„Das Interview ist weitgehend zur Sparmaßnahme verkommen“
„Es war einmal: Das Interview“, so überschreibt Rene Zeyer, Unternehmensberater und Journalist in Zürich, seinen Essay im aktuellen „Schweizer Journalist“ (8-9/2017):
Die Verwandlung des gesprochenen Wortes in das geschriebene oder gesendete Wort. Früher war es die hohe Kunst des Journalismus. Heute ist das Interview weitgehend zur Sparmaßnahme verkommen.
Zeyer zitiert Markus Spillmann, Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“, der schon 2012 die eingebetteten Interviews beklagte:
Interviews werden heute sehr oft einem Medium von den Interviewten bzw. ihren Pressestellen angedient. Des Öfteren wird im Vorfeld festgelegt, über was gesprochen werden darf.
Den Schaden hat, so Zeyer, das Publikum, das statt Analyse, Einordnung und Orientierungshilfe Geplauder mit dem Geruch nach Authentizität und Kompetenz erhält. Dabei ist das Interview die ursprünglichste und authentischste Form des Journalismus. Zeyer erinnert an Sternstunden des Interviews:
- Das Interview der „New York Times“ mit Fidel Castro am 24. Februar 1957; dabei kam es weniger auf den Inhalt an, sondern dass es stattgefunden hat;
- das Interview 2002 von Bloomberg-TV mit Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer und einem Zitat, das mit einer Milliarde Euro der teuerste Satz aller Zeiten ist;
- das Interview von Oriana Fallaci mit Henry Kissinger und dem Satz, dass der Vietnam-Krieg nutzlos gewesen sei.
Am Fallaci-Interview macht Zeyer deutlich, was ein guter Interviewer zu leisten hat: Er fragt nicht ab, er ist bestens vorbereitet und bringt, auch mit emotionaler Wucht, den Interviewten dazu, das zu sagen, was er eigentlich nicht sagen wollte.
Dem Schweizer Journalist folgt auch der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert, der in einem Gespräch mit der FAS beklagte:
Interviews dienen heute vorrangig der Produktion von Agenturmeldungen, und es gibt fast keine Chance mehr, was zu einem Thema zu sagen, ohne dass daraus wird ‚Lammert fordert‘, ‚Lammert kritisiert‘, ‚Lammert wirft vor‘, ‚Lammert weist zurück‘.
Nun klagen schon Politiker jenseits der AfD, dass Journalisten ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. Interviews hoppeln dahin, kritisiert Bundestags-Präsident Norbert Lammert (CDU), sie sind nicht mehr interessant, sondern nur der Anlass, eine Meldung für die Agenturen zu produzieren. In meiner Kress-Kolumne JOURNALISMUS lobe ich das Interview als das schillernde Format des Journalismus, informativ und attraktiv zugleich; aber beklage auch, dass dem Interview der Absturz in die Belanglosigkeit oder gar die Unterwerfung droht, wenn Journalisten in Politiker-PR eingebettet und von Marketing-Abteilungen eingelullt werden.
Journalisten wehren sich erstens gegen den Vorwurf der Lügenpresse, zweitens gegen den Verdacht willfährig zu sein gegenüber den Mächtigen und drittens gegen den Vorwurf allerorten immer das Gleiche zu schreiben. Doch nähren sie diese Vorwürfe, etwa bei der großen Bundespressekonferenz der Kanzlerin. Der Korrespondent der „Welt“ kritisiert das „Themenhopping“:
Merkel muss keine Nachfragen fürchten, es wird nicht ’nachgebohrt‘ und schon gar nicht ‚gegrillt‘, wie es in angelsächsischen Ländern in solchen Situationen üblich ist.
In Anspielung auf die „Meute“, so nannte Herlinde Koelbl die Korrespondenten, seien sie in der Fragestunde mit der Kanzlerin keine Raubtiere. „Im Gegenteil: Bisweilen spielt Merkel sogar mit ihnen.“ Das ernste Gesellschafts-Spiel mit Fragen und Antworten ist langweilig geworden.
Eingebettete Journalisten – „embedded journalists“ – kennen wir aus dem Golf-Krieg, als US-Truppen Journalisten zu ausgewählten Orte an die Front mitnahmen: Sie sollten das sehen und hören, was die Armee zeigen wollte – also Kriegs-PR.
Die Wort-Schöpfung „eingebettete Interviews“ schmiegt sich an den Begriff an: Journalisten sollen fragen, was Politiker oder andere Funktionäre antworten wollen. Die herausragende Nachricht, die im Zentrum des Interviews stehen wird, legen die Politiker vorab fest. Der Rest ist schmückendes Beiwerk.
Früher verfasste die Presseabteilung einen PR-Text und faxte oder mailte ihn an alle großen Redaktionen. Heute ruft sie eine der Großstadt-Redaktionen an, ob Interesse bestehe – andernfalls könne man auch eine andere Redaktion einladen. Der Vorteil für Minister, Oppositionsführer und andere aus der Welt der Macht liegt auf der Hand: Die Meldung einer seriösen Zeitung steigert Aufmerksamkeit, Glaubwürdigkeit und Wertigkeit.
Das eingebettete Interview verstößt allerdings gegen die Regeln für ein professionelles Interview, wie sie das „Handbuch des Journalismus“ nennt:
- Auf alle Interviews sollte der Journalist sich gründlich vorbereitet haben. Wer sich einbettet, überlässt die Vorbereitung dem Interviewten und seiner PR-Abteilung.
