NSU-Prozess: Wenn Zschäpe vom Teufel besessen ist, geht sie uns nichts mehr an (Friedhof der Wörter)
„Der Teufel hat sich schick gemacht“ – lautete am Dienstag die Schlagzeile der Bildzeitung. Beate Zschäpe wird als Teufel identifiziert, wobei die Boulevardzeitung die Geschlechtsumwandlung nicht stört: Der Teufel wird zur Frau.
Die Redaktion spielt auf einen erfolgreichen Film an: „Der Teufel trägt Prada“. Meryl Streep spielt die von Macht berauschte und schöne Chefredakteurin, die feine Sache trägt, nicht nur Prada. Der Film ist eine Satire.
Der NSU-Prozess ist Wirklichkeit. Erst Elitz, Kommentator der Bildzeitung, schreibt: „Das Böse hat ein Gesicht. Beate Zschäpe“; der Kommentator war immerhin Intendant von Deutschlandradio Kultur, einem angesehenen Sender in Deutschland.
Dürfen wir einen Menschen einen „Teufel“ nennen? Im Alltag denken wir uns wenig dabei. „Teufel“ ist leicht jeder, der seine Macht offen zeigt. Selbst Kinder, die ihren Willen testen, nennen wir „kleine Teufel“ – und nicht selten lächeln wir dabei.
Aber ein „Teufel“ auf der Anklagebank? Das ist nicht mehr zum Lachen, das ist Vorverurteilung, das ist Zerstörung, Dämonisierung eines Menschen, der nicht verurteilt ist. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.
In seinem Roman „Der Name der Rose“ lässt Umberto Eco seinen Helden, den Mönch William, mit einem Abt über das Wirken des Teufels diskutieren. Kann es sein, so William, dass die Richter und das ganze Volk sehnlichst eine Präsenz des Bösen wünschen? „Vielleicht ist das überhaupt der einzige wahre Grund für das Wirken des Teufels: die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen.“
Wer vom Teufel besessen ist, ist von einer fremden bösen Macht gesteuert. Dann können wir uns zurücklehnen und sagen: Sie ist keine von uns, das geht uns nichts an.
Thüringer Allgemeine, geplant für die Kolumne „Friedhof der Wörter“ am 13. Mai 2013
Caveman, Shitstorm und die „Stille Post“: Wenn Journalisten voneinander abschreiben
Wir sind auf eine fiktive Shitstorm-Agentur hereingefallen, wir entschuldigen uns – so die SZ in ihrem Feuilleton vom 6. April über ein Interview, das sie am 5. April veröffentlicht hatte und auch Grundlage meines Blog-Eintrags war.
In dem Interview behauptete ein offenbar tatsächlich existierender Oliver Bienkowsky, er würde gegen Geld Shitstorms organisieren; dabei würden ihm Obdachlose helfen, die falsche Profile in sozialen Netzwerken anlegten. Das sei eine Medienmanipulation.
Auf seiner Webseite schreibt „Cavemann“:
Im Gegensatz zu Unternehmen haben Gruppen am Rande der Gesellschaft keine große Lobby, die es ihnen ermöglicht, mit viel Investment große Reichweite und Aufmerksamkeit für ihre lebensbedrohlichen Anliegen zu finanzieren.
Jetzt nutzen wir unsere erprobten Mechanismen und Hebel der Medienmanipulation, um ein Thema aufzuzeigen und wieder zur Diskussion zu bringen, welches uns besonders am Herzen liegt:
Obdachlose Menschen und das grassierende Wohnungsproblem in deutschen Städten sollten noch mehr ins Tageslicht und so auf die Titelseiten gerückt werden.
Dieses Vorhaben ist uns geglückt mit einer geschickt platzierten Story, die das eigentliche Thema in satirischer Art und Weise aufgreift.
Wir gaben bekannt, dass wir fortan Obdachlosen einen Tagesaufenthalt bieten. Bei medizinischer Pflege, frischem Obst und Essen, wird die Zeit genutzt, um an Computern an der Erstellung von Facebook- und Twitter-Kommentaren zu arbeiten. Die Aussage krönten wir noch mit der Erwirtschaftung von Gold in Onlinegames wie World of Warcraft und der Betreuung von Shit- und Candystorms im Internet.
