Alle Artikel der Rubrik "G. Wie Journalisten informieren"

Pegida versucht, einen Chefredakteur zu erpressen. Armin Maus erzählt das seinen Lesern

Geschrieben am 21. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Pegida will in Braunschweig demonstrieren. Die Braunschweiger Zeitung druckt erst die Forderungen ab und will dann mit den Organisatoren sprechen. Die lehnen zunächst ab und stellen dann Forderungen, unübliche und für eine unabhängige Redaktion unerfüllbare Forderungen. Chefredakteur Armin Maus lehnt ab und informiert seine Leser auf der Titelseite:

Pegida wird heute zum ersten Mal in Braunschweig körperlich sichtbar werden. Gerne hätten wir unseren Lesern vorab die Möglichkeit gegeben, die Pegida-Organisatoren im Originalton zu lesen, um sich ein Bild von ihren Positionen und Zielen, ihrer Art zu formulieren und ihrem Hintergrund zu machen. Unsere Interviewanfragen wurden zunächst abgelehnt, dann mit der Forderung verbunden, das Pegida-Positionspapier zu veröffentlichen.

Das hatten wir bereits getan: Am 16. Dezember berichteten wir ausführlich und detailreich auf dem Großteil einer Zeitungsseite über die dort formulierten Positionen und die interne und externe Diskussion. Der Anmelder der Pegida-Kundgebung verlangte nun eine Veröffentlichung des nackten kompletten Textes des Positionspapiers. Nur dann sei man zum Gespräch bereit.

Wir haben dieses Ansinnen im Interesse unserer Leserinnen und Leser abgelehnt. Unsere Redaktion ist unseren Leserinnen und Lesern verpflichtet, die von uns erwarten, unsere Arbeit frei und unbedrängt zu machen. Wir achten den Pressekodex – und sind nicht erpressbar.

Bundeskanzler, Minister, Verbandschefs, Unternehmer, Kirchen-Obere, Vereinsvorsitzende und viele ganz normale Bürger sprechen mit den Journalisten. Sie alle akzeptieren als Demokraten die Rechte der freien Presse. Dazu gehört ganz wesentlich, dass wir uns keinerlei Vorleistungen aufoktroyieren lassen können und dürfen. So wird es bleiben, Pegida hin, Pegida her.

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Quelle: Braunschweiger Zeitung, Montag, 19. Januar 2015

Tobias Korenke über die Krise des Medienjournalismus: Lust an der Selbstzerstörung (Zitat der Woche)

Geschrieben am 17. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

An der Qualität ihrer Selbstkritik kann man den Zustand einer Branche gut ablesen. Gucke ich Medienjournalismus kritisch unter journalistischem, handwerklichem Gesichtspunkt an: Der Zustand kann gar nicht schlechter sein. Da gibt es eine Lust an der Selbstzerstörung, da gibt es Artikel nur im Konjunktiv: „Es könnte sein“; tausend Beispiele fallen mir ein. Im Journalismus habe ich den Eindruck: Wem gar nichts mehr einfällt, der macht Medienjournalismus.

Tobias Korenke, Leiter der Unternehmens-Kommunikation der Funke-Mediengruppe, beim Symposium „25 Jahre Thüringer Allgemeine„; erschienen in der TA am 16. Januar 2015

Ein Lob der Hauptsätze (Zitat der Woche)

Geschrieben am 10. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Hauptsätze, Hauptsätze, Hauptsätze.

Aus dem Newsletter von Wolfram Kiwitt, Chefredakteur der Ruhr-Nachrichten , der Tucholskys „Ratschläge für einen guten Redner“ von 1930 zitiert. Der kostenlose Newsletter von Kiwitt, der jeden Morgen erscheint, ist vorbildlich, unterhaltsam und selbst für einen Nicht-Dortmunder lesenswert; zudem enthält er für jeden Lokalredakteur immer wieder Anregungen. Tipp: Unbedingt abonnieren!

