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Caveman, Shitstorm und die „Stille Post“: Wenn Journalisten voneinander abschreiben

Geschrieben am 7. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wir sind auf eine fiktive Shitstorm-Agentur hereingefallen, wir entschuldigen uns – so die SZ in ihrem Feuilleton vom 6. April über ein Interview, das sie am 5. April veröffentlicht hatte und auch Grundlage meines Blog-Eintrags war.

In dem Interview behauptete ein offenbar tatsächlich existierender Oliver Bienkowsky, er würde gegen Geld Shitstorms organisieren; dabei würden ihm Obdachlose helfen, die falsche Profile in sozialen Netzwerken anlegten. Das sei eine Medienmanipulation.

Auf seiner Webseite schreibt „Cavemann“:

Im Gegensatz zu Unternehmen haben Gruppen am Rande der Gesellschaft keine große Lobby, die es ihnen ermöglicht, mit viel Investment große Reichweite und Aufmerksamkeit für ihre lebensbedrohlichen Anliegen zu finanzieren.

Jetzt nutzen wir unsere erprobten Mechanismen und Hebel der Medienmanipulation, um ein Thema aufzuzeigen und wieder zur Diskussion zu bringen, welches uns besonders am Herzen liegt:

Obdachlose Menschen und das grassierende Wohnungsproblem in deutschen Städten sollten noch mehr ins Tageslicht und so auf die Titelseiten gerückt werden.

Dieses Vorhaben ist uns geglückt mit einer geschickt platzierten Story, die das eigentliche Thema in satirischer Art und Weise aufgreift.

Wir gaben bekannt, dass wir fortan Obdachlosen einen Tagesaufenthalt bieten. Bei medizinischer Pflege, frischem Obst und Essen, wird die Zeit genutzt, um an Computern an der Erstellung von Facebook- und Twitter-Kommentaren zu arbeiten. Die Aussage krönten wir noch mit der Erwirtschaftung von Gold in Onlinegames wie World of Warcraft und der Betreuung von Shit- und Candystorms im Internet.

Wir bedanken uns bei allen Medienverlagen und Onlineredaktionen, das Sie dem Thema Obdachlosigkeit für kurze Zeit einen Platz in der Berichterstattung eingeräumt haben.

„Caveman“ beschreibt detailliert das Drehbuch der „Medienmanipulation“:

1. Am 07.11.2012 stellten wir auf www.caveman-werbeagentur.de/shitstormagentur die bekannte „Shitstormagentur“ Seite ins Netz. Zusätzlich reservierten wir die Domain www.shitstormagentur.de

Wir indexierten diese bei Google und waren kurze Zeit später im Google Index unter dem Begriff „Shitstormagentur“ auf Seite 1.

Parallel schalteten wir auch zu dem Suchbegriff „Shitstormagentur“ Google Adwords Anzeigen.

So lagen wir perfekt in der Google Suche, um vom einem Redakteur entdeckt zu werden. Nun legten wir uns auf die Lauer.

2. Schon im Dezember, nachdem wir diese Aktion auf unserer Facebook Fanseite promotet hatten und die Google Adwords-Anzeigen wirkten, sprangen 10-20 Personen bei Twitter und Facebook an – und berichteten über unsere Aktion.

Doch das Interesse war gering, keine Zeitung oder Onlinedienst sprang auf die Tweets und Facebook Berichte an, OBWOHL bei Twitter Tweets wie „Aktiver Image-Abbau durch die eigene Klientel: was sagen @bvdw und @wuv zum Thema: Shitstorm kaufen?! http://www.caveman-werbeagentur.de/shitstormagentur …“
herumgeisterten.
W&V hatte also schon am 21. Dezember 2012 die Möglichkeit zu berichten. Doch dieser Sturm verebbte schnell wieder. Nun mussten wir noch ein wenig länger warten.

3. Als dann am 31.03.2013, ohne dass wir es vorher wussten, die ZEIT auf der ersten Seite im Feuilleton den Bericht „Nehmt es als Erfrischung“ veröffentlichte und unsere Dienstleistung nannte, startete unser Raketentriebwerk die nächste Stufe.

Dazu mussten wir nichts machen. Zuerst kontaktierte uns Telepolis / Heise Online – hier versuchten wir die IT-Security Vergangenheit und Zeitungsartikel über WLAN Sicherheit dazu zu nutzen, eine glaubhafte Story zu präsentieren. Das klappte dann auch soweit. Der Redakteur rief bei uns am 02.04.2013 an. Der Artikel erschien am 03.04.2013.

4. Jetzt ging die Sache richtig los. Am 03.04.2013 19 Uhr kopierte Focus Online die Meldung um 19 Uhr von Heise. Nach einem Telefonat mit Meedia.de folgte auch dort ein Artikel. Die in der Schweiz ansässige Werbewoche übernahm am 03.04.2013 den Bericht direkt von Meedia.de. Die Stille Post ging also immer weiter.

