„Warum wird so wenig Kultur gelesen?“ – Thomas Bärsch im Gespräch mit Lesern der Thüringer Allgemeine (Teil 2)
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Fußball und Kultur, Kinder und Ältere – und die Interesse der Leser: Das waren die Themen der Leser im zweiten Teil des Gesprächs, das sie mit Thomas Bärsch führten, dem neuen Vize-Chefredakteur der Thüringer Allgemeine. Dabei steht „Lesewert“ im Vordergrund, eine Leserbefragung, die Bärsch zuerst in Dresden bei der Sächsischen Zeitung mit entwickelt hatte und dann in Thüringen erfolgreich einsetzte.
Leser Hans Joachim Kellner: Ich war als Polizist bei Heimspielen von Rot-Weiß Erfurt und habe mich jedes Mal geschämt, wie schäbig die Fans, aber auch der Stadionsprecher, über die Gäste hergezogen sind. Dieselben Fans beschweren sich bei Auswärtsspielen, wie sie dort – auch von der Polizei – behandelt werden. Kann die TA nicht einen stärkeren Druck auf die Vereinsführung ausüben, respektvoller mit den Gästen umzugehen?
Wir jammern in Erfurt auf hohem Niveau: In Dresden beispielsweise, das ich gut kenne, artet es oft sogar in Gewalt aus. Da sind wir uns einig in der Redaktion wie mit den meisten Fans: Begeisterung für Rot-Weiß: ja! Aber Gewalt: nein! Nun spielt ein Bundesliga-Verein eine herausragende Rolle in einer Stadt: Das muss eine Zeitung nicht nur respektieren, sondern auch zeigen.
Leser Dieter Sickel: Vor der Wende haben die jungen Leute ihren Frust im Stadion abgelassen, weil sie ihn sonst nirgends ablassen konnten. Das ist heute auch so. Aber die TA kann da gar nichts tun, das müssen die Fans selber regeln.
Ich kenne die Erfurter Fans noch nicht so gut, aber ich bin mir sicher, dass die meisten von ihnen nicht aus Frust ins Stadion gehen, sondern weil sie mit ihrem Verein mitfiebern, der ja auch der Stolz der Stadt ist.
Leser Andreas Rudolf: Beim Fußball geht es doch heute nur noch um Brot und Spiele! Rot-Weiß ist ein Riesen-Popanz, und die Spieler, die viel Geld verdienen, sind nur besser ausgestattete Hartz-Vierer.
Da widerspreche ich Ihnen. Einen prominenten Fußballverein zu haben, erzeugt schon ein gutes Stadtgefühl. Die meisten Bürger wünschen sich das, auch wenn sie nicht ins Stadion gehen. Diese besondere Rolle, die Rot-Weiß ja auch in der Berichterstattung der TA einnimmt, sollte sich im Verhalten des Vereins, der Spieler und der Fans gegenüber der Stadt und ihren Gästen widerspiegeln.
Leserin Ursula Müller: Früher dachte ich: Die meisten Männer lesen den Sportteil. Bei der Lese-Untersuchung kam heraus: Das stimmt gar nicht, unter den meistgelesenen Artikeln war keiner aus dem Sport.
Es gibt Themen, die gut gelesen werden: Rot-Weiß, Wintersport und die deutschen Handball-Meisterinnen aus Bad Langensalza – sind da immer eine sichere Bank. Der lokale Sport, auch der lokale Fußball, liegt deutlich unter dem gefühlten Interesse. Das bedeutet aber nicht, dass er aus der Zeitung herausfällt, aber wir müssen ihn interessanter machen.
Ursula Müller: Und warum wird so wenig Kultur gelesen?
Der Kultur geht es wie dem Sport: Für einige ist es das Wichtigste, aber viele kümmert es wenig. Auch bei der Kultur gibt es Themen, die viele Leser finden: der Tatort aus Erfurt und Weimar beispielsweise, das drohende Ende des Fernsehballetts, die Abschieds-Tournee der Puhdys – eben alles, worüber viele Menschen sprechen. Rezensionen, selbst aus dem Deutschen Nationaltheater, werden weniger gelesen. Gleichwohl erwarten viele Leser von einer seriösen Zeitung, dass sie über das kulturelle Leben berichtet. Es reicht ihnen offenbar, dass wir es machen – aber sie lesen nicht. Da fragen wir uns schon, wie wir mehr Leser in unsere Texte holen können.
