Was ist Objektivität im Journalismus?
„Die sogenannte Objektivität können wir getrost vergessen“, schreibt Peter Kerstin in seinem 2000 erschienenen Buch „Der journalistische Film“. Er schlägt vor, objektiv durch fair oder angemessen zu ersetzen. Diesem Ideal nähere sich ein Journalist an, wenn er als Berichterstatter die eigene Subjektivität eingestehe:
Ein Standpunkt wird für den Zuschauer verständlich, wenn eine persönliche Sicht der Realität beschrieben wird… Die höchste Form der Objektivität ist durch das Eingeständnis einer subjektiven Sicht zu erreichen. Nur die Kenntnis vom Standpunkt des Berichterstatters ermöglicht dem Zuschauer, die Informationen sinnvoll einzuordnen.
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Quelle: Peter Kerstan: „Der journalistische Film. Jetzt aber richtig.“ Frankfurt 2000, Seite 31
Ein guter Journalist belehrt seinen Leser nicht, manipuliert ihn nicht“ (Stephanie Nannen – Zitat der Woche)
Heute vor zwanzig Jahren starb Henri Nannen, einer der prägenden Journalisten der Nachkriegszeit. „Du musst eine Geschichte erzählen“, erinnert sich Enkelin Stephanie Nannen an ihren Großvater. „Nimm deinen Leser mit auf die Reise und lass ihn mit erleben, mit erfahren, mit schmecken, mit leiden und mit lieben!“
In einem Beitrag für Kress Pro schreibt Stephanie Nannen über die Einsamkeit des Journalisten, der mit seinem Leser ein Zwiegespräch führe:
Gesprächspartner sei nicht die anonyme Masse, sondern der einzelne Leser, der Mann, der im Zug die Zeitung liest, der Arbeiter in der Pause, die Frau, wenn sie am Abend endlich Zeit dazu findet – immer nur ein einzelner Mensch, der beim Lesen so allein ist wie der Journalist beim Schreiben. Diese beiden seien Partner eines Gesprächs. Ob sich diese Szene tausend oder wie beim Stern seinerzeit in der Woche neun Millionen Mal ereigne: In jedem Fall ist der Journalist mit seinem Leser allein.
Und sie nennt den Grundsatz ihres Großvaters:
Ein guter Journalist versuche seinen Leser weder zu belehren noch zu manipulieren.
Journalisten und Zahlen: Einige beherrschen Schlagzeilen besser als Statistik
Detlef Gürtler fand heraus: Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus waren in einem Kreuzberger Stimmbezirk in die Spalte mit den Zweitstimmen noch einmal die Erststimmen eingetragen worden. Da die AfD in dem Bezirk keinen Direktkandidat und somit keine Erststimmen hatte, sah es aus, als hätte im Kiez keiner die AfD gewählt. Was für eine Jubel-Nachricht: Die AfD-freie Zone.
Detlef Gürtler schreibt dazu in seinem Newsletter:
Shit happens, könnte man sagen; aber dadurch, dass einige Journalisten (vom Tagesspiegel-Chefredakteur Maroldt bis zum Krautreporter Dominik Wurnig) Schlagzeilen besser beherrschen als Statistik, hat sich das Mem vom „besten Kiez der Welt“ (Wurnig) ziemlich weit verbreitet. Die Korrektur hingegen interessiert wie immer kein Schwein. Solange wir Journalisten uns so verhalten, brauchen wir uns auch nicht beschweren, dass so viele Leute so wenig von unserer Arbeit halten.
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Muss man wissen, was ein Mem ist? Der Duden hat das Wort nicht aufgelistet.
Journalisten sind Anhänger der Zahlenmystik: „Deutsche Bank“ und die 10-Euro-Marke
Die Süddeutsche Zeitung schickte eine Push-Meldung, als der Kurs der Deutschen Bank erstmals unter zehn Euro fiel. In den meisten Radio-Nachrichten war dies die Spitzenmeldung. Warum?
- Zum einen ist, beispielsweise, die Differenz von 10,1 zu 9,9 keine andere als die von 16,4 zu 16,2.