Am Abend des 03.04.2013 wechselten wir die Profilbilder von Oliver Bienkowski auf unserer Agenturseite, bei Twitter, Xing und Facebook gegen ein gemeinsames Satire- Foto von Martin Sonneborn (Titanic) und Oliver Bienkowski aus. Martin Sonneborn hat mit der Aktion nichts zu tun, es ist nur ein Foto das beim Besuch seiner Show Satire & Krawall in Düsseldorf entstanden ist.

5. Nun schalteten wir die nächste Raketenstufe. Unsere Behauptung am 04.04.2013:

Wir beschäftigen Obdachlose, die den ganzen Tag World of Warcraft Gold farmen, auf Facebook Profile klicken und bei Twitter Nachrichten schreiben, Shitstorms organisieren und gewitzte Kommentare hinterlassen.

Am 04.04.2013 fiel Horizont.net auf, dass erst einmal ein wenig Satire durchklingt und es ein Foto von Martin Sonneborn und Oliver Bienkowski auf der Homepage gibt.

6. An diesem Tag gaben wir auch der Süddeutschen Zeitung ein Interview, das am 05.04.2013 auf Seite 1 im Feuilleton erscheint. Gute Sache, 68.000 Euro Image und Markenwerbung gespart – so viel kostet eine Seite Werbung in der Süddeutschen Zeitung.

7. Am Abend des 04.04.2013 fuhren wir mit Gebäck und einem Schild mit der Aufschrift „580.000 Obdachlose sind eindeutig zu viel!“ zur uns bekannten Düsseldorfer Bahnhofsmission. Hier verteilten wir schon im Dezember 2012 selbst gebackene Kekse. Wir schossen das Foto vor der Bahnhofsmission.

8. Nun veröffentlichen wir in der Nacht des 05.04.2013 vor der logistischen Auslieferung aller Zeitungen die Auflösung auf unserer Homepage. Allen interessierten Lesern der Zeitungsberichte wird beim Besuch unserer Webseiten die Auflösung präsentiert.

Diese Satire wirft nicht nur einen Blick auf das Leiden der Obdachlosen, sondern auch auf die Arbeitsweise von Journalisten (dieser Blog eingeschlossen): Was „Caveman“ stille Post nennt, ist das unendliche Abschreiben ohne eigene Recherche – das durch die Online-Hektik noch zugenommen hat und vor allem im Medienjournalismus bis zum Überdruss praktiziert wird.

Die Süddeutsche brachte ihren Reinfall nicht nur als kleine Korrekturmeldung, sondern als Dreispalter auf der ersten Feuilletonseite, so als hätte sie eine Gegendarstellung am Ort die Erstveröffentlichung bringen müssen. Kompliment! Andreas Kreye endet seinen Dreispalter:

Trifft es andere, berichten auch wir davon mit Vergnügen. Nun traf es uns.

Eine Satire: Shitstorm für 200.000 Euro kaufen

Geschrieben am 5. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wir sind auf eine fiktive Shitstorm-Agentur hereingefallen, wir entschuldigen uns – so die SZ in ihrem Feuilleton vom 6. April über ein Interview, das sie am 5. April veröffentlicht hatte und das Grundlage dieses Blog-Eintrags war:

Oliver Bienkowski heuert Obdachlose an, nennt sie „Partner“, setzt sie vor einen Computer und lässt sie Mails oder Tweets schreiben – für Menschen oder Organisationen, die einen Shitstorm brauchen und dafür zahlen. Die kleine, die S-Version, kostet 4999 €, die größte, die XL-Version, 199.000 €. Die Süddeutsche führt in der Ausgabe vom 5. April ein Interview mit Bienkowski, der Geschäftsführer von „Caveman Guerilla Marketing Agentur“ ist.

Kunden sind mittelständische Unternehmen und Privatleute. Die Agentur passt auch auf, dass der Sturm nicht in die falsche Richtung bläst.

Läuft die Diskussion einmal in eine Richtung, sorgen unsere Partner dafür, dass sie auch dort bleibt. Sie kippen ja immer wieder neues Öl ins Feuer. Aber es ist ja auch ganz einfach: Wenn auf einem Marktplatz zehn Leute mit dem Finger auf den Himmel zeigen, dann gucken alle nach oben. Das ist das deutsche Lemming-Prinzip. Einer läuft über die Klippe, dann laufen alle anderen hinterher.

Auch die Parteien und seriösen Medien bekommen von Bienkowski ihr Fett ab. Vor der Wahl sammelten die Parteien Follower und Likes, aber kommunizieren nicht wirklich mit ihnen – und nach der Wahl lassen sie Social Media wieder einstauben.

Und der Dialog der klassischen Medien mit ihren Lesern?

Gucken Sie sich nur die sogenannten Diskussionsforen an, in denen sich Menschen anonym beschimpfen oder auch viele Nutzerkommentare unter Artikeln von klassischen Medien. Das sind doch keine Dialoge. Da toben sich nur Trolle aus.

Ist es nicht zynisch, was Sie anbieten?, fragt Bernd Graff von der SZ zum Schluss:

Guerilla-Marketing arbeitet immer in einer Grauzone. Und solange nicht höchstrichterlich entschieden ist, dass das verboten ist, solange machen wir das.

Keine Pressekarten mehr nach schlechten Kritiken!

