Alle Artikel der Rubrik "Friedhof der Wörter"

Wie viele Leser verstehen „Leasing“ in der Überschrift?

Geschrieben am 16. September 2013 von Paul-Josef Raue.

„Leasing“ steht in der Überschrift auf der Wirtschaftsseite. „Das Wort verstehen viele Leser nicht“, sagt der Chefredakteur in der Abendrunde.

„Das kennt doch mittlerweile jeder“, erwidert der Wirtschaftschef.

„Aber Leasing ist doch nur etwas für Manager mit Dienstwagen, der normale Mensch holt sich einen Kredit“, lässt der Chefredakteur nicht locker.

„Nein, nein“, stöhnt der Wirtschaftschef und legt sein Gesicht ob solch großer Weltfremdheit in Falten, „Leasing ist auch unter Privatkunden schon das Normale.“ Also – bleibt Leasing in der Überschrift stehen.

Redaktionen machen Zeitungen für ihre Kunden, ihre Leser: Sie sollen und müssen alles verstehen. Auto-Konzerne verkaufen Autos an ihre Kunden: Sie sollen und müssen alles verstehen.

„Allein der Name Leasing schrecke viele bislang doch ab“, sagt Anthony Bandmann, Sprecher der Volkswagen-Bank, heute in der Welt (16. September); zudem sei Leasing für Privatleute eher ein Nischenthema.

Via Facebook:

Sebastian Lange hat geschrieben:

Ja, man könnte auch Mietkauf sagen. Doch ob man es goutiert (!) oder nicht: Manche fremdsprachigen Begriffe haben nun einmal Einzug in den deutschen Sprachgebrauch gefunden. Beim Leasing sind die Aufnahme in den Duden und das BGB Indizien dafür. Und ich werde auch künftig Jeans und T-Shirt ablegen, nur die Schwimmshorts anbehalten und vorher noch schnell das Smartphone beiseitelegen, bevor ich in den Swimmingpool springe.

Ok, ich würde definitiv auch ins Schwimmbecken springen und die Badehose anziehen, aber nicht die Baumwollhose und das Baumwoll-Leibchen ablegen. Und mein Multifunktions-Mobiltelefon beiseitelegen? Ich weiß nicht. Weil das Bemühen, verständlich zu schreiben, aber wirklich wichtig ist, und weil Sie es sind, lieber Herr Raue, kommt hier noch ein „Lächelgesichtchen“: 🙂

Rekord – Der längste Satz im Wahlprogramm hat 71 Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 15. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Selbst die Linken können den FAZ-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier nicht schlagen: Der brachte in einem Satz 208 Wörter unter und seine Leser zur Verzweiflung (siehe Blogbeitrag). Das ist Jahresrekord!

Die Linke schafft allerdings den Satzlängen-Rekord in den Wahlprogrammen der Parteien: 71 Wörter.

Zur Ehrenrettung der Partei muss ich einräumen: Der Satz enthält eine lange Aufzählung, klar gegliedert und gut verständlich (siehe unten). Er zeigt, dass die schiere Länge noch nichts über die Verständlichkeit aussagt; schwierig wird es erst, wenn der Satz lang und verschachtelt ist – wie bei der FDP.

Die Liberalen schaffen mit 68 Wörtern den zweiten Platz, aber den ersten Platz in der Unverständlichkeit. Sie beginnt – und das ist ein Kunststück – gleich mit zwei Nebensätzen:

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

Betätigen Sie sich einfach mal als Satz-Pathologe: Wo ist der Hauptsatz?

Auf dem letzten Platz finden wir die CDU. Auch deren 42-Wörter-Satz ist kein Beispiel für guten Stil:

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

Ein Nebensatz ist ein Nebensatz, weil er eine Nebensache enthält. Ein Hauptsatz ist ein Hauptsatz, weil er die Hauptsache enthält. Ein 2-Wörter-Hauptsatz „Wir wollen“ und ein 40-Wörter-Nebensatz sind schlicht ein Unsinn.