Ursula Müller: Ich finde es toll, dass Sie täglich eine Kinderseite haben. Ich hebe sie auf, wenn meine Enkel aus Berlin und Ingolstadt kommen. Nur die Witze wiederholen sich oft.
Gerade die Witze kommen bei den Kindern am besten an, aber, da haben Sie recht, bei den Erwachsenen am wenigsten. Wir sind überrascht, wie die Kinderseite gerade von älteren Lesern gelesen wird.
Ursula Müller: Die Seite ist wirklich eine anspruchsvolle Seite mit einer Mischung aus lokalen Artikeln, also aus der Welt der Kinder, und kindgerechten Erklärungen zu Politik und Wissenschaft.
Viele Großeltern lesen ihren Enkeln aus der Zeitung vor, etwa wenn schwierige Fragen kommen wie „Warum sterben so viele Kinder in Syrien?“.
Leser Andreas Rudolf: Das Durchschnittsalter der TA-Leser ist hoch. Machen Sie eine Zeitung nur für ältere Leser?
Nein. Ich glaube, dass das Alter überbewertet wird. Bei den großen Themen – seien es nun die Rentenpolitik oder der „Tatort“ aus Erfurt und Weimar – treffen wir bei jüngeren wie älteren Lesern auf großes Interesse. Wir sollten auch nicht immer so tun, als sei man mit 66 schon halbtot. Viele Menschen sind heute bis ins hohe Alter aktiv, neugierig und wach. Wir dürfen uns nicht dem Jugendwahn ergeben, diesem unseligen Trend in unserer Gesellschaft.
Leser Dieter Sickel: Der Chefredakteur hat ein Spezialgebiet, die Sprache, und er schreibt die Sprach-Kolumne „Friedhof der Wörter“. Lesen Sie die?
Manchmal.
Dieter Sickel: Haben Sie auch so ein Spezialgebiet?
Ich schreibe für mein Leben gern satirische Kolumnen.
Dieter Sickel: Lesen wir die bald auch in der TA?
Das kann ich mir vorstellen. Ich hoffe nur, dass die Thüringer Satire mögen.
Dieter Sickel: Das sind dann aber bestimmt nicht nur harmlose Texte.
Ich bin ja prinzipiell gegen Texte, die Schaden anrichten. Aber ja: Satire wird halt von jedem anders verstanden. Viele Leute schmunzeln darüber; manchmal muss ich mich aber auch Lesern stellen, die das ernst nehmen. Als ich eine Satire über das Israel-Gedicht von Günter Grass geschrieben hatte, endete sie mit dem Satz: „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Gedicht ausgehen.“ Da rief mich ein Leser an: „Meinen Sie das ernst?“ – „Nein“, sagte ich. – „Dann war das ein Spaß?“ – „Ja“ – Da legte er einfach auf.
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Thüringer Allgemeine, 12. April 2014 (Domplatz 1 – Interview-Reihe)
In der FAZ ruft das Feuilleton „hü“ und die Wirtschaft „hott“
Im Feuilleton kritisiert Schirrmacher massiv den ZDF-Heute-Moderator Kleber, wie er mit dem Siemens-Chef Kaeser umgesprungen sei (siehe meinen Blog: „Schirrmachers Philippika gegen Kleber“).
Auf der ersten Wirtschaftsseite derselben FAZ-Ausgabe kritisiert Holger Steltzner, auch ein Herausgeber, den Siemens-Chef Joe Kaeser – weil ihm im Kleber-Interview die richtigen Worte fehlten, „um das befremdliche Schauspiel dem deutschen Fernsehzuschauer zu erklären“.
Mit dem „befremdlichen Schauspiel“ meint Steltzner – anders als Schirrmacher – nicht das Kleber-Interview, sondern den Besuch von Kaeser im Kreml, wo er sich habe instrumentalisieren lassen und die „Figur einer Krämerseele“ gespielt.
