Vom Irrsinn der Anglizismen: Warum darf das „Nordlicht“ nicht Nordlicht heißen? (Friedhof der Wörter)
Die Zeit vor Weihnachten ist Lichterzeit – vor allem im Norden, wo die Sonne selten scheint, in manchen Gegenden gar nicht, und die Nebel die Welt verhüllen. Es ist kalt, und wir brauchen das Licht, um nicht in Schwermut zu fallen.
Das hat sich auch das Rundfunkt-Sinfonieorchester des MDR gedacht und ein Lichter-Festival gestartet. Wenn die Sonne hinterm Horizont verschwindet, schickt sie in den Norden ihre Winde und elektrisch geladene Teilchen zaubern am Himmel ein Spektakel in grün und rot und violett und blau: Das Nordlicht.
Doch die Verächter der deutschen Sprache im MDR scheuen das schöne Wort, wollen kein Licht ins Dunkel bringen und nennen ihr Festival: „Northern Lights“. Nun ist das Nordlicht in England recht selten zu sehen, so dass – logisch gesehen – das norwegische Wort, ein schönes zudem, sinnvoll wäre: Nordlys; oder das zungenbrecherische finnländische: Revontulet.
Überhaupt schämt sich das Orchester der deutschen Sprache, wie sie in Erfurt und Bitterfeld geschätzt wird. „Go North“, gen Norden, ist das Motto über die vier Jahreszeiten-Festivals; den „Northern Lights“ folgt das eisige „Ice Festival“, im Frühjahr das „Spring Festival“ und im Sommer das „Midsummer Festival“.
Ein englischer Rundfunk-Moderator käme nie auf die Idee, ein deutsches Orchester oder Musikstück mit seinem deutschen Namen zu nennen: Aus München wird „Munich“, aus Bachs Leipziger Orgel-Chorälen werden „Organ Chorales from the Leipzig Manuscripts“.
Bei „MDR-Figaro“, dem Sender für die besseren Hörer, brechen sich die Moderatoren fast die Zunge, wenn sie das Londoner „Orchestra of the Age of Enlightenment“ ankündigen. Ich möchte wetten: Mindestens zwei Drittel der Hörer versteht nicht, dass das „Orchester der Zeit der Aufklärung“ zu hören ist, übrigens meist mit Musik deutscher Komponisten.
Und für unsere jungen Leser sei die sächsische Musikgruppe Silbermond erwähnt: Sie singt deutsche Texte – wie die „Krieges des Lichts“ – aber nennt ihre neue CD: „Das Best of“. Wie wäre es mit „Das Beste“ – oder gleich „Aufgewärmt“, weil doch nur zu hören ist, was längst bekannt.
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Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 8. Dezember 2014
Erich Honeckers Engel und Johann Sebastian Bachs Advents-Kantate (Friedhof der Wörter)
Gab es die „Jahresendflügelfigur“ wirklich? Diese sozialistische korrekte Bezeichnung für den Engel, der durch die Weihnachts-Zeit rauscht?
Der eindeutige Beweis steht aus. Sicher ist nur: Zuzutrauen war die Flügelfigur einer Bürokratie, die deutsch war im schlechtesten Sinne; einer Ideologie, die mit der abendländischen Kultur wenig anzufangen wusste; und Mächtigen, die Furcht hatten, ihren Untertanen Weihnachten einfach wegzunehmen.
So lange es kein amtliches Dokument gibt, halten wir die „Jahresendflügelfigur“ für eine Erfindung der Satiriker, eine gelungene auf jeden Fall. Das Magazin „Eulenspiegel“, in dem die Seiltänzer der Ironie balancierten, hatte den sozialistischen Ersatz-Engel schon auf seinen Seiten, als Honecker noch regierte.
Die Verwandlung von Religion in Welt und umgekehrt hat auch eine kluge Tradition. Johann Sebastian Bach bekam 1726 vom Fürsten den Auftrag, eine Kantate zum Geburtstag seiner Gattin zu schreiben, der – welch ein Titel! – Fürstin Charlotte Friederike Wilhelmine zu Anhalt-Köthen: „Steigt freudig in die Luft“.
