Ein journalistisches Prinzip: „Wir müssen auf die Präzision der Sprache achten“
„Eine Lichtung, von Wald umgeben“ schrieb Annette Milz, Chefredakteurin des Medium Magazin , in einem ihrer ersten Artikel. Ihr Chef fragte sie: „Wo hast Du schon einmal eine Lichtung gesehen, die nicht von Wald umgeben ist?“. Sie antwortete reflexartig: „Natürlich gibt’s das!“
Der Chef blieb ungerührt: „Wenn Du mir diese Lichtung nennst, die nicht von Wald umgeben ist, darfst Du das schreiben. Wenn nicht, streichst Du ,Von Wald umgeben'“. Das erzählte Milz in einem Interview mit Wolfram Kiwit, dem Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten.
Das Erlebnis prägte Milz in zweierlei Hinsicht:
1. Wir müssen als Journalisten auf Präzision der Sprache achten.
2. Wir müssen auf eine präzise Information achten.
Ein Glück, wer solch einen Chef hatte. Hochachtung vor dem, der solch eine Lektion wirklich lernte – und nach ihr lebte.
Wahlprogramme im Osten: Bürgerfern. Der Experte: „Wer nicht verstanden wird, kann nicht überzeugen“ (Friedhof der Wörter)
Was sind „revolvierende Fonds“? Wer sind „LSBTTIQ-Menschen“? Und was bedeuten „Trittsteinbiotope“, „Kaskadenmodelle“ und „Außenwirtschaftsgutscheine“? Genug! Genug!
Alle Jahre wieder schauen sich Wissenschaftler aus Hohenheim die Wahl-Programme an.
Und alle Jahre wieder, so auch bei den ostdeutschen Landtagswahlen, lautet ihr Fazit: Unverständliche Wörter, Fachbegriffe und Anglizismen und viel zu lange Sätze und Schachtelsätze. Kurzum: Die meisten Programme sind unverständlich, bürgerfern und nähren die Verdrossenheit der Wähler.
Offenbar können sich die Experten in den Parteien austoben und Sätze schreiben, die nur sie verstehen. Oder haben die Parteien den Wähler schon abgeschrieben? Denken sie: Programme liest doch keiner, allenfalls die Mitglieder?
Die Wissenschaftler um Professor Frank Brettschneider fanden in Thüringer Programmen Wörter wie
„Contractings“ (Linke), „Public-Private-Partnership-Verträge (PPP)“ (Piraten), Clustermanagement, Green-Tech, Spin-Offs oder Racial Profiling (alle SPD). Trotzdem kommt die SPD zusammen mit den Grünen auf dem zweiten Platz der Verständlichkeits-Parade.
Sieger im Verständlichkeits-Wettstreit ist die CDU, die von 20 möglichen Punkten immerhin 11 holte. Auf den letzten Platz mit knapp 4 Punkten kommt die Linke. „Ihre Wahlprogramme in Sachsen und in Thüringen sind noch unverständlicher als politikwissenschaftliche Doktorarbeiten“, sagt Professor Brettschneider.
„Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen“, fasst der Hohenheimer Professor zusammen. „Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind einige Inhalte schwer verständlich. An den Bedürfnissen der Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben Parteien damit vorbei.“
Warum hat die ständige Kritik an den Programmen kaum eine Resonanz? Schon ein Deutsch-Leistungskurs wäre in der Lage, etwa einen 54 Wörter-Satz im Linken-Programm lesbarer und somit verständlicher zu machen; ein Doppelpunkt und die Auflösung des Endlos-Nebensatzes reichte:
Wir machen uns dafür stark, dass die Koordination von Kriegen der Bundeswehr in anderen Staaten so schwer wie möglich gemacht wird, offizielle Vertreterinnen und Vertreter des Landes sich der militärischen Traditionspflege und bei Gelöbnissen enthalten, internationale Friedensinitiativen auch von Thüringen aus gestartet werden und die Bundeswehr nicht in Schulen für ihre Rekrutierung werben darf.
**
Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter 8. September 2014
Wahl-Slogans: Besser gut geklaut als selbst schlecht erfunden (Friedhof der Wörter)
Wahl-Slogans sind selten sprachliche Edelsteine. Wenn sich Freunde der deutschen Sprache und Skeptiker des politischen Geschäfts über die Slogans hermachen, wird der Untergang des Abendlands beschworen wie bei Rainer Link:
Ein erfolgreicher Politiker muss nicht nur ein guter Redner sein, er muss ein Verkäufer sein, der die Kunst des Schönredens, notfalls des Verschleierns beherrscht.
