Alle Artikel der Rubrik "G. Wie Journalisten informieren"

Im Zweifel gegen die Pressefreiheit: Auch Generalbundesanwalt ermittelt gegen Journalisten

Geschrieben am 15. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.
 Staatsanwälte in Deutschland gehen  gezielt gegen Journalisten vor, um sie einzuschüchtern und kritische Berichterstattung zu verhindern: Man mag die Ermittlungen gegen den Nordkurier in der Rabauken-Affäre als Petitesse abtun (was sie nicht ist), aber die Ermittlungen gegen netzpolitik.org   sollen signalisieren: Redakteure lasst die Finger von geheimen oder auch nur geheim eingestuften Dokumenten des Staates! Und was „geheim“ ist, bestimmen wir, die Diener des Staates.

Vor allem sollen Informanten abgeschreckt werden, Kontakt zu Redaktionen zu suchen. So ermittelt der Generalbundesanwalt gegen die Redaktion von netzpolitik.org, die über Pläne für  eine neue Rasterfahndung des Geheimdienstes berichtet hatte:Im geheimen Haushalt des Verfassungsschutzes sollen knapp drei Millionen Euro eingestellt werden, um Internet-Inhalt, auch bei Facebook, auszuwerten.

Die Diener des Staates erweisen sich so als Gegner der Verfassung. Constanze Kurz zitiert aus einem Urteil des Verfassungsgerichts:

Constanze Kurz schreibt regelmäßig  „Aus dem Maschinenraum“ in der FAZ, der stärksten Internet-Kolumne der deutschen Tageszeitungen. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts kommentiert sie in netzpolitik.org:

Nur weil es sich mehr und mehr einbürgert, dass es als normal angesehen wird, dass das Handeln der Geheimdienste undurchschaubar ist und viel zu viele Aspekte von deren Arbeit „geheim“ gestempelt wird, heißt das für die Arbeit von Journalisten mit Informanten noch lange kein devotes Duckmäusertum, jedenfalls nicht bei uns. Dass wir Informationen oder uns möglicherweise anvertraute Dokumente über das Bundesamt für Verfassungsschutz oder andere intransparente Behörden auf netzpolitik.org bringen, wird auch in Zukunft so bleiben.

Wir lassen uns natürlich nicht einschüchtern.

 

 

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Lutz Schumacher per FacebooK:

Offenbar verführt der „General“ im Ttel. Habe da ja gerade erst entsprechende Erfahrungen machen dürfen… #Rabauke

Wolfgang Bok am 15. Juli um 13:57 auf Facebook:

Dieser „Enthüllungsjournalismus“ besteht bsp. darin, brav die gezielt platzierten Empörungsnews von Snowden & Co. abzudrucken, ohne diese zu überprüfen. Erfüllungsgehilfen wäre der treffendere Ausdruck. Lesenswert dazu: Spionageexperte Sandro Gaycken in der FAZ vom 10.7.15, Seite 10: „Wer steckt hinter den NSA-Enthüllungen?“ Aber so weit geht der deutsche „Enthüllungsjournalismus“ natürlich nicht. Dann würde ja das Feindbild nicht mehr stimmen…

Wie die SZ aus der Metropole die Rabauken-Affäre einschätzt: Seltsame Provinz

Geschrieben am 5. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

In der Provinz streitet man sich nicht über die Pressefreiheit, da gibt man nach, wenn der Staatsanwalt Ordnung schafft. Darf man so zwei Sätze in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung über die Rabauken-Affäre beim Nordkurier  in Neubrandenburg verstehen?

„Die Flammen schlagen zu hoch in diesem seltsamen Fall aus der Provinz“, schreibt Thomas Hahn in der SZ (3. Juli 2015). Wenn ein Redakteur aus München „Provinz“ schreibt, dann meint er auch Provinz, eben weit entfernt von seiner Metropole – und dazu noch im Osten. Wie geht es da zu: eben „seltsam“.

„Irgendjemand hätte irgendwann mal nachgeben müssen“, schreibt er weiter. „Irgendjemand“, also auch der Redakteur, der einen Jäger einen Rabauken nannte, weil der ein totes Reh mit seinem Auto über die Bundesstraße geschleift hatte. Nachgeben – also die 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung zahlen (und mit der Richterin eine Tasse Kaffee trinken, wie man das halt so macht in der Provinz)?