- Zum anderen sind Börsen so labil wie eine verliebte Frau oder ein eifersüchtiger Mann: Sie springen hin und her, oft ohne Verstand. So kletterte der Deutsche-Bank-Kurs auch wieder – nur wenige Stunden nach der Pushmeldung; er war am Ende des Börsen-Tages bei 11,71 Euro.
Dass die Deutsche Bank in Turbulenzen geschüttelt wird, dass sie in kurzer Zeit den Großteil ihres Börsenwertes verloren hat – das ist das Thema, nicht die 10-Euro-Marke. Die ist Zahlenmystik.
Luther, Journalisten und die Kunst, Unverständliches zu übersetzen
Politiker, Wissenschaftler und Bürokraten reden gern unverständlich – und protestieren, wenn Journalisten Unverständliches und Gestelztes übersetzen. Zu Luthers Zeiten riskierte einer, der die Bibel allzu frei übersetzte, den Ausschluss aus der Kirche und das Ende seiner Existenz. Luther brauchte also auch Mut, wir würden es heute Zivilcourage nennen, wenn er seine Methode durchzog, die Bibel verständlich ins Deutsche zu übertragen.
Doch beim Übersetzen geriet Luther schnell, aber durchaus gewollt ins Interpretieren und Kommentieren. Dies kennen auch heute Journalisten, wenn sie frei eine Politiker-Rede wiedergeben und heftig gescholten werden – zurzeit vorzugsweise von AfD-Politikern wie Frauke Petry, etwa nach dem „Schießbefehl auf Flüchtlinge“ im Mannheimer Morgen, oder nach Alexander Gaulands Boateng-Vergleich in der FAS.
Oft reicht ein Wort – wie bei Luthers Übersetzung einer Passage des Paulus-Briefs an die Römer. „Allein durch den Glauben wird der Mensch gerecht“, schreibt Luther, das Wort „allein“ steht allerdings nicht im Originaltext. Die Theologen schäumen, aber Luther rechtfertigt sich: „Es steht so nicht in der Bibel, aber es gehört eben im Deutschen hinein um der Klarheit willen.“
Luther musste auch Wörter finden und erfinden. Auch vor Luther gab es eine Reihe von deutschen Übersetzungen wie die von Johannes Mentelin, ein gutes halbes Jahrhundert vor Luther. Viele Wörter in Mentelins Text kannte Luther nicht wie „Trom“, das Luther nach langem Nachdenken mit „Balken“ umschrieb, oder „agen“, das er mit Splitter übersetzte: „Du siehst den Splitter (agen) im Auge deines Bruders, aber nicht den Balken (trom) in deinem Auge.“
Journalisten lest viel! Erweitert Euren Wortschatz! Das wäre Luthers Rat an Volontäre wie gestandene Redakteure: „Wer dolmetschen will, muss einen großen Vorrat von Worten haben“, ist im „Sendbrief vom Dolmetschen“ zu lesen. Luther schätzte zudem eine Sprache mit Gefühl – eben „auf dass es dringe und klinge ins Herz, durch alle Sinne“.
* Die komplette Kolumne JOURNALISMUS! „Hummeln im Arsch: Die Sprache der Journalisten“ bei kress.de:
http://kress.de/news/detail/beitrag/135792-hummeln-im-arsch-die-sprache-der-journalisten.html
INFO
Die Ausstellung „Luther und die deutsche Sprache“
Die gut besuchte Ausstellung ist die letzte von sechs Ausstellungen der Wartburg vor dem Lutherjahr 2017, in dem die Ausstellung „Luther und die Deutschen“ von Mai bis November 2017 zu sehen sein wird. Das Welterbe Wartburg ist die meistbesuchte Lutherstätte.
Die Sonderausstellung „Luther und die deutsche Sprache“ ist bis zum 8. Januar 2017 auf der Wartburg zu besichtigen (im Sommer von 8.30 bis 17 Uhr); der Katalog kostet 12,95 Euro.
Verfassungsgericht zu Doping-Vorwürfen: Auch nicht bewiesene dürfen verbreitet werden
Was zählt mehr: Mein Persönlichkeitsrecht, durch unwahre Nachrichten verletzt zu werden – oder die Meinungsfreiheit, eine wichtige, aber nicht beweisbare Nachricht zu verbreiten? Land- und Oberlandesgericht gaben einer Leichtathletin Recht, die nicht mehr lesen wollte: Als Dreizehnjährige habe ihr DDR-Trainer ihr das Dopingmittel Oral-Turinabol verabreicht.
