. Unzucht in Wagen 38? Nein, zwei ICE ließen sich nicht vereinen.
Wer im Internet stöbert, entdeckt einige Kuppel-Probleme der Bahn. Im Nordbayern-Blog wird von Fahrgästen berichtet, die nach den Kuppel-Problemen ungastlich wurden, gar garstig:
Ein wenig galanter Jüngling und eine Dame vorgerückten Alters gerieten aneinander. Sie fordert ihn auf, sein „Fahrgestell“ einzufahren, weil er ja sicher nicht für zwei Plätze bezahlt habe. Der Jüngling erwidert trocken: „Gute Frau, ich habe ein Tages-Ticket, das gilt für bis zu zwei Erwachsene und vier Kinder.“
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 11. August 2014
Tebartzen ist asozial und Hayvan ein Tier: Die Jugendwörter des Jahres (Friedhof der Wörter)
Wer jung ist, redet anders: politisch unkorrekt, seltsam, unverständlich – zumindest für die Eltern und Großeltern. Wer jung ist, schafft sich eine eigene Welt, eine eigene Sprache, eine eigene Musik – wie in diesem Rap von KC Rebell:
Kein ,Hallo’und kein ‚Wie geht’s‘. Ach Bruder, lass mich mal in Ruh. Das hier ist Asozialität. Ich bin ein Hayvan von Beruf.
Hayvan? Ja, Hayvan ist türkisch und das deutsche Jugendwort, das junge Leute mit weitem Abstand am meisten wählten. Hayvan bedeutet „Tier“ – und gewinnt seine Bedeutung erst durch die Betonung oder eine Situation: Es kann bedeuten „Du bist – wie ein Hund – ein guter Freund“ oder auch „Du bist ein Dummer wie ein Schaf“.
Typisch für die Jugendsprache ist – korrekt oder peinlich – das Spiel mit den Wörtern, etwa mit „Asozial“, das im erwachsenen Wörterbuch der politischen Korrektheit nur auftaucht in der Rubrik „Verboten!“
„Asozial“ kommt bei Jugendlichen oft vor, etwa in „Assi-Stempel“, das sind Tätowierungen – die allerdings nicht in die Spitzengruppe der beliebtesten Jugendwörter des Jahres gelandet sind.
Blöde Wörter – aber unpolitisch, mag denken, der dem Trugschluss aufsitzt, junge Leute interessierten sich nicht für Politik. Weit gefehlt.
„Wulffen“ war vor einigen Jahren ein beliebtes Jugendwort in Anspielung auf den gescheiterten Bundespräsidenten. „Tebartzen“ sagen junge Leute, wenn sie sich etwas unverschämt Luxuriöses kaufen – in Anspielung auf den Limburger Bischof, der Wasser predigte und goldene Badewannen anschaffen wollte.
Auch mit dem „Migrationshintergrund“ spielt die Jugendsprache und schafft für arrogante Studenten, die nicht mal einen Kasten Bier schleppen können: den „Immatrikulations-Hintergrund.“ Gar nicht unpolitisch sind auch „Obamern“ für abhören und „entsnowden“ für aufdecken.
So läuft es eben bei dir! Dieser ironische Spruch für alle Gelegenheiten kam auf Platz zwei. Und da junge Leute Ironie mögen und offenbar auch verstehen, wählten sie „Gönn Dir“ auf den dritten Platz.