Als Bach fünf Jahre später in Leipzig eine Kantate zum ersten Advent schreiben musste und offenbar in Zeitnot geriet, erinnerte er sich an die Fürstin im Anhaltinischen – und führte in der Thomaskirche auf: „Schwingt freudig euch empor“. Eingangschor und Arien hatte er seinem weltlichen Werk entnommen – und so verfeinert, dass die Adventskantate zu seinen schönsten zählt.
Auf die Engel zu verzichten, wäre Bach allerdings nie in den Sinn gekommen. Welche Melodie hätte auch zur Weihnachts-Kantate gepasst, wenn der Chor – etwa in der Eisenacher Georgenkirche – hätte singen müssen: „Des freuet sich der Jahresendflügel Schar“
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Thüringer Allgemeine, 1. Dezember 2014
Das Jugendwort 2014, endgültig: „Läuft bei Dir“ (Friedhof der Wörter)
Regen Sie sich gerne auf, wenn sich junge Leute „cool“ geben? Was man „kuhl“ ausspricht. Immer diese englischen Wörter! – regt sich auf, wer ein Liebhaber der deutschen Sprache ist.
Doch damit ist, zumindest in diesem Jahr, Schluss. Das Jugendwort des Jahres ist kein Anglizismus wie „Swag“ oder „Yolo“, die vor zwei und drei Jahren vorn lagen, auch kein türkisches Wort wie „Babo“, das im vergangenen Jahr gewann, sondern ein deutscher Satz: „Läuft bei Dir“.
Wer seine Jugend nur noch von vergilbten Fotos kennt, wird trotzdem den Kopf schütteln: „Die Jugend von heute!“ Der Satz ächzt unter der Last der Grammatik, aber so sind die jungen Leute: Sie erfinden neue Wörter und Wendungen, schräge und unkonventionelle – mit denen sich die Jungen gut verständigen. „Läuft bei Dir“ ist einfach die Jugend-Übersetzung von „cool“
Jugendsprache soll eben von der Sprachwelt der Erwachsenen abgrenzen, soll für die Alten unverständlich sein. Und wenn sie sich aufregen: Umso besser! Wer wollte es ihnen verbieten?
Jugendsprache ist oft auch böse, verletzend und politisch unkorrekt. Aber da passen schon die Erwachsenen auf, dass solch ein Wort nicht zum Jugendwort des Jahres gekürt wird. Der Langenscheidt-Verlag, der die Wahl organisiert, lässt erst Jugendliche im Internet abstimmen, ehe eine Jury aus Journalisten, Wissenschaftlern und ein paar Jugendlichen das letzte Wort hat.
Wie schon in diesem Blog berichtet: Nur 12 Prozent der Jugendlichen stimmte für „Läuft bei Dir“, aber 46 Prozent für „fappieren“ – ein Anglizismus: to fap bedeutet im Englischen onanieren. Da haben die Erwachsenen gut aufgepasst.
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Thüringer Allgemeine, 24. November 2014
Nachrichten-Quelle für das Jugendwort des Jahres: Focus-Online 23.11.2014
Bitte tauschen Sie Ihr Kind um! (Friedhof der Wörter)
Nach dem „Krisenfrühstück“ kommt mit der „Kindertauschbörse“ das nächste zusammengesetzte Hauptwort auf den Seziertisch. Armin Burghardt, Lokalredakteur der Thüringer Allgemeine in Sömmerda, war es aufgefallen, als die Gemeinde Ostramondra zu solch einem Basar einlud.
In der „Guten Morgen“-Kolumne, der Lokalspitze, dachte er über die Tücken der deutschen Sprache nach: „Schon klar dass da keine Kinder getauscht werden sollen, können, dürfen. Dass es auf einem Kuchenbasar Backwerk gibt, versteht sich von selbst. Dass auf einem Babybasar dagegen kein Handel mit Neugeborenen betrieben wird, ist auch jedem klar. Nur der Begriff unterstellt anderes.“
Ach ja, wenn unsere Sprache immer logisch wäre! Gerade die Möglichkeit, Hauptwörter endlos zusammensetzen zu können, unterscheidet die deutsche Sprache von den meisten anderen und führt zu sinnvollen wie „Elterngeld“, umstrittenen wie „Unrechtsstaat“, widersprüchlichen wie „Jägerschnitzel“ und „Kalbsschnitzel“, praktischen wie „Hausschlüssel“, langen wie „Heuschreckenkapitalismus“, scherzhaften wie „Liebestöter“, schönen wie „Liebstöckel“ und zärtlichen wie „Lächelmund“, den Goethe erfunden hat.