Quelle: FAZ 28.3.2014, „Propaganda mit Bildern“
Verfassungsgericht geht nicht weit genug: Alle Politiker müssen raus aus den ZDF- und ARD-Gremien
Der Staat darf sich die Medien nicht zur Beute machen. Er darf weder in die Redaktionen des MDR hineinregieren noch in die Redaktion einer Zeitung. So bestimmt es unsere Verfassung. In Artikel 5 reichen fünf Wörter aus, um die Pressefreiheit zu garantieren: „Eine Zensur findet nicht statt.“
„Zensur“ bedeutet in unserer Verfassung: Der Staat darf vorab weder kontrollieren noch bestimmen, was der MDR senden will und die TA drucken. Diese Freiheit gab es – beispielsweise – nicht für Redaktionen in der DDR. Das Zentralkomitee der Partei rief jeden Tag in den großen Redaktionen an und bestimmte, was berichtet wird, wie berichtet wird und welche Sätze in den Kommentaren zu stehen hatten.
Ansagen gab es auch für die Lokalredaktionen. „Meine Meinung kommt um zwei Uhr aus Berlin!“, witzelten die Redakteure, die bisweilen kuriose Anweisungen zu befolgen hatten wie „Keine Rezepte mit Haselnuss vor Weihnachten veröffentlichen!“ Hintergrund war ein Versorgungs-Engpass.
Bei einer Zeitungsredaktion rufen gerne auch Minister und andere Politiker an, manchmal erregt, manchmal fordernd; andere rufen nie an, verweigern jede Auskunft und zeigen so ihre Missbilligung einer freien Presse, die sie gerne ein bisschen unfreier hätten. Poltern wie schweigen – alles bleibt wirkungslos.
Das ist bei Rundfunk und Fernsehen anders: Politiker üben einen starken Einfluss aus. Wenn der Regierungssprecher zu einer Reise mit der Ministerpräsidentin einlädt und eine Absage bekommt, dann rutscht ihm schon mal ein Satz raus wie: „Das ist nicht schlimm. Wir nehmen ja den MDR mit.“
Nun arbeiten in TV- wie in Zeitungsredaktionen selbstbewusste Journalisten, die auf Unabhängigkeit großen Wert legen. Aber sie haben es bei ARD und ZDF schwerer: Dort sitzen Politiker in Gremien, die sie und ihre Arbeit kontrollieren.
Der Anruf eines Ministers oder der wöchentliche Telefon-Termin mit der Staatskanzlei hinterlässt schon tiefe Spuren: Bei politischen Berichten sitzt schnell die Unsicherheit im Nacken, manchmal schon die Angst.
Das Verfassungsgericht hat die Nöte der Redakteure und die Gefahr für die Demokratie erkannt. Es begrenzt den Einfluss der Politiker. Ob das reicht?
Einem Verfassungsrichter geht die Entscheidung nicht weit genug: Er will die Politiker komplett verbannen. Er hat Recht – auch mit der Befürchtung: Das Versprechen eines staatsfernen Fernsehen bleibt weiter unerfüllt.
(erweiterte Fassung eines Leitartikels der Thüringer Allgemeine, 27. März 2014)
FACEBOOK von Thomas Platt (27.43.):
Dass es in einem freien Land Staatsfernsehen gibt – noch dazu in schockierendem Ausmass -, das ist der Skandal.
Die SZ fragt: Darf ein Chefredakteur Kapuzenpullis tragen? Und dazu noch selbstbewusst auftreten?
Die Süddeutsche streitet offenbar darüber, ob der Chef der Online-Redaktion in die Chefredaktion aufsteigen darf. Alina Fichter listet in der Zeit sechs Schwächen auf, die gegen Online-Chef Stefan Plöchinger als Chefredakteur sprechen:
1. Fehlendes schreiberisches Profil;
2. fehlende begnadete Schreibe;
3. kein Intellektueller;
4. zu wenig Demut;
5 extrem selbstbewusstes Auftreten;
6. Kapuzenpulli-Träger.
Für ihn spricht laut Zeit nur: Er ist ein sehr guter Redaktions-Manager.
Muss jetzt auch Heribert Prantl in der SZ-Chefredaktion um seine Position bangen? Er trägt zwar Anzüge, aber ist nicht bekannt als demütiger und zurückhaltender Journalist.