- Der Journalist muss eine Zielvorstellung mitbringen und durchzusetzen versuchen. Wer sich einbettet, übernimmt die Zielvorstellung des Interviewten und setzt sie für ihn durch.
- Die Fragen müssen jenen Widerspruch enthalten, den vermutlich mindestens ein Teil der Leser gern geäußert hätte. Wer sich einbetten lässt, kann diesen Widerspruch in die Langfassung des Interviews unterbringen, mit zwei Einschränkungen: Der durchschnittliche Leser kennt die Nachricht aus den TV- und Hörfunk-Nachrichten und liest kaum mehr das lange Interview; zum anderen will er’s sich nicht mit dem Minister verderben und unangenehme Fragen stellen, da er sonst riskiert, aus dem Kreis der Exklusiven ausgeschlossen zu werden.
Norbert Lammert kritisiert im Deutschlandfunk-Gespräch mit Stefan Fries die Praxis des eingebetteten Interviews – und erwähnt aus wohl vertraulichen Gesprächen: Auch die Journalisten sind unzufrieden. Ein Redakteur, der gerne in Berlin arbeitet, dürfte kaum seinen Verlag für diese Praxis kritisieren; der Präsident tut es für ihn: Korrespondenten erfüllen die Erwartung des eigenen Verlages und der eigenen Zeitung. Chefredakteure, Verleger und Geschäftsführer schätzen exklusive Interviews, sie sind stolz, wenn ihr Verlag in der „Tagesschau“ zitiert wird.
Erfunden hat das Zitate-Rennen wohl die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ), die schon vor gut einem Jahrzehnt das Wochenende, also die nachrichtenarmen Tage, für Gespräche mit Mächtigen nutzte, vornehmlich aus der zweiten und dritten Reihe. Es waren in der Regel keine eingebetteten Interviews, sondern oft nur ein paar Zeilen, ein Zweispalter in der Zeitung – also nicht viel mehr als das, was die Agenturen sendeten.
Wirken sich die Zitate in anderen Medien, vornehmlich Fernsehen und Radio, positiv auf die Auflage aus? Die „NOZ“ beendete das Rennen nach einem Wechsel in der Chefredaktion, konzentrierte sich wieder mehr auf das Lokale, also das Kerngeschäft, und wird heute nicht mehr so oft zitiert. Als sie in den vergangenen Tagen zitiert wurde, ging es um eine Nachricht aus der eigenen Region: Die Verteidigungsministerin reagierte auf Untersuchungen zum Kollaps vom Soldaten in einer Kaserne in Munster.
Wer die Meldung bei Google-News las, fand den Kölner-Stadtanzeiger vorn, der die „NOZ“ erwähnte. Exklusive Meldungen sind im Online-Zeitalter weniger wert als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. In einem kress-de.Gespräch sagte Funkes Sport-Chefredakteur Pit Gottschalk über exklusive Meldungen im Sport:
Keine Ahnung, ob die Leser diese Arbeit heute noch würdigen. Sie lesen die News bei uns oder bei unseren Kollegen von ‚Bild‘ oder ‚Kicker‘ und wissen wohl schon nach ein paar Minuten nicht mehr, wo die Information zuerst gestanden hat.
Gottschalk empfiehlt, statt des Rennens um die schnelle Nachricht auf klassische Recherchen zu setzen.
Für Regionalzeitungen scheint das Zitate-Rennen außer Ruhm und Ehre wenig zu bringen. Media Tenor veröffentlicht regelmäßig die Hitparade der Nennungen: Selbst im ersten Halbjahr mit einigen Landtagswahlen kam keine Regionalzeitung unter die besten Zehn. Überregionale Zeitungen und Magazine dominieren: „Spiegel“, „Bild“, „Süddeutsche“ und „FAZ“, „Handelsblatt“ und „Welt“; noch in der „Bundesliga“ der meistzitierten Medien, also auf den ersten 16 Plätzen, platziert sich mit dem „Tagesspiegel“ eine Hauptstadt-Zeitung und die „Rheinische Post“ die einzige aus der Provinz.
(Hier präsentiert Bülend Ürük die 20 meistzitierten Medien des ersten Halbjahres.)
Mit der „New York Times“ und der „Washington Post“ platzieren sich sogar US-Zeitungen unter den ersten sechs der meistzitierten. Das ist der Trump-Effekt, den auch die meisten Regionalzeitungen nutzen. Trump statt Lokales? Das irritiert auch Roland Schatz, den Chef von Media Tenor:
Viele deutsche Medien haben es bislang versäumt, sich in einem Wahljahr wie 2017 gezielt als Meinungsführer für bestimmte innenpolitische Sachthemen zu positionieren. Hier können sich vor allem Regionalzeitungen hervortun. Vor dem Hintergrund der Dominanz außenpolitischer Themen entsteht allerdings der Eindruck, die Medien lassen sich von der Politik treiben.
Also wieder der Einwand, Journalisten lassen sich von der Politik treiben, und der Vorschlag, wie bei Pit Gottschalk: Mehr Recherche als PR! Klopft den Mächtigen auf die Finger! Rennt ihnen nicht nach!