Eindeutig ist keine Zusammensetzung, weder die „Kindertauschbörse“ noch das „Kindbett“, denn in dem liegt nicht das Kind, sondern die Mutter. Als jüngst in Dresden die witzigste Karikatur des Jahres gesucht wurde, zeigte eine den Arzt, der ein Haus abhorcht. Eine Frau fragt ihn: „Was machen Sie denn da?“ Er antwortet: „Ich bin der Hausarzt.“
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Thüringer Allgemeine Geplant für den 1. Dezember 2014, Kolumne „Friedhof der Wörter“ / nur in überarbeiteter Fassung Ende März 2015 erschienen
Twitter-Journalismus: Investigative Fragen an Bastian Schweinsteiger
Bei der Bambi-Preisverleihung langweilt sich Thorsten Schmitz von der Süddeutschen Zeitung, hört „übliche Phrasen“ und sieht „altbackene Choreografien“. Kurzum – das ist nicht seine Welt. So geht er in die Lobby zu den „jungen nervösen Klatschreporterinnen, die ihre Redaktionen mit Twitter-Nachrichten füttern müssen“. Vielleicht will er die schöne neue Welt des Journalismus ahnen, die Zeit nach der Süddeutschen, wenn Papier nicht mehr raschelt und der Leser mit 140 Zeichen zu befriedigen sein wird.
Zwei Worte reichen schon, um die „heimelige Bambi-Welt“ zu zerstören: „Fuck Isis“ steht auf dem T-Shirt eines jungen Sängers. „Zu krass“ findet das eine der jungen nervösen Klatschreporterinnen und twittert es – nicht. Dann kommt der journalistische Höhepunkt, den Thorsten Schmitz sekundengenau schildert:
Als Bastian vor ihr (der jungen nervösen Klatschreporterin) steht, fragt sie investigativ: „Wie geht’s Ihnen?“ Scheinsteiger sagt: „Super!“ Sekunden später ist das Zitat im Umlauf.
Aber richtig zufrieden ist sie auch nicht damit.
„Hast Du schon einen Knaller?“ fragt sie eine Kollegin.
„Nö“, sagt die. „Du?“
Bei so viel Phrasen möchte sich Thorsten Schmitz befreien, er zitiert Arthur Schnitzler, den Senta Berger zitiert: „Wir alle spielen. Wer es weiß, ist klug“; er zitiert Helmut Dietl und nennt es einen „Moment der Authentizität“: „Wüsste ich, wie Glücklichsein geht, wäre ich es damals gewesen“.
Schmitz nennt diesen Satz „Sperrgut im Weichspülermeer vor Bambiland“. Wer viele Phrasen hören muss, versinkt halt auch mal im Sprachbilder-Schlick.
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Quelle: Süddeutsche Zeitung 15. November 2014 „Hast Du schon einen Knaller“
Nach dem Mauerfall verschwanden die DDR-Schulbücher und das Tuwort (Friedhof der Wörter)
Nicht über Anglizismen klagen wir in dieser Kolumne, sondern über Latinismen, also lateinische Wörter. „Alles war anders nach der Revolution! Auch in den Schulbüchern“, erinnert sich eine Lehrerin, „die Schulbücher kamen aus dem Westen, weil wir unsere alten DDR-Bücher nicht mehr benutzen durften. Da standen plötzlich andere Wörter: Unser Tu-Wort mutierte zum Verb, das Hauptwort zum Substantiv.“
Verwirrt waren offenbar einige Lehrer und klagen in Internet-Foren – wie einer, der sagt, er habe einen „Knacks wegbekommen, als das Namenswort zum Nomen wurde“; andere schütteln den Kopf, weil sie auch – wie im Westen – mit Verben und dem Genitiv gearbeitet hatten.