Doch die Slogans werden erfunden von Werbe-Managern, die zu anderen Zeiten für Wirtschafts-Unternehmen dichten, wobei ihnen bisweilen Sätze einfallen, die sprichwörtlich werden wie „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“ oder „Geiz ist geil“.
Was ist ein guter Werbespruch? Er fällt auf, zielt aufs Gemüt und hat im besten Fall sogar eine Aussage, die zum Parteiprogramm passt – und sich deutlich vom politischen Gegner abhebt.
„Mut zu Thüringen – Unser Land geht vor“, plakatiert die CDU zur Landtagswahl in Thüringen. Aber baumelte ein ähnlicher Spruch nicht vor wenigen Monaten schon an den Laternen? „Mut zu Deutschland“ lautete der Slogan der AfD in der Europawahl.
Der „Mut für Deutschland“ deutete bei der AfD auf den Unmut über Euro und Europa hin. Nun plant die Thüringer CDU sicher keinen eigenen Staat mit Sitz in der UN, aber die Werbemanager haben zumindest ungeschickt einen Slogan geborgt und die Nähe zu einer Partei angedeutet, mit der die Ministerpräsidentin nichts zu tun haben will.
Besser geborgt hat die Linke. Neben dem Bild des Spitzenkandidaten Bodo Ramelow lesen wir: „Es muss nicht alles anders werden, aber wir können vieles besser machen.“ Ähnlich lautete der Slogan von Gerhard Schröder im erfolgreichen Wahlkampf 1998. Der Satz gefiel dem neuen Kanzler so gut, dass er ihn gleich eingangs seiner Regierungserklärung wiederholte.
Allerdings war Schröders Erfolgs-Slogan einprägsamer: „Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser“ – 8 Wörter statt 12 bei Ramelow: Je kürzer, desto besser, das ist ein Werbe-Gesetz.
Aber auch Schröders mehrfach imitierter Spruch findet keine Gnade bei Kritikern wie Rainer Link, der ihn allerdings als „einen der geschicktesten Slogans“ einschätzt:
Ja, was wollen Sie denn dann noch sagen? Das ist so inhaltsschwer und gleichzeitig leer, dass es eigentlich nicht mehr zu über- oder unterbieten geht.
Die Thüringer SPD wird sich ärgern, dass die Linke ausgerechnet einen SPD-Erfolgs-Slogan ausgeliehen hat. „Besser bleiben“ heißt ihr leicht rätselhafter Spruch: Will Mensch oder Partei nicht besser werden? Oder gut bleiben?
Immerhin borgte die SPD bei einer thüringischen Geistes-Größe, die im West-östlichen Divan im „Buch des Unmuts“ schrieb:
Denn die Menschen die sind gut
Würden besser bleiben
Sollte einer wie’s einer tut,
Auch der Andre treiben
**
> Quelle Rainer Link: „Es gilt das gesprochene Wort“ DLF 7. Juni 2005
> Erweiterte Fassung des „Friedhof der Wörter“, Thüringer Allgemeine 1. September 2014
Wo leben und arbeiten die Print-Grufties? (Zitat der Woche)
Die Redaktionen der Funke-Mediengruppe sind die „Heimstätte bemitleidenswerter Print-Grufties“, so zitiert der kressreport ungenannte Kritiker (22. August 2014).
Militärische Weichspül-Sprache: Von der Leyens nicht-letale Waffen (Friedhof der Wörter)
Der finale Rettungsschuss hört sich harmlos an, ist aber in der Regel tödlich. Der Kollateralschaden hört sich harmlos an, ist aber auch in der Regel tödlich.
Wenn Offiziere, ob beim Militär oder der Polizei, tödliche Waffen einsetzen, erfinden sie gerne Wörter, die eher an ein Fußballspiel in der Verlängerung denken lassen oder an zerbrechende Kaffeetassen – als an Menschen, die sterben, ob schuldig oder unschuldig.
In die Wörter-Sammlung der Verharmloser bittet in dieser Woche die „nichtletale Waffe“ um Aufnahme. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will Nicht-Letales ins Kurdengebiet liefern, also Waffen, die nicht töten sollen – aber töten können.
Nicht-letal ist beispielsweise Narkose-Gas, das in einen Raum gesprüht wird, um Menschen zu betäuben. Als Soldaten 2002 bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater eine zu hohe Dosis versprühten, starben 170 Menschen.