„Irgendjemand“ könnte auch der Chefredakteur sein, der in einem Kommentar der Richterin und den Staatsanwälten die Leviten las: Sollte er nachgeben und sich entschuldigen?

Seltsam.

 

Lügenpresse (6): Können wir Zeitung machen gegen die Vorurteile der Leser?

Geschrieben am 29. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Nicht die Tatsachen beunruhigen die Menschen, sondern ihre Meinungen über die Tatsachen.

Griechisches Sprichwort (zitiert von Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten in seinem Newsletter).

Das Sprichwort hat insofern Recht: Selbstverständlich steht die Nachricht vor der Meinung, die Wirklichkeit vor der Deutung – aber die Nachricht lässt die Menschen allein. Wie deute ich die Nachricht? Was bedeutetet sie für mein Leben? Wie ordne ich sie in mein Weltbild ein? In meine Erfahrungen?

Wir haben es in den Redaktionen also nicht nur mit den Nachrichten zu tun , sondern auch mit der Wahrnehmung unserer Leser: Wie reagieren sie auf eine Nachricht? Nehmen wir also Beispiel die Ukraine: Viele Leser, vor allem im Osten, sahen allein in der reinen Weitergabe von Nachrichten eine Manipulation. Wer mehr Sympathien für Russland hegt als für Amerika und den Westen, wer Putin mehr schätzt als Merkel und Obama, der vermutet in jeder Meldung einen Angriff auf das eigene Weltbild oder die eigenen Urteile/Vorurteile. So ist auch Pegida gewachsen, so ist „Lügenpresse“ zu verstehen.

Was folgt daraus für die Redaktion? Populismus? Nein, aber in Analysen, Kommentaren und Hintergrund-Geschichten die Erfahrungs-Welt der Leser aufnehmen und einordnen. Dazu gehört vor allem, die Meinungen der Leser auch ins Blatt zu heben, die Zeitung zum Forum zu machen, auch wenn es bisweilen wehtut.

Lügenpresse (5): Wie sich Spiegel-Reporter von einem Diktator nicht korrumpieren ließen

Geschrieben am 19. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Da beschweren sich ein Ex-Europol-Chef und der Ex-Herausgeber eines großen österreichischen Magazin über einen Spiegel-Reporter: „Er ist kein willfähriger Schreiberling, er lässt sich nicht mit Plattitüden abspeisen.“ Das soll er aber sein: willfährig. Denn ein Diktator in Kasachstan versucht, einen Gegenspieler, den eigenen Schwiegersohn, aus dem Weg zu räumen: Ihm soll im Westen Europas, wohin er geflohen ist, ein Mord untergeschoben werden und der Prozess gemacht, damit er ein für allemal im Gefängnis verschwindet.

Der Spiegel berichtete, wie hochrangige deutsche Ex-Politiker für das Komplott angeworben und aus einem Millionen-Etat großzügig entlohnt wurden. Auf Spiegel Online erzählt Spiegel-Reporter Walter Mayr, dass auch Journalisten instrumentalisiert werden sollten – wie aus Mails hervorgeht, die durch ein Datenleck in einer Wiener Anwaltskanzlei bekannt wurden:

  • Offenbar sprach ein Ex-Innenminister  von guten Kontakten zum Spiegel und versprach, das Magazin für die Kampagne einzuspannen. Das misslang so gründlich, dass sein Honorar gekürzt werden sollte. Er antwortete: „Es entspricht nicht meiner Übung, ein einmal vereinbartes Honorar neu zu verhandeln.“
  • Der österreichische Ex-Magazin-Herausgeber warnte vor dem als störrisch bekannten Reporter Mayr, aber war sich sicher: „Er wird auch sehen, dass unsere Seite über mehrere Schienen mithilfe sehr hochkarätiger Berater das Thema in den Spiegel bringen will. Das könnte ihn noch misstrauischer und voreingenommener machen… Wir müssen aufpassen, dass die Sache nicht nach hinten losgeht; besser wäre es, wenn wir einen anderen Redakteur hätten, aber das können wir uns beim Spiegel nicht aussuchen.“
  • Wer käme denn infrage, wenn der Spiegel nicht zu korrumpieren ist? „Im Zweifel versuchen wir ein anderes Medium, Stern oder Süddeutsche„.
  • Der Reporter eines deutschen Fernsehsenders, den Mayr nicht nennt, wird angeworben,damit er beim Spiegel anruft: Wann bringen Sie die Geschichte? Der TV-Reporter rief wirklich an.