Was in dem Zeit-Artikel auffällt:
> Plöchinger sehen wir auf dem Foto nicht mit Kapuzenpulli, sondern mit weißem Hemd und dunklem Jackett: Er kann also auch seriös.
> Für die Demütigung Plöchingers, also die Sechser-Liste, gibt es keine Zeugen: Alle bleiben anonym. Warum ist der Medien-Journalismus so oft eine recherchefreie Zone? Gerüchte werden feil geboten wie im Ein-Euro-Laden.
> In der SZ-Chefredaktion, so die Zeit, werden Kommentare umgeschrieben. Muss man sich die Chefredaktion als Fälscher-Werkstatt vorstellen: Aus einem schwarzen Kommentar wird ein roter? Aus einem Ja ein Nein? Aus einer Vermutung eine Tatsache? Oder ist schlicht „Redigieren“ gemeint?
> Ein wohlfeiler Rat für alternde Chefredakteure ist auch enthalten: Wer als Freund des Internets in Erscheinung treten will, der zeige „seinen iPad“ in der Konferenz. Kurt Kister soll ihn schon zeigen. Aber der Mann ist wirklich ein begnadeter, demütiger Schreiber ohne übertriebenes Selbstbewusstsein. Dafür stehe ich mit meinem Namen ein.
Quelle: Die Zeit 20. März 2014
FACEBOOK-Kommentar von Harald Klipp (21.3.2014)
Wir wissen doch alle, dass es auf die inneren Werte ankommt. Das wesentliche Kriterium sollte sein, dass er seine Mitarbeiter akzeptiert, mitnimmt und führt und dabei auch der Zeitung eine Perspektive gibt. Selbstbewusstsein ist gut, wenn er es auch für die gesamte Redaktion gegenüber der wirtschaftlichen Unternehmensführung ausstrahlt. Das wären meine frommen Wünsche…
Warum so viel Schumacher? Oder: Wann ist eine Nachricht wichtig?
Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke reagiert auf die Beschwerden und das Unverständnis, warum die seriöse Nachrichtensendung Michael Schumacher tagelang als Top-Thema gebracht hat und tagelang als Aufmacher. Er nennt im Tageschau-Blog die Nachrichten-Faktoren, die für die Redaktion entscheidend waren – und seinen „journalistischen Kompass“:
1. Popularität:
Es war mehr als einer von vielen hundert Skiunfällen: „Wenn zwei Menschen das gleiche tun, ist es nicht das gleiche – dieser Satz gilt auch bei Nachrichten. Millionen von Menschen nehmen Anteil an seinem Schicksal und möchten wissen, wie es ihm geht… Er gehört in eine Kategorie populärer Persönlichkeiten, die eine umfangreiche Berichterstattung rechtfertigt, ohne dass wir damit Tagesschau-Grundsätze aufgeben“
2. Nachrichtenarme Zeit:
„In diesen eher nachrichtenschwachen Tagen würden wir unsere Sendungen krampfhaft mit sogenannten B-Themen füllen.“
3. Keine Mutmaßungen, keine Gerüchte:
„Zu einer gewissenhaften und verantwortungsbewussten Berichterstattung gehört auch die Präsenz vor Ort… Dabei haben wir peinlich genau darauf geachtet, dass wir uns aus Mutmaßungen, Spekulationen, vor allem aber aus Gerüchten und Dramatisierungen heraushalten.“
4. Nur Neuigkeiten, keine Themen-Kampagne
„Wenn wenn die Tagesschau keine Meldung macht, ahnen die Leute wohl, dass es nichts Neues gibt. Wir greifen das Thema also wieder auf, wenn es eine neue Information gibt.“
KOMMENTARE auf Facebook (5. Januar 2014)
Martin K. Burghartz
Wann ist eine Nachricht wichtig? Wenn es genug PR-Agenturen mit Millionenetats gelungen ist, die wenigen Nachrichtenagenturen derart gleichmäßig mit Informationen zu impfen, dass (deutsche) Journalisten das für die Wahrheit halten und darüber berichten und das Geschehen kommentieren. Beispiele sind die Berichterstattung über USA, Syrien, Iran, Israel,… Staatsräson? Dummheit? Zeitnot? Diese Diskussion vermisse ich im „Handbuch“, die Berichterstattung der Tagesschau über Schumacher ist da eher eine Randnotiz…
Paul-Josef Raue
Das ist mir zu viel Weltverschwörung. Welche PR-Agentur hat Snowden engagiert? Warum sterben Reporter in Syrien und Afghanistan? Warum kann jeder Journalist ungehindert nach Israel reisen und auch ins Westjordanland, nach Ramallah?
