Alle Artikel der Rubrik "F. Wie Journalisten informiert werden"

Warum so viel Schumacher? Oder: Wann ist eine Nachricht wichtig?

Geschrieben am 5. Januar 2014 von Paul-Josef Raue.

Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke reagiert auf die Beschwerden und das Unverständnis, warum die seriöse Nachrichtensendung Michael Schumacher tagelang als Top-Thema gebracht hat und tagelang als Aufmacher. Er nennt im Tageschau-Blog die Nachrichten-Faktoren, die für die Redaktion entscheidend waren – und seinen „journalistischen Kompass“:

1. Popularität:

Es war mehr als einer von vielen hundert Skiunfällen: „Wenn zwei Menschen das gleiche tun, ist es nicht das gleiche – dieser Satz gilt auch bei Nachrichten. Millionen von Menschen nehmen Anteil an seinem Schicksal und möchten wissen, wie es ihm geht… Er gehört in eine Kategorie populärer Persönlichkeiten, die eine umfangreiche Berichterstattung rechtfertigt, ohne dass wir damit Tagesschau-Grundsätze aufgeben“

2. Nachrichtenarme Zeit:

„In diesen eher nachrichtenschwachen Tagen würden wir unsere Sendungen krampfhaft mit sogenannten B-Themen füllen.“

3. Keine Mutmaßungen, keine Gerüchte:

„Zu einer gewissenhaften und verantwortungsbewussten Berichterstattung gehört auch die Präsenz vor Ort… Dabei haben wir peinlich genau darauf geachtet, dass wir uns aus Mutmaßungen, Spekulationen, vor allem aber aus Gerüchten und Dramatisierungen heraushalten.“

4. Nur Neuigkeiten, keine Themen-Kampagne

„Wenn wenn die Tagesschau keine Meldung macht, ahnen die Leute wohl, dass es nichts Neues gibt. Wir greifen das Thema also wieder auf, wenn es eine neue Information gibt.“

KOMMENTARE auf Facebook (5. Januar 2014)

Martin K. Burghartz

Wann ist eine Nachricht wichtig? Wenn es genug PR-Agenturen mit Millionenetats gelungen ist, die wenigen Nachrichtenagenturen derart gleichmäßig mit Informationen zu impfen, dass (deutsche) Journalisten das für die Wahrheit halten und darüber berichten und das Geschehen kommentieren. Beispiele sind die Berichterstattung über USA, Syrien, Iran, Israel,… Staatsräson? Dummheit? Zeitnot? Diese Diskussion vermisse ich im „Handbuch“, die Berichterstattung der Tagesschau über Schumacher ist da eher eine Randnotiz…

Paul-Josef Raue

Das ist mir zu viel Weltverschwörung. Welche PR-Agentur hat Snowden engagiert? Warum sterben Reporter in Syrien und Afghanistan? Warum kann jeder Journalist ungehindert nach Israel reisen und auch ins Westjordanland, nach Ramallah?

In der Tat sind PR-Agenturen ein großes Problem, davon handelt im „Handbuch“ auch das Kapitel 20 „Waschzettel und Verlautbarungen“, das in der nächsten Auflage noch schärfer formuliert werden muss – weil gerade im Netz, in den Blogs und Internet-Zeitungen die Trennung von PR und Redaktion noch weniger beachtet wird, ja die Nichtachtung bisweilen die geschäftliche Grundlage ist.

Zudem gibt es im „Handbuch“ ein eigenes PR-Kapitel mit einem Zitat von Klaus Kocks: „Wir sind der Parasit einer freien Presse, wir haben kein Interesse daran, dass das Wirtstier derart schwächelt.“

Und wie beginnt das „Handbuch“? Mit Kapiteln über den guten Journalisten, der Rückgrat haben soll, um den „vielfältigen Versuchungen und Pressionen zu widerstehen, die auf ihn eindringen“ usw.

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Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?

Geschrieben am 21. Dezember 2013 von Paul-Josef Raue.

„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.

Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.

Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.

Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?

Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.

Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.

Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.

Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch

Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?