Claudia Thoms ist Kommunikations-Wissenschaftlerin an der Universität Hohenheim. Sie hat, zusammen mit Professor Frank Brettschneider, die Wahlprogramme untersucht und weiß, wie sie formuliert sein sollten:

Zu lange Sätze erschweren das Verständnis – vor allem für Wenig-Leser. Sätze sollten möglichst nur jeweils eine Information vermitteln.

Auf den Wahlplakaten gelingt es ja.

PS. Gestern war der Tag der deutschen Sprache (immer am zweiten Samstag im September). Wer hat’s gemerkt? Wer hat ihn gefeiert?

Die längsten Sätze im Wortlaut:
1. Die Linke – 71 Wörter

Einführung des Mindestlohns von 10 Euro die Stunde, Zurückdrängen von Leiharbeit, Befristungen und Minijobs, Erhöhung der Renten, Rücknahme der Rente erst ab 67 Jahren, Lohn- und Rentengerechtigkeit in Ostdeutschland, solidarische Gesundheitsversicherung, Vermögenssteuer, Abschaffung der Hartz-IV-Sanktionen und Anhebung der Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro, Abzug aus Afghanistan und Beendigung aller Auslandseinsätze der Bundeswehr, Verbot von Waffenexporten – das sind Entscheidungen, die eine neue Regierung sofort treffen könnte, das sind unsere Sofortforderungen für einen Politikwechsel.

2. Die FDP – 68 Wörter

Um zu verhindern, dass sich Monopole oder Kartelle über den Umweg des Tarifrechts bilden, soll in Zukunft das Bundeskartellamt in jedem Verfahren zu Allgemeinverbindlichkeitserklärungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und Verfahren nach dem Mindestarbeitsbedingungengesetz eine Stellungnahme abgeben, die in besonderem Maß berücksichtigt, ob durch einen für allgemeinverbindlich zu erklärenden Tarifvertrag in den Wettbewerb zugunsten eines marktbestimmenden Unternehmens eingegriffen wird, wie das am Beispiel der Deutschen Post AG der Fall war.

3. SPD 62 Wörter

Dafür bedarf es der Überwindung von Ungleichheiten in den Gesellschaften und der Schaffung von guter Arbeit, die sich an der Decent Work Agenda der ILO orientiert, der Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, der Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme im Sinne eines Basisschutzes nach dem Konzept des Social Protection Floors der UN und der ILO sowie der Gleichstellung von Männern und Frauen.

4. Grüne – 59 Wörter

In einer notwendigen Diskussion um die Neuregelung des Länderfinanzausgleichs müssen die Fragen eigener Einnahmequellen für die Länder, die Neuordnung des Finanzausgleichs, Probleme der Konnexität und der Weiterleitung von Finanzmitteln zwischen den Ebenen, Altschuldenhilfe auch für überschuldete Kommunen und einer kommunalen Mindestausstattung gerade vor dem Hintergrund der Schuldenbremse baldmöglichst in einer weiteren Föderalismuskommission zwischen Bund, Ländern und Kommunen geklärt werden.


5. Piratenpartei – 51 Wörter

Die Piratenpartei wird – in Zusammenarbeit mit dem weltweiten Netzwerk an Piratenparteien und allen anderen Parteien und Organisationen, die gleiche oder ähnliche Vorstellungen haben – die Verhandlung und den Abschluss eines internationalen Vertrages – des „International Liberty Agreement (ILA)“ – initiieren, der Mindeststandards für bürgerliche Freiheiten, insbesondere aber nicht ausschließlich in digitalen Netzen, verbindlich festlegt.


6. CDU – 42 Wörter

Wir wollen, dass unsere Kinder mit Blick auf die großen Chancen der Digitalisierung für das spätere Arbeitsleben bereits in der Schule einen verantwortlichen und sinnvollen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten erlernen und ihnen zugleich neue, interessante Wege der Wissensvermittlung eröffnet werden.