Geschrieben am 18. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Musikkritiker des Corriere della Sera bekommt keine Pressekarten mehr, weil er die Institution Scala schlecht gemacht habe, sagte ein Sprecher des Opernhauses in Mailand. „Wenn Paolo Isotta die Scala besuchen möchte, soll er sich Karten und ein Programmheft kaufen.“

Was wäre, wenn es überhaupt keine Pressekarten mehr gäbe? Und keine Journalistenrabatte?

(Quelle: SZ 11. März 2013)

Wenn FAZ-Leser loben: Ein dreifaches …

Geschrieben am 11. März 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 11. März 2013 von Paul-Josef Raue in I. Die Meinung.

Vor zwei Wochen lobten wir die FAZ-Redaktion, weil sie empörte Briefe gegen die Redaktion abdruckte. Am Freitag, 8. März, war die Welt auf der FAZ-Leserbrief-Seite wieder in Ordnung:

1. Vielen Dank für die Veröffentlichung der wunderbaren Stellungnahme der beiden Autoren in Ihrer Zeitung.

2. Wieder einmal nimmt die F.A.Z., in Sonderheit das Feuilleton, in vorzüglicher Weise die Wächterrolle der Presse wahr.

3. Ein großes Leb zu dem Artikel „Das Märchen vom Siegeszug der digitalen Werbung“… Als langjähriger Werbefachmann kann ich seiner Argumentation nur beipflichten.

Lob der Kolumne

Geschrieben am 4. März 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. März 2013 von Paul-Josef Raue in I. Die Meinung.

Mit großer Eindringlichkeit zeigt Peter Bacher uns, dass wir das Leben verlieren würden, wenn wir Aufmerksamkeit, Berührbarkeit und Zuwendung aussparen würden aus dem täglichen Leben.

Dieser Lob von Marianne von Weizsäcker ist ein Lob für Kolumnen überhaupt. Peter Bacher, einst Chefredakteur der Hörzu, zitiert das Lob in seiner „Heute ist Sonntag“-Kolumne in der Welt am Sonntag, vor 25 Jahren erstmals erschienen und seitdem jeden ersten Sonntag im Monat in der WamS. Thema der Kolumne sind Tischgespräche mit Prominenten.

Peter Bacher erinnert sich in seiner Jubiläum-Kolumne an herausragende Gespräche wie das mit dem Nazi-Jäger Simon Wiesenthal. Seine Erinnerung an die Ermordung seiner gesamten 89-köpfigen Familie kommentierte er mit leiser Stimme:

Gott muss damals im Urlaub gewesen sein.

Welt am Sonntag, 3. März 2013

Empörte Leser und eine souveräne Redaktion

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, I. Die Meinung.

„Guten Tag, ich habe nur diese Mailadresse, um zu sagen, wie sehr mich die Verstümmelung und Verwässerung dieses geliebten Samstagteiles Ihrer Zeitung ärgert und beleidigt… Sie nehmen mir die wunderbare Kolumne „Wie war dein Tag, Schatz“ und Sie quetschen das Amputat des bisherigen Persönlichkeitsfeatures als „Ich über mich“ an den Rand der Seite, als hätte hier ein Azubi in der ersten Woche mal das Layout machen dürfen. Shame on you!“ Dr. Reimer Hoffmann, Oldenburg

Kompliment an die FAZ-Redaktion! Ihre Leser ärgern sich, und die Redaktion druckt den Protest in den Leserbrief-Spalten ab (FAZ, 23.2.2103). So viel Souveränität ist selten in Redaktionen.

Grund des Ärgers ist der Wegfall einer Kolumne im Stellenteil der Samstagsausgabe: „Wie war Dein Tag, Schatz!“. Der Münchner Rechtsanwalt Georg M. Oswald, Jahrgang 1963, schrieb kleine Satiren als „Berichte aus dem Bürokampf“; eine Auswahl davon ist als Buch im Piper-Verlag erschienen. Vorbild sind die „Business Class“-Kolumnen des Schweizer Martin Suter, die zuerst erschienen sind in der Züricher Weltwoche und dann den Grundstein legten für Erfolg und Ruhm des Schriftstellers Suter.

Gisela Heil aus Saarbrücken überschüttet die FAZ-Kolumne mit Lob in ihrem Leserbrief, spricht von „Leere in Zehntausenden Ihrer Anhänger!“:

Könnten Sie sich nicht ab und zu zurückmelden, sozusagen als Kür… Dann blieben Sie aus dem Korsett der regelmäßigen Kolumne befreit, und alle hätten Spaß! Ihre Leser würden es Ihnen danken.

Einen Kolumnisten, den die Leser so schätzen, sollte man pflegen; er wird manchen Abonnenten halten, der leicht unzufrieden ist, sich aber auf die Samstagsausgabe und seinen Kolumnisten freut. Die Kolumne nur ab und an zu drucken, bringt wenig: Eine Kolumne erscheint regelmäßig, mindestens einmal in der Woche, oder sie ist keine Kolumne, sondern ein beliebiger Essay oder Gastbeitrag.

Ob die Kolumne wieder erscheint?

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