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Das sind die 30 Nominierungen für das Jugendwort des Jahres (Abstimmung bis Ende Oktober 2014)
>Zur Zeit (3.10.) weit vorn: Fappieren (Selbstbefriedigung bei Jungs)
> Platz 2: Hayvan
> Platz 3: Läuft bei dir (Redewendung für: „Du hast es drauf!“ Synonym für „cool“, „krass“)
> Abgeschlagen:
Immatrikulationshintergrund (Person, die nicht richtig anpacken kann und ungeschickt ist und daher studiert hat) / Gönn dir! (Ironischer Wunsch) / Fußpils (Bier für unterwegs) / Bitch, please! (Lässige Antwort auf eine Selbstverständlichkeit) / Tebartzen (Sich etwas Teures leisten) / Selfie (Foto-Selbstportrait)
> So gut wie ohne Resonanz:
Minus (Nein) / Lass Haare wehen (Beeil dich!) / Obamern (abhören) / Senfautomat (Klugscheißer) / Beta (Einer mit wenig Selbstbewusstsein) / Assi-Stempel (Tätowierung) / Foodgasm (Glücksgefühl bei sehr gutem Essen) / GOML (get on my level – Ausdruck der Überlegenheit) / Twerken (Tanzstil mit starkem Hüfteinsatz) / Entsnowden (aufdecken) / insta– (Vorsilbe für beliebige Adjektive und Nomen) / Like-Geilheit (Markierung mit „Gefällt mir“) / Bürgersteigdeko (Hundehaufen) / sugly (Selfie, auf dem man bewusst eine Schnute zieht) / Therapier mich nicht! (Nerv mich nicht!) / Du Propa! (Propaganda und Angeberei) / SOS (same old shit / Immer die gleiche Scheiße) / Stressieren (Mischung aus „stressen“ und „pressieren“) / Hängs! (Vergiss es!) / Emoxif (Zickiges Verhalten) / FOMO (fear of missing out – Angst, was zu verpassen)
Die Lufthansa verzichtet auf Anglizismen: Siegerflieger!
Kein Anglizismus! Bravo! „Siegerflieger“ hieß das Lufthansa-Flugzeug, mit dem die Weltmeister von Brasilien nach Deutschland flogen. „Gut gemacht!“ lobt auch der Blog Deutschmeisterei und spekuliert:
Ich bin sicher, man hat alle möglichen Ideen durchgespielt, diesen Ausdruck in Englisch klingen zu lassen: Winner Bringer. Champions’ Starship. Wordcup Hub.
Dass die Deutschmeisterei auf diesen Blog lobend verweist, vor allem auf den Friedhof „Der Refuri pfiff viele Penaltys“ freut den Autor.
WM, Fußball und die deutsche Sprache: Der Refuri pfiff viele Penaltys (Friedhof der Wörter)
Wenn Deutschland um die Weltmeisterschaft spielt, sind die Straßen leer gefegt – wenn nicht gerade Tausende gemeinsam unterm trüben oder schwülen Himmel jubeln. Kein „Tatort“ und kein „Wetten dass“, auch nicht zu besten Gottschalk-Zeiten, kommen da mit: Im TV-Film mit der höchsten Einschaltquote aller Zeiten fielen acht Tore in Brasilien – und wahrscheinlich wird die Quote vom Endspiel gegen Argentinien noch übertroffen.
Wie ist die Faszination des Fußballs zu erklären? Ich wage die These: Es ist ein Spiel, das nahezu ohne Anglizismen auskommt. Dabei ist das Spiel in England erfunden worden. Aber ein Lehrer im nahen Braunschweig erfand – vor gut hundert Jahren – die Fußballsprache.
Englische Worte verwandelte er in deutsche, das gab es wirklich einmal. Das „goal“ wurde zum Tor, das „offside“ zum Abseits, „half“ zur Halbzeit, der „free kick“ zum Freistoß, den „referee“ zum Schiedsrichter, der „coach“ zum Trainer und der „header“ zum Kopfball.
Heute verwandeln wir in die andere Richtung: Die „Champions League“ ist die Meister-Liga oder die Europa-Liga, aber wir reden der Uefa jeden englischen Unsinn nach, selbst wenn das deutsche Wort schöner und verständlicher klingt.
Ohne den Braunschweiger Lehrer Konrad Koch hieß der Elfmeter „Penalty“ – wie heute noch in der Schweiz. Allerdings sprechen die Schweizer den „Penalty“ so hübsch aus in ihrem Schwiizertüütsch, dass sie ihn nicht auf ihrem Friedhof der Wörter begraben sollten – ebenso wenig wie die Japaner, die den Schiedsrichter „refuri“ nennen.
Wenn der Refuri in Brasilien ein ums andere Mal nicht das sah, was Millionen Refuris in der Welt sahen, dann rufen wir weiter vor dem Bildschirm,: „Schiri, bist Du blind?“ Diesenalten Ruf, erfunden auf den Kreisklassen-Plätzen überall in Thüringen, sollten wir allerdings modernisieren: „Schiri ans Telefon: Dein Handy klingelt.“
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 14. Juli 2014
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