In der Tat sind PR-Agenturen ein großes Problem, davon handelt im „Handbuch“ auch das Kapitel 20 „Waschzettel und Verlautbarungen“, das in der nächsten Auflage noch schärfer formuliert werden muss – weil gerade im Netz, in den Blogs und Internet-Zeitungen die Trennung von PR und Redaktion noch weniger beachtet wird, ja die Nichtachtung bisweilen die geschäftliche Grundlage ist.
Zudem gibt es im „Handbuch“ ein eigenes PR-Kapitel mit einem Zitat von Klaus Kocks: „Wir sind der Parasit einer freien Presse, wir haben kein Interesse daran, dass das Wirtstier derart schwächelt.“
Und wie beginnt das „Handbuch“? Mit Kapiteln über den guten Journalisten, der Rückgrat haben soll, um den „vielfältigen Versuchungen und Pressionen zu widerstehen, die auf ihn eindringen“ usw.
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„Trutzburg des wahren Journalismus“: Blick ins Innere der „Spiegel“-Redaktion
Spiegel-Redakteure sind Plaudertauschen, die nichts für sich behalten können – vor allem wenn es um Konferenzen mit dem Chefredakteur geht. Das hat einen Vorteil: Der neue Chef kann sich die Stelle des Pressesprechers sparen, braucht weder Pressekonferenzen noch Pressemitteilungen. Er wäre immer zweiter Sieger, es sei denn, er sammelte vor den Konferenzen alle I-Phones ein.
Wochenlang jagten die Redakteure den neuen Chefredakteur, noch vor seinem Amtsantritt, durch befreundete oder weniger befreundete Zeitungen, weil sie mit einer Personalentscheidung haderten. Anfang Dezember erzählten die nationalen Zeitungen aus einer Montags-Konferenz, dass der Spiegel ab Neujahr 2015 zwei Tage früher, also samstags, erscheinen werde. Die unbekannten Whistleblower aus der Spiegel-Redaktion werden ausführlich in der Süddeutschen zitiert, der Chefredakteur wird offenbar nicht gefragt – dafür aber der Chefredakteur des Focus.
Bei der Süddeutschen haben gleich zwei Reporterinnen recherchiert, bei der FAZ nur ein Reporter – aber der hat immerhin beim Spiegel selber gefragt und sogar mehr erfahren. So viel zu investigativen Recherchen im Medien-Milieu.
Kommen wir zur Fiktion: Spiegel-Reporter investigieren nicht nur, sie schreiben auch Bücher, in denen ein Magazin vorkommt, das dem Spiegel verdammt ähnlich ist. „Trutzburg des wahren Journalismus“ nennt Spiegel-Reporter Dieter Bednarz das Verlagshaus – in seinem gerade erschienenen Roman „Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront“. Klar: Das Buch ist Fiktion; aber die ist recht nah an der Wirklichkeit gebaut.
Mimosen sind die Reporter, feilschen um jedes Wort, das sie geschrieben haben – meint die Ehefrau des Reporters, im Roman selbstverständlich:
„Dieter“ – so heißt der Autor, der im wahren Leben Spiegel-Reporter ist, und der Reporter im Buch.
Dieter neigt zur Melodramatik. Wenn sie ihm in der Redaktion in seinen Geschichten „rumfummeln“, wie er das nennt, legt er in Gedanken gleich das ganze Blatt in Schutt und Asche, will kündigen oder sich umbringen. Mal reagiert er aggressiv, mal depressiv, je nach Stimmung. Aber dann macht er doch nichts von alledem. Er beruhigt sich vergleichsweise schnell und sieht sich ganz sachlich an, was an seinen Texten verändert wurde. Manches, räumt er dann ein, sei wirklich besser geworden. Und an vielen Stellen… hat tatsächlich einer seiner Chefs nur wieder mal zeigen wollen, wer der Herr der Texte ist.