Liquiditätsanforderungen – Wortungetüme in Wahlprogrammen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 8. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 8. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Die Parteiprogramme sind schwer verständlich, zum Teil unverständlich – so urteilen die Forscher der Universität Hohenheim. Ging es in der vergangenen Kolumne um Wortungetüme bis zu 47 Zeichen, stehen heute die Fremd- und Fachwörter am Pranger.

Die CDU mag Anglizismen wie „Sharing Economy“, aber auch schwer verständliche Fachwörter wie „Reservekapazitäten“. Fachleute mögen die Wörter verstehen, aber der normale Wähler kapituliert – und weigert sich, im Programm weiterzulesen.

Die FDP plagt ihre Wähler mir „Liquiditätsanforderungen“ und „Evaluation“.

Die SPD jagt sie in die „Deindustrialisierung“, den „Ressourcenverbrauch“ und die „Innovationstätigkeit“.

Die Grünen mögen auch den „Ressourcenverbrauch“ wie der gewünschte Koalitionspartner, aber bieten auch den „Wohlstandsindikator“ und „Klientelinteressen“ an.

Die Linke setzt aufs „Profiling“, die „Substitionstherapie“ und „Private-Equity-Gesellschaften“.

Die Piraten treiben es am heftigsten und umarmen englische Wörter, als hätten all ihre Wähler mindestens ein paar Semester in Oxford verbracht: „Fissile Material Cutoff Treaty“, „Comprehensive Test Ban Treaty“ und kurz, aber unverständlich: „Plenen“.

Die Parteien haben sich viel Arbeit gemacht, aber sie erreichen ihre Wähler mit solchen Wörtern nicht. Warum nur, warum beherzigen sie nicht, was die CDU in einem „Leitfaden für gute Sprache im Wahlkampf“ ihren Kandidaten auf den Weg gibt: „Sprechen Sie einfach, bildhaft, emotional.“ Na bitte!

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter für den 9. September

Wer hat das längste Wort im Wahlprogramm? Mehr als 42 Buchstaben? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 1. September 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. September 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Findet jemand ein längeres Wort in den Wahlprogrammen? Die Grünen setzen ihren Lesern das „Bundes-Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz“ mit 42 Zeichen vor – ein schwer zu brechender Rekord in einem Rekord-Programm, das doppelt so dick wie bei den anderen Parteien, aber nicht mehr so gut geschrieben wie vor vier Jahren.

Dabei beschweren sich Politiker im Wahlkampf gern über die Medien: Ihr macht den Bürgern nicht klar, was wir wollen! Aber gelänge das besser mit Wortungetümen, die offenbar die Parteien schätzen?

Schauen wir in die Wahlprogramme der Parteien: Sind die Politiker verständlicher? Klarer? Nein, sagen die Verständlichkeits-Forscher der Universität Hohenheim, die sich durch Hunderte von Seiten gelesen haben.

Schauen wir auf die langen Wörter: Je kürzer ein Wort, desto einprägsamer und verständlicher ist es. Lange Wörter müssen, vor allem beim schnellen Lesen, mühsam auseinander genommen werden; oft resigniert ein Leser und verlässt den Text – zum Schaden der Politiker, die mit ihren Botschaften nicht an den Wähler kommen.
Die Grünen scheinen unschlagbar. Wie bemühen sich die anderen Parteien um den Buchstaben-Rekord?

>Die Linke kommt auf 26 Buchstaben:
Hochwasserrückhalteflächen

> Die SPD kommt auf 32 Zeichen, wobei man schon streiten kann, ob gekuppelte Wörter nicht einzeln zu zählen sind:
Patchwork- oder Regenbogenfamilien

>Die CDU hält ihren Rekord mit 34 Zeichen
Öffentlich-Private-Partnerschaften

>Die Piraten legen das am schwersten verständliche Programm vor und kommen beim Wort-Rekord auf 37 Zeichen:
EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie

>Die FDP ist zwar schmächtig im Wahlergebnis, aber rekordverdächtig mit einem 38-Buchstaben-Wort:
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

Der Wort-Rekord im aktuellen Duden liegt gerade mal bei 37 Zeichen: „Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung“ gefolgt von der „Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft“ mit 35 Zeichen. Da haben FDP und Grüne ja große Chancen, zumindest den Sprung in den Duden zu schaffen.