„Non-Lethal“ ist ein englisches Wort, das mit „nicht-tödlich“ zu übersetzen ist. Aber Minister und Soldaten sprechen nicht gerne vom Tod.
Das Fraunhofer Institut, eine angesehene Wissenschafts-Organisation, forscht nicht nur an neuen Waffen, sondern auch an der Sprache und schreibt auf seiner Internetseite: „Das Fraunhofer ICT sieht die aktuelle Aufgabe darin, die existierenden NLWs weiterzuentwickeln, zu verbessern und auszubauen.“
NLW sind nicht-letale Wirkstoffe, nur ein bisschen tödlich.
**
Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 18. August 2014
Von Unzucht, dem Kuppel-Paragraphen und Kuppel-Problemen der Deutschen Bahn (Friedhof der Wörter)
Wer kann sich noch an Kuppel-Probleme erinnern? In den fünfziger und sechziger Jahren konnten solche Probleme einen Vermieter ins Gefängnis bringen: Wer einem unverheirateten Studenten-Paar ein Zimmer vermietete, leistete – so das Gesetz – der Unzucht Vorschub. Wer duldete, dass eine unverheiratete Frau Herrenbesuch bekam – der konnte fünf Jahre ins Gefängnis gehen.
So sittenstreng und prüde war das Kaiserreich, in dem der Kuppel-Paragraph erfunden wurde, so sittenstreng und prüde blieb das Nachkriegs-Deutschland. Im Magazin Der Spiegel listete 1968 ein Oberlandesgerichtsrat beispielhaft auf, wer mit Zuchthaus, Entzug bürgerlicher Ehrenrechte und Polizeiaufsicht rechnen musste:
> Der Aufseher des Campingplatzes, der im Namen der Gemeinde bei unverheirateten Pärchen die Gebühr kassiert und sie „gewohnheitsmäßig“ im Zelt gewähren läßt.
> Der Vater, der dem Sohn Geld und Auto für die Ferienfahrt mit der Freundin zur Verfügung stellt.
Ende der achtziger Jahre war Schluss mit der gesetzmäßigen Prüderie – und eigentlich hätten wir Kuppel-Probleme auf dem Friedhof der Wörter begraben können. Wenn da nicht die Deutsche Bahn wäre!
„Wegen Kuppel-Problemen verlassen Sie bitte den hinteren Zugteil und steigen in den vorderen um“, hörten am Donnerstag genervte ICE-Insassen auf dem Leipziger Bahnhof. Unzucht in Wagen 38? Nein, zwei ICE ließen sich nicht vereinen.
Wer im Internet stöbert, entdeckt einige Kuppel-Probleme der Bahn. Im Nordbayern-Blog wird von Fahrgästen berichtet, die nach den Kuppel-Problemen ungastlich wurden, gar garstig:
Ein wenig galanter Jüngling und eine Dame vorgerückten Alters gerieten aneinander. Sie fordert ihn auf, sein „Fahrgestell“ einzufahren, weil er ja sicher nicht für zwei Plätze bezahlt habe. Der Jüngling erwidert trocken: „Gute Frau, ich habe ein Tages-Ticket, das gilt für bis zu zwei Erwachsene und vier Kinder.“
**
Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 11. August 2014
Journalisten lernen von Dichtern: Wenn ich meinen Text leise lese, wird er besser
Abends in einer guten Redaktion: Es murmelt – ein Journalistenchor aus Selbstgesprächen. Die Texte sind fertig, die Reporter oder Blattmacher lesen leise, in sich versunken. Es ist wie in einem mittelalterlichen Kloster, in dem die Mönche in der Bibel lesen. Erwischt der Abt einen stummen Mönch, herrscht er ihn an: „Warum liest Du nicht?“ Wenn der Mönch bockig antwortet „Ich lese doch“, tadelt ihn der Abt: „Ich höre nichts!“
Die Hirnforschung hat überraschend die These bestätigt, dass wir beim stummen Lesen und Schreiben auch hören. Unser Gehirn übersetzt die Wörter in Töne, der Lesende aktiviert also auch das Areal fürs Hören.
