Alle Artikel der Rubrik "D. Schreiben und Redigieren"

Politiker nach Boston-Anschlag: Worthülsen und Betroffenheit (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 21. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Schreckliches in der Welt passiert, ziehen die Redenschreiber der Mächtigen die Schublade „Mitgefühl und Entsetzen“ auf. Diese Schublade ist im Computer-Zeitalter eine Datei mit Textbausteinen, sofort nutzbar wie nach dem Anschlag in Boston.

„Unser Mitgefühl gilt den Familien und Freunden der Opfer“, teilt unser Außenminister mit, bevor er das „fröhliche Sportereignis“ in den sprachlosen Kontrast zur „Tragödie“ setzt. Nach dem gleichen Schema reagiert die Kanzlerin: Erst „Entsetzen“, bevor auch sie „den Angriff“ in den Kontrast zur „friedlichen Sportveranstaltung“ setzt.

Stets gleich sind die Adjektive: „Heimtückisch“ nennt die Kanzlerin den Anschlag, „hinterhältig“ der Innenminister, der noch „feige“ hinzufügt, „sinnlos“ fällt einem Ministerpräsidenten ein (wie übrigens auch auch dem Papst).

Die höchsten Vertreter des deutschen Volks ringen nicht um Worte, sie sammeln die Hülsen auf. Sie sind nicht nur „betroffen“, der Innenminister ist sogar „zutiefst betroffen“. Und da er ahnt, wie leer dies Allerweltswort ist, setzt er noch eins hinzu: „menschlich zutiefst betroffen“.

Wir einfachen Leute, wenn wir den Tod beklagen, greifen auch zu Trauerkarten mit vorgestanzten Beileids-Sätzen. Es ist ein Dilemma.

„Zum Tod fall dir nichts ein“, schrieb die Dichterin Ingeborg Bachmann und schloss mit dem Vers:

Und nur nicht dies: ein Bild

im Staubgespinst, leeres Geroll

von Silben, Sterbenswörter.

Kein Sterbenswort,

Ihr Worte!

Wäre Schweigen nicht tröstender, wenn uns tröstende Worte fehlen? Nur – ist das überhaupt noch möglich in unserer geschwätzigen Welt?

Der Dativ und die DDR oder: Wer ging besser mit der Sprache um?

Geschrieben am 19. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Die Gebildeten in der DDR waren sicher, sie achteten mehr auf die korrekte Sprache als die Menschen im Westen. Im Leseland DDR schrieben die Leute besser, genauer und regelgerecht, so die auch heute noch vorherrschende Überzeugung. Der Blick in die Zeitungen genüge, dass Schludrigkeit nach der Wende eingezogen sei.

Ein Erfurter Leser der Thüringer Allgemeine schrieb zu einer Überschrift auf der Titelseite vom 15. April:

Sie schreiben: „Mädchen ertrinkt in Ententeich“. In der DDR hätte man geschrieben: „Mädchen ertrinkt im Ententeich“.

Merke zu den Präpositionen: Mit dem Dativ stehen sie so, wenn man fragen kann: Wo? (Lehrstoff 3. Klasse, Grundschule). Aber DDR zählt heute nicht mehr! Oder vielleicht doch?

Der TA-Chefredakteur greift in der Samstags-Kolumne „Leser fragen“ das Thema auf und antwortet (20. April 2013):

Sie haben Recht – mit der Präposition. „Mädchen ertrinkt im Ententeich“ ist korrekt.

Dabei haben wir nicht den Dativ unterschlagen, sondern den Artikel: „Mädchen ertrinkt in einem Ententeich.“ Das Weglassen des Artikels in einer Überschrift ist eine Medien-Eigenart: Da in eine Überschrift nur wenige Buchstaben passen, geizen Journalisten mit jedem als unnötig erachteten Wort und Buchstaben. Sie können es ruhig eine Medien-Schlamperei nennen.

Diese Überschrift „Mädchen ertrinkt in Ententeich“ fanden Sie an diesem Tag dutzendfach im Internet – bei fast allen Medien vom „Focus“ über „Die Zeit“ bis zu RTL und T-Online. Dieser journalistische Herdentrieb macht es aber weder besser noch richtig.