Jeder Dritte liest auf dem Smartphone aktuelle Politik-Nachrichten

Geschrieben am 19. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

Immer mehr Deutsche nutzen das Internet auf dem Smartphone, genau sind es 31 Millionen (44 Prozent der Bevölkerung über 14). Um ein Viertel ist die Nutzung in nur einem Jahr gestiegen, wie die neue Internet-Studie, die Acta 2014, von Allensbach belegt. Das sind die Favoriten der Mobile-Nutzer:

1. Wetter (60 Prozent)
2. Soziale Netzwerke / Chatten (52)
3. Karten / Routenplaner (47)
4. You Tube / Videos schauen (42)
5. Wikipedia / Nachschlagewerke (40)
6. Veranstaltungen suchen (40)
7. Musik hören (38)
8. Aktuelle Politik-Nachrichten (32)
9. Sport (29)

Mittlerweile sind online auch zwei Drittel der Älteren über 60; in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 sind es über achtzig Prozent. Seit Jahren sind fast alle der unter 29jährigen täglich online.

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Quelle: Acta 2014 (Allensbacher Computer- und Technikanalyse), wird seit 1997 jährlich erhoben.

Der Leser sollte erfahren, wie ein Interview geführt wurde

Geschrieben am 11. Dezember 2014 von Paul-Josef Raue.

(Das Interview wurde per E-Mail geführt.)
von Henning Kornfeld

Gefunden bei kress.de am 10.12.2014 unter dem Interview von Kornfeld mit Lorenz Maroldt über den Newsletter „Tagesspiegel Checkpoint“.

Das wäre ein guter Service für den Leser. Er weiß, wie ein Interview geführt wurde:

> Schriftliche Fragen und Antworten per Mail oder
> ein autorisiertes / nicht autorisiertes Gespräch Auge in Auge oder am Rande eines Parteitags oder
> ein Telefon-Interview autorisiert / nicht autorisiert.

Beim Fernsehen wäre der Hinweis hilfreich, ob das Interview geschnitten wurde – und in welchem Umfang.

Die Form des Interviews sagt einiges aus über die Qualität. Warum soll es der Leser nicht erfahren?

Wenn Redakteure religiöse Gefühle verletzen: Absicht oder Ahnungslosigkeit? (Leser fragen)

Geschrieben am 29. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Die Mohamed-Karikaturen brachten die muslimische Welt in Aufruhr und unsere westliche in Verwirrung: Wie kann in aufgeklärten Gesellschaften die Religion und das Spiel mit ihr die Gefühle noch so stark verletzen?  Sind Muslime, die den dänischen Karikaturisten mit dem Tod bedrohen, einfach Jahrhunderte hinter der Aufklärung zurück – und somit unfähig, Ironie, Satire und Spott über Gott und seine Vertreter auf Erden zu verstehen und zu ertragen?

Doch auch Christen tun sich schwer mit dem leisen Spott, wenn er ihre  Gefühle trifft – erst recht im weitgehend entchristlichten Osten, wo Kirchenferne und Kirchenfeinde, Agnostiker und Atheisten die überwältigende Mehrheit stellen. In Thüringen, einem Land mit gerade mal 150.000 Katholiken (bei 2,2 Millionen Einwohnern), ärgern sich Leser  über die Berichterstattung  der Thüringer Allgemeine zur Einführung des neuen Bischofs. Einer fragt: „Insgesamt ist Ihr Ton herablassend, abschätzig und teilweise beleidigend. War das vielleicht sogar Absicht oder ,nur‘ Ahnungslosigkeit?“

Im Zentrum der Kritik steht der Vergleich der Mitra, der Kopfbedeckung des Bischofs, mit einer Kochmütze. „Sie ergehen sich vorwiegend in Nebensächlichkeiten, machen sich Gedanken über das Treiben auf dem Domplatz, über Wurstprodukte aus dem Eichsfeld und natürlich über das Wetter, aber über das Eigentliche, über die hohe Bedeutung und den Sinn dieser Festlichkeit, wissen Sie nichts zu berichten. Sie nennen es ,Spektakel.“