So arbeitet also die deutsche „Lügenpresse“: Vom Diktator einer Ex-Sowjet-Republik lässt sie sich nicht manipulieren, und von prominenten deutschen Ex-Politikern lässt sie sich auch nicht zur Beugung der Wahrheit verführen.

 

 

 

 

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts zur Rabauken-Affäre: „Medialer Pranger ist mit Verfassung nicht vereinbar“

Geschrieben am 10. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

„Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin angeblich nichts gelernt haben, sollten vermieden werden“, schreibt Helmut Trost, der Generalstaatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern, in einem Gastkommentar zur Rabauken-Affäre. Trost hat offenbar allen Chefredakteuren eine Mail geschrieben, die sich im Nordkurier zur Rabauken-Affäre geäußert haben (siehe ). Er will, so sein Anschreiben, einen Beitrag zur Versachlichung leisten und fügt einen „Gastkommentar“ bei, den er „auf Einladung des Nordkurier verfasst habe, der aber leider nicht veröffentlicht worden ist“. Sein Schreiben an den Nordkurier vom 4. Juni 2015 fügt er ebenfalls bei.

Ich dokumentiere beides:

Brief des Generalstaatsanwalts an den Nordkurier:

Sehr geehrter Herr Dr. Wilhelm,
Ihre Bemühungen, in der genannten Angelegenheit zu einer auch nach meiner Auffassung dringend gebotenen Versachlichung beizutragen, begrüße ich sehr. Ich komme deshalb Ihrer Einladung zu einem Gastkommentar gerne nach, auch wenn die Ausführungen Ihres Chefredakteurs in der Ausgabe vom 22.05.2015 („Geht’s noch? Rabauken in Richter-Roben“) mir diese Entscheidung nicht gerade erleichtern.

Da die Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und dem ebenfalls grundgesetzlich garantierten Recht der persönlichen Ehre andererseits überaus schwierig ist – die zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hierzu belegen dies eindrucksvoll -, ist eine ausgewogene, der Bedeutung der Sache angemessene und über Schlagworte hinausgehende Stellungnahme bei nur 1.500 „Textzeichen“ an sich nicht möglich.

Gleichwohl bin ich zu dem erbetenen Gastkommentar bereit, bitte allerdings um Verständnis, wenn dies unter dem Vorbehalt geschieht, dass Ihre Chefredaktion auf Kürzungen verzichtet, sofern ich den vorgegebenen Rahmen überschreite. Ich bitte ferner um Verständnis, dass ich zu Einzelheiten des laufenden Strafverfahrens gegen den angeklagten Journalisten keine Stellung nehme, sondern mich in dem anliegenden Gastkommentar nur allgemein zur rechtlichen Problematik in derartigen Fällen und zu Ihrer bisherige Berichterstattung äußere.

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts:

Meinungs- und Pressefreiheit ja – aber nicht schrankenlos!

In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese grundlegende Verpflichtung nehmen die Staatsanwaltschaften sehr ernst. Bestandteil der Menschenwürde ist gerade auch die persönliche Ehre.

Ein medialer Pranger ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Dementsprechend garantiert das Grundgesetz in seinem Artikel 5 Absatz 2 die Meinungs- und Pressefreiheit nicht unbegrenzt. Vielmehr finden diese Grundrechte ihre Schranken unter anderem ausdrücklich auch in dem Recht der persönlichen Ehre.

Dieser wesentliche Zusammenhang ist in der bisherigen Berichtserstattung – soweit ersichtlich – nicht angesprochen worden. Allenfalls nur am Rande erwähnt wird leider außerdem die
Tatsache, dass der umstrittene Artikel des ‚Nordkurier‘ auch Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem Presserat war, der zuständige Beschwerdeausschuss die festgestellten
Verstöße gegen den Pressekodex einstimmig als schwerwiegend angesehen und deshalb eine Missbilligung ausgesprochen hat. Ich unterstelle, dass der ‚Nordkurier‘ der zudem vom Presserat
als Ausdruck einer fairen Berichterstattung empfohlenen Veröffentlichung dieser Missbilligung nachgekommen ist.