Wir bedanken uns bei allen Medienverlagen und Onlineredaktionen, das Sie dem Thema Obdachlosigkeit für kurze Zeit einen Platz in der Berichterstattung eingeräumt haben.
„Caveman“ beschreibt detailliert das Drehbuch der „Medienmanipulation“:
1. Am 07.11.2012 stellten wir auf www.caveman-werbeagentur.de/shitstormagentur die bekannte „Shitstormagentur“ Seite ins Netz. Zusätzlich reservierten wir die Domain www.shitstormagentur.de
Wir indexierten diese bei Google und waren kurze Zeit später im Google Index unter dem Begriff „Shitstormagentur“ auf Seite 1.
Parallel schalteten wir auch zu dem Suchbegriff „Shitstormagentur“ Google Adwords Anzeigen.
So lagen wir perfekt in der Google Suche, um vom einem Redakteur entdeckt zu werden. Nun legten wir uns auf die Lauer.
2. Schon im Dezember, nachdem wir diese Aktion auf unserer Facebook Fanseite promotet hatten und die Google Adwords-Anzeigen wirkten, sprangen 10-20 Personen bei Twitter und Facebook an – und berichteten über unsere Aktion.
Doch das Interesse war gering, keine Zeitung oder Onlinedienst sprang auf die Tweets und Facebook Berichte an, OBWOHL bei Twitter Tweets wie „Aktiver Image-Abbau durch die eigene Klientel: was sagen @bvdw und @wuv zum Thema: Shitstorm kaufen?! http://www.caveman-werbeagentur.de/shitstormagentur …“
herumgeisterten.
W&V hatte also schon am 21. Dezember 2012 die Möglichkeit zu berichten. Doch dieser Sturm verebbte schnell wieder. Nun mussten wir noch ein wenig länger warten.3. Als dann am 31.03.2013, ohne dass wir es vorher wussten, die ZEIT auf der ersten Seite im Feuilleton den Bericht „Nehmt es als Erfrischung“ veröffentlichte und unsere Dienstleistung nannte, startete unser Raketentriebwerk die nächste Stufe.
Dazu mussten wir nichts machen. Zuerst kontaktierte uns Telepolis / Heise Online – hier versuchten wir die IT-Security Vergangenheit und Zeitungsartikel über WLAN Sicherheit dazu zu nutzen, eine glaubhafte Story zu präsentieren. Das klappte dann auch soweit. Der Redakteur rief bei uns am 02.04.2013 an. Der Artikel erschien am 03.04.2013.
4. Jetzt ging die Sache richtig los. Am 03.04.2013 19 Uhr kopierte Focus Online die Meldung um 19 Uhr von Heise. Nach einem Telefonat mit Meedia.de folgte auch dort ein Artikel. Die in der Schweiz ansässige Werbewoche übernahm am 03.04.2013 den Bericht direkt von Meedia.de. Die Stille Post ging also immer weiter.
Am Abend des 03.04.2013 wechselten wir die Profilbilder von Oliver Bienkowski auf unserer Agenturseite, bei Twitter, Xing und Facebook gegen ein gemeinsames Satire- Foto von Martin Sonneborn (Titanic) und Oliver Bienkowski aus. Martin Sonneborn hat mit der Aktion nichts zu tun, es ist nur ein Foto das beim Besuch seiner Show Satire & Krawall in Düsseldorf entstanden ist.
5. Nun schalteten wir die nächste Raketenstufe. Unsere Behauptung am 04.04.2013:
Wir beschäftigen Obdachlose, die den ganzen Tag World of Warcraft Gold farmen, auf Facebook Profile klicken und bei Twitter Nachrichten schreiben, Shitstorms organisieren und gewitzte Kommentare hinterlassen.
Am 04.04.2013 fiel Horizont.net auf, dass erst einmal ein wenig Satire durchklingt und es ein Foto von Martin Sonneborn und Oliver Bienkowski auf der Homepage gibt.