Überall wird gescannt und durchleuchtet – bis auf einen, einen allerletzten Ort: Nordkorea. Marcel Reif war dort

Geschrieben am 24. November 2013 von Paul-Josef Raue.

TV-Sport-Kommentator Marcel Reif war drei Tage in Nordkorea, um Sportjournalisten zu lehren, wie man ein Fußballspiel kommentiert. Fünf Stunden lang spricht er über Emotionen, ohne die eine Reportage nicht gelingen kann – und die Nordkoreaner wollen noch mehr hören, über Emotionen.

Das erzählt Reif dem SZ-Reporter Holger Reitz, der aus dem Gespräch eine empfehlenswerte „Seite Drei“ in der Süddeutschen geschrieben hat: Wenn der Reporter nicht selber nach Nordkorea fahren kann, schreibt er lieber ein Stück von einem, der dort war, als gar nichts. Auch eine Form der Reportage: Ein Reporter erzählt einem anderen Reporter.

Der Reporter, der für die „Seite Drei“ schreibt, schreibt auch über das Gespräch, über seine Strategie, wie aus den Erzählungen eines anderen eine eigene Reportage wird. Er steigt ein mit der Herbstsonne am Zürichsee, ein paar hundert Zeilen später – das Stück füllt wirklich eine komplette Seite – schreien die Möwen am See: Es ist wie im Volontärskurs, Atmosphäre bitte, Sonne und Möwen gehen immer.

Das merkt auch der gestandene Reporter: In der Süddeutschen, weil Qualitätszeitung, geht das eigentlich nicht – es sei denn, ich habe einen guten Grund. Den gibt der Rückkehrer aus Nordkorea: Es ist der Kontrast.

Reif am See sagt: „Sprache. Wir sitzen hier, reden, tauschen Flapsigkeiten aus. Über Möwen. Derlei. Geht in Nordkorea alles nicht. Gibt es nicht. Auch mit denen, die Deutsch können: nicht. Es gibt nichts Ironisches. Nichts.

Du hast natürlich tausend Fragen. Aber du überlegst sofort, in welche Schwierigkeiten du denjenigen bringst, dem du sie stellst. Und dann stellst du sie eben nicht mehr. Du schützt die anderen vor deiner eigenen Neugier, indem du schweigst. Und irgendwann hast du dann gelernt, dass du auf 1000 Fragen auch nur 1001 Ausflüchte hören würdest.“

So wird aus dem Schweigen eine Reportage, nachher, aus zweiter Hand.

„Tor in Pjöngjang“ ist auch eine lustige Reportage: Marcel Reif sitzt in einem riesigen Stadion, gefüllt mit fünfhundert Zuschauern, und schaut einem Spiel zu – Weiß gegen Blau. Er will wissen, auf welchem Tabellenplatz die Mannschaften stehen. Keiner antwortet.

„Noch mal, meine Frage war: Wer spielt da? Sicher kann jede Information gegen Nordkorea verwendet werden, aber in dem Fall war ich sicher, mit meiner Frage nicht in den staatsgefährdenden Bereich vorgedrungen zu sein.“ Die Frage löst Schnappatmung aus bei Journalisten, Aufpassern, Übersetzern. Bis der Mann im Trainingsanzug herangewunken wird. Information: Dritter gegen Vierten…

Abermals Schnappatmung bei Aufpassern und Begleitern.

Dann bittet Reif darum, zu den Zuschauern auf der anderen Seite wechseln zu dürfen. Keine Schnappatmung mehr, erzählt Reif.

„Da war Panik. Bis einer wirklich sagte: Nein, das geht nicht, das sind Fans, da weiß man nicht, was passiert.“ Ist es nicht erstaunlich, dass es in einer Welt, in der alles gescannt und durchleuchtet wird, noch einen allerletzten Ort gibt, den man nicht durchblickt? Nordkorea.