Nach der Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, Ermittlungen zu führen und, wenn diese einen ausreichenden Verdacht für eine Straftat begründen, den ermittelten
Sachverhalt grundsätzlich auch zum Gegenstand einer Verhandlung vor dem zuständigen Gericht zu machen. Das ist in dem diskutierten Strafverfahren geschehen, nachdem eine sorgfältige
Abwägung unter Berücksichtigung des hohen Gutes der Pressefreiheit einerseits und der Pflicht zum Schutz der persönlichen Ehre andererseits aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine –
auch strafbare – Überschreitung der Grenzen einer fairen Presseberichterstattung ergeben hatte.

Für diese Bewertung war selbstverständlich auch die Beurteilung, die der betreffende Artikel des ‚Nordkurier‘ durch den Presserat erfahren hat, nicht ohne Bedeutung. Jedenfalls
der Respekt vor den mit der Sache befassten Gerichten sollte Anlass genug sein, zunächst den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abzuwarten. Erst dann wird seriös beurteilt werden
können, ob wirklich von einem nicht mehr hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit die Rede sein kann und Worte wie „Rabauken in Richter-Roben“ oder „Schaum vor dem Mund des Staatsanwalts“ noch eine angemessene Wahrnehmung berechtigter Interessen sind.

Jedenfalls sollten Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin („die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen“) angeblich
nichts gelernt haben, vermieden werden. Dafür sind die Umstände, die den ‚Nordkurier‘ zu seiner Berichterstattung über den „Rabauken-Jäger“ und „fiesen Wildschleifer“ veranlasst
haben, dann vielleicht doch zu banal.

Chefredakteure zur Rabauken-Affäre: „Post-diktatorische Unterdrücker-Mentalität“

Geschrieben am 8. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Mein Kommentar zur Rabauken-Affäre in Mecklenburg:

Danken wir Staatsanwalt und Richterin! Sie schreiben das Drehbuch für ein Lehrstück, das gerade im Osten unserer Republik mit Pauken und Flöten aufzuführen ist: Ohne die Freiheit der Presse, die die wichtigste Freiheit der Bürger ist, bleibt unsere Demokratie nicht lebendig. Diese Freiheit steht zwar weit vorne in unserer Verfassung, aber sie muss immer wieder zum Thema werden, erkämpft und verteidigt. Aber geht es überhaupt um die Pressefreiheit? Geht es nicht einfach um einen schwachen Artikel, wie der Presserat urteilt, der sich vom Staatsanwalt als Hilfstruppe benutzen lässt?

Man kann trefflich streiten, wie unglücklich die Vermischung von Nachricht und Meinung ist, wie hoch Persönlichkeitsrechte zu hängen sind – aber in der Rabauken-Affäre geht es um einen Grundsatz: Darf ein Staatsanwalt, darf eine Richterin nach eigenem Gusto über die Presse entscheiden? Kontrolliert der Staat die Journalisten? Oder die Journalisten den Staat? Das Grundgesetz gibt eine klare Antwort. Also warten wir, wenn nicht zuvor Vernunft einkehrt, auf unser Verfassungsgericht: Sein Spruch wäre ein würdiger Schlussakt im Rabauken-Lehrstück.

Diese Version steht online beim Nordkurier, der Schluss (ab: „aber in der Rabauken-Affäre…“) stand auch in der gedruckten Ausgabe vom Samstag, 6. Juni 2015.

So kommentierten andere Chefredakteure:

Michael Bröcker, „Rheinische Post“, Düsseldorf

Die Freiheit wird selten mit einem großen Knall, sondern schrittweise und schleichend eingeschränkt. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Öffentlichkeit schnell, klar und eindeutig gegen die verwunderliche Neuinterpretation der Meinungsfreiheit durch die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg stellt. Die Rheinische Post steht jedenfalls an der Seite der Redaktion des Nordkurier.

Andreas Ebel, Chefredakteur „Ostsee-Zeitung“, Rostock

Armes Deutschland! In MV gehen Strafverfolgungsbehörden gegen Journalisten vor, die kritisch berichten und kommentieren. Das ist ein Skandal. Der Presse- und Meinungsfreiheit ist es zu verdanken, dass wir in Freiheit und Frieden leben. Wir Journalisten informieren, kritisieren und decken auf. Ja, das ist manchmal unbequem und tut weh. Eine gleichgeschaltete, von Behörden beeinflusste Presse wäre der Untergang der Demokratie. Sehr geehrte Vertreter der Justiz, sehr geehrte Vertreter der Landesregierung – bitte beenden Sie diesen Unsinn.