Waren DDR-Schulbücher besser? Der Bücherversand „DDRBuch.de“ jedenfalls bietet noch viele Schulbücher aus den vorrevolutionären Zeiten an und preist: „DDR-Schulbücher waren didaktisch besser aufgebaut als heutige Schulbücher.“ Deshalb würden heute noch DDR-Schulbücher nachgefragt für die eigenen Kinder oder Enkelkinder – und zum Nachhilfe-Unterricht. In dem Versand kann beispielsweise „Aus vergangener Zeit – Geschichte Klasse 5 Lehrbuch DDR“ für 19.99 Euro bestellt werden.
Also beerdigen wir die lateinischen und griechischen Wörter? Es wird uns nicht gelingen, sie prägen unsere Sprache viel stärker als englische; zwei moderne Beispiele:
> „Digital“ stammt vom lateinischen „Digitus“ und bedeutet: Finger oder Zahl. Die Zahl leiteten die Sprachschöpfer von den Fingern ab, die noch heute Grundschüler zum Zählen nutzen.
> „Television“ und somit unser „Fernsehen“ gründet im lateinischen „Visio“, das bedeutet: „Sehen“, und im griechischen „Tele“ für „weit weg“.
Als unsere deutsche Sprache wuchs und wuchs, bediente sie sich der lateinischen; als sie jung und verliebt war, galt als modern, wer viele französische Wörter kannte. Der Gelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz, der in Jena studiert hatte, beschwerte sich über „ungereimtes Mischmasch und Undeutlichkeit“, als immer mehr französische Wörter in „die uralte deutsche Hauptsprache“ eindrang, eine Sprache mit „anständigen Reinigkeit“.
So ähnlich klingt es heute, wenn wir den Mischmasch der Anglizismen beklagen – und am Ende der DDR der Latinismen.
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“ 10.11.2014
Quellen:
> Uwe Pörksen auf „goethe.de„: http://www.goethe.de/ges/phi/prj/ffs/the/spr/de4980180.htm
> Tore Janson: Latein: Die Erfolgsgeschichte einer Sprache (2006), Seite 151f
Das Goethe-Institut und die deutsche Sprache – wie Feuer und Wasser (Friedhof der Wörter)
Welche Rolle spielt die deutsche Sprache in unserem Berufsleben? Diese Frage will das Goethe-Institut beantworten und lädt zu einer Tagung: „Sprache. Mobilität. Deutschland.“
Wer das Programm durchliest, wähnt sich in einem Test: Verstehen Sie deutsch? Zum Beispiel: Was bedeuten diese beiden Wörter:
> Zirkuläre Migration;
> dichotomische Wahrnehmung.
Ein türkischer Gastarbeiter arbeitet in Deutschland, kehrt in seine Heimat zurück und kommt wieder nach Deutschland: Er pendelt zwischen den Ländern ebenso wie ein polnischer Professor, der in jedem Jahr zur Spargel-Ernte nach Thüringen kommt: Beide sind zirkuläre Migranten, Pendler oder Wanderarbeiter.
Steffen Angenendt arbeitet für die Stiftung „Wissenschaft und Politik“ mag den Begriff „zirkuläre Migration“ nicht:
In der politischen Debatte ist weitgehend unklar, was unter zirkulärer Migration verstanden werden soll und dementsprechend unterschiedlich sind auch die Antworten.
Nur – warum bedient sich das Goethe-Instiutut eines Spezial-Begriffs, den selbst ein Experte als unklar bezeichnet?
Ähnlich fragen wir nach der Dichotomie, die nicht unklar, aber schwer verständlich ist, ein Spezialwort eben. Dichotomisch ist Yin und Yang, Mann und Frau, Feuer und Wasser, Erfurt und Jena, Gut und Böse, Schwarz und Weiß – also alles, was zusammengehört und doch unterschiedlich ist.