In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Wir wollen keine religiösen Gefühle verletzen – das erklären wir ohne Umschweife. Sollten wir dies, gegen unsere Absicht, getan haben, bitten wir um Entschuldigung. Der Pressekodex, in dem Journalisten ihre Berufsehre erklären, bestimmt:

Die Presse verzichtet darauf, religiöse, weltanschauliche oder sittliche Überzeugungen zu schmähen.

Daran halten wir uns.

Was ist eine Schmähung? Da werden Gottlose anders urteilen als Menschen, die an Gott glauben – gleich ob sie ihn Christus, Jahwe oder Allah nennen. Zwei Beispiele:

  • Die in Berlin erscheinende „Tageszeitung (taz)“ liebt die Satire auch in nachrichtlichen Texten und überschrieb nach der Papstwahl den Aufmacher: „Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab“. Der deutsche Papst war in der Tat ein Hitlerjunge gewesen, der neue Papst aus Südamerika wird von einigen verdächtigt, einen Pakt mit Diktatoren geschlossen zu haben. „Das sei nicht belegt“, urteilte der Presserat und rügte die Überschrift als Schmähung religiöser Gefühle.
  • Ohne Rüge blieben allerdings die Formulierungen: „Alter Sack I. folgt Alter Sack II.“ und „esoterischer Klimbim“ für die katholischen Dogmen. Die fehlende Rüge rügte dafür das Zentralkomitee der Katholiken: „Gerade auch in einer säkularen und offenen Gesellschaft, die von gegenseitigem Respekt lebe, müsse man Respekt gegenüber den Religionsgemeinschaften pflegen.“

    Ist also die Kochmütze eine Schmähung? Respektlos könnte sie sein, wenn man bedenkt: Auch demokratische Institutionen verordnen ihre hohen Repräsentanten ungewöhnliche Kopfbedeckungen – wie beispielsweise den Verfassungsrichtern in Karlsruhe.

Angemerkt sei abschließend: Die respektlosesten Witze über Gott und Würdenträger werden im Vatikan erzählt. Aber, eben mit Respekt sei eingeschränkt: Eine Nachricht ist kein Witz.

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“, 29. November 2014

Die „Zeit“ versucht sich am Lokalen und lernt Demut vor dem Leser

Geschrieben am 26. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Was passiert, wenn eine Zeit-Redakteurin plötzlich eine Lokalausgabe macht? Sie ist verwirrt, verwundert und stellt fest:

Man merkt erst einmal, wie stark man wirklich gelesen wird. Einmal haben wir zum Beispiel über den überhitzten Immobilienmarkt geschrieben. Und auf einmal hing der Artikel in Eimsbüttel an den Laternenmasten. Selbst beim geschliffensten politischen Kommentar zur internationalen Großwetterlage passiert das nicht.

So staunt Zeit-Hamburg-Chefin Charlotte Parnack in einem Interview mit Alexander Becker bei meedia.de (vom 19. November 2014). Der Zeit-Redakteurin fällt auf, was Lokalredakteure längst wissen: „Im Lokalen ist vieles extremer. Die Reaktionen im Positiven, aber auch im Negativen sind stärker. Bei den Lesern geht es immer gleich um alles. Das lehrt einen als Journalisten Demut. Es gibt keine Kleinigkeiten mehr. Das verändert alles.“

So ganz ist der typische Hochmut einer Zeit-Redakteurin aber noch nicht verflogen: „Wir glauben: Der Leser will erst einmal über den Krieg in Syrien lesen, nicht über die Busbeschleunigung vor seiner Haustür.“