Wolfram Kiwit, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“

,Rabauken in Richterroben‘ hat Lutz Schumacher seinen Kommentar überschrieben. Dem schließe ich mich gerne an. Wer im Namen einer unabhängigen Justiz die Presse- und Meinungsfreiheit mit einer post-diktatorischen Unterdrücker-Mentalität einschränken und beschneiden will, schadet der Demokratie. Untergräbt unsere Freiheit. Und ist der Richterrobe nicht würdig. Ausziehen, hinsetzen, nachdenken, schämen. Die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg scheint aus unserer Geschichte nichts gelernt zu haben. Ihr fehlt es offensichtlich an Demokratie-Verständnis. Der Nordkurier hingegen hat seine Wächter-Rolle verstanden. Das immerhin unterscheidet uns von ‚früher‘. Das war ein Meinungsbeitrag. Staatsanwaltliche Post bitte über den Nordkurier Briefdienst an Wolfram Kiwit.

Horst Seidenfaden, Chefredakteur „Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine“, Kassel

Die Meinungsfreiheit, die uns das Grundgesetz garantiert, ist bisweilen für den, der sie ertragen oder gar unter ihr leiden muss, eine lästige Sache. Aber welch großartige Einrichtung stellt dieser Artikel unserer Verfassung doch für unser Leben in Freiheit und Demokratie dar. Die Medien, die täglich von ihr profitieren, pflegen sie und hegen sie – unsere Kunden, die Einwohner dieses Landes, schätzen das und nutzen die Chancen dieses Rechts in Leserbriefen, Online-Kommentaren. All das führt zu einem offenen Diskurs, der in der Regel weiter hilft.

Meinungsfreiheit ist also ein Segen, eine Säule für ein stabiles demokratisches System. Wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abseits der Verfassung, die ja auch ihre Tätigkeit regelt, dieses Recht aushebeln, dann ist das der Versuch, einen Staat im Staate aufzubauen bzw. diesen Staat zu schädigen oder zu zerstören. Was ist also nun der eigentliche Verstoß? Freie Meinungsäußerung oder das Verbieten derselben?

Ralf Geisenhanslüke, Chefredakteur „Neue Osnabrücker Zeitung“

Warum läuten nicht bei allen Politikern und Juristen in unserem Land die Alarmglocken? Dreister und direkter kann der Angriff auf die Pressefreiheit nicht gefahren werden. Hier liegt die Vermutung nahe, dass jeder, der nicht eingreift oder sich vor die Pressefreiheit stellt, das Vorgehen gutheißt.

Michael Seidel, Chefredakteur „Schweriner Volkszeitung“

Als hätte sich die Justiz beim Wutbürgertum auf der Straße angesteckt. Die unselige Lügenpresse-Diktion, die oft eher den Boulevard oder den Diskussionsstil von Nicht-Journalisten in sozialen Medien meint, verlagert sich zusehends in Gerichtssäle, scheint mir. Journalisten konnten sich noch nie rühmen, zu einer besonders beliebten Berufsgruppe zu gehören. Lästig sind wir, stellen hartnäckig unbequeme Fragen, suchen ‚das Haar in der Suppe‘, pirschen uns notfalls durch die Hintertür wieder zum Ort des Geschehens, wenn wir zur Vordertüre rausgeflogen sind – kurzum, wir sind schon ein ziemlich unsympathischer Berufsstand. Andererseits wird von uns erwartet, dass wir den Mächtigen auf die Finger schauen und bei Fehlverhalten auch (verbal) hauen. Wir gehen mit diesem Gegensatz professionell um.

Wenn Richter und Staatsanwälte sich jetzt aber anheischig machen, das Niveau einer Zeitung bestimmen zu wollen, widerspricht dies diametral dem Grundgedanken der Pressefreiheit, die übrigens die Zulassungsfreiheit einschließt: Jeder, der das Geld dafür hat, darf ein Medium gründen – egal welcher ideologischen, politischen, weltanschaulichen oder ggf. sogar sexuellen Ausrichtung dieses Medium sein soll. Pressefreiheit bedeutet nach landläufiger Auffassung – zumindest außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns und seit Abschaffung der Sozialistengesetze 1890 sowie dem Ende der beiden deutschen Diktaturen – dass Ausrichtung, Inhalt und Form des Presseerzeugnisses frei bestimmt werden können. Sie gilt gleichermaßen für „seriöse Presse“ wie für Boulevardmedien.

Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur „Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag“, Flensburg

Als ich vor 25 Jahren (zu Nachwende-, aber noch DDR-Zeiten) in Mecklenburg arbeitete, hätte ich mir in den pessimistischsten Träumen nicht vorstellen können, dass es einmal so weit kommt. Zu Recht wird die so genannte Vierte Gewalt immer mal kritisiert. Wenn die Dritte sich aber an der Vierten vergreift, geht es an die Wurzeln des Grundgesetzes. Ich bin sprachlos, dass die Politik das so hinnimmt. Das wäre mal ein Betätigungsfeld für den West-Ministerpräsidenten und die Ost-Bundesministerin!

Manfred Sauerer, Chefredakteur „Mittelbayerische Zeitung“, Regensburg

Wenn schon Staatsanwaltschaften und Richter(innen) die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit und die Schutzwürdigkeit der Presse nicht (mehr) erkennen, bleibt eigentlich die Hoffnung auf die Politik. Die war in diesem Fall aber offenkundig vergeblich. Die Justizministerin hätte eines machen müssen: die Sache möglichst geräuschlos kassieren. Hat sie aber nicht – und nun darf ermittelt werden. Was eigentlich? Dass Lutz Schumacher Chefredakteur des Nordkurier ist? Richtig! Dass er Journalist ist? Richtig? usw.

Die Sache ist so bizarr und unglaublich, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, Mecklenburg-Vorpommern sei Teil eines Staates mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ist es aber – jedenfalls in der Theorie. Insofern sollte mitermittelt werden, ob hier von offiziellen Organen das Grundgesetz verletzt wird. Aber das macht hoffentlich am Ende das Bundesverfassungsgericht.

Jan Emendörfer, Chefredakteur „Leipziger Volkszeitung“, Leipzig

Ich finde den Begriff Rabauken-Jäger fast noch schmeichelhaft, wenn man dazu Synonyme wie etwa Rüpel, Flegel oder Grobian in Betracht zieht. Der Autor hätte auch vom Kadaverschänder schreiben können … Es bleibt die Frage: Haben Gerichte und Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern keine anderen Sorgen? Die Kriminalitätsstatistik mit Raub, Diebstahl, Erpressung und schlimmeren Delikten bietet eine große Angriffsfläche, an der Ermittler sich abarbeiten können. Der Versuch, eine Zeitung mundtot zu machen, muss scheitern und geht nach hinten los, wie das bundesweite Medienecho im Fall Nordkurier nun zeigt.

Aus den Kommentaren der Leser:

Haben sich die Chefredakteure gut überlegt, ob sie sich solidarisch auf die Seite von Straftätern stellen dürfen ? Nicht, daß sie vom AG Pasewalk noch als geistige Mittäter belangt werden… Den Chefredakteuren ist ohne weiteres zu bestätigen, daß sie sich im Presserecht auskennen, aber darüber hinaus wird auch noch deutlich, was sie von der Justiz (zu Recht) halten: In diesem konkreten Fall – nichts Positives. Also heißt es für die Zukunft aufzupassen, dass Bürger in Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht noch belangt werden dafür, dass sie die Wahrheit sagen und schreiben. Denn dann sind wir wieder bei einer Gesinnungsjustiz…

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Ich kann es nicht mehr hören. Hier ist nicht die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern Euer Ton. Rabauke ist ein Schimpfwort. Ich kann mich noch an einen Fall im letzten Jahr erinnern, da ging es um „Frauenschläger“. Davor habt ihr immer wieder mit Häme berichtet, wenn es gegen die NPD ging. Damals ging es um „Gesinnungsextremistin“. Jetzt seid ihr selbst mal dran und siehe da, das Geschrei ist groß.