Es gibt auch Journalisten, die ihre Profession immer noch in der Kontrolle der Mächtigen sehen. Johannes M. Fischer, Chefredakteur der „Thüringer Allgemeine„, druckte ein Interview nicht, als der thüringische Innenminister die wichtigen Aussagen streichen wollte und sogar die Fragen der Redaktion veränderte. Wenig später musste der Minister aus der Ramelow-Regierung sein Amt verlassen.
Der „TA“-Chefredakteur schrieb den Lesern, er werde das verfälschte Interview nicht drucken und nannte es einen „Verlautbarungs-Wortschwall“. Er legte sich auch mit dem Presserat an und veröffentlichte Teile des Interviews, die der Redaktion wichtig erschienen – ohne Autorisierung, was der Pressekodex ausdrücklich untersagt. Aber es diente der Kontrolle der Macht. Und ein entlassener Minister dürfte sich kaum beschweren.
Das Fischer-Interview erinnert an ein Interview von „Facts„, dem 2007 eingestellten Schweizer Nachrichtenmagazin: Der Politiker Anton Cottier veränderte beim Autorisieren 64 von 75 Antworten, strich 6 und formulierte 2 neu. Der Schweizer Presserat sah keine Verletzung der journalistischen Ethik, als Facts so reagierte: Auszugsweise veröffentlichte die Redaktion die Original- und die Redigier-Fassung.
Bundestagspräsident Lammert will die Krise des Vertrauens überwinden, „wenn jeder in seiner Profession vielleicht noch gründlicher als bislang begründet, warum er Dinge tut und andere Dinge lässt“. Ob der Leser versteht, wenn die Redaktion eingebettete Interviews druckt?
Abschieds-Interview mit dpa-Geschäftsführer Segbers: Wie stark sollen Chefredakteure sein?
Die Machtbalance in den Verlagen kippt immer mehr zugunsten der Manager: Chefredakteure verlieren an Einfluss. Ideal ist die Balance bei der Deutschen-Presse-Agentur – und das ist wohl auch das Geheimnis des Erfolgs. So erholte sich die „dpa“ schnell von zwei verlustreichen Jahre, den Kündigungen großer Zeitungen und der rabiaten Konkurrenz von dapd.
Es ging vor sechs Jahren um die Existenz der Agentur; die Krise lösten Chefredakteur Büchner und Geschäftsführer Segbers einträchtig. Ich fragte Michael Segbers, den Ende Januar scheidenden Top-Manager:
Haben Sie in der Krise auch Ihre Chefredakteure stärker kontrolliert und ihren Radius eingeschränkt?
„Nein“, antwortete Segbers. „Das wäre auch gar nicht gegangen, weil nach unserem Statut unser Chefredakteur gleichberechtigt ist mit dem CEO. Und es wäre auch gar nicht nötig gewesen. Unser damaliger Chefredakteur Wolfgang Büchner und ich haben am gleichen Strang gezogen. Und das nicht nur in derselben Richtung, sondern auch mit derselben Stärke. Und mit unserem jetzigen Chefredakteur Sven Gösmann hat sich daran nichts geändert. Und das galt und gilt für die gesamte Chefredaktion und die gesamte Geschäftsführung.“
Im Interview zu seinem Abschied, komplett zu lesen in der JOURNALISMUS!-Kolumne, erzählt Segbers, wie er die Agenturdurch die Krise gebracht hat:
„Nicht ich habe die dpa durch die Krise gebracht, sondern wir. Und das ist jetzt keine falsche Bescheidenheit sondern wirklich so. Als es schwierig wurde, schlossen sich die Reihen. Es war nie einfacher, das Unternehmen zu führen als in dieser Zeit.“
Wie haben sich die dpa-Mitarbeiter verändert? Redakteure, die in der Branche, bösartig oder bewundernd, als Redaktionsbeamte wahrgenommen wurden? Vertriebs-Mitarbeiter, die plötzlich von einer Konkurrenz wirklich bedrängt waren?
Es war schon vorher falsch, unsere Redakteure als Beamte zu verunglimpfen, aber da wurde es dann noch falscher. Dasselbe gilt für den Vertrieb. Wer sich die Mühe macht, die Innovations-Geschichte der dpa anzusehen, der wird feststellen, dass wir sehr oft das waren, was heute „First Mover“ genannt wird.
Wir hatten und haben Mitarbeiter, die sich schnell vom alten dpa-Denken abgekoppelt hatten, die den Karren ziehen wollten. Wir hatten und haben mehr innovative Leute, als viele denken.
Hat dapd – in der Nachschau – sogar geholfen, die Mitarbeiter zu Veränderungen zu bewegen?
Wettbewerb stärkt. Und es stimmt, dass der Angriff noch einmal zusätzliche Kraft freigesetzt hat.
Welche Niederlagen haben Sie in diesem Veränderungs-Prozess hinnehmen müssen? Und was haben Sie daraus gelernt?
Niederlagen gab es. Mal waren es Kündigungen, sogar von Gesellschaftern, mal konnte der Wettbewerber Punkte holen im PR-Bereich und mal – wenn auch nur in sehr wenigen Fällen – auch vor Gericht gewinnen. Ich habe bewusst versucht, aus diesen Niederlagen nichts zu lernen. Ich wollte so etwas nicht lernen.
Die Kritiker der „Lügenpresse“ werfen den Medien Gleichmacherei vor: Überall stehe dasselbe, geschrieben aus der Perspektive der Einflussreichen. Dieser Vorwurf trifft auch die dpa, die Nachrichten- und Meinungsführer in Deutschland ist. Wie reagieren Sie darauf?