Was das Mädchen, im Ententeich ertrunken, mit der Achtung vor der DDR zu tun, ist schon schwerer zu verstehen. Der Dativ war im Westen und in Österreich ebenfalls geachtet und wurde in den Schulen gelehrt.

Gerade in der Sprache blieb Deutschland einig – trotz Mauer. Der in Wismar geborene Sprach-Professor Harald Weinrich stellte 1983 in einem Göttinger Vortrag über die Zukunft der deutschen Sprache fest: Nach einer Generation getrennter Sprachentwicklung kann festgestellt werden, die deutsche Sprache ist ungetrennt und ungeteilt.

Er folgerte daraus. „Es ist offenbar einfacher, einen neuen Staat als eine neue Sprache zu gründen.“

Kommentar eines TA-Lesers:

Als interessierter Leser insbesondere der Leserbriefseite der TA heben sich – wie ich es empfinde – bestimmte Beiträge häufig wiederkehrender Leserbriefschreiber hervor; der o.g. Leserbrief stellt jedoch ob seiner entlarvenden Schlichtheit alles in den Schatten.
Umso beeindruckender habe ich Ihre nüchterne, pointierte Antwort empfunden.

Wissenschaft: Wer muss sich quälen? Der Leser oder der Autor?

Geschrieben am 18. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Dürfen Wissenschaftler kompliziert schreiben und so Distanz zum Bürger schaffen? Bei einem Germanisten-Kolloquium in Hannover bejahte dies offenbar der Berliner Germanist Steffen Martus und unterstrich laut FAZ-Bericht, „dass die Gegenstände der Forschung naturgemäß schwierig seien und die schwierige Sprache dieser Tatsache geschuldet sei“.

Wilhelm Krull, der Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung, will dagegen die Verständlichkeit fördern und Bewerber für ein Stipendium ermutigen, „ohne spezielle Antragsprosa und Fachjargon die Ziele ihrer Forschung aufzuschreiben“. (FAZ,17. April 2013: „Medienkulturlehrerbildung oder Dienst am Text?“)

Krulls Forderung, verständlich zu schreiben, folgt der Forderung im „Handbuch des Journalismus“: Nicht der Leser muss sich quälen, sondern der Schreiber. Der Journalist übersetzt Kompliziertes in einfache Sprache, findet den roten Faden durch ein Labyrinth.

Wer Politik für die Bürger macht (und das soll in einer Demokratie so sein), wer also das Volk vertritt, muss auch vom Volk verstanden werden. Wenn es einem Politiker nicht gelingt oder er absichtlich vernebelt, dann schafft der Journalist Klarheit.

In der Wissenschaft, erst recht in der Germanistik, ist es ähnlich: Die Bürger bezahlen die Forschung und wollen wissen, wie die Forscher ihre Welt und ihren Alltag verändern. Im besten Fall wollen sie mitreden – und das setzt voraus, dass die Bürger verstehen, was die Experten treiben.

Zur Qualitäts-Debatte ein Kuriosum am Rande: Die FAZ schrieb am 17. April im Feuilleton in einer Überschrift: „Die Londoner Buchmesse flüchtet sich in Qualität.“

Eine Flucht in die Qualität? Nein, es ist ein handwerklicher Fehler: Die FAZ nutzte ein Zitat, auch sinnwidrig – denn es bezog sich auf Amazon und nicht auf die Buchmesse.

FACEBOOK-Kommentar:

Raphael Raue:

Eine vernünftige Forderung. Allein mir fehlt der Glaube daran, dass es tatsächlich möglich ist, Komplexitäten jederzeit soweit zu reduzieren, dass sie gemeinhin verständlich sind. Reduktion bleibt eben Reduktion. Und das ist nicht die einzige Aufgabe von Wissenschaft. Und Wissenschaft darauf zu reduzieren würde Wissenschaft in ihren Grundfesten abschaffen, eben in jeglicher Hinsicht sinnlos sein zu dürfen; sicherlich ohne dieses Privileg immer in Anspruch nehmen zu müssen ;)“

Antwort:

Wissenschaftler untereinander können (und müssen wohl auch) Komplexes komplex beschreiben, um eine Genauigkeit zu erreichen, die für Laien schwer verständlich ist. Da dürfen sie selbstverständlich auch eine Spezialsprache nutzen, um von allen in der wissenschaftlichen Gemeinschaft genau verstanden zu werden.