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„Man wird doch mal sagen dürfen … “ – so ist eine doppelseitige Solidaritäsbekundung heute im Nordkurier betitelt. Ich meine: Nee – „Rabauken in Richter-Roben“ darf man eben nicht „mal sagen“. Das ist schlichtweg beleidigend, und alleine deshalb nicht tolerabel. Als Rechtfertigung für eine solch geschmacklose Unverschämtheit die Meinungs- und Pressefreiheit heranzuziehen, zeigt doch nur, dass der Mann (und offensichtlich auch der ein oder andere seiner Kollegen) völlig die Bodenhaftung verloren hat. Bezüglich der Frage, ob in diesem konkreten Fall ein Straftatsbestand zu konstatieren ist, vertraue ich auf unseren Rechtsstaat. Unabhängig davon wäre eine Entschuldigung Schumachers gegenüber den „Robenträgern“ das Mindeste. Aber auch das ist eine Frage von Kinderstube und Anstand. Zumindest letzteren kann man sich erschließen und zu eigen machen – oder eben auch nicht.

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Ständig ziehen sie Leute Firmen und Personen durch den Dreck. Jetzt geht es ihnen an den Kragen, da ist alles schlimm. Ich sage: Verdammt richtig so. Die müssen doch erst Gehirn einschalten und dann schreiben. Und nicht schreiben und bei Gegenwehr jammern. Und sie jammern richtig :-))) Wie Peinlich :-)))) PS.

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Es ist schade wie einige versuchen, bei diesem brisanten Thema ihre „offene Rechnung“ mit der vermeintlichen „Lügenpresse“ zu begleichen, ohne dabei zu merken, dass es um ihre eigenen Grundrechte geht. Nein, mit einem „in den Dreck ziehen“ von Personen oder Firmen hat eine investigative, kritische Berichterstattung – wie sie täglich im Nordkurier und Uckermark Kurier passiert – nichts gemein. Im Gegensatz zu Juristen, Politikern und hinter Nicknamen versteckten Kommentatoren halten die Reporter täglich mit offenem Visier ihren Kopf hin, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern, an Stammtischen, sondern Schwarz auf Weiß nachzulesen. Und sie bekommen diesen (ihren Kopf) auch gründlich gewaschen, wenn ihnen dabei ein Fehler passiert (und wer ist schon fehlerfrei). Nicht den Reportern geht’s bei dem aktuellen Urteil an „den Kragen“, sondern der Meinungsfreiheit und einer unabhängigen, pluralistischen Berichterstattung, die die Leserinnen und Leser zu Recht von ihrer Zeitung erwarten. „Das möchte ich lieber nicht öffentlich sagen, schon gar nicht mit meinem Namen.“ Einen Satz, den die Redakteure in der Region wieder zunehmend bei ihren Recherchen zu hören bekommen. Genau gegen diese Angst schreiben sie täglich mutig an.

Sportjournalisten und Trainer: Zwischen Bussi-Journalismus und Niederschreiben

Geschrieben am 6. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Die Beziehung zwischen Sportjournalisten und Trainern schwankt zwischen Extremen: Entweder Umarmung und Bussi-Journalismus oder Abneigung und Niederschreiben. Das professionelle Maß fehlt oft, also Distanz und klarer Blick.

Als BVB-Trainer Jürgen Klopp im April 2013 eine Pressekonferenz gab, stellte ein Reporter vom WDR eine Frage, die er abschloss:

Ich wäre dankbar, wenn Sie auf Floskeln verzichten würde wie „Die Jungens sind Profis genug“.

Jürgen Klopp bläst die Backen auf und kann sich auf seine Antwort konzentrieren, während die Frage in Italienische übersetzt wird:

Zunächst einmal möchte ich mich bedanken. Ich sehe Sie hier zum ersten Mal. Aber direkte Forderungen zu stellen, was ich zu sagen habe: Hut ab! Welches Ressort? Was machen Sie? Tierfilme? Oh, Sport. Okay, alles klar.“

Klopp steht auf und geht.

Besser kann man das Verhältnis von Sportjournalisten und Trainern nicht klar machen:
1. Trainer will Nähe, etwa: Wir müssen schon einmal ein Bier zusammen getrunken haben, bevor Sie mich fragen dürfen.
2. Er will keine Fragen, die er nicht mag. Und was er mag, bestimmt er. Eine kritische Frage lässt er nur mit der Bemerkung zu: „Eine gute Frage…“
3. Er will, dass der Journalist in seiner Community aufgenommen ist und die Regeln kennt. Nur so bekommt er auch Informationen, auch exklusive.