Ohne Bilder läuft wenig im Internet (dpa-Kundenkonferenz 2)

Geschrieben am 13. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Offenbar sind Bilder, starr und bewegt, Grafiken und Illustrationen im Netz noch wichtiger als in der gedruckten Zeitung: Wer Informationen anbietet, hat wenig Chancen, gelesen zu werden, wenn er nicht ein Bild dazu stellt. Da es zu aktuellen Nachrichten oft noch keine Bilder gibt, überlegt die dpa, den Online-Redaktionen Symbol-Bilder und Illustrationen anzubieten – also das Blaulicht auf dem Polizeiwagen-Dach, im Winter auch mit Schnee-Haube, oder die Waage zu einem Gerichtsbericht. Fünf Foto-Kategorien entstehen: Das aktuelle Bild, das Symbol-Bild, die Illustration, das Archiv-Bild und das geplante Bild.

Zudem war auf der dpa-Ost-Kundenkonferenz in Berlin zu erfahren, dass die Agentur „Video-Schnippsel“ plant, also kurze Nachrichtenfilme, die zur schnellen Information auf dem Smartphone taugen. Das werde kein Fernsehen sein, sagte Roland Freund aus der dpa-Chefredaktion, sondern ein Format, das genau aufs Handy zugeschnitten ist, ein Anreger eben.

Unter den Schnipseln wird auch nur selten eine Politiker Pressekonferenz zu finden sein. Solche Filme haben nur geringe Klick-Quoten. Was dagegen auf dem Smartphone läuft: Blaulicht, Tiere und Promis – eben ein Hauch von Boulevard, seriös präsentiert.

Was die „dpa“ plant: Die Zukunft ist online und interaktiv (Kundenkonferenz 1)

Geschrieben am 13. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Roland Freund, Inlands-Chef der dpa, von den Plänen der Agentur spricht, dann fallen Stichworte wie diese: Social-Media-Radar, interaktiver und multimedialer Live-Ticker oder Video-Schnipsel. Wie kann die Nachrichtenagentur den Redaktionen helfen, online mit den Lesern zu verkehren? Die Antwort auf diese Frage stand im Zentrum der Kundenkonferenz des Landesbüros Ost.

Ein typisches Beispiel ist „Scribble Live“, ein Live-Blog, angeboten von einer kanadischen Firma, die mit dem Slogan wirbt: „Real Stories. Real Time“. Die dpa liefert einen Live-Ticker, beispielsweise an einem Wahlabend, und die Zeitung kann ihre eigenen Beiträge einschieben, Texte, Bilder und kleine Filme – und sie kann ihre Leser zu Kommentaren und eigenen Text- und Fotobeiträgen auffordern, die ebenfalls in dem Blog erscheinen. Erfreulich für die Clickzähler in den Verlagen ist: Jeder Teil dieser Seite, jeder Frame, zählt.

Offenbar nimmt dpa auch selber den Dialog ernst – mit ihren Kunden. Schon im Versuchs-Stadium ist die „dpa-community“, eine Plattform zum Austausch von Geschichten und Bildern. Entweder nutzen Redaktionen die Datenbank in einer geschlossenen Gruppe, beispielsweise in einer Redaktions-Gemeinschaft, oder gründen eine Art Genossenschaft, um Artikel und Fotos anderen anzubieten und von anderen zu nutzen.

Mit dem „Social-Media-Radar“ will die Agentur Redakteuren helfen, im Irrgarten von Twitter, Facebook und anderen die entscheidenden Wege und den wichtigen Inhalt zu finden – für die Recherche, die Planung des Inhalts und den Kontakt zu den Lesern. Wo finde ich was? – ist eine der entscheidenden Fragen für Redakteure, die soziale Medien nutzen wollen.

Auf den Nägeln brennen den Redakteuren aber weniger Live-Ticker und Social-Media-Werkzeugkasten als die Mühen der Redaktions-Ebene: Bekomme ich ausreichend Meldungen für meine Regionalseite? Kann die Agentur nicht möglichst viele Termine besetzen? Sollte die Agentur nicht alle Quellen in der Region sichten und auswerten? Diese Themen bestimmten die Diskussion bei der Kundenkonferenz, zu der Jutta Steinhoff, die Landesbüroleiterin Ost, nach Berlin eingeladen hatte.