Wer, wenn nicht das Goethe-Institut, sollte verständlich sein? Sollte Gespräch oder Diskussion statt „Diskurs“ wagen, Forum oder Arbeitsgruppe statt „Panel“ sagen und nicht endlose Folgen von Hauptwörtern aneinanderreihen.
Es lohnt sich von Goethe zu lernen; er spricht von den Quellen der Sprache:
Sie sollten in ihrer Heftigkeit auch etwas Bergschutt mitführen – er setzt sich zu Boden und die reine Welle fließt darüber her.
Das wäre eine schöne Aufgabe für das Institut, das sich auf den Dichter aus Weimar beruft: Bergschutt zu Boden sinken lassen!
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Thüringer Allgemeine „Friedhof der Wörter“ 27. Oktober 2014
Kulturbanausen beim Krisenfrühstück (Friedhof der Wörter)
Was ist ein Krisenfrühstück? Wenn das Ei am Sonnabend statt der gewünschten drei Minuten steinhart gekocht ist; wenn der Prosecco am Sonntagmorgen aus der Dose eingeschenkt wird statt aus der Flasche-.
Und was ist ein Krisenfrühstück, wenn sich Putin und Merkel treffen? Ist dann der Espresso zu kalt? Oder sind die Brötchen zu labbrig? Nein, dann ist nicht das Frühstück die Krise, sondern die Krise das Thema beim Frühstück.
Zusammengesetzte Hauptwörter sind eine Spezialität der deutschen Sprache: Wir können nach Herzenslust neue Wörter bilden – und tun es unentwegt. Doch Regeln unterliegt die Zusammensetzung nicht, wie gesagt: Sie geschieht nach Herzenslust.
Der Holunderbeersaft ist aus Holunderbeeren, aber der Hustensaft nicht aus Husten. Die Feuerwehr bekämpft das Feuer – und die Bundeswehr?
Ein Wortgeselle des Krisenfrühstücks ist das Arbeitsessen (drei zusammengesetzte Hauptwörter!): Ist das Essen die Arbeit? Oder arbeitet man beim Essen? Was wir auch immer darunter verstehen: Es ist ein Kulturbruch!
Jahrtausendelang hat der Mensch gegessen, um zu arbeiten. Als es ihm besser ging und er Kultur erschuf, hat er auch gegessen, um sich des Lebens zu erfreuen und mit netten Menschen zu plaudern. Platon sprach beim „Symposion“, dem Gastmahl, mit Freunden über die Götter und die Welt. Christus feierte seinen Abschied mit seinen Freunden beim Abendmahl.
Und wir Kulturbanausen erfinden das Krisenfrühstück und das steuerlich begünstigte Arbeitsessen.
Feuilletonisten wollen gar nicht verstanden und redigiert werden – wegen der Tiefe ihrer Gedanken
Es gibt einen Typus von Kulturschaffenden, der will gar nicht verstanden werden, schreibt der unbekannte Autor des Streiflichts am zweiten Tag nach der Bekanntgabe: Patrick Modiano bekommt den Literatur-Nobelpreis. Der Franzose bekommt den Nobelpreis, weil er verständlich schreibt.
Das ist für manche Kulturschaffende schon eine Zumutung:
Sie wollen gar nicht verstanden werden. Der Nichtverstehende soll gar nicht erst auf die Idee kommen, er könnte die Tiefe ihrer Gedanken jemals ermessen… Ewig Unverstandene sind eine Elite.
Der Streiflicht-Autor vermeidet es, zu den Kulturschaffenden auch die Feuilletonisten zu zählen. Sie mögen gerne Unverständliches in Theater, Buch und Film, schreiben gern unverständlich – und sind ein Schrecken für jeden, der sie redigieren muss. Für Feuilletonisten ist jeder, der redigiert, ein Barbar: Sie schreiben schließlich für die Feuilletonisten der anderen Zeitungen und Magazine, für die Kulturradios, die nur die Elite einschaltet, und für die Opern- und Theater-Intendanten – je schwieriger desto besser -, Künstler, Verleger, Filmregisseure und für alle, die nicht so reden wie jeder redet.