Das Redigieren der Texte dürfte eines der großen Themen sein in der schönen neuen Spiegel-Kantine direkt am Wasser – wenn nicht gerade der Chefredakteur in einer Konferenz gesprochen hatte. Der größte Schrecken für einen Reporter, so man dem Roman glaubt, dürfte eine redigierende Frau sein – wie Saskia, die Dieter Lindemann als Ressortleiterin vorgezogen wird:
Saskia ist so typisch für unsere Redaktion und wie das Blatt tickt. Die Dame ist erst seit drei Jahren bei uns, aber in den Konferenzen ergreift sie das Wort, als sei sie die Enkelin unserer Verlegerin. Sie hat die Chuzpe, die größten Belanglosigkeiten mit gewaltiger Gewichtigkeit und Schärfe zu vertreten.
Saskia, eine „Quotenfrau“, fühlt sich als die Zukunft des Journalismus: Weniger verkrampft schreiben, flüssigere Texte, persönlicher, in einer eigenen Sprache – „Story telling, Lindemann.“
Sie schaut mir in die Augen, nickt und seufzt, als müsse sie einem Kind die Welt erklären. „Unsere Geschichten müssen ein Lagerfeuer sein, Lindemann, an dem die Leser gerne sitzen möchten.“
Volontärs-Väter sollten ihren Volontären nie mehr vom Lagerfeuern erzählen!
Bleibenden Schaden hat bei den Spiegel-Redakteuren offenbar die Streichung des Kaffee-Service hinterlassen. Diesem einmaligen Service am Nachmittag widmet der Roman-Dieter auch einige Zeilen:
Früher hatten wir nette Studentinnen, die uns Essen oder Trinken in unsere Büros brachten. Unser Verleger, damals einer der ganz großen und legendären, meinte es noch gut mit uns. Immer volle Kühlschränke, alles frei und Snacks am Schreibtisch serviert…
Heute regieren seine Erben. Jetzt steht auf jeder Etage so ein Monstrum für Coke oder Kaffee. Moderne Zeiten. Wer kein Kleingeld hat, kann auf dem Klo den Kopf unter den Wasserhahn hängen. Auch wir müssen sparen.
Um nicht Mythen entstehen zu lassen: Auch beim Spiegel kommt aus dem Wasserhahn kein Kaffee.
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren – Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 286 Seiten, 19.99 Euro
Bednarz‘ Roman erzählt erst von einem Seitensprung, dann von der Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. In Hamburgs Journalisten-Bars geht der Spruch um: „Die dritte Ehe klappt.“ Bednarz rettet die erste.
Spiegel-Redakteur Dieter Bednarz zum Überleben nach der Wickelfront – in der Redaktion wie auch zu Hause
Ein Geschenk-Tipp in letzter Minute: Spiegel-Redakteure schreiben nicht nur im Heft, sie schreiben auch fleißig Bücher – wie Dieter Bednarz, dessen Interview mit Syriens Diktator Assad eine der großen Titelgeschichten in diesem Jahr war. In seinem zweiten Buch zieht er nicht in den Nahen und Mittleren Osten, sein Reporter-Hauptgebiet, sondern bleibt in Hamburg und beschreibt sein „Leben nach der Wickelfront“ (so der Titel seines ersten Buchs):
Dieter Bednarz: Mann darf sich doch mal irren: Unser Leben nach der Wickelfront. Verlag Langen-Müller, 19.99 Euro
In der Thüringer Allgemeine erschien am 14. Dezember ein ausführliches Interview mit Dieter Bednarz:
In „Überleben an der Wickelfront“, Ihrem ersten Buch, schrieben Sie über das Glück eines späten Vaters, der einen tollen Job eintauscht und in die Elternzeit geht. In Ihrem zweiten Buch erzählen Sie schon von der Scheidung. Ist das heute der normale Lauf der Liebe?