Die Probleme sind überall ähnlich: Weniger Redakteure – in den Zeitungsredaktionen, aber auch in der Agentur. Gleichwohl verlangen die Leser eine hohe, sogar eine immer höhere Qualität. Und die Leser, wenn sie als Redakteure Agenturkunden sind, verhalten sich ähnlich: Bringt mehr! Und bringt es besser!

„Lexikon des Grauens“: Stuckrad-Barre entdeckt die Sondersprache von Politiker und Politikjournalisten

Geschrieben am 4. November 2013 von Paul-Josef Raue.

Was Benjamin von Stuckrad-Barre die „furchterregende politische Sondersprache“ nennt, ist meist nur schlechtes Deutsch. Einige Beispiele aus seinem Lexikon, das die Welt-am-Sonntag online anbietet und in Auszügen in der Zeitung (3. November 2013) stand:

> angriffslustig hinterm Rednerpult tänzeln

> Aus welchem Topf das bezahlt werden soll, ist noch offen

> Balsam für die geschundene Parteiseele

> Das Urteil der Karlsruher Richter kommt einer Ohrfeige gleich

> frisches Geld / Geld in die Hand nehmen / Geld in die Kassen spülen

> Front machen

> Geburtsfehler des Euro

> Geschlossenheit demonstrieren

> Gesprächsbedarf

> handfeste Gründe

> ergebnisoffen

> nachhaken / nachbessern

> quecksilbriger Politikstil der Kanzlerin

> rumeiern

> schrillende Alarmglocke

> umgarnen

> zielführend

Und alles mit „im“ und „in“:

> im Alleingang / im Aufwind befindlich / im Bundesrat durchwinken / im Hintergrund die Fäden ziehen / im kleinen Kreis / im politischen Berlin ein Beben auslösen / im Portemonnaie spüren / im Rest der Republik / im Vorfeld klare Zielvorgaben abstecken /
im Zustimmungstief verharren / in aller Deutlichkeit / in aller Ruhe prüfen / in den Senkel stellen / in der Sache keinen Millimeter von der Position abrücken / in die Schranken weisen / in puncto Strompreisbremse / in Sachen Klimapolitik

Und alles mit „mit“:
> mit aller Entschiedenheit zurückweisen / mit Augenmaß / mit Blick auf die kommende Landtagswahl/den EU-Gipfel in Brüssel/die jüngsten Umfragewerte / mit einer Ansicht nicht/ziemlich allein dastehen / mit heißer Nadel gestrickt / mit im Boot sein / mit leeren Händen dastehen / mit Murren/grummelnd zur Kenntnis nehmen / mit Nachdruck / mit stolzgeschwellter Brust

„Zuhören mag da niemand mehr, deshalb gilt ab sofort ein Verbot für die Begriffe und Formeln“, bestimmt Stuckrad-Barre. Da müssen wohl die meisten Pressemitteilungen und Artikel ungeschrieben bleiben. Und die Zeitungen werden dünner.

PR als Nachricht: Das Geschäftsmodell von Online-Zeitungen wie Huffington Post

Geschrieben am 24. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Stefan Niggemeier entdeckt bei der Huffington Post, deren deutsche Ausgabe zu Burda gehört, Pressemitteilungen von Burda, die „als normale Nachrichten“ verkauft werden. Das ist die Geschäftsidee von einigen Online-Zeitungen: Ich verwische die Grenze zwischen PR und Journalismus und lasse mich zweimal bezahlen – zuerst von meinem PR-Auftraggeber und dann vom Online-Nutzer.

Diese Praxis verstößt gegen den Pressekodex. Aber wer beschwert sich schon über Online-Zeitungen beim Presserat? Gehen wir schon davon aus, dass es normal ist in dem Sinne: Womit sollen die Onliner sonst ihr Geld verdienen?

Zumindest können sie PR als PR kennzeichnen.

Niggemeiers Quellen: Pressemitteilung von Burda
http://t.co/83xUhFSP4s

@HuffPostDE:
http://http://t.co/R2E1jr1ssk

DEBATTE

Joachim Widmann
weist zu Recht in Facebook darauf hin, dass die Glaubwürdigkeit ruiniert wird, wenn die „Tranzparenzhinweise“ nicht zu lesen sind. Er weist zudem darauf hin, dass auch die klassischen Zeitungen „in eigener Sache oder bei guten Freunden und Kunden nicht gerade zimperlich sind“.