Die Gerichte urteilten im Sinne der Leichtathletin: Einen Vorwurf, der nicht bewiesen werden kann, werten wir als „prozessual unwahr“; also wiegt das Persönlichkeitsrecht der Sportlerin stärker als das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
Die Gerichte haben es sich zu leicht gemacht und die Meinungsfreiheit nicht ausreichend gewürdigt, findet dagegen das Bundesverfassungsgericht. In einem gerade veröffentlichten Urteil gibt es die Kriterien an, nach denen Journalisten auch Unbewiesenes weiter behaupten dürfen:
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Es muss ein Vorwurf sein, der für die Öffentlichkeit „wesentlich“ ist.
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Der Vorwurf muss „hinreichend sorgfältig“ recherchiert werden. Je schwerer der Vorwurf, umso höher die Sorgfalt. Dabei müssen Journalisten intensiver recherchieren als Privatpersonen, die einen Vorwurf erheben.
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Der Vorwurf kann stimmen, muss aber nicht stimmen: Ist so das Ergebnis der Recherche, steht die Wahrheit also nicht fest, kann die Meinungsfreiheit stärker wiegen als das Persönlichkeitsrecht. Das Gericht wörtlich:
„Sofern der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung nicht feststellbar ist, kann das Grundrecht der Meinungsfreiheit einem generellen Vorrang des Persönlichkeitsrechts entgegenstehen.“ -
Nach Abschluss umfassender Recherchen müssen Journalisten kenntlich machen: Der Vorwurf ist nicht gedeckt trotz intensiver Recherchen; oder: er ist umstritten.
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Quelle: 1 BvR 3388/14
Schlagzeile in Koblenz: Hetzjagd gegen Flüchtlinge oder notwendige Information?
„Kassenpatienten zahlen für Flüchtlinge“
Mit dieser Zeile machte die Rhein-Zeitung in Koblenz am Samstag die Titelseite auf. Einige Leser protestierten: „Hetzjagd gegen Flüchtlinge“. Chefredakteur Christian Lindner reagiert darauf in seinem montäglichen Newsletter:
Wenn wir aus Furcht vor Stimmungen nicht mehr das sagen, was Sache ist, bekommen wir auf Sicht noch ganz andere Probleme. Wir werden uns deshalb weiter an den Fakten orientieren – und Schlagzeilen formulieren, die Entwicklungen auf den Punkt bringen. Auch wenn diese nicht jedem gefallen.
So nennt die Rhein-Zeitung auch die Nationalität eines 19-jährigen Asylbewerbers aus Afghanistan, der, mit einem Messer bewaffnet, in einer Spielhalle eine Frau als Geisel genommen und die Zusicherung einer Aufenthaltserlaubnis gefordert hatte. „Wir nennen die Nationalität des Täters – weil das untrennbar zur Beurteilung der Tat gehört“, schreibt der Chefredakteur.
Regeln: Wie Journalisten mit Terroristen umgehen sollen
Die Presse lässt sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen
Dieser Satz müsste als Regel eigentlich ausreichen, wenn Journalisten über Terror und Gewalt berichten. Mit diesem Satz „aus den Leitlinien zur Berichterstattung über Gewalttaten“ beenden Georg Mascolo und der Terror-Experte Peter Neumann ihren Beitrag in der Süddeutschen Zeitung: „Die rohe Botschaft: Terroristen messen den Erfolg ihrer Anschläge auch am medialen Widerhall. Verschweigen ist keine Lösung, aber die neue Bedrohung erfordert neue Regeln“.
Diese Regeln schlagen Mascolo und Neumann vor (hier Zusammenfassung):
- Verschweigen kann keine Lösung sein, sonst verbreiten sich Verschwörungstheorien noch schneller.
- Größte Zurückhaltung ist geboten bei Fotos und Videos vom IS, anderen Terror-Organisationen oder Einzeltätern, nicht nur bei Bildern der Taten, sondern auch von marschierenden IS-Anhängern oder bei Bekenner-Botschaften von Attentätern.