Das will ich nicht hoffen. Richtig ist jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Drahtseil-Akt ist und ich gerne einräume, dass Esther und ich da schon mitunter schwer aus der Balance geraten sind. Und da ist es schön, wenn man als Autor die Möglichkeit hat, das wahre Leben überspitzt wiederzugeben. Das kann für den Leser erhellend und heiter sein – dem Autor selbst tut es oft gut, hat vielleicht sogar eine gewisse therapeutische Wirkung. Im Idealfall nicht nur für den Schreiber, sondern auch für den Leser.
Sie kriegen ja noch die Kurve: Erst Seitensprung, dann eine Scheidung, die buchstäblich auf den letzten Buch-Seiten vereitelt wird. Ist das glückliche Ende nicht reichlich aufgesetzt? Hatten Sie Furcht vor einem schrecklichen Ende?
Ich bin zu sehr Romantiker, um den Dieter Lindemann und seine Esther scheitern zu lassen. Das habe ich nicht übers Herz gebracht – und vor allem viele Leserinnen haben mir gesagt oder geschrieben, dass sie es schön finden, dass unser Paar im Buch die Kurve kriegt. Es ist doch schon traurig genug, dass im wahren Leben zu viele Ehen an der enormen Belastung im Alltag scheitern. Oder?
Ist Ihr Buch auch ein Ehe-Ratgeber, in eine frisch erzählte Geschichte verpackt?
Da kann ich mich nur auf einige Testleserinnen und Leser im Freundeskreis berufen. Einige haben mir zugeraunt, dass ihnen beim Lesen das eine oder andere bewusst geworden wäre. Auch wenn sich das – wie bei einer lieben Freundin unserer Familie – vielleicht erst einmal nur darin zeigt, dass sich jene Freundin einen neuen Bademantel kaufte, nachdem sie eine bestimmte Passage im Buch gelesen hatte.
Und hat es geholfen?
Ihr Mann hat sich gefreut – und dann hat er selbst gemerkt, dass auch er arg nachlässig geworden war. Er hat sich einen neuen Pyjama zugelegt, einen schicken Anzug für die Nacht sozusagen. Darüber wiederum hat sich seine Frau gefreut. Ich finde, das ist immerhin ein Anfang auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit in der Beziehung.
Und Ihre Botschaft für Eheleute, deren Liebe kleiner und deren Kinder größer werden?
Sich auf ihre guten Zeiten zu besinnen , die sie hatten, bevor sie Eltern wurden, sich ihrer früheren Zuneigung wieder bewusst zu werden, einander wieder mit der einstigen Aufmerksamkeit zu begegnen. Als Partner sollten wir einander geben, was wir als Eltern auch den Kindern schenken: Zeit, Zuneigung, Aufmerksamkeit. Dazu fehlt bei der heutigen Doppelbelastung der Paare durch Beruf und Familie natürlich oft die Zeit, weil der verbleidende Freiraum völlig von den Kindern aufgezehrt wird. Kids first. Das ist grundsätzlich völlig richtig, aber wenn für einander als Paar kein Zeit-Raum mehr bleibt, wird es beziehungsmäßig nun mal sehr eng.
„Die arme Esther, denke ich, unser Freud und Leid als Buch“, lese ich in Ihrem Buch. Wie hält Ihre Frau das aus, wenn ihre Freunde und Kolleginnen fragen: Sag mal, stimmt das alles, was Dein Mann da schreibt?
Esther hält die Frage zu dem neuen Buch viel besser aus, als jene zum Erscheinen der „Wickelfront“ vor vier Jahren. Das war damals ein weitgehend autobiographisches Buch. „Mann darf sich mal irren!“ hingegen ist ein Roman, ist Fiktion. Zudem war Esther meine erste Leserin, meine Schwiegermutter Hannelore war die zweite. Beide haben dem Manuskript ihren Segen gegeben. Sonst wäre es nicht erschienen. Ich riskiere doch nicht die Scheidung – egal, was für ein Bestseller dann ungedruckt bleiben muss.
„Mann darf sich doch mal irren“ ist eine Fast-Scheidungsgeschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird: Dem Mann und der Frau. Ist es leicht, sich in das Denken einer Frau zu schleichen?
Überhaupt nicht. Meine Verlegerin Brigitte Fleissner-Mikorey hatte von Anfang an keinen Zweifel, dass mir das gelingen würde. Sie meint, ich sei „ein Frauen-Versteher“. Ich bin allerdings nicht sicher, ob Esther diese Einschätzung immer so teilt.
