„Schreiben ist wie eine Unterhaltung mit dem Leser“, sagt Julian Barnes
„Ich will nicht über dem Leser thronen und ihm die Welt erklären“, bekennt der britische Autor Julian Barnes. Franziska Augstein interviewte ihn für die SZ vor der Verleihung des Siegfried-Lenz-Preises.
Journalisten können von Schriftstellern lernen, erst recht wenn sie über den Journalismus zur Literatur gekommen sind wie Julian Barnes. Das ist sein Verhältnis zu den Lesern, vorbildlich für Journalisten:
Ich stelle es mir eher wie eine Unterhaltung vor: Der Leser, die Leserin und ich, wir sitzen in einem Café, und ich zeige auf die Straße: Schau mal, was glaubst du, was da los ist, haben die zwei eine Affäre? Warum trägt der da einen so bekloppten Hut? Und die Frau dort läuft mit einem Gehstock, gestern hatte sie noch keinen Stock. – Ich bin kein didaktischer Autor. Mein Verhältnis zu meinen Lesern betrachte ich als Miteinander.
Dass Schreiben nicht nur Spaß ist, belegt auch Barnes, der einräumt: Die erste Seite arbeite ich fünfzig, sechzig Mal durch. So viel Zeit dürften Journalisten mit dem ersten Satz nicht bekommen, der vergleichbar der ersten Seite eines Buchs ist – auch der erste Satz ist „ein Vertrag mit dem Leser“ so formuliert es Barnes.
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Quelle: SZ, 11. November 2016: „Die erste Seite ist der Vertrag mit dem Leser“
Vorbildlich: Ein Chefredakteur entschuldigt sich wegen „rassistischer“ Grafik
Die Republik scheint nach den Silvester-Übergriffen in Köln im Ausnahmezustand zu sein, was die Medien und die Politik betrifft. Da reicht ein falsches Bild, ein falscher Satz, und der Sturm bricht los in den Netzwerken, die schnell nicht mehr sozial sind. Da hilft nur eines: Schnell reagieren, auch am Wochenende, so wie es Wolfgang Krach tat, einer der beiden SZ-Chefredakteure. Er entschuldigte sich für zwei Illustrationen, die Leser zum Teil vehement als „rassistisch“ kritisiert hatten. Krach nutzte dafür den Facebook-Auftritt der Süddeutschen Zeitung. Er war schnell und verhinderte so einen langen Shitstorm.
Gut , dass Sie sich entschuldigen. Besser ist noch, wenn Sie wirklich verstehen, warum diese Grafik sowohl rassistische als auch sexistische Stereotype bedient und ab jetzt doppelte Vorsicht walten lassen. Sie sind ein Qualitätsmedium. Ihre Stellungnahme bestätigt das. Viele Kommentare hier lassen mich allerdings an der Qualität ihrer Leser_innen zweifeln.
Die Reaktion von Krach ist vorbildlich; hier im Wortlaut:
Am Wochenende haben wir sowohl in der gedruckten Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ als auch auf SZ.de ausführlich über die Ereignisse der Silvesternacht von Köln und die sexuelle Gewalt berichtet, die dort vielen Frauen angetan worden ist. Wir haben dabei unter anderem zwei Illustrationen verwendet.
Die eine zeigt eine Faust im Kopf, die andere symbolisiert einen sexuellen Übergriff auf eine weiße Frau durch eine schwarze Hand (http://on.fb.me/1SbvU9n). Diese zweite Illustration hat bei etlichen unserer Leserinnen und Leser Unverständnis und Wut hervorgerufen; sie kritisieren sie als sexistisch und rassistisch.
Unsere Absicht war, mit den beiden Illustrationen deutlich zu machen, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht nur aus physischen Übergriffen besteht, sondern meist im Kopf und im Denken beginnt. In den begleitenden Texten haben wir so differenziert wie möglich über die Ereignisse von Köln, die Angriffe auf die Frauen, die Motive und die Hintergründe der Taten, das Versagen der Polizei und auch über die Instrumentalisierung der Taten durch rechte Demagogen berichtet.
Die zweite Illustration läuft dieser differenzierenden Absicht jedoch entgegen. Sie bedient stereotype Bilder vom „schwarzen Mann“, der einen „weißen Frauenkörper“ bedrängt und kann so verstanden werden, als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die Illustration die Gefühle von Leserinnen und Lesern verletzt haben und entschuldigen uns dafür.
Wolfgang Krach, Chefredakteur
Eine neue Regel: Das Wichtigste steht am Schluss? Spiegel-Online macht’s vor
Spiegel Online zeigt einen lächelnden VW-Chef Winterkorn im Foto, schreibt in die Schlagzeile: „Er lächelt gegen seine Demontage an“, wiederholt sich im Vorspann: „Nur lächeln, nicht reden“ – nur wer kurz und knackig wissen will, was geschehen ist, der erfährt am Ende des kurzen Vorspanns:
Wenig Zeit? Am Textende gibt’s eine Zusammenfassung.
Und so läuft der Text auch ab: Nach rund fünfzig Zeilen im XL-Format und einer halben Internet-Ewigkeit gibt es die versprochene Zusammenfassung. Ist das eine neue Regel: Das Wichtigste oder die Zusammenfassung steht nicht mehr am Beginn eines Artikels, sondern am Ende?
So endet der Spiegel-Online-Artikel:
Zusammengefasst: VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hat sich von Vorstandschef Martin Winterkorn distanziert. Bisher stellen sich andere wichtige Aufsichtsräte hinter Winterkorn, darunter Niedersachsens Ministerpräsident Weil. Doch der Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer glaubt, dass letztlich Piëch den Machtkampf gewinnen wird.
Torsten Beeck, Sozial-Media-Chef des Spiegel, bestätigt per Tweets das Experiment: „Das Wichtigste steht im Artikel, der letzte Absatz ist die Zusammenfassung für alle, die keine Lust haben zu lesen.“ Das Experiment sei auch sehr gut bei den Nutzern angekommen laut Befragung auf verschiedenen Kanälen: „Sehr viel Feedback via E-Mail durch Blogpost des Chefredakteurs.“
Offen ist: Steigert oder senkt die Zusammenfassung am Ende die Verweildauer? „Die Zahlenbasis ist noch zu klein“, twittert Torster Beeck, der allerdings hofft, dass die neue Regel die Zufriedenheit steigert.
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Quelle: Spiegel Online, Montag, 13.04.2015, 10:38 Uhr
Der letzte Absatz hinzugefügt am 15. April (Zitate Beeck)
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