Diese Frage sollten Sie besser unserem Chefredakteur Sven Gösmann stellen. Aber so viel kann ich natürlich sagen: Der Vorwurf ist absurd, doch müssen wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen und tun es auch. Eine der wichtigsten Antworten darauf ist: Noch mehr Transparenz herzustellen, als wir das ohnehin schon getan haben. Ich würde dazu gerne unseren Nachrichtenchef Froben Homburger zitieren, der sagt, Transparenz verlange danach, nicht nur zu berichten, sondern auch unsere Arbeit zu beschreiben, Abläufe und Recherchewege darzustellen. Dazu gehört es, mögliche Fehler öffentlich einzugestehen und ihre Entstehung zu erklären.
Um die dpa zu retten, haben Sie neue Geschäftsfelder beackert, vor allem in der Wirtschaft. Die hat aber andere Interessen als eine unabhängige Redaktion. Haben Sie damit die Seele der dpa verkauft?
Sicher nicht. Wenn Sie im Kerngeschäft, also im Geschäft mit den Medien, nicht mehr wachsen können, wenn sie aufgrund der Auflagenverluste immer weniger an Einnahmen haben, dann haben Sie gar keine andere Wahl, als die Leistungen auch außerhalb der Medienkundschaft anzubieten.
Es sei denn, Sie bevorzugen es, bei Vater Staat unterzuschlüpfen, wie das 120 von 140 Primäragenturen weltweit tun. Wir bevorzugen es, unabhängig zu bleiben und das, was wir können, nämlich Nachrichten zu produzieren, auch an Nichtmedien zu verkaufen. Damit stellen wir sicher, dass wir unsere Leistungen für die Medien nicht runterfahren müssen. Ich denke, davon haben alle etwas.
Auch der Staat mischt mit, nicht so stark wie bei AFP, die fast zur Hälfte vom Elysee-Palast finanziert wird: Aber ein paar Millionen kommen schon aus dem Kanzleramt und den Ministerien. Wie groß ist der politische Einfluss?
Unsere – ich will es mal Staatsquote nennen – ist weltweit eine der geringsten unter den Nachrichtenagenturen, vielleicht sogar die geringste. Subventionen bekommen wir nicht, nicht einen Euro. Aber natürlich versorgen wir auch Regierungsstellen und Parlamente und Parteien mit Nachrichten. Dafür bekommen wir dramatisch weniger Geld als andere Agenturen. Der politische Einfluss, den Sie meinen, den gibt es nicht. Oder zumindest nicht in einer relevanten Ausformung.
Als das Außenministerium die Verträge mit dpa gekündigt hatte: Was haben Sie damals geboten, damit dapd nicht den Zuschlag bekommt?
Nichts.
Die Auflagen der Zeitungen werden noch weiter zurückgehen, die Konzentration wird zunehmen und damit werden die dpa-Einnahmen aus den Verlagen weiter sinken. Auf welchen Feldern kann dpa noch wachsen?
Wachstum ist vor allem möglich bei Wirtschaftsunternehmen abseits von Medien, aber auch noch bei öffentlichen Auftraggebern – und auch im Ausland. Derzeit bauen wir weltweit unsere Fotoaktivität aus. Das wird nicht nur zu einer besseren Foto-Versorgung für Deutschland führen, sondern auch unseren Fremdsprachendiensten helfen, sich besser zu verkaufen.
Die großen Medien-Konzerne von Springer und Funke haben eine gemeinsame Vermarktungs-Agentur gegründet. Könnte so auch eine journalistische Konkurrenz entstehen: Eine Zentralredaktion der Konzerne, die an mittlere und kleine Verlage verkauft? Man munkelt: Solche Pläne liegen schon in den Schubladen.
Es ist nicht einfach, eine regionale, nationale und globale Coverage in Text und in optischen Medien aufzubauen. Das kostet ziemlich viel Geld und die Refinanzierung ist schwierig. Bedenken Sie, wie viele Nachrichtenagenturen in Deutschland untergangen sind: upi, ADN, ddp, dapd, AP. AP deutsch haben wir ja dann wiederbelebt.
Sind die sozialen Netzwerke eher von Nutzen für die dpa oder ein gigantischer Konkurrent?
In der Antwort auf diese Frage sind wir alle noch Suchende. Ich habe keine Ahnung, wie Facebook sich in zehn Jahren aufstellt. Aber natürlich gilt hier, zumindest heute: Ungeprüfte, subjektive und unvollständige Beiträge vermitteln kein objektives, abgerundetes, einordnendes Bild, wie es unabhängige Nachrichtenagenturen tun. Wohin das führen kann, sieht man an dem zunehmenden Problem der Fake-News. Da stecken allergrößte Gefahren für unsere Gesellschaft drin, da sind Nachrichtenagenturen erst recht gefordert.
Schauen Sie mal entspannt in die Zukunft: Wo steht die dpa in fünf Jahren? In zehn Jahren?
Wenn Sie mir die Frage vor 40 Jahren gestellt hätten, hätte ich sie, ohne zu zögern, beantwortet. Hätten Sie sie mir die Frage vor 20 Jahren gestellt, hätte ich die 5-Jahresfrage beantwortet, nicht aber die nach 10 Jahren. Heute kann ich auch die 5-Jahresfrage nicht beantworten. Jedenfalls nicht, ohne mich in 5 Jahren lächerlich gemacht zu haben.