Schreiben ist ein einsames Geschäft, ist ein Selbstgespräch des Journalisten. Das „Gespräch“ ist dabei wörtlich zu nehmen: Wer schreibt, der spricht – selbst wenn nichts zu hören ist. So wird jeder Text besser, wenn wir ihn leise sprechen – und jedesmal, wenn wir stolpern, nicht ein zweites Mal lesen, sondern den Text verbessern. Dort wo wir stolpern, schachtelt der Satz, hemmen Zahlen oder eine Klammer den Lesefluss, reihen sich zu viele Adverbien aneinander usw.
Wenn ich schon stolpere, der den Text kennt, dann stolpert erst recht der Leser, der den Text nicht kennt. Darauf zu hoffen, dass der Leser ein zweites Mal ansetzt, um den Text zu verstehen, ist trügerisch, sehr trügerisch.
Die Schriftstellerin Judith Hermann erzählt in einem Interview mit Nils Minkmar, wie sie schreibt:
Ich habe mir den Text immer wieder laut vorgelesen, bis der Klang stimmte, meine Vorstellung von Rhythmus. Das hat ziemlich lange gedauert, am Anfang hatte ich gar keine Zeit, mich für das energetische Gespinst der Sprache zu interessieren, ich war auch viel zu aufgeregt, unruhig, zu nervös.
Judith Hermann erzählt auch, wie sie einen Roman schreibt. Diese Arbeitsweise taugt aber nur für Journalisten, die Bücher schreiben – nicht für die Tagesarbeit geeignet:
> Ich habe die Geschichte von Anfang bis Ende aufgeschrieben.
> Dann habe ich sie noch einmal abgeschrieben, und beim Abschreiben habe ich noch einmal umformuliert, geordnet, auch gekürzt,
< und dann habe ich sie ein drittes und letztes Mal abgeschrieben. Ich habe gestrichen.
**
Quelle:
Hermann-Interview in FAZ 2. August 2014
Lesetipp:
Stanilas Dehaene (französischer Neurowissenschaftler): Lesen – Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert (Knaus,24.99)
.
Tebartzen ist asozial und Hayvan ein Tier: Die Jugendwörter des Jahres (Friedhof der Wörter)
Wer jung ist, redet anders: politisch unkorrekt, seltsam, unverständlich – zumindest für die Eltern und Großeltern. Wer jung ist, schafft sich eine eigene Welt, eine eigene Sprache, eine eigene Musik – wie in diesem Rap von KC Rebell:
Kein ,Hallo’und kein ‚Wie geht’s‘. Ach Bruder, lass mich mal in Ruh. Das hier ist Asozialität. Ich bin ein Hayvan von Beruf.
Hayvan? Ja, Hayvan ist türkisch und das deutsche Jugendwort, das junge Leute mit weitem Abstand am meisten wählten. Hayvan bedeutet „Tier“ – und gewinnt seine Bedeutung erst durch die Betonung oder eine Situation: Es kann bedeuten „Du bist – wie ein Hund – ein guter Freund“ oder auch „Du bist ein Dummer wie ein Schaf“.
Typisch für die Jugendsprache ist – korrekt oder peinlich – das Spiel mit den Wörtern, etwa mit „Asozial“, das im erwachsenen Wörterbuch der politischen Korrektheit nur auftaucht in der Rubrik „Verboten!“
„Asozial“ kommt bei Jugendlichen oft vor, etwa in „Assi-Stempel“, das sind Tätowierungen – die allerdings nicht in die Spitzengruppe der beliebtesten Jugendwörter des Jahres gelandet sind.
Blöde Wörter – aber unpolitisch, mag denken, der dem Trugschluss aufsitzt, junge Leute interessierten sich nicht für Politik. Weit gefehlt.
„Wulffen“ war vor einigen Jahren ein beliebtes Jugendwort in Anspielung auf den gescheiterten Bundespräsidenten. „Tebartzen“ sagen junge Leute, wenn sie sich etwas unverschämt Luxuriöses kaufen – in Anspielung auf den Limburger Bischof, der Wasser predigte und goldene Badewannen anschaffen wollte.
Auch mit dem „Migrationshintergrund“ spielt die Jugendsprache und schafft für arrogante Studenten, die nicht mal einen Kasten Bier schleppen können: den „Immatrikulations-Hintergrund.“ Gar nicht unpolitisch sind auch „Obamern“ für abhören und „entsnowden“ für aufdecken.
So läuft es eben bei dir! Dieser ironische Spruch für alle Gelegenheiten kam auf Platz zwei. Und da junge Leute Ironie mögen und offenbar auch verstehen, wählten sie „Gönn Dir“ auf den dritten Platz.