Der Blick von außen auf das Lokale lässt auch Defizite erkennen. Beckers Frage „Fehlt grundsätzlich der Spieltrieb im Lokaljournalismus?“ bejaht Parnack zu Recht: Leser wollen Neues, das so sein soll wie das Alte. Die typische Zeit-Lokalgeschichte muss, so Parnack, eine Lagerfeuergeschichte sein, über das Kleine im Großen. „Also eine Geschichte, über die ich abends am Abendbrottisch immer noch sprechen will.“

PS. Die Konkurrenz vom Hamburger Abendblatt hat schon zweimal den Deutschen Lokaljournalistenpreis gewonnen und ähnlich wichtige Preise. So schlecht steht es um Hamburgs Lokales also nicht.

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Mail vom Journalisten und Juristen Daniel Grosse

Wenn lokale Geschichten bei Spiegel, stern und Co. explodieren

Es sind lokale Geschichten, die dann irgendwann explodieren. Überregional in einem der Medien wie Spiegel, stern oder Süddeutsche Zeitung. Dort sind die Explosionen zu hören. Mit den Augen. Es sind diese Geschichten hinter den Geschichten aus der Provinz, dem Lokalen. Einst immer wieder aufgegriffen von Reportern vor Ort, begleiten diese Geschichten ihre Leser. Und dann, wenn die Nachrichtenkriterien endlich übererfüllt sind, ziehen die Überregionalen nach. Genauso könnte es auch der Geschichte um den seit rund 20 Jahre währenden Verfall des Ortsmittelpunktes Marbach ergehen. Misswirtschaft, Familienschicksale und dann der Brand haben dort aus einer einst denkmalgeschützten Fachwerk-Villa mit imposantem Gelände einen öden Ort gemacht.

Ein verkohltes Dachstuhl-Gerippe überragt die vom stundenlangen Feuer geschundene Fassade, zerborstene Fensterscheiben erinnern an ein nächtliches Inferno, verkohlte Vorhangreste flattern hinter rußgeschwärzten Fensterrahmen. Beirut, Libanon, sind Worte, die Passanten sagen, wenn sie heute an der Bauruine in der Brunnenstraße vorbeigehen. Tatsächlich wie im Krieg. So sieht es dort aus. In dem ansonsten sehr ansehnlichen, gemütlichen Ortsteil Marbach am Rande der Uni-Stadt Marburg.

Gebrannt hat es am 15. August 2014. In der Nacht. Behörden, Feuerwehr, Polizeiermittler, Gerichte, Zwangsverwalter, Sachverständige und die Staatsanwaltschaft suchen seitdem nach Schuldigen, nach Hintergründen, sortieren Interessenlagen, sichern den Brandort und die Umgebung, planen weitere Schritte. Pikantes Detail: Gebrannt hat es in den vergangenen Jahren bereits in verschiedenen anderen Gebäuden des Eigentümers. Marbacher Bürger rätseln, verdächtigen und spekulieren. Suchen Zusammenhänge. Oberhessische PresseGr und Lokalreporter berichten. Weiträumige installierte Absperrgitter schützen Kinder, Blinde und andere Passanten vor maroden Gebäudeteilen, die herabstürzen könnten.

Eine Geschichte, die ganz sicher noch überregional in den Medien explodieren wird. Vielleicht spätestens dann, wenn zum Beispiel auf dem historischen Grund in bester Lage eventuell eine neue Immobilie wächst.

Quelle: Blog von Daniel Grosse
http://irondan.de/?p=119
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Ramelow & Co: Leser beklagt eine „Angst- und Verunglimpfungs-Kampagne“

Geschrieben am 22. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser der Thüringer Allgemeine (TA) schreibt:

Ich bin kein Linker, ich bin ein SPD-Anhänger. Wie können Sie es zulassen, dass gegen Rot-Rot-Grün und Herrn Ramelow die Angst- und Verunglimpfungskampagne weitergeht?