Thüringer Allgemeine 2. September 2013

Manfred Günther per Faceb ook:

Ein weiteres Beispiel: Für wen oder was werden eigentlich Wahlprogramme gemacht?
Für Wähler und als Entscheidungshilfen anscheinend nicht!
An dieser Stelle ein Rat von Ernst Ferstl – Jahrgang 1955, Lehrer, Dichter und Aphoristiker – an die Schreiberlinge solcher Programme: „Wer weiß, welche Rolle er im Leben anderer spielt, braucht ihnen nichts mehr vorzuspielen.“

Die Unlogik der Sprache und die Untiefen der Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 24. August 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Ich bin ein Betriebswirt und kenne den Fachbegriff Unkosten nicht“, schreibt ein Leser verärgert, als er in seiner „Qualitätszeitung“ gelesen hatte: „In Unkosten stürzen sich Studenten für die eigentlich teure Technik.“

Nur weil umgangssprachlich dieser betriebswirtschaftlich unsinnige Begriff genutzt wird, muss der nicht in der Zeitung stehen. Was kommt als nächstes?

Ich schlag gern bei Goethe nach, wie er mit den Wörtern hantierte. Er schrieb in seinen frühen Tagebüchern:

Es fiel mir dabei die königliche Grille Ludwigs des Großen ein, der so viel Unkosten verschwendete, um eine Wüste zum Paradies umzuschaffen.

Offenbar sind die „Unkosten“ keine Liederlichkeit unserer Tage. Die Brüder Grimm listen in ihrem Wörterbuch die „Unkosten“ schon in Rechnungen aus dem 14. Jahrhundert auf und in einer Mainzer Chronik aus dem 15. Jahrhundert.

Unsere Sprache ist eben bisweilen unlogisch und – vor allem bei Verneinungen – komplett verrückt: Die Schwester der „Unkosten“ ist die „Untiefe“: Sie kann Gegensätzliches bezeichnen, eine besonders seichte wie eine besonders tiefe Stelle im Meer.

Fürst Pückler, der Gartenkünstler aus der Lausitz, schrieb vor knapp zweihundert Jahren in einem Brief:

Wer die Flut nutzt, erreicht den Hafen des Glücks, und wer sie vorüberlässt, dessen ganze Lebensreise geht durch Untiefen und Elend.

Eigentlich bedeutet die Vorsilbe „un“ eine Verneinung: Eine Untiefe ist das Gegenteil der Tiefe; die Unkosten das Gegenteil von Kosten; die Unmenge das Gegenteil der Menge.

Aber „un“ kann auch bekräftigen – wie bei den Unkosten: Sie bezeichnen nichts Kostenloses, sondern besonders hohe oder nicht geplante Kosten. Es ist also ein Kreuz mit der Verneinung und der Sprache – aber dies schon seit einigen Jahrhunderten.

Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 26. August 2013

Sprachkritik im Stadion: Ich verwarne Ihnen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 18. August 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 18. August 2013 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Jungen Männern in kurzen Hosen, die einen Ball treten und Millionen verdienen, wird oft geringe Intelligenz nachgesagt. Der Mehrheit von Ihnen zu bescheinigen, sie beherrschten die deutsche Sprache, wäre ein gewagtes Unternehmen.

Wer sich Interviews nach Bundesliga-Spielen anschaut, den überfällt nicht selten ein Frösteln ob der Sprachgewalt. Hören wir mehr als ein Dutzend Floskeln und Wörter? Das ist jedenfalls eine nur schwer zu widerlegende Behauptung.