Am Ende müssen Wissenschaftler jedem verständlich machen, was sie tun – auch auf die Gefahr hin,nicht mehr hochpräzise zu sein. Die Menschen in einer Demokratie müssen erfahren, wer die Gene manipuliert und warum er es tut usw.

Henning Noske per Facebook:

Die besten Wissenschaftler können buchstäblich in Bildern und Geschichten sprechen. Sie profitieren davon auch für ihre wissenschaftliche Arbeit. Die besten Journalisten erzählen in Bildern und Geschichten. So wird ein Schuh draus.

Gehört der Doktor-Titel zum Namen? Nein

Geschrieben am 15. April 2013 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 15. April 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Schreiben wir in der Zeitung prinzipiell „Dr. Müller“ – weil der Dr.-Titel zum Namen gehört?

Nein. Die Thüringer Allgemeine erklärte es ihren Lesern im Blatt:

Warum ein „Dr.“ seinen Titel verliert – Nachrichtenagenturen geben die Regeln vor

Ein Arzt aus Nordthüringen bittet um Antwort:
„Ich frage mich, wieso die Redaktion meinen Doktortitel unterschlagen hat. Laut der Pressewartin unseres Vereins war mein Titel in dem Artikel an Sie noch vorhanden. Ich hätte hierzu gerne eine Erklärung. Vor allem in Zeiten, da Promotionen immer wieder hinterfragt werden, kann ich mir nicht verkneifen, hier eine Böswilligkeit zu vermuten.“

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:
Akademische Titel wie Prof. oder Dr. werden nicht erwähnt. In Meldungen über wissenschaftliche Themen kann der Professorentitel genannt werden.“

So lautet eine Regel im Stilbuch der Nachrichtenagentur dapd. Ähnlich formuliert es die Deutsche-Presse-Agentur (dpa) in ihrem Handbuch: „Akademische Titel sind zwar Bestandteil des Namens, doch verzichten wir auf die Nennung, sofern der Titel nicht für das Verständnis wichtig ist.“

Regeln im Journalismus werden von den großen Nachrichten-Agenturen aufgestellt, die jeden Tag Hunderte von Nachrichten verbreiten für Zeitungen, Radios und Fernsehsender. Redaktionen, wie auch unsere, halten sich an diese Regeln − in der Regel.

Die amerikanische Nachrichtenagentur AP weist in ihrem Regelbuch darauf hin, dass die meisten Leser den Dr.-Titel auf einen Arzt beziehen − und somit die Nennung eines Titels nur Sinn macht, wenn das Fachgebiet des „Dr.“ genannt wird. Interessant für den Leser ist in der Tat nicht der Titel, sondern allenfalls das Fach, in dem jemand promoviert wurde.

Warum soll bei einem Bundesliga- Schiedsrichter der Titel genannt werden, wenn sich der „Dr.“ auf eine Promotion in Zahnmedizin bezieht? Oder bei einem Politiker im Verkehrsausschuss, der in Chemie promoviert wurde?

Da zudem viele Promovierte ihren Dr.-Titel nicht erwähnen oder er der Redaktion nicht bekannt ist, dürften die Nachrichtenagenturen die Regel aufgestellt haben: Wir verzichten auf den Titel − es sei denn er ist für das Verständnis des Textes notwendig.

Einige Leser protestierten dagegen (auch weil Redakteure bisweilen gegen die Haus-Regel verstoßen) und betonten: Der Dr. gehört doch unbedingt zum Namen.

Die FAZ schreibt in „Beruf und Chance“ nicht nur, das der „Herr Dr.“ bald ausgedient habe und die Promotion nicht unbedingt der Karriere nütze, sondern stellt auch fest: Der Doktortitel gehört nicht zum Namen!

Sowohl der Bundesgerichtshof 1962 wie das Bundesverwaltungsgericht 1957 haben entschieden: Ein akademischer Titel, aber kein Namensbestandsteil. In dem Punkt irrt also dpa. Allerdings kann der „Dr.“ seit 1988 in Reisepass und Personalausweis eingetragen werden.