Der Streiflicht-Autor legt sich mit ihnen nicht an, er will schließlich noch viele Streiflichter schreiben und sich lustig machen über die „Wiederbesetzung diskursiver Räume“ und das Schwinden „legitimatorischer Ressourcen sozialer Demokratie“. Was? Das versteht doch kein Leser? Man sollte ihnen das Abo entziehen.
Zur Vermeidung unnötiger Mails und Kommentare: Es gibt auch gute, verständlich schreibende Feuilletonisten. Sie dürfen auf den Nobelpreis hoffen, die anderen auf den Himmel, in dem sie keiner versteht.
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Quelle: SZ, 11. Oktober 2014
Noch einmal der Deppenapostroph: „Andrea’s Haarstübchen“ ist doch richtig
„Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mir Ihre Ansichten in Sachen Sprache nicht weiter Quell des Ärgers sein zu lassen“, schreibt mir ein Leser des „Friedhofs der Wörter“ und ärgert sich über „Freud und der Deppenapostroph“. Die „Tatsachenbehauptungen, die einfach falsch sind“ lassen ihn nicht ruhen:
• „Andrea’s Haarstübchen“ ist keineswegs die einzig korrekte Form. Es gibt auch kein Standardwerk (sei es die Amtliche Regelung, der Duden, oder, sagen wir, der Wahrig), das diese Ihre Behauptungen deckt.
• Vielleicht können Sie mir noch insoweit auf die Sprünge helfen, indem Sie mir nur die leiseste Begründung dafür lieferten, warum es in den beiden Fällen „Ableitungen mit sch und Genitiv von Eigennamen“ überhaupt einer solch apostrophalen Reform bedurft hätte.
Nun ist das Regelwerk unserer Sprache ein Labyrinth. Wer kennt schon alle Irrungen und Wirrungen? Und wer kennt sich aus beim Apostroph, dem – salopp ausgedrückt – nach oben gerutschtem Komma?
Der Apostroph ist das Auslassungszeichen. Wir schreiben: „Geht es gut“, aber sagen „Geht’s gut?“. Das verschluckte „e“ im „es“ markieren wir mit dem Auslassungszeichen.
Der Apostroph, nach der Rechtschreibreform, ist aber nicht nur das Auslassungszeichen, sondern auch ein Trennungszeichen, um den Sinn eines Begriffs zu verdeutlichen. So war es schon üblich vor hundert Jahren. Wir lesen heute in Regel 16 des „Duden“:
„In Verdeutlichung der Grundform eines Personennamens wird der Apostroph gelegentlich gebraucht: Vor der Adjektivendung -sch. Beispiel: die Grimm’schen Märchen (neben: die grimmschen Märchen).“
Als weiteres Beispiel für den Apostroph vor dem Genetiv-s gibt der Duden an: „Andrea’s Blumenecke (zur Unterscheidung vom männlichen Vornamen Andreas).“
Der „Wahrig“, ein geachteter Konkurrent des „Duden“, tauft Andrea um in Christina und schreibt in seiner Ausgabe von 2013: „Der Apostroph wird gesetzt „zur Verdeutlichung von Eigennamen: Christina’s Blumenshop“.“
Mein Kritiker schreibt noch: „Schillersche Verse waren von Schiller, dagegen schillersche wie von Schiller. Mag sein, dass diesen Unterschied nicht jeder deuten konnte. Aber jene, die es konnten, waren es wert, ihn zu machen.“
Diese Unterscheidung kann ich nirgends entdecken. Doch zur Schreibweise:
Der „Wahrig“ von 1975 kennt noch die „Schillerschen Dramen“, also ohne Apostroph, aber er beugte sich der Rechtschreibreform und verlangte ihn 2013 auch. Der „Wahrig“ tauscht 2013 Schiller gegen den Komponisten Schubert und legt – wie der Duden – diese Schreibweisen verbindlich fest – als Regel für Ableitungen von Namen, die mit -sch gebildet werden: „Schubert’sche Lieder“ und gleichrangig „schubertsche Lieder“.
Deutschlehrer müssen sich danach richten. Alle anderen, auch Journalisten, dürfen sich wundern.
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Überarbeitete Fassung von „Leser fragen“ in der Thüringer Allgemeine 11. Oktober 2014
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