Dabei sind die ausgeruhten Journalisten mit ihren Fragen ebenso wortkarg wie die verschwitzten Jünglinge, die immerhin 94 Minuten lang rauf und runter gelaufen sind (oder auch nicht). Nur selten blitzt bei Journalisten Originalität durch wie einst bei TV-Kommentator Heribert Fassbender:

„Es steht 1:1, aber genauso gut könnte es umgekehrt stehen.“

Es gibt auch Sprachwitz im Stadion. Allerdings muss man schon in die Frühzeit der Bundesliga tauchen. Da stürmte der Essener Spieler Lippens über den Rasen, den die Fans wegen seines watschelnden Laufstils „Ente“ nannten.

Auf die Frage, wie er Berti Vogts ausspielen konnte, sagte „Ente“: Dem habe ich Knoten in die Füße gedribbelt. Auf dem Platz machte er sich über den hart spielenden Verteidiger Vogts lustig und rief: „Hasso, fass!“

In die Geschichte der Fußball-Sprache ging „Ente“ Lippens ein, als ihm der Schiedsrichter zurief „Ich verwarne Ihnen“ – und er antwortete: „Ich danke Sie“. Der Schiedsrichter war sprachlos und stellte ihn vom Platz – übrigens nicht mit der stummen Roten Karte, sondern mit dem ausgestreckten Arm und dem Ausruf „Raus!“ So war es einst.

Thüringer Allgemeine 19. August 2013 (Kolumne Friedhof der Wörter)

Veggie gegen Hacktäschli (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 11. August 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 11. August 2013 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Der Burger hat nichts mit einer Burg gemein, ist die Abkürzung von Hamburger, der auch nichts mit der Hansestadt gemein hat, er ist ein Anglizismus und wird Börger ausgesprochen. Es gibt auch deutsche Wörter für den Hackfleisch-Kloß: Frikadelle, Bulette, Klops, Fleischpflanzerl, Hacktätschli und andere mehr.

Auch die Verächter des Burgers und des Fleischs im Generellen demonstrieren ihre Liebe zu den Anglizismen und nennen den Tag ohne Fleisch: „Veggieday“. Veggie ist das englische Wort für „Vegetarier“ oder für „vegetarisch“; „day“ ist der Tag.

Das deutsche Wort liegt also zum Greifen nahe: Vegetarischer Tag oder Fleischlos-Tag oder Ohne-Fleisch-Tag. Im Eichsfeld und anderen katholischen Enklaven könnte man auch zum „Fischtag“ greifen, weil nach altem Brauch am Freitag kein Fleisch, sondern Fisch auf den Tisch kommt.

Warum spricht die Thüringerin Katrin Göring-Eckardt dann vom „Veggieday“, die Kanzler-Kandidatin der Grünen? Es dürfte ein politischer Werbe-Trick sein: Wer anglizistisch spricht, möchte als modern gelten und weltläufig.

Und wer die deutsche Sprache mag, die Sprache Goethes und Luthers – was wird dem nachgesagt im Kreis der global Player?

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Kolumne der Thüringer Allgemeine 12. August 2013

Die verschwundenen Wörter: Der Buschklepper und der Schnatz (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 4. August 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. August 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

„Beziehentlich“ und „Füsillade“ sind zwei Wörter, die der Duden schon in aufnahm in seiner ersten Ausgabe vor 133 Jahren. Im neuen Duden beerdigt er sie – ebenso wie die Veteranen „vetterlich“ und „Dragonade“, die wir bereits in einem Blog verabschiedet hatten.

Um „beziehentlich“ ist es nicht schade. So schreiben Bürokraten: „beziehentlich des Urteils vom 1. Juli lege ich den Termin der Hinrichtung …“ Wir nennen Wörter wie „beziehentlich“ gerne „Papierdeutsch“ – ein treffender Begriff: So spricht kein Mensch, so schreibt nur ein Beamter, von staatswegen, auf Papier.

Das Verschwinden der „Füsillade“ ist eine Folge unserer Verfassung, in der die Todesstrafe verboten ist – für alle Zeiten. Die letzte Hinrichtung durch Erschießung fand in Deutschland vor 32 Jahren in Leipzig statt, als der Stasi-Hauptmann Werner Teske durch einen Genickschuss hingerichtet wurde.