- Ohne Kontext und Einordnung sollten Bilder überhaupt nicht verwendet werden.
- Bei der Sprache gilt Vorsicht wie bei den Bildern.
- Der Begriff „einsame Wölfe“ für Einzeltäter wird von Behörden und Wissenschaftler zwar benutzt, aber er heroisiert die Täter.
- Vorsicht bei Superlativen, die dem IS nutzen, um Angst zu steigern: „Eskalation“ usw.
- Pflicht zur Sorgfalt gilt auch für jeden, der in den Sozialen Medien Bilder verbreitet. „Solche Bilder haben das Potenzial zu traumatisieren“, so der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins. „Das ist eine Verantwortung, die man Hobbyjournalisten oder Freizeit-Filmern wirklich vor Augen führen muss.“
- Live-Übertragungen von Anti-Terror-Einsätzen gefährden die Arbeit und den Erfolg der Polizei, weil die Täter den Polizeieinsatz live im Fernsehen oder im Internet verfolgen können.
- Zurückhaltung bei der Beschreibung von Täter-Biografien: Es gibt keine klare Grenze mehr zwischen terroristischer Motivation und psychischer Erkrankung.
- Besondere Zurückhaltung bei Berichten über psychisch Kranke und Amokläufer; die von einigen französischen Medien wie Le Monde vertretene Linie ist richtig: keine Namen, keine Bilder. Die Gefahr von Nachahmern ist besonders hoch. Laut US-Studie steigt die Gefahr von weiteren Amokläufen direkt nach einer Tat um 22 Prozent.
Mascolo und Neumann verweisen auf die Regeln, die der IS zur Unterdrückung der Berichterstattung für sein eigenes Machtgebiet aufgestellt hat; er hat unabhängige Berichterstattung als Bedrohung erkannt: Zugelassen sind nur Journalisten, die dem selbsternannten Kalifen die Treue schwören.
Notwendig seien Fakten gegen die vom IS verbreiteten Mythen. Mascolo und Neumann:
Berichte über die massenhaften Desertionen etwa oder über die Korruption im Kalifat, die inzwischen so groß ist, dass sogar Mitgliederlisten der Terroristen verkauft werden. Oder Geschichten wie die in der Washington Post. Sie beschreibt, dass der IS Leute abgestellt hat, um gefallene Kämpfer zu bergen. Sie waschen ihnen das Blut ab, öffnen ihre Augen, verändern die starren Gesichtszüge so, dass ein Lächeln entsteht. Ganz so, als wären sie nicht unter Qualen gestorben, sondern freudig ins Paradies eingezogen.
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Quelle: SZ 6. August 2016
Info: Presserat spricht Rügen aus wegen Fotos von Terroropfern
Unbenommen liegt ein öffentliches Interesse an der Berichterstattung über das schreckliche Ereignis (in Brüssel) vor. Medien hatten jedoch eine oder mehrere Aufnahmen gezeigt, auf denen schwer verletzte Menschen identifizierbar zu sehen waren. Einige von ihnen sogar in Nahaufnahme. Diese Fotos verstoßen gegen den Schutz der Persönlichkeit. Presseethisch zulässig waren Fotos, die die dramatische Gesamtszenerie am Flughafen und an der Metro zeigten. Diese Bilder dokumentieren die schreckliche Realität dessen, was sich ereignet hat, überschreiten jedoch keine ethische Grenze. (aus einer Pressemitteilung des Presserats)
Interviews mit Despoten: Auf die eigene Haltung kommt es an (Gespräch mit Dieter Bednarz)
Politiker in Europa wollen die Gespräche mit der Türkei abbrechen: Mit Diktatoren niemals! Gilt das auch für Journalisten? Franz Josef Wagner, Kolumnist der Bildzeitung, meint: „Gott, für ein Interview lächelte ich selbst mit dem Teufel.“ Auch Dieter Bednarz, Nahost-Experte des Spiegel, interviewt jeden: „Ich hätte keine Scheu, morgen auch nach Nord-Korea zu reisen, wenn ich dort einen Termin bekommen könnte. Wichtig ist doch, die richtigen Fragen zu stellen.“
Wohl kein anderer Reporter hat so viele Interviews mit Despoten geführt wie Bednarz. Im Kress-Gespräch, veröffentlicht in meiner Journalismus!-Kolumne, geht er auf die Haltung ein, die ein Reporter mitbringen sollte:
Wer sich so mit dem Land auseinandersetzt, geht natürlich mit einer eigenen Position in einen solchen Termin, kommt als kritischer Frager und scheut auch den Schlagabtausch nicht. Auf diese eigene Haltung kommt es – neben Fachwissen – an…. Meine einzige Sorge ist mitunter, dass eine zu harte Frage, womöglich wie bei Motakki gleich als Einstieg, zum Abbruch des Termins führt.