Was ich aber fest glaube – okay, ich bin befangen aber ich bin wirklich davon überzeugt: Unabhängige Nachrichtenagenturen haben eine Zukunft! Dieser Typ von Nachrichtenagentur wird noch mehr mit anderen zusammenarbeiten als heute. Die Workflows werden sich weiter ändern, die Märkte werden sich verschieben, die Medien sich weiter verändern und so weiter. Aber der Bedarf nach geprüften, zuverlässigen Nachrichten, nach denen man sich eben richten kann, der wird bleiben. Ich kenne keinen Ersatz dafür.
Das zeigt ganz deutlich die allgegenwärtige Diskussion zum Thema Fake-News: Das kann man nicht allein politisch lösen, das müssen auch Nachrichtenprofis tun. Niemand ist besser dafür geeignet als unabhängige Nachrichtenagenturen wie die dpa.
Und was machen Sie nach Ihrem Leben bei der dpa?
Zwei Medienunternehmen haben mich gefragt, ob ich in ihren Gremien mitarbeiten möchte. Und wenn ich tatsächlich gewählt werden sollte, würde ich das auch machen. Daneben werde ich dem IPI gerne ehrenamtlich etwas helfen, allerdings nur inhaltlich und ohne dort eine Funktion anzustreben: Das IPI, International Press Institute, ist die älteste Organisation, die sich weltweit um die Pressefreiheit kümmert. Von ihr hört man weniger als von „Reporter ohne Grenzen“, und das möchte ich ändern, zum Beispiel wenn ich helfe, den Weltkongress zu organisieren, der im Mai in Hamburg läuft.
Petry und der Schießbefehl: Wann werden Äußerungen von Politikern ein Thema?
Als der Mannheimer Morgen am 30. Januar ein autorisiertes Interview mit Frauke Petry druckte, in dem die AfD-Vorsitzende Schüsse gegen Flüchtlinge nicht mehr ausschloss, war der Schießbefehl ein Thema in der Tagesschau und in den Schlagzeilen auf den Zeitungs-Titelseiten. Die Zeit-Kolumnistin Mely Kiyak wundert sich: Petrys Lebensgefährte Markus Pretzell, der NRW-Vorsitzende der AfD, hatte Anfang November 2015 schon das Thema gesetzt:
Die Verteidigung der deutschen Grenze als Ultima Ratio ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn man den ersten Schuss in die Luft gibt, wird deutlich, dass wir entschlossen sind.
Der Brandenburger AfD-Fraktionschef und Ex-CDU-Politiker Alexander Gauland wiederholte laut Kiyak die Forderung im November – wieder ohne Echo. Gauland gehörte in den vergangenen Tagen zu denen, die sich über Petrys Äußerungen empörten.
Warum wird der Schießbefehl acht Wochen später, bei der zweiten Wiederholung, ein Thema? Kiyak findet in ihrer Kolumne „Deutschstunde“ eine „ganz einfache Erklärung“:
Man nimmt Parteien immer nur so ernst, wie die derzeitigen Umfrageergebnisse es hergeben und solange Landtagswahlen nicht akut anstehen.
Oder liegt es daran, dass nicht die Nummer Eins der Partei sprach? Oder verlieren auch Journalisten in der Fülle der Nachrichten bisweilen den Überblick? Gelingt die Kontrolle der Mächtigen nicht mehr? Denn in der Öffentlichkeit war der „Schießbefehl“ durch dpa und die Kiyak-Kolumne, immerhin auf Zeit-Online.
Erste Aufgabe von Journalisten: Die Schneise schlagen in den Nachrichten-Dschungel – zwischen Tasse und Terror
Auch bei Redakteuren schleicht sich bisweilen das Gefühl ein, den Überblick zu verlieren – gerade in wilden Zeiten wie nach dem Terror in Paris: Nachrichten, meist mehr Gerüchte als klare Informationen, jagen sich – und der Alltag in meiner Stadt und meiner Region geht weiter:
in Dortmund wurde die Weihnachtsmarkt-Tasse 2015 vorgestellt, in Alsdorf bei Aachen nahm die Polizei sieben Terror-Verdächtige fest und ließ sie später wieder frei, in Brüssel ist das Fußballspiel zwischen Belgien und Spanien wegen Terrorgefahr abgesagt worden, in Hannover wollte Deutschland in einer Art „Trauerspiel“ auf die Niederlande treffen, aber auch dieses Spiel wurde gestern Abend abgesagt, in Syrien fallen weiter Bomben aus Frankreich vom Himmel, in Dortmund gibt es nicht nur die Tasse und den weltgrößten Weihnachtsbaum, sondern ganz neu auch einen Weihnachts-Elch „Siegi“ (kommt das von Siegen?) mit roter Mütze als Maskottchen … die Gleichzeitigkeit von Nachrichten kann überfordern. Zwischen Tasse und Terror ist es schwer, einen klaren Blick zu behalten. Das Leben geht weiter. Für die, die leben.