Quelle: FAZ 13. April 2013, Zeit 1/2009 oder SZ 14.7.2011

Stefam Heym zum 100. – „Es kostet mehr Zeit, kurz und prägnant zu schreiben

Geschrieben am 9. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Was für ein Glück, wenn ein angehender Journalist schon einen Meister findet. Stefan Heym, der morgen (10. April) seinen 100. feiern könnte, schreibt in seinen Erinnerungen „Nachruf“ von einem Besuch bei Wilhelm Münzenberg:

Münzenberg wollte populistische Blätter gemacht haben, Boulevard-Stil, und wie S.H. in seiner späteren Arbeit selbst erfahren sollte, kostete es mehr Zeit, kurz und prägnant zu schreiben als wortreich und verschwommen, und noch mehr, anderer wortreiche Prosa auf ein lesbares Maß zu trimmen.

Münzenberg, der gebürtige Erfurter, gründete zusammen mit Zille auch den Eulenspiegel. Er starb 1940 auf der Flucht vor den Nazis in Südfrankreich.

Die Schwierigkeiten, kurz zu schreiben, hatten auch andere:

Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit.

Goethe soll es geschrieben haben oder Voltaire oder Mark Twain oder Karl Marx. Wer es auch war: Es ist ein wahrer und treffender Satz.

Stefan Heym schreibt in seinen Erinnerungen auch über Bruno Frei, den Chefredakteur von Berlin am Morgen:

Frei war in einer Linie nicht Funktionär, sondern Journalist, Berufsjournalist sogar, und Österreicher; die österreichische Presse aber zog sich Leute heran, die eine leichte Hand hatten und im allgemeinen auch mehr Phantasie als ihre deutschen Kollegen; jedenfalls lasen sich die deutschen Lügen immer viel schwerfälliger.

Wie Goethe den Genitiv missachtete (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Prüfen Sie sich! Welche der folgenden Sätze sind richtig:

1. Dank meines Fleißes werde ich in den Bundestag gewählt?
2. Großalarm wegen totem Hund?
3. Trotz Umbaus geöffnet?
4. Laut unseres Briefes sind sie von der Zahlung befreit?

Wer die deutsche Sprachen retten will, der rettet den Genitiv. Helmut Wolf aus Erfurt, Leser der Thüringer Allgemeine, ärgert sich, wenn in der Zeitung „immer wieder“ Genitiv und Dativ verwechselt wird – sogar auf der Kinderseite und ausgerechnet in einem Artikel über die Bildungsministerin.

Helmut Wolf hat Recht: Wir sollten den Genitiv wahren, so es die Regel gibt. Aber wir sollten bedenken, dass auch die Regel eine Geschichte hat. Nehmen wir als Beispiel: Der Genitiv nach der Präposition „wegen“.

Wer „wegen totem Hund“ schreibt, wie in einer Überschrift unserer Zeitung, wer also Dativ und Genitiv verwechselt, gilt als Sprachverderber. Aber wie schrieb Goethe gleich mehrfach in seinen Briefen? „Wegen eintretendem Reformationsfeste“.

Noch derber trieb es der Geheimrat am Weimarer Hof, als er in einem einzigen Satz „wegen“ erst mit dem Genitiv, dann mit dem Dativ gebrauchte: „Wegen des Stoffs als wegen den Umständen“.

Auch Schiller verwechselte: „Wegen dem Göz von Berlichingen“, und Gerhard Hauptmann verwechselte und Adalbert Stifter.

Es geht drunter und drüber, wie so oft in der Geschichte unserer Sprache. Erst war „wegen“ mit dem Dativ verbunden, dann mit dem Genitiv – wie beispielsweise schon im Urkundenbuch des thüringischen Arnstadt von 1432:

Von wegen syner koniglichen Durchluchtigkeit.

Der Genitiv setzte sich durch, nur nicht jederzeit bei Goethe, Schiller und anderen dichtenden Heroen, vor allem wenn sie eiligst Briefe schrieben – und im Volke wohl auch nicht.

Meinetwegen, könnte man sagen: Ich bleibe beim Genitiv, den auch Schiller durchaus schätzte und das „wegen“ hinter das Hauptwort verbannte. Statt „wegen seiner Natur“ schrieb er: Es ist dem Menschen „von Natur wegen möglich gemacht, aus sich selbst zu machen, was er will“.