Bednarz hatte das Interview mit dem iranischen Außenminister Motakki mit der Frage begonnen: „Herr Außenminister, Sie sind der oberste Diplomat der Islamischen Republik Iran. Sie vertreten eine Nation, die sich einer Kulturgeschichte von über 2500 Jahren rühmt. Beschämt es Sie nicht, dass in Ihrem Land Menschen gesteinigt werden?“ Manutschehr Motakki hatte die Frage auch bei der Autorisierung nicht gestrichen.
Für Bednarz sind solche Interviews auch ein Grund, warum er Journalist geworden ist:
Mich interessieren politische Entwicklungen sowie Menschen und deren Schicksale. Das gilt nicht nur für die Mächtigen, sondern auch für Oppositionelle. Eine großartige menschliche Bereicherung waren die zwei Stunden Interview mitten in der Nacht, die mir Ahmadinedschad-Gegenspieler Mehdi Karroubi, der unter Hausarrest stand, gewährt hat. Und wenn Sie zweieinhalb Stunden mit einem wie dem ägyptischen Staatschef Sisi reden, dann bekommen Sie schon eine Ahnung davon, wie diese Person tickt und welche Botschaft sie zum Beispiel an die Bundesregierung übermitteln will. Wenn das Gespräch gut geführt wird, dann erschließt sich das auch dem Leser und ist ein Gewinn für ihn.
„Ein Journalist scheut den Schlagabtausch nicht“ ist das Gespräch überschrieben, das in voller Länge bei kress.de nachzulesen ist.
Namensnennung – ja oder nein? Verfassungsgericht stärkt die Meinungsfreiheit
Ein Mann verlässt seinen Laden, den er gemietet hatte, und zahlt die ausstehende Miete erst, als der Vermieter gegen ihn Strafanzeige stellt und Zwangsvollstreckung beantragt. Drei Jahre danach veröffentlicht der Mieter in einem Internet-Portal den Namen des Vermieters, der gegen ihn Strafanzeige gestellt hatte, und erzählt wahrheitsgemäß, was geschehen war.
Der Vermieter klagt wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und seiner Sozialsphäre, er will den Eintrag gelöscht sehen: Land- und Oberlandesgericht geben ihm Recht. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet allerdings anders – für die Meinungsfreiheit. Das Urteil ist auch für Journalisten interessant, weil das Verfassungsgericht die Gründe aufzählt, die dafür sprechen, den Namen in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zu nennen:
- Die Fakten müssen stimmen.
- Die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre müssen grundsätzlich hingenommen werden.
- Die Nennung des Namens berührt das Persönlichkeitsrecht
- Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechts-Verletzung wird erst überschritten, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der unverhältnismäßig ist; das Gericht wörtlich: „außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht“.
- Die Nachteile für den Genannten müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.
- Droht kein unverhältnismäßiger Verlust an sozialer Achtung, muss einer die Veröffentlichung hinnehmen.
- Es ist unwesentlich, ob der Vorfall einige Jahre – im konkreten Fall drei – zurückliegt.
Dies ist kein Freibrief für Zeitungen und Nachrichten-Portale, stets einen Namen zu nennen. Im konkreten Fall ging es um Online-Portale, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben.
Das Urteil zeigt: Es kommt auf den Einzelfall an und die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Recht auf freie Meinungsäußerung. Wie schwierig diese Abwägung ist, zeigt die unterschiedliche Beurteilung von hohen Gerichten in dem konkreten Fall.
Bundesverfassungsgericht – Beschluss vom 29. Juni 2016: 1 BvR 3487/14
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