Selten war eine Regierungsbildung so heftig diskutiert wird die Rot-Rot-Grüne in Thüringen, die seit Wochen Öffentlichkeit wie Zeitung umtreibt mit Debatten über den Unrechtsstaat DDR und die Last der Diktatur auf den Schultern der Gegenwart überhaupt. Aktueller Anlass für den Leser war ein Foto auf der Titelseite am Montag nach dem Mauerfall-Jubiläum: Es zeigt die Erfurter Domplatz-Demonstration, auf der sich viertausend Bürger mit Kerzen in den Händen gegen die rot-rot-grüne Koalition wandten. Der Leser wollte lieber über die Feiern zum Mauerfall-Jubiläum auf der Titelseite lesen und folgert: „Mit dieser eindeutig parteilastigen Berichterstattung machen Sie die TA zum Sprachblatt der CDU.“

In der Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Der Vorwurf der „Angstmache- und Verunglimpfungskampagne“ geht an die Ehre eines Journalisten – denn unser Ehrenkodex bestimmt: „Die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse.“ Das bedeutet:

Wir schauen bei den Mächtigen genau hin, also auch bei denen, die zu den Mächtigen aufsteigen wollen – dabei interessiert uns keine Partei. Würden wir anders handeln, wären wir wirklich ein Parteiblatt. Wir geben allen eine faire demokratische Chance, wie Sie es fordern: Darum beobachten wir die Politiker, wenn möglich auf Schritt und Tritt. Das ist unsere Aufgabe.

Wir dürfen auch nicht wegschauen: Das Unterdrücken von Nachrichten missachtet das Recht der Leser, sich selber eine Meinung zu bilden. Ob eine Nachricht, eine Diskussion, eine Affäre oder ein Skandal einem Politiker oder einer Partei schadet oder nutzt, das entscheidet der Wähler. Wir liefern nur die Informationen und regen zur Meinungsbildung an.

Den Vorwurf, ein Parteiblatt von SPD oder Linken zu sein, bekamen wir in den vergangenen Jahren von der CDU und CDU-Wählern, als wir die Affären von Zimmermann bis Gnauck aufgedeckt und ausführlich berichtet hatten. Wir machen eben keine Affären, wir berichten über sie. Angst und Verleumdung ist nicht unser Geschäft.

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Thüringer Allgemeine 22. November 2014

Twitter-Journalismus: Investigative Fragen an Bastian Schweinsteiger

Geschrieben am 16. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Bei der Bambi-Preisverleihung langweilt sich Thorsten Schmitz von der Süddeutschen Zeitung, hört „übliche Phrasen“ und sieht „altbackene Choreografien“. Kurzum – das ist nicht seine Welt. So geht er in die Lobby zu den „jungen nervösen Klatschreporterinnen, die ihre Redaktionen mit Twitter-Nachrichten füttern müssen“. Vielleicht will er die schöne neue Welt des Journalismus ahnen, die Zeit nach der Süddeutschen, wenn Papier nicht mehr raschelt und der Leser mit 140 Zeichen zu befriedigen sein wird.

Zwei Worte reichen schon, um die „heimelige Bambi-Welt“ zu zerstören: „Fuck Isis“ steht auf dem T-Shirt eines jungen Sängers. „Zu krass“ findet das eine der jungen nervösen Klatschreporterinnen und twittert es – nicht. Dann kommt der journalistische Höhepunkt, den Thorsten Schmitz sekundengenau schildert:

Als Bastian vor ihr (der jungen nervösen Klatschreporterin) steht, fragt sie investigativ: „Wie geht’s Ihnen?“ Scheinsteiger sagt: „Super!“ Sekunden später ist das Zitat im Umlauf.

Aber richtig zufrieden ist sie auch nicht damit.

„Hast Du schon einen Knaller?“ fragt sie eine Kollegin.