Die Tat, also die Hinrichtung durch Erschießen, gibt es nicht mehr; das Wort verschwindet mit der Tat. Andere Wörter verschwinden aus dem Duden, weil es die Dinge nicht mehr gibt – wie die Diskkamera oder den „Schnatz“.

Der Schnatz ist geflochtenes Haar mit einem Krönchen, wie es in Hessen die Bräute und Brautjungfern trugen. In einem alten Buch von 1757 lesen wir:

Die Braut saß auf einem mit Tannenzweigen ausgeschmückten Wagen, sang und spann; um sie saßen etwa sechs Brautmädchen und sangen mit – alle im Schnatze, das ist: bloßköpfig mit Band und Rosmarien geziert, auch zween geflochtenen Haarzöpfen.“

Der goldene Schnatz taucht auch in den Harry-Potter-Romanen auf, zumindest in der deutschen Übersetzung: Ein kleiner Ball mit silbernen Flügeln. Aber auch die Potter-Romane haben den Schnatz nicht im Duden halten können: beerdigt!

Die meisten anderen Wörter, die der Duden beerdigt, rühren uns nicht: Adremieren und antedatieren, borgweise und halbschürig, Mistigkeit und Stickhusten, Telekrat und Traftenführer. Um den „Buschklepper“ trauere ich schon ein wenig: Ein schönes Spiel mit den Silben und Wörtern – das sich um einen Dieb dreht, der sich in den Büschen versteckt. Den wird es immer wieder geben – und sei es in der Politik.

Thüringer Allgemeine 5. August 2013

Zwei Wörter, die nach 133 Jahren aus dem Duden verschwinden (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 28. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.
3 Kommentare / Geschrieben am 28. Juli 2013 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Wissen Sie, was eine Dragonade ist? Oder nutzen Sie noch das Wort „vetterlich“?

Wenn Sie die beiden Wörter weder kennen noch nutzen, dann könnten Sie in der Duden-Redaktion arbeiten – in der Abteilung „Wörter-Friedhof“. Diese zwei Wörter haben gemeinsam: Sie tauchen im neuen Duden nicht mehr auf – nach 133 Jahren als Teil des deutschen Wortschatzes.

Schon im ersten Duden, in Leipzig 1880 gedruckt, kamen die Wörter vor und wurden in diesem Sommer auf dem Friedhof der Wörter begraben. Wir weinen ihnen keine Träne nach.

Oder doch? Wenn wir eine Träne kullern lassen, dann für das „vetterlich“. Bismarck, der Eiserne, schrieb an seine Braut: „Wir dürfen unser in vetterlicher Liebe gedenken.“ Allerdings – ein wenig mehr als „vetterlich“ darf die Gattin schon erwarten.

Vetterliche Liebe gibt es nicht. Vettern sind bestenfalls nett. Der norddeutsche Dichter Theodor Storm, kurze Zeit auch Richter in Heiligenstadt, schrieb: „Im Haus meines Onkels war ich mit dessen einziger Tochter Gertrud ich vetterlich und kameradschaftlich aufgewachsen.“ So ist es nett und sittsam.

Und die Dragonnade? Das Wort könnten die Erfurter noch in ihren Geschichten aufbewahren: Sie hatten, so sie Luthers Lehre anhingen, in der Zeit der Mainzer Herrschaft viel zu leiden – wenn auch nicht so schlimm wie die Hugenotten im Süden Frankreich.

Dort ließ der Sonnenkönig die Protestanten von Dragonern verfolgen und ihre Frauen vergewaltigen: Dragonaden, so ist in Grimms Wörterbuch zu lesen, ist auch „jede durch Soldatengewalt ausgeführte Regierungsmaßregel“.

Dass solche Wörter verschwinden, zeigt uns: Die Zeiten sind friedlicher geworden, bei uns jedenfalls. Wir können auf Dragonaden in jeder Hinsicht verzichten.

Thüringer Allgemeine 29. Juli 2013

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