Er berichtet von Redakteuren, die Pressemitteilungen übernehmen und mit eigenem Kürzel veröffentlichen. So sei es einseitig, das Problem nur online zu sehen.

Meine Antwort:
Okay und Dank für den Hinweis – dies ist die berühmte Sache mit dem Glashaus. In der Tat drucken zu viele Redaktionen Pressemitteilungen ohne Not ab, ohne Quellenangabe – und sie tun es meist ohne Druck von oben. Denn zumindest die Quelle kann jeder nennen: Wer will das verbieten? – Bei den lokalen Online-Zeitungen geschieht die PR-Veröffentlichung nicht selten aus der Not heraus, zu überleben. Und da ist die große Huffington Post, die in einem Konzern erscheint, einfach ein schlechtes Vorbild.

Ministerpräsidentin lobt Anzeigenblätter

Geschrieben am 12. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

„Anzeigenblätter sind schlichtweg besser als ihr Ruf“, sagt Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und reagiert auf Dieter Golombek, dem Jury-Chef des „Deutschen Lokaljournalistenpreises“. Dieser antwortete in einem Interview auf die Frage „Gibt es einen Trend im aktuellen Lokaljournalismus?“:

Die Guten werden immer besser. Die weniger Guten geraten immer mehr in die Gefahr, sich auf das Niveau von Anzeigenblättern hinzubewegen.

Zu lesen war das Interview in der Thüringer Allgemeine und in diesem Blog.

Ministerpräsidentin Lieberknecht spricht auf der BVDA-Tagung in Erfurt über die Bedeutung der Anzeigenblätter und lobt im Textintern-Interview:

Zwischen viel bunter Werbung finden sich viele lesenswerte und interessante Beiträge. Anzeigenblätter nehmen zudem in ganz besonderer Weise Ereignisse aus der Heimat in den Blick. Zudem haben Anzeigenblätter eine wichtige soziale Komponente. Denn viele Bürgerinnen und Bürger müssen bei ihren täglichen Einkäufen auf jeden Euro achten.

Lieberknecht geht in dem Interview auch auf die „Dominanz der Funke Gruppe in Thüringen“ ein und antwortet auf die Frage, ob es Probleme für die Pressevielfalt gebe:

Anbietervielfalt ist keine Garantie für Inhalte- und Meinungsvielfalt. Es ist Sache der Verlage, wie sie sich redaktionell aufstellen. Durch die Entwicklung des Online-Bereichs ist dem herkömmlichen Zeitungswesen eine Konkurrenz entstanden, die zu Umbrüchen in der Zeitungslandschaft geführt hat und noch weiter führen wird.

** FACEBOOK-Debatte

Anton Sahlender

… sie wird wissen, wo ihre Pressemitteilungen 1:1 abgedruckt werden…

Hardy ProthmannV: Seine Facebook-Kommentare entfernt nach Intervention („unerlaubt“)

Paul-Josef Raue

Verehrter Herr Prothmann, das ist mir ein wenig zu wirr. Die „kritische Einordnung“ ist mir recht oberlehrerhaft: Die Leser meines Blogs können einordnen, ich muss ihnen das nicht einordnen.

Ich wollte festhalten, dass sich eine Ministerpräsidentin von einem Interview distanziert, in dem davor gewarnt wird, dass Lokalteile aufs Niveau von Anzeigenblättern sinken. Die Ministerpräsidentin kam nicht zum Festakt zur Verleihung des Deutschen Lokaljournalistenpreises, obwohl er in Thüringen auf der Wartburg stattfand; aber sie geht zum Treffen der Anzeigenblätter und lobt sie. Da kann man sich schon einen Reim drauf machen. –

Und „Hauptsache Print“, der Kampf gegen das Papier ist mir zu einfältig: Gegen wen oder was kämpfen Sie da eigentlich unentwegt? Und wann haben Sie den Kampf gewonnen? Aber: Sie loben einige Anzeigenblätter, die deutlich besser sind als die Tagespresse. Aber die werden doch auch auf Papier gedruckt – oder?