„Nö“, sagt die. „Du?“

Bei so viel Phrasen möchte sich Thorsten Schmitz befreien, er zitiert Arthur Schnitzler, den Senta Berger zitiert: „Wir alle spielen. Wer es weiß, ist klug“; er zitiert Helmut Dietl und nennt es einen „Moment der Authentizität“: „Wüsste ich, wie Glücklichsein geht, wäre ich es damals gewesen“.

Schmitz nennt diesen Satz „Sperrgut im Weichspülermeer vor Bambiland“. Wer viele Phrasen hören muss, versinkt halt auch mal im Sprachbilder-Schlick.

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Quelle: Süddeutsche Zeitung 15. November 2014 „Hast Du schon einen Knaller“

Darf eine Zeitung das Bild eines rasenden Politikers drucken? Ramelows Blitzerfoto und Quietsche-Enten

Geschrieben am 15. November 2014 von Paul-Josef Raue.

Ein Leser der Thüringer Allgemeine fragt zum „Blitzerstreit des B.R.“, gemeint ist Bodo Ramelow, der erster Ministerpräsident der Linken in Deutschland werden will: „Der Abdruck des Blitzerfotos ist gesetzwidrig, er verletzt das hohe Gut des Persönlichkeitsrechtes – warum dazu kein Hinweis?“ Der Leser bezieht sich auf Berichte und Fotos, zuerst der Bildzeitung, über Bodo Ramelow, der zu schnell gefahren sein soll, wie ein Blitzerfoto beweise (was von ihm bestritten wird: Erst akzeptierte er den Bußgeldbescheid nicht, aber zahlte dann laut eigener Angabe doch, nachdem der Fall ans Amtsgericht weitergeleitet und öffentlich diskutiert worden war).

Auch die Thüringer Allgemeine und der FAZ berichteten ausführlich, FAZ und Bild sogar mit Angabe des Kennzeichens von Ramelows Wagen.

Der Chefredakteur antwortet in seiner Samstags-Kolumne „Leser fragen“ auf der Leserseite:

Es gibt in der Tat ein Recht am eigenen Bild. Doch gibt es auch eine Reihe von Ausnahmen – vor allem für Bürger, die gewählt sind als Vertreter des Volks, für Bürger, die berühmt sind und die sich in der Öffentlichkeit stolz präsentieren.

Blitzerfotos waren sogar Gegenstand einer Klage beim Bundesverfassungsgerichts, das entschied: Sie sind erlaubt, denn sie werden auf öffentlichen Straßen aufgezeichnet und sind jedermann wahrnehmbar – und schließlich gehe es um die Sicherheit im Straßenverkehr, die eine Einschränkung der „grundrechtlichen Freiheiten“ erlaubt.

Vor allem Politiker, die von den Bürgern als Vorbild gesehen werden, müssen akzeptieren, dass sie im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Bodo Ramelow nennt dies in einer Facebook-Nachricht sinngemäß: Die Presse spiele mit Quietsche-Enten. Selbst eine Politikerin wie Heidi Simonis, die abgewählt war, musste ertragen, dass sie beim Einkaufen fotografiert wurde. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Bürger dürfen erfahren, wie sich ein Politiker verhalte – gerade in spektakulären Situationen. Er könne sich “nicht ohne Weiteres der Berichterstattung unter Berufung auf seine Privatheit entziehen“.

Und dass sich Bodo Ramelow in einer spektakulären Situation befindet, dürfte selbst bei ihm unstrittig sein, wie sein persönliches Engagement in den sozialen Netzwerken beweist.

Zudem: Wen sollte ein Reporter nach der Zustimmung zur Veröffentlichung des Blitzerfotos fragen, wenn unklar ist, wer überhaupt auf dem Foto abgebildet ist?

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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Leser fragen“ 15. November 2014 (hier erweitert)

Quellen: Bild 6.11. „Wird hier Thüringens neuer Landeschef geblitzt?“ und FAZ 7.11. von Claus Peter Müller „Zur Akteneinsicht gebracht“

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