Was ist also richtig? Alle Sätze sind – mehr oder minder – falsch im Eingangstest, und so sind sie richtig:

1. Dank meinem Fleiß (laut Duden);
2. Großalarms wegen eines toten Hundes (allerdings registriert der Duden schon: umgangssprachlich auch mit Dativ);
3. Trotz Umbau geöffnet (denn Hauptwörter ohne Artikel oder Attribut werden meistens nicht gebeugt);
4. Laut unserem Brief (allerdings lässt der Duden auch „laut unseres Briefes“ zu).

Geben wir Friedrich Schiller das letzte, oder besser: vorletzte Wort:

Schätzen Sie mich wegen dem, was ich unter besseren Sternen geworden wäre.“

Thüringer Allgemeine 11. März 2013

„Taschendiebinnen“, die Sprache und der Sexismus

Geschrieben am 16. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Frage der Drehscheibe:

Gibt es in der Redaktion Regeln zum nicht-sexistischen Sprachgebrauch, zum Beispiel was männliche und weibliche Schreibweisen betrifft? Wenn ja, wie sehen diese Regeln aus?

Meine Antwort:

Die Debatte um das große I, um Diskriminierung in der Sprache, führen wir schon lange in der TA, zum Beispiel in der Kolumne „Friedhof der Wörter“. Im November begann die Kolumne so:

„Frauen sind die Benachteiligung leid, lehnen sich dagegen auf und erregen sich über die Sprache, die überwiegend männlich geprägt ist. Warum nur sind der Gott und der Mensch männlich?“

Zitiert wird dann aus einem Infobrief der Erfurter „Linke“: „Ein Parallelität zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht (Genus und Sexus) besteht nicht.“

Und die Kolumne endet: „Zudem ist unsere Sprache ungerecht auch zu den Männern: Warum ist die Brüderlichkeit  weiblich und der Hampelmann männlich? Die Liebe weiblich und der Hass männlich? Der Verbrecher männlich, auch der Sündenbock und der Taschendieb – oder haben Sie schon einmal gelesen: Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt?“

Es ist Unsinn, die Debatte um den „Sprachgebrauch“ in die „sexistische“ Ecke zu stellen. Das ist zu viel Ehre für Herrn Brüderle.

Wenn Gott promoviert (Friedhof der Wörter zur Schavan-Affäre)

Geschrieben am 10. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Wer in die Geschichte der Wörter schaut, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Nehmen wir ein Wort, das in der Schavan-Affäre die zentrale Rolle spielt: Promovieren.

Hat die Ministerin promoviert? Oder wurde sie promoviert?

Das ist nicht nur eine Frage für Fachleute, die transitive Verben untersuchen, sondern auch eine Frage der Moral:

  •  Hat die Ministerin promoviert, also selber den Doktor-Titel erlangt? Dann trägt sie allein die Verantwortung.
  • Wurde sie promoviert? Dann ist die Verantwortung zumindest geteilt: Wer jemanden promoviert, muss prüfen, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist – Abschreiben inklusive.

„Promovieren“ taucht in der deutschen Sprache vor einem halben Jahrtausend auf und wird aus dem Lateinischen entlehnt, man dürfte auch sagen: abgeschrieben. In ihrem Wörterbuch erklären die Brüder Grimm: „Einen oder etwas weiter, vorwärts bringen, fördern, befördern.“

Das ist die ursprüngliche Bedeutung des Worts: Jemanden nach vorne bringen – also beispielsweise mit einem Doktortitel.

Die Förderer müssen keine Professoren sein, auch Gott kann förderlich sein. Diesen Satz fanden die Brüder Grimm bei Abraham a Santa Clara, einem berühmten Volksdichter im 17. Jahrhundert:

„Gott wird uns nicht verlassen, sondern unsere Waffen mit seinen göttlichen Segen promovieren.“

Wer historisch korrekt sein will, lässt also promovieren: Gott oder Professoren samt einer kompletten Fakultät. Unter solch mächtigen Instanzen erscheint ein armer Sünder oder eine arme Studentin doch eher klein.

 

Thüringer Allgemeine, geplant für 11. Februar 2013

Sport-Synonym: Statt Nullnummer penetrationsarmer Fußball

Geschrieben am 27. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

@zeitonline: Manch Philosoph spricht in solchen Fällen von „penetrationsarmem Fußball“: Freiburg-Leverkusen 0:0

(Tweet von Zeit-Online am 26. Januar 2013)

 

(zu: Handbuch-Kapitel 13 Der heilige Synonymus) 

Seiten:«1...1819202122232425

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