Und zuletzt: Genau darum geht es in dem Interview, auf das die Ministerpräsidentin reagiert: Es gibt zu viele Lokalteile, die sich dem Niveau von Anzeigenblättern nähern. Da haben Sie dann Ihre kritische Einordnung.

Stefan Hans Kläsener

mein kleines nachtgebet: möge der herr hirn regnen lassen, damit politiker von format endlich erkennen, dass ihr eigenes geschäft am ende auch leidet, wenn sie keinen niveauvollen counterpart mehr haben. wo immer es den noch gibt, funktioniert auch die politik deutlich besser, und die strippenzieher haben es schwerer.

Paul-Josef Raue

Ich schließe in mein Nachtgebet auch die Journalisten von Format ein.

Wie PR die Nachrichten erobert: Die Huffington Post nun auch deutsch

Geschrieben am 11. Oktober 2013 von Paul-Josef Raue.

Ein PR-Berater kommt zur Huffington Post, um die Pressemitteilungen loszuwerden, die seriöse Tageszeitungen nicht drucken, schreibt die FAZ nach der Pressekonferenz zum Start der deutschen Huffington Post. Weiter lesen wir: „Dass viele von den Bloggern Geld von Firmen bekommen, deren Werbebotschaften sie verbreiten, ist leicht zu erahnen.

In dem Internet-Anzeigenblatt Huffington Post, in der 15 Redakteure bezahlt arbeiten, kann jeder schreiben unter der Bedingung, dass er kein Honorar bekommt. Ziel der Burda-Tochter, die in Deutschland drei Millionen investieren will, ist es, die Huffington Post zu den drei bis fünf größten Nachrichten-Portalen aufsteigen zu lassen. Wie gesagt: Nachrichten-Portal, nicht PR-Portal. Frau von der Leyen schreibt auch.

Quelle: FAZ 11.10.2013

„Ihr habt nur den großen Mund!“ – Wie eine Retterin auf eine Facebook-Diskussion reagiert

Geschrieben am 29. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Bei einem Auto-Unfall kommt in einer Nacht eine Familie ums Leben, nur das Kind überlebt, aber ringt mit dem Tod. Auf die Online-Meldung der Thüringer Allgemeine und der Facebook-Debatte zur Schuld antwortet eine Helferin auch auf Facebook. Es ist einfach ein bewegendes Dokument (leicht gekürzt und redigiert):

Mein Beileid an die Familie und meinen Kameraden aus Gräfentonna und umliegenden Orten, viel Kraft zum Verarbeiten des Ganzen. Da denkt auch immer keiner von den Schimpfern hier dran, dass sowas Schreckliches nicht nur die direkt am Unfall beteiligten Personen betrifft, sondern auch die Retter.

Ihr habt das ja zum Glück noch nie erlebt, wie sich das anfühlt, wenn man an sone Einsatzstelle kommt und so ein Massaker sieht. Wenn man betet, dass die Leute da drin noch halbwegs ganz sind.

Ihr habt noch nie die Schreie gehört, bei denen ihr denkt, es ist ein Kind. Ihr sucht verzweifelt nach nem Kind – und der, der schreit, ist ein erwachsener Mann. Ihr habt noch nie die zertrümmerten Gesichter von den Unfallopfern gesehen und später erfahren, dass ihr den kennt.

Ihr kennt nicht das Geräusch, wenn man mit schwerem Gerät ein völlig zerstörtes Auto so schnell wie möglich aufzuschneiden versucht, um die Leute, die alle Hoffnung in einen setzen, da raus zu holen. Ihr kennt nicht die Frustration, wenn sie es dann doch nicht schaffen.

Ihr habt nur den großen Mund. Ihr solltet mal dabei sein. Da ist euch das völlig egal, ob und wer Schuld hat. Und die Jungs und Mädels machen das freiwillig. Für nichts! Einfach so! Weil sie Menschen sind.

Die Meldung zu dem Unfall in der TA

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