So beginnt heute der Newsletter von RN-Chefredakteur Wolfram Kiwit, der bei allem Jammer über die finstere Welt die Aufgabe von Journalisten klar macht: Wir müssen die Schneise schlagen, wir müssen die Welt so zeigen, dass sie die Menschen verstehen können und nicht verzweifeln – eben zwischen Tasse und Terror. Die Aufgabe war noch vor einigen Jahrzehnten einfacher: Da kamen die Nachrichten aus dem Ticker, so langsam, wie es die Technik zuließ; da schnitten Mitarbeiter die langen Agentur-Fahnen einmal in der Stunde zurecht, sortierten sie und brachten sie in die Ressorts; da schlug eine Glocke am Fernschreiber, wenn eine Nachricht der Priorität 1, die Eilmeldung, eintraf; da gab es wenige Hörfunk- und Fernsehsender und kein Internet für jedermann.
1949 schickte dpa täglich gerade mal 19.000 Wörter, das schaffen heute die Nachrichten-Portale im Netz in wenigen Minuten. Schon in den langsamen Ticker-Zeiten murrten die Redakteure: Die Agenturen überschütten uns mit Nachrichten, von denen wir nur einen Bruchteil drucken können.
Die Welt ist schneller geworden, aber nicht besser. Wer als Journalist meint, das Schneise-schlagen gekinge nicht angesichts apokalyptischer Verhältnisse, der solle lieber Dichter werden oder einer Selsbtfindungs-Gruppe beitreten.
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Hinweis: Handbuch des Journalismus, Kapitel „Nachrichtenagenturen“
Redaktionen verstoßen nach Airbus-Absturz gegen ihre Regeln: Trauernde ungepixelt auf Titelseite (Leser fragen)
Ein Leser aus Erfurt beklagt sich bei der Thüringer Allgemeine über das Foto auf der Titelseite, das die Zeitung am Tag nach dem Absturz der German-Wings-Flugzeugs veröffentlichte:
Als wenig rücksichtsvoll, ja pietätlos, empfinde ich die Veröffentlichung eines von Alejandro Garcia angebotenen Fotos. Es gehört sich nicht, das Foto trauernder Menschen nach einem solchen Unglück sowie nach dem Verlust eines Angehörigen in der Zeitung zu präsentieren. Sie bewegen sich damit auf der Ebene von Boulevardjournalismus. Das muss zukünftig unterbleiben.
Der Leser fragt:
War Ihre Zeitung überhaupt autorisiert, dieses Foto zu veröffentlichen? Wo bleibt die Selbstkontrolle der Journalisten? Wo bleibt der Schutz des persönlichen Bilds? Oder gilt das nicht, weil die abgebildeten Personen aus Spanien sind und sich gegen die Veröffentlichung in Thüringen kaum wehren können?
Der Chefredakteur antwortet:
Sehr geehrter Herr K.,
Sie haben Recht! Wir haben gegen unsere eigenen Grundsätze verstoßen, von denen einer lautet: Wir zeigen keine Familienangehörige oder Freunde im Bild, die nach einer Katastrophe trauern, einem Unglück, einem Mord oder Attentat.
Für diesen Regelverstoß bitten wir um Entschuldigung.
Ich möchte Ihre Fragen beantworten und erklären, wie es zu unserer Entscheidung kam – an einem Tag, der uns alle verwirrt hat.
Das Foto stammt von der seriösen spanischen Nachrichten-Agentur Efe, die in 110 Ländern mit 3000 Mitarbeitern vertreten ist. Wir müssen feststellen: Die moralischen Maßstäbe sind offenbar im vereinten Europa recht unterschiedlich. Außerhalb Deutschlands ist es in vielen Ländern üblich und weder ethisch noch rechtlich umstritten, dass Agenturen und seriöse Zeitungen Opfer von Unfällen oder Verbrechen sowie deren Angehörige abbilden. Das gilt auch für Spanien.
So schickte die Agentur eine Serie von Bildern von Angehörigen aus Barcelona – ohne jegliche Bedenken. Dazu kam: Einige Bilder aus dem Flughafen wurden mit verpixelten Gesichtern gesendet, andere gar nicht. So sind wir davon ausgegangen, dass die Trauernden ihre Zustimmung zum Druck gegeben haben.
Dies Verfahren ist nicht ungewöhnlich: So hat beispielsweise die Opern-Sängerin Maria Radner im Stern über Karen Cargill geschrieben, mit der sie zusammen auf der Bühne gestanden hat – und dabei wie selbstverständlich ein Archiv-Foto des Absturz-Opfers veröffentlicht.
Dies ist eine Erklärung und ein Blick in das Innenleben einer Redaktion an einem ungewöhnlichen Tag – aber kein Wegreden der Entschuldigung. Wir hätten trotz allem richtig entscheiden müssen.
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Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 11. April 2015
Flugzeug-Absturz vor Gran Canaria: Wie die Eilmeldung bei dpa in den Dienst kam – Eine Fallstudie
Eigentlich gilt in Agenturen die Regel: Jede Nachricht, erst recht eine brisante, muss durch zwei unabhängige Quellen bestätigt werden. Diese Regel einzuhalten, braucht Nerven und Geduld im hektischen Echtzeit-Journalismus und in der Twitter-Anarchie.
Was passierte im Newsroom von dpa am Donnerstag kurz nach 16 Uhr? Eine Meldung der spanischen dpa-Partneragentur EFE ging ein: Der Rettungsdienst der Kanaren, unterstellt der Regionalregierung, gab bekannt, ein Passagierflugzeug sei ins Meer gestürzt; der Rettungsdienst rief alle verfügbaren Kräfte zum Einsatz auf.