Ein Leser-Kommentar zeigt, wie es in dieser abgeschlossenen Welt zugeht:

Schön Jürgen! Endlich mal einer, der mit dem jungen Schnösel Klartext spricht.

Bussi – und Schluss.

Überschriften: Nicht-Nachrichten sind selten eine Nachricht

Geschrieben am 28. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Wurst für Vegetarier: Kein Trend in Brandenburg

Titelzeile Märkische Allgemeine, Potsdam, (Hinweis im Text: „Nachfrage in Berlin ist größer“) / zitiert im Checkpoint von Lorenz Maroldt, 28.5.15

FACEBOOK Hinweis von P Achim Tettschlag

28.11.11 GEHEIMNIS einer ÜBERSCHRIFT
Gestern las ich:

„Viele MENSCHEN
erkennen beim LESEN zwischen den ZEILEN nur,
dass dort nichts steht … “

Heute sage ich:

Wer zwischen den ZEILEN nicht lesen kann,
weil er dort nichts stehen sieht,
hat die ÜBERSCHRIFT nicht verstanden !

Ein Kommentar dazu: Während meiner ABI-Zeit auf der Volkshochschule und während des Fernstudiums habe ich mir autodidaktisch das sogenannte „DIAGONALLESEN“ angeeignet.
Dabei ist bereits das geistige Erfassen und Deuten der ÜBERSCHRIFT / des TITELS von großer Bedeutung für das Weiterlesen … Ohne Zweifel birgt dieses Verfahren Gefahren in sich, aber ich bin damit eigentlich erfolgreich alt geworden …

Tatort bedient sich bei Hajo Friedrichs „Gute Sache“-Regel

Geschrieben am 26. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Ein Polizist darf sich nicht mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.

sagt Kommissarin Lena Odenthal, gespielt von Ulrike Folkerts, im Tatort „Roomservice“ (22. Mai 2015). Der Satz stammt von Hanns Joachim Friedrichs, ist einer der meistzitierten und umstrittensten der journalistischen Ethik und steht im Handbuch des Journalismus am Ende des Kapitels „Viele Journalisten manipulieren“:

Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.

FACEBOOK Kommentare

Anton Sahlender, 26. Mai um 09:48

Diesen Satz beliebt ohnehin jeder längst so zu interpretieren, wie es ihm gerade in den Kram passt …

Ein Mord ist keine Hinrichtung – Der Kampf um Worte und der Terrorismus (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 30. April 2015 von Paul-Josef Raue.
„Mediendialog“ über Terrorismus und Journalismus in  München: Juri Durkot, ein Journalist aus Lemberg in der Ukraine, erzählt von Manipulationen und Verschwörungs-Theorien; von Redakteuren, die auf Todeslisten stehen; von inszenierten Video-Morden oder wirklichen; von Reportern aus dem Westen des Landes, die nicht mehr im Osten arbeiten dürfen, und lokalen Reportern im Osten, die nur schreiben können, wenn sie sich der Propaganda unterwerfen.
Und er berichtet vom Kampf um Worte:
> Das russische Staatsfernsehen spricht von der „Bürgerwehr“, die den Donbass beherrscht, das Donez-Kohlebecken im Osten.
> Deutsche Zeitungen bevorzugen „Rebellen“: Ein romantischer Begriff, der zudem besser auf einen kleinen Kreis von Kämpfern passte statt für eine gerüstete Armee.
> Andere schreiben von „Separatisten“: Ein meist positiv besetzter Begriff, den wir auch für Katalanen und Schotten nehmen.
Wechseln wir den Schauplatz:  Terroristen, beispielsweise in Arabien, kämpfen nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Worten. Wir fallen darauf  rein, wenn wir eine Mörderbande wie  „IS“ einen „Staat“ nennen, einen Mord eine „Hinrichtung“, einen Mörder einen „Henker“ und eine Serie von Morden „Kriegsverbrechen“, die vor den Internationalen Gerichtshof gehört.
Moderne Terroristen foltern und töten wie im Mittelalter, aber nutzen souverän das Internet samt sozialen Netzwerken für ihre Propaganda – und nicht selten Journalisten, die ihre Wörter übernehmen und kruden Botschaften verbreiten.
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Thüringer Allgemeine,  4. Mai 2015
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