6. An diesem Tag gaben wir auch der Süddeutschen Zeitung ein Interview, das am 05.04.2013 auf Seite 1 im Feuilleton erscheint. Gute Sache, 68.000 Euro Image und Markenwerbung gespart – so viel kostet eine Seite Werbung in der Süddeutschen Zeitung.
7. Am Abend des 04.04.2013 fuhren wir mit Gebäck und einem Schild mit der Aufschrift „580.000 Obdachlose sind eindeutig zu viel!“ zur uns bekannten Düsseldorfer Bahnhofsmission. Hier verteilten wir schon im Dezember 2012 selbst gebackene Kekse. Wir schossen das Foto vor der Bahnhofsmission.
8. Nun veröffentlichen wir in der Nacht des 05.04.2013 vor der logistischen Auslieferung aller Zeitungen die Auflösung auf unserer Homepage. Allen interessierten Lesern der Zeitungsberichte wird beim Besuch unserer Webseiten die Auflösung präsentiert.
Diese Satire wirft nicht nur einen Blick auf das Leiden der Obdachlosen, sondern auch auf die Arbeitsweise von Journalisten (dieser Blog eingeschlossen): Was „Caveman“ stille Post nennt, ist das unendliche Abschreiben ohne eigene Recherche – das durch die Online-Hektik noch zugenommen hat und vor allem im Medienjournalismus bis zum Überdruss praktiziert wird.
Die Süddeutsche brachte ihren Reinfall nicht nur als kleine Korrekturmeldung, sondern als Dreispalter auf der ersten Feuilletonseite, so als hätte sie eine Gegendarstellung am Ort die Erstveröffentlichung bringen müssen. Kompliment! Andreas Kreye endet seinen Dreispalter:
Trifft es andere, berichten auch wir davon mit Vergnügen. Nun traf es uns.
Eine Satire: Shitstorm für 200.000 Euro kaufen
Wir sind auf eine fiktive Shitstorm-Agentur hereingefallen, wir entschuldigen uns – so die SZ in ihrem Feuilleton vom 6. April über ein Interview, das sie am 5. April veröffentlicht hatte und das Grundlage dieses Blog-Eintrags war:
Oliver Bienkowski heuert Obdachlose an, nennt sie „Partner“, setzt sie vor einen Computer und lässt sie Mails oder Tweets schreiben – für Menschen oder Organisationen, die einen Shitstorm brauchen und dafür zahlen. Die kleine, die S-Version, kostet 4999 €, die größte, die XL-Version, 199.000 €. Die Süddeutsche führt in der Ausgabe vom 5. April ein Interview mit Bienkowski, der Geschäftsführer von „Caveman Guerilla Marketing Agentur“ ist.
Kunden sind mittelständische Unternehmen und Privatleute. Die Agentur passt auch auf, dass der Sturm nicht in die falsche Richtung bläst.
Läuft die Diskussion einmal in eine Richtung, sorgen unsere Partner dafür, dass sie auch dort bleibt. Sie kippen ja immer wieder neues Öl ins Feuer. Aber es ist ja auch ganz einfach: Wenn auf einem Marktplatz zehn Leute mit dem Finger auf den Himmel zeigen, dann gucken alle nach oben. Das ist das deutsche Lemming-Prinzip. Einer läuft über die Klippe, dann laufen alle anderen hinterher.
Auch die Parteien und seriösen Medien bekommen von Bienkowski ihr Fett ab. Vor der Wahl sammelten die Parteien Follower und Likes, aber kommunizieren nicht wirklich mit ihnen – und nach der Wahl lassen sie Social Media wieder einstauben.
Und der Dialog der klassischen Medien mit ihren Lesern?
Gucken Sie sich nur die sogenannten Diskussionsforen an, in denen sich Menschen anonym beschimpfen oder auch viele Nutzerkommentare unter Artikeln von klassischen Medien. Das sind doch keine Dialoge. Da toben sich nur Trolle aus.
Ist es nicht zynisch, was Sie anbieten?, fragt Bernd Graff von der SZ zum Schluss:
Guerilla-Marketing arbeitet immer in einer Grauzone. Und solange nicht höchstrichterlich entschieden ist, dass das verboten ist, solange machen wir das.
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