Um 16.11 Uhr veröffentlichte dpa die Eilmeldung und berief sich als Quelle auf den Rettungsdienst.
Warum reichte für diese Eilmeldung eine Quelle? Für dpa-Nachrichtenchef Jens Dudziak – wie auch für andere Nachrichtenagenturen – reichte die offizielle Information einer Behörde. Das entspricht laut Dudziak den dpa-internen Standards: „Solange keine akuten Zweifel an amtlichen Erklärungen aufkommen, dürfen dpa-Journalisten diesen vertrauen.“
Nach der Eilmeldung ging im Newsroom die Recherche nach weiteren Quellen und Fakten weiter. Jens Dudziak:
Knapp 20 Minuten nach Auslösung des Alarms veröffentlichte die Flughafenbehörde AENA die Mitteilung, dass kein Flugzeug abgestürzt sei. Die Behörde, die dem spanischen Verkehrsministerium unterstellt ist, erklärte, sie habe nach der Auslösung des Alarms durch den Rettungsdienst das übliche Krisenprotokoll eingeleitet. Dabei sei festgestellt worden, dass kein Flugzeug abgestürzt sei. Bei dpa lief die Meldung über den falschen Alarm um 16:33 Uhr unter Berufung auf die AENA.
Offenbar spielte für dpa das Foto keine Rolle, das einen Lastkahn auf dem Meer zeigte, ähnlich einem ins Meer stürzenden Flugzeug.
Hat dpa professionell entschieden? Offenbar ja. Gleichwohl zeigt der Absturz, der keiner war, wie schwierig Entscheidungen für Agenturen werden – die vor allem für die Seriosität von Informationen stehen; dennoch verlangen vor allem Rundfunk- und die Online-Redaktionen eine Aktualität, die sich mit der Twitter- und SMS-Hektik misst. Die Arbeit im Newsroom wird immer schwieriger.
Flugzeugabsturz: Auch dpa fiel auf Falschmeldung rein
Zu diesem Beitrag gibt es einen neuen Blog mit zusätzlichen, zum Teil korrigierenden Informationen: „Wie die Eilmeldung bei dpa in den Dienst kam – Eine Fallstudie“.
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16.12 Uhr: Flugzeug bei Gran Canaria ins Meer gestürzt.
16.35 Uhr: Flughafenbehörde: Angeblicher Absturz bei Gran Canaria falscher Alarm
Zwei Meldungen der dpa am 27. März 2014: In nicht einmal zwanzig Minuten taucht ein Flugzeug wieder auf und fliegt weiter. In dieser Zeit huschten Tausende von Tweets über die Bildschirme: aufgeregt und falsch. „Da sieht man mal, wie Redaktionen voneinander abschreiben“, twitterte einer. Ein Spanier folgte: „Viva la republica bananera!!“ Auch wenn man der Fremdsprachen nicht sicher ist, ahnt man, was der Spruch bedeuten soll.
Die 20-Minuten-Aufregung zeigt die Kehrseite der schnellen Welt: Aktualität ist gut, aber Wahrheit ist besser. Im Handbuch des Journalismus zitieren wir im Kapitel 19 „Nachrichtenagenturen“ die oberste Regel:
Be first, but first be right.
Ausgelöst hat die Falschmeldung offenbar ein Foto, das einen Schleppkahn zeigt, der wie ein Flugzeug aussieht, das gerade ins Meer stürzt.
Ortsmarke bei AP: Statt „Sewastopol, Ukraine (AP)“ ab sofort: „Sewastopol, Krim (AP)“
Die Ukraine steuert nicht mehr die Krim: Das ist die Begründung der amerikanischen Nachrichtenagentur AP, um die Ortsmarke zu ändern: Erst der Stadtname, dann als Ländername „Krim“
Warum nicht „Sewastopol, Russland“?, fragt der Agentur im AP-Blog. Die Antwort ist ein wenig seltsam: Die Krim ist geographisch getrennt von Russland, hat keine Landgrenze. Allerdings verfährt AP in aller Seltsamkeit so auch schon lange mit anderen Inseln wie „Palermo, Sizilien (AP)“, auch wenn Sizilien Teil von Italien ist, oder „Guadeloupe“ als Teil von Frankreich.
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Ortsmarke heißt bei dpa „Ortszeile“, früher: Aufgabeort. Wer kennt noch andere Begriffe?
Was die „dpa“ plant: Die Zukunft ist online und interaktiv (Kundenkonferenz 1)
Wenn Roland Freund, Inlands-Chef der dpa, von den Plänen der Agentur spricht, dann fallen Stichworte wie diese: Social-Media-Radar, interaktiver und multimedialer Live-Ticker oder Video-Schnipsel. Wie kann die Nachrichtenagentur den Redaktionen helfen, online mit den Lesern zu verkehren? Die Antwort auf diese Frage stand im Zentrum der Kundenkonferenz des Landesbüros Ost.
Ein typisches Beispiel ist „Scribble Live“, ein Live-Blog, angeboten von einer kanadischen Firma, die mit dem Slogan wirbt: „Real Stories. Real Time“. Die dpa liefert einen Live-Ticker, beispielsweise an einem Wahlabend, und die Zeitung kann ihre eigenen Beiträge einschieben, Texte, Bilder und kleine Filme – und sie kann ihre Leser zu Kommentaren und eigenen Text- und Fotobeiträgen auffordern, die ebenfalls in dem Blog erscheinen. Erfreulich für die Clickzähler in den Verlagen ist: Jeder Teil dieser Seite, jeder Frame, zählt.