**
Das sind die 30 Nominierungen für das Jugendwort des Jahres (Abstimmung bis Ende Oktober 2014)
>Zur Zeit (3.10.) weit vorn: Fappieren (Selbstbefriedigung bei Jungs)
> Platz 2: Hayvan
> Platz 3: Läuft bei dir (Redewendung für: „Du hast es drauf!“ Synonym für „cool“, „krass“)
> Abgeschlagen:
Immatrikulationshintergrund (Person, die nicht richtig anpacken kann und ungeschickt ist und daher studiert hat) / Gönn dir! (Ironischer Wunsch) / Fußpils (Bier für unterwegs) / Bitch, please! (Lässige Antwort auf eine Selbstverständlichkeit) / Tebartzen (Sich etwas Teures leisten) / Selfie (Foto-Selbstportrait)
> So gut wie ohne Resonanz:
Minus (Nein) / Lass Haare wehen (Beeil dich!) / Obamern (abhören) / Senfautomat (Klugscheißer) / Beta (Einer mit wenig Selbstbewusstsein) / Assi-Stempel (Tätowierung) / Foodgasm (Glücksgefühl bei sehr gutem Essen) / GOML (get on my level – Ausdruck der Überlegenheit) / Twerken (Tanzstil mit starkem Hüfteinsatz) / Entsnowden (aufdecken) / insta– (Vorsilbe für beliebige Adjektive und Nomen) / Like-Geilheit (Markierung mit „Gefällt mir“) / Bürgersteigdeko (Hundehaufen) / sugly (Selfie, auf dem man bewusst eine Schnute zieht) / Therapier mich nicht! (Nerv mich nicht!) / Du Propa! (Propaganda und Angeberei) / SOS (same old shit / Immer die gleiche Scheiße) / Stressieren (Mischung aus „stressen“ und „pressieren“) / Hängs! (Vergiss es!) / Emoxif (Zickiges Verhalten) / FOMO (fear of missing out – Angst, was zu verpassen)
Wenn Dämme brechen und Leute ihr Haustier heiraten (Friedhof der Wörter)
In Deutschland gibt es vergleichsweise wenige Dämme. Sie schützen Mensch und Schaf gerade mal an großen Flüssen und am Meer. Dennoch ist ein Sprachbild, besonders bei Politikern, sehr beliebt: Der Dammbruch. „Wir sind ein Volk von Deichbeauftragten“, macht sich der Mainzer Verfassungsrichter Friedhelm Hufen über den Deich in der öffentlichen Diskussion lustig.
Aber das Bild ärgert ihn auch, zu Recht. Wer vor dem Dammbruch warnt, will nicht mehr diskutieren und begründen: Er malt den Weltuntergang an die Wand, wenn es um Designer-Babys, Einwanderung oder Homo-Ehe geht – und unterstellt, dass der Mensch nicht mehr eingreifen kann wie bei einer unbeherrschbaren Sturmflut.
„Der drohende Dammbruch gehört zum Lieblingsritual pseudointellektueller Gruselrunden“, urteilt der Jura-Professor und argwöhnt, dass Risiken dramatisch überzeichnet und Chancen von vornherein negiert würden. Diese „Pseudo-Intellektuellen“ seien selbsternannten Vormünder, die die Vernunft des Einzelnen durch ihre eigene Entscheidung ersetzen wollen: „Gegenüber Dammbruch und Katastrophe wird dann der vorsichtige Hinweis auf individuelle Freiheiten und die Begründungsbedürftigkeit von Freiheitseinschränkungen zum Verstummen gebracht.“
Der Blogger Michael Hohner zitiert in Ratio Blog ein blödes, aber offenbar verbreitetes Dammbruch-Argument: „Wenn Schwule heiraten dürfen, dann müssen wir auch Leute ihre Haustiere heiraten lassen oder ihr Auto, und dann bricht die Gesellschaft zusammen.“ Für ihn sind Dammbruch-Argumente ein „Fehlschluss“, von denen er 32 aufzählt.
In der englischen Sprache spricht man von der schiefen Ebene, dem „Slippery Slope“; andere deutsche Bilder sind der Domino- und Lawinen-Effekt und die „Spirale der Gewalt“.
Beerdigen wir also die „schiefen Ebenen“ und zuerst den „Dammbruch“ und lassen Immanuel Kant zu Wort kommen, den Philosophen des mündigen Bürgers – den auch der Verfassungsrichter zitiert:
Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, so brauche ich mich ja selbst nicht zu bemühen.
