Noch einmal: Lob der Kürze (Zitate des Journalismus 7)
Kürze ist die Seele des Verstandes
William Shakespeare, englischer Dramatiker (Stratford-upon-Avon, 1564-1616)
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Geiz isst Gaul
Hamburger Morgenpost, Aufmacher-Überschrift am 19. Februar 2013 anlässlich des Fleischskandals, bei dem u.a. Pferdefleisch in Fertiggerichten entdeckt wurde
Quelle: Jahresprogramm der ABZV
Die Zukunft des SPIEGEL (1): Wohin führt Büchner das Magazin?
Wird der Spiegel wieder das Magazin, das die Themen in Deutschland setzt? Das exklusive Nachrichten anbietet? Das Politiker das Fürchten lehrt? Zur Zeit treibt der Spiegel wie eine Brücke, die einmal eine wichtige Verbindung war, und nun weggespült ist.
Nehmen wir das Titelbild der aktuellen Ausgabe. Da wird alles falsch gemacht, was ein Redakteur falsch machen kann: 19 Wörter, eine „nicht“-Aussage, ein altes, nichtssagendes Datum („08.02.2012“), eine kleine Bildmontage am unteren Rand des Bildes. Die Wörter sind kalt, blitzen nicht sofort ins Gedächtnis: abschätzbar, technisch, zeitlich, finanziell. „Drohne“ – das Wort, das alleine schon Leser gereizt hätte, kommt klein in einem Kuppelwort am Ende vor: „Drohnen-Affäre“. Eine Woche zuvor hieß die Affäre noch gewaltig „Drohnen-Desaster“, als Störer klein über „DER SPIEGEL“ gezogen.
Das Mini-Bild soll an Janoschs Tiger-Ente erinnern: Der Minister zieht eine Drohne wie eine Ente hinter sich her. Wenn doch wenigstens die Drohne nicht grau, sondern schwarz-gelb gestreift wäre!
Laut Impressum gibt’s vier Redakteure allein fürs Titelbild, gibt’s weit über hundert Redakteure, darunter die besten der Republik. Wenn die über den Titel reden, debattieren, streiten und kämpfen, müsste allemal was Besseres raus kommen als „Betreff Euro Hawk“.
Dass der Aufmacher respektabel geschrieben ist, eine gut recherchierte Spiegel-Geschichte, vergrößert das Dilemma: Den Text konnte nur lesen, wen das Titelbild zum Kauf animiert hatte. Offenbar braucht selbst die beste Redaktion Deutschlands einen Kopf, der ein Themen-Trüffelschwein ist, der ein Gespür für die beste Zeile und das emotionale Bild hat, der den gemeinen Spiegel-Leser nicht theoretisch entwirft, sondern kennt und spürt.
Redakteure neigen allerdings dazu, jeden Unsinn intellektuell rechtfertigen zu wollen – nicht selten aus rhetorischem Übermut heraus, nicht aus Überzeugung und Eifer. So bringt auch die Konferenz der Edlen nicht unbedingt das Thema und den Titel, die die Käufer zum Kauf locken, aber sie hilft dem Mann an der Spitze, sichtet ihm die Argumente, macht ihn locker (wenn er’s zulässt).
Auf Wolfgang Büchner wartet ein harter Job. Bei dpa hat er bewiesen, dass er eine Redaktion umkrempeln kann und modernisieren – auch gegen den Widerstand der Beamten-Fraktion. Beim Spiegel wird er beweisen müssen, dass er Deutschland bewegen kann. Nichts anderes ist der Wert des Magazins, sein Markenkern.
NSU-Prozess: Wenn Zschäpe vom Teufel besessen ist, geht sie uns nichts mehr an (Friedhof der Wörter)
„Der Teufel hat sich schick gemacht“ – lautete am Dienstag die Schlagzeile der Bildzeitung. Beate Zschäpe wird als Teufel identifiziert, wobei die Boulevardzeitung die Geschlechtsumwandlung nicht stört: Der Teufel wird zur Frau.
Die Redaktion spielt auf einen erfolgreichen Film an: „Der Teufel trägt Prada“. Meryl Streep spielt die von Macht berauschte und schöne Chefredakteurin, die feine Sache trägt, nicht nur Prada. Der Film ist eine Satire.
Der NSU-Prozess ist Wirklichkeit. Erst Elitz, Kommentator der Bildzeitung, schreibt: „Das Böse hat ein Gesicht. Beate Zschäpe“; der Kommentator war immerhin Intendant von Deutschlandradio Kultur, einem angesehenen Sender in Deutschland.
Dürfen wir einen Menschen einen „Teufel“ nennen? Im Alltag denken wir uns wenig dabei. „Teufel“ ist leicht jeder, der seine Macht offen zeigt. Selbst Kinder, die ihren Willen testen, nennen wir „kleine Teufel“ – und nicht selten lächeln wir dabei.
Aber ein „Teufel“ auf der Anklagebank? Das ist nicht mehr zum Lachen, das ist Vorverurteilung, das ist Zerstörung, Dämonisierung eines Menschen, der nicht verurteilt ist. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.