Offenbar nimmt dpa auch selber den Dialog ernst – mit ihren Kunden. Schon im Versuchs-Stadium ist die „dpa-community“, eine Plattform zum Austausch von Geschichten und Bildern. Entweder nutzen Redaktionen die Datenbank in einer geschlossenen Gruppe, beispielsweise in einer Redaktions-Gemeinschaft, oder gründen eine Art Genossenschaft, um Artikel und Fotos anderen anzubieten und von anderen zu nutzen.
Mit dem „Social-Media-Radar“ will die Agentur Redakteuren helfen, im Irrgarten von Twitter, Facebook und anderen die entscheidenden Wege und den wichtigen Inhalt zu finden – für die Recherche, die Planung des Inhalts und den Kontakt zu den Lesern. Wo finde ich was? – ist eine der entscheidenden Fragen für Redakteure, die soziale Medien nutzen wollen.
Auf den Nägeln brennen den Redakteuren aber weniger Live-Ticker und Social-Media-Werkzeugkasten als die Mühen der Redaktions-Ebene: Bekomme ich ausreichend Meldungen für meine Regionalseite? Kann die Agentur nicht möglichst viele Termine besetzen? Sollte die Agentur nicht alle Quellen in der Region sichten und auswerten? Diese Themen bestimmten die Diskussion bei der Kundenkonferenz, zu der Jutta Steinhoff, die Landesbüroleiterin Ost, nach Berlin eingeladen hatte.
Die Probleme sind überall ähnlich: Weniger Redakteure – in den Zeitungsredaktionen, aber auch in der Agentur. Gleichwohl verlangen die Leser eine hohe, sogar eine immer höhere Qualität. Und die Leser, wenn sie als Redakteure Agenturkunden sind, verhalten sich ähnlich: Bringt mehr! Und bringt es besser!
Erste Wahl! Was auf den neuen dpa-Chefredakteur zukommt
So prominent war der Chefredakteur der dpa noch nie besetzt: Sven Gösmann führt mit der Rheinischen Post eine der größten Regionalzeitungen Deutschlands, die – im Vergleich zu anderen – wenig Auflage verliert: Wir dürfen ihn einen sehr erfolgreichen Chefredakteur nennen.
Er weiß genau, wie wichtig ein Lokalteil ist; er weiß genau, wie man die Ausgaben zuschneiden muss, um die Bedürfnisse der Leser zu befriedigen; er weiß genau, wie man in einem großen Verbreitungsgebiet die Wünsche der Städter wie in Düsseldorf und der Kleinstädter und Dörfler wie am Niederrhein unter einen Mantel bringt. Gösmann hat ein Gespür für Themen, gerade auch für regionale Themen, wie kaum ein anderer in Deutschland. Man kann die Idee für einen Aufmacher mindestens ein, zwei Mal in der Woche von ihm borgen.
Man spürt seine Sozialisation bei Bild, wo er Diekmanns Stellvertreter in der Chefredaktion war (der immer noch voll des Lobes ist, wenn er von Gösmann spricht). Man spürt auch seine Lehr- und ersten Herrenjahre im Lokalen und Regionalen bei der Braunschweiger Zeitung.
Fast bin ich geneigt zu sagen: Der Mann ist zu schade für dpa, wo er sein Themengespür nicht mehr voll entfalten kann. Aber er weiß mit Wünschen von Lesern umzugehen: Gut eine Million in Düsseldorf, rund zehn Millionen bei Bild und bald ein paar tausend Redakteure, die täglich in die News bei dpa schauen.
Gösmann hat selber erlebt, was es bedeutet, bei einer großen Zeitung ohne dpa-Texte und Bilder auskommen zu müssen. Er weiß also, wie er seine Kunden bedienen muss. Sein Vorgänger hat die Agentur, die zum Beamtenhaften neigt, heftig durchgeschüttelt und neu organisiert, was ihm nicht nur Freunde eingebracht hat; die Kämpfe, die Büchner beim Spiegel erleidet, kennt er schon von dpa – allerdings ohne die öffentliche Begleitung und Häme der schreibenden Kollegen.
Büchner, nach dem Vorbild von Spiegel Online, schuf „dpa News“, eine grandiose Hilfe für jeden Desk. Er war der große Organisator, da muss Gösmann nicht mehr viel anpacken. Er wird Ideen entwickeln müssen auf einem Gebiet, auf dem Büchner wenig Erfahrung hatte: Das Lokale und Regionale.
Was kann eine Agentur diesen Zeitungen – auch fürs Online-Geschäft – anbieten? Die ersten Versuche mit der „Drehscheibe“ sind dürftig und weitgehend unbeachtet. Die Landesdienste könnte eine Neuausrichtung gebrauchen – nur wohin?
Ich freue mich jedenfalls auf den neuen Chefredakteur, der sicher auch die eine oder andere Geschäftsidee für die Agentur hat jenseits des Mediengeschäfts, das ja zunehmend schrumpft.
Zunächst einmal: Herzlichen Glückwunsch, Sven Gösmann. Der Aufsichtsrat hat die beste Entscheidung getroffen.
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