**
Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 28. Juli 2014 (hier erweiterte Fassung)
Vom Elend der Synonyme: Unsere Weltmeister und die Gauchos – Und dann macht es Bumm (Friedhof der Wörter)
Was für eine Aufregung! Da singen einige Fußballer, die fürs Balltreten bezahlt werden, vor Millionen Zuschauern: „So gehn die Gauchos“ – und laufen gebückt über den Laufsteg; dann singen sie „So gehn die Deutschen“ und strecken ihre WM-Gestalten in den blauen Berliner Himmel.
„Peinlich“, gar „rassistisch“ – so kommentieren Journalisten. Dabei sind unsere Fußballer nur Opfer der unseligen Synonym-Marotte geworden. Da unsere Weltmeister unbedingt ein zweisilbriges Wort brauchten, das zum zweisilbrigen die „Deutschen“ passt, kam ihnen Gauchos in den Sinn.
„So gehn die Argentinier“ passt eben nicht, also nahmen sie „Gauchos“ als Synonym.
Und so brach das Unheil über den Unsinn herein!
Was sind Gauchos? Dass Fußballer wie Messi zu den „Gauchos“ zählen, dürfte sehr unwahrscheinlich sein. Gauchos sind Cowboys – aber nicht nur in Argentinien, sondern auch in Brasilien, Uruguay und Paraguay. Ursprünglich bedeutet „Gaucho“ vermutlich „Bandit“ oder „armer Mann“; die spanischen Kolonialherren verstanden unter dem Gaucho einen „Vagabunden“.
Dass unsere Weltmeister so intensiv über die „Gauchos“ nachgedacht haben, dürfte ebenfalls unwahrscheinlich sein. Sie brauchten einfach ein Synonym – und das geht oft schief, nicht nur bei jungen Männern in kurzen Hosen, die für schöne Tore bezahlt werden und nicht für schöne Lieder.
Ältere Weltmeister sangen auch nicht schöner: Franz Beckenbauer trällerte „1:0 für die Liebe“ und Gerd Müller „Dann macht es Bumm“. Nicht zu vergessen ist Petar Radenkovid, der „Bin i Radi, bin i König“ sang. Aber der war auch kein Weltmeister.
**
Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 21. Juli 2014
Rubriken
- Aktuelles
- Ausbildung
- B. Die Journalisten
- C 10 Was Journalisten von Bloggern lernen
- C 5 Internet-Revolution
- C Der Online-Journalismus
- D. Schreiben und Redigieren
- F. Wie Journalisten informiert werden
- Friedhof der Wörter
- G. Wie Journalisten informieren
- H. Unterhaltende Information
- I. Die Meinung
- Journalistische Fachausdrücke
- K. Wie man Leser gewinnt
- L. Die Redaktion
- Lexikon unbrauchbarer Wörter
- Lokaljournalismus
- M. Presserecht und Ethik
- O. Zukunft der Zeitung
- Online-Journalismus
- P. Ausbildung und Berufsbilder
- PR & Pressestellen
- Presserecht & Ethik
- R. Welche Zukunft hat der Journalismus
- Recherche
- Service & Links
- Vorbildlich (Best Practice)
Schlagworte
Anglizismen BILD Braunschweiger Zeitung Bundesverfassungsgericht chefredakteur DDR Demokratie Deutscher-Lokaljournalistenpreis Die-Zeit dpa Duden Facebook FAZ Feuilleton Goethe Google Internet Interview Kontrolle der Mächtigen Leser Leserbriefe Luther (Martin) Lügenpresse Merkel (Angela) New-York-Times Organisation-der-Redaktion Persönlichkeitsrecht Politik Politiker-und-Journalisten Pressefreiheit Presserat Qualität Schneider (Wolf) Soziale-Netzwerke Spiegel Sport Sprachbild Sprache Süddeutsche-Zeitung Thüringer-Allgemeine Twitter Wahlkampf Welt Wulff Zitat-der-Woche
Letzte Kommentare
- Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
- Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
- Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
- Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
- Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...
Meistgelesen (Monat)
Sorry. No data so far.
Meistgelesen (Gesamt)
- Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre
- Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ
- Wie viel Pfeffer ist im Pfifferling? (Friedhof der Wörter)
- Die Leiden des Chefredakteurs in seiner Redaktion (Zitat der Woche)
- Wer entdeckt das längste Wort des Jahres? 31 Buchstaben – oder mehr?