In seinem Roman „Der Name der Rose“ lässt Umberto Eco seinen Helden, den Mönch William, mit einem Abt über das Wirken des Teufels diskutieren. Kann es sein, so William, dass die Richter und das ganze Volk sehnlichst eine Präsenz des Bösen wünschen? „Vielleicht ist das überhaupt der einzige wahre Grund für das Wirken des Teufels: die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen.“
Wer vom Teufel besessen ist, ist von einer fremden bösen Macht gesteuert. Dann können wir uns zurücklehnen und sagen: Sie ist keine von uns, das geht uns nichts an.
Thüringer Allgemeine, geplant für die Kolumne „Friedhof der Wörter“ am 13. Mai 2013
Der Dativ und die DDR oder: Wer ging besser mit der Sprache um?
Die Gebildeten in der DDR waren sicher, sie achteten mehr auf die korrekte Sprache als die Menschen im Westen. Im Leseland DDR schrieben die Leute besser, genauer und regelgerecht, so die auch heute noch vorherrschende Überzeugung. Der Blick in die Zeitungen genüge, dass Schludrigkeit nach der Wende eingezogen sei.
Ein Erfurter Leser der Thüringer Allgemeine schrieb zu einer Überschrift auf der Titelseite vom 15. April:
Sie schreiben: „Mädchen ertrinkt in Ententeich“. In der DDR hätte man geschrieben: „Mädchen ertrinkt im Ententeich“.
Merke zu den Präpositionen: Mit dem Dativ stehen sie so, wenn man fragen kann: Wo? (Lehrstoff 3. Klasse, Grundschule). Aber DDR zählt heute nicht mehr! Oder vielleicht doch?
Der TA-Chefredakteur greift in der Samstags-Kolumne „Leser fragen“ das Thema auf und antwortet (20. April 2013):
Sie haben Recht – mit der Präposition. „Mädchen ertrinkt im Ententeich“ ist korrekt.
Dabei haben wir nicht den Dativ unterschlagen, sondern den Artikel: „Mädchen ertrinkt in einem Ententeich.“ Das Weglassen des Artikels in einer Überschrift ist eine Medien-Eigenart: Da in eine Überschrift nur wenige Buchstaben passen, geizen Journalisten mit jedem als unnötig erachteten Wort und Buchstaben. Sie können es ruhig eine Medien-Schlamperei nennen.
Diese Überschrift „Mädchen ertrinkt in Ententeich“ fanden Sie an diesem Tag dutzendfach im Internet – bei fast allen Medien vom „Focus“ über „Die Zeit“ bis zu RTL und T-Online. Dieser journalistische Herdentrieb macht es aber weder besser noch richtig.
Was das Mädchen, im Ententeich ertrunken, mit der Achtung vor der DDR zu tun, ist schon schwerer zu verstehen. Der Dativ war im Westen und in Österreich ebenfalls geachtet und wurde in den Schulen gelehrt.
Gerade in der Sprache blieb Deutschland einig – trotz Mauer. Der in Wismar geborene Sprach-Professor Harald Weinrich stellte 1983 in einem Göttinger Vortrag über die Zukunft der deutschen Sprache fest: Nach einer Generation getrennter Sprachentwicklung kann festgestellt werden, die deutsche Sprache ist ungetrennt und ungeteilt.
Er folgerte daraus. „Es ist offenbar einfacher, einen neuen Staat als eine neue Sprache zu gründen.“
Kommentar eines TA-Lesers:
Als interessierter Leser insbesondere der Leserbriefseite der TA heben sich – wie ich es empfinde – bestimmte Beiträge häufig wiederkehrender Leserbriefschreiber hervor; der o.g. Leserbrief stellt jedoch ob seiner entlarvenden Schlichtheit alles in den Schatten.
Umso beeindruckender habe ich Ihre nüchterne, pointierte Antwort empfunden.
Annika Bengtzon (8): Schlagzeilendiebstahl
Eine Wissenschaftlerin erzählt Annika Bengtzon vom Schnüffeln und Belauern unter den Forschern; sie gibt den Rat ihres Doktorvaters weiter, alle Blätter umzudrehen, wenn man seinen Schreibtisch verlasse, und niemanden zu erzählen, was man gerade mache. Aber selbst Professoren klauten die Ergebnisse ihrer Doktoranden.
„Ach herrje“, sagte Annika. „Ich dachte, Schlagzeilendiebstahl gäbe es nur in meiner Branche.“
(aus Liza Marklunds Krimi „Nobels Testament“, Seite 235)
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Die Schlagzeile
Darf man die gleiche Geschichte mehrmals zum Aufmacher erheben? An drei aufeinander folgenden Tagen auf Seite eins? Nein, am dritten Tag ging der Verkauf fast immer zurück, auch wenn die Geschichte immer noch gut war. „Die Hauptschlagzeile am dritten Tag zu wechseln, war Grundregel Nummer eins.“
(Paradies 418)
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