Eigentlich mögen Sie Frauen nicht, vor allem wenn Sie Ihnen den Job vermiesen: „Die Weiberfraktion“ ist zickig und unfähig, alles nur „Quotenfrauen“. Ist das Ihre Erfahrung?
Das weise ich mit größtmöglicher Empörung zurück. Und ich bitte um Nachsicht, dass Dieter Lindemann so denkt und spricht. Haben Sie Verständnis für einen Mann, der mit Mitte 50 so seine Probleme hat mit dem schütteren Haar, dem Bauchansatz und seinen immer jünger werdenden Vorgesetzten. Und wer das Buch liest, wird mir bestimmt zustimmen: Diese Sakia, die ihm vorgesetzt wird, ist nun wirklich ein Biest.
Die Mutter der Roman-Ehefrau heißt Hannelore. Haben Sie dabei an die künftige Kanzlerkandidatin der SPD gedacht?
Ich wette, dass Hannelore Kraft niemals ins Kanzleramt einzieht. Aber meine Schwiegermutter heißt Hannelore, war schon in der „Wickelfront“ dabei, auch in der Verfilmung durch die Berliner Erfolgsproduzentin Regina Ziegler gab es den Part der Hanneloren, und in dem jetzt erschienen Roman darf sie daher auch nicht fehlen. Wenn ich an eine starke Hannelore gedacht habe, dann an die wahre Hannelore in unserer Familie. Ich hoffe sehr, dass meine Schwiegermutter uns weit über ihre jetzt 80 Jahre hinaus erhalten bleibt. Hannelore, wir brauchen dich, besonders wenn eines der Kinder krank wird und betreut werden muss.
Welche ist Ihre Lieblingsszene, die Ihnen immer noch feuchte Augen beschert?
Als ich die Stelle geschrieben habe, in der Lindemann sich von seine Su verabschiedet, musste ich weinen. Ich war völlig überwältigt, so nah ist mir das gegangen. Und nicht anders erging es mir, als ich das Ende von Esther und ihrer Liebe zu Constantin ins Laptop gehackt habe. Da schäme ich mich nicht für meine Tränen.
Und die Szene, die Sie immer noch zum Lachen bringt?
Das sind vor allem jenen Szenen aus der Anfangszeit des Paares, in denen Lindemann versucht, Esther zu imponieren und sie ihn absolut lässig auflaufen lässt. Er will so cool sein und merkt nicht, dass er schon am Fliegenfänger hängt. Und wenn ich Ihnen ganz im Vertrauen etwas verraten darf: Im echten Leben erging es mir nicht anders.
Also doch nicht alles Fiktion?
Da kann ich mich nur retten, indem ich Dieter Lindemann zitiere: Werther musste sterben, damit Goethe leben konnte.
Offen gesagt: Wir Menschen im Osten sind empfindlich, wenn wir auf unser Ost-Sein angesprochen werden. In Ihrem Buch charakterisieren Sie den Ressortleiter bei einem Magazin, das dem Spiegel ähnelt: „Ich habe schon Titelgeschichten geschrieben, während er bei seiner Volkszeitung im Osten auf die Wende nicht mal zu hoffen wagte.“ Gucken Sie auf uns Ostdeutsche hinunter?
Nein, ganz und gar nicht. Silvester1991 auf ´92 habe ich mit einem sehr geschätzten Kollegen aus Ost-Berlin und dessen Familie verbracht. In dieser langen Nacht hat er mir sein Leben und das seiner Liebsten geschildert, ihr Ringen mit der SED, mit dem Apparat, und er hat mir ihre Sehsucht nach Freiheit und Demokratie geschildert. In jenen Stunden habe ich großen Respekt vor den Menschen in der einstigen DDR bekommen, mehr als durch alle Berichte unserer Kollegen. Der Ost-Verweis ist daher nur ein Trick, um wirklich deutlich zu machen, dass es sich auch nicht im Entferntesten um einen Ressortleiter handelt aus dem Leben des Autors Bednarz, denn ich hatte beim Spiegel zu keiner Zeit einen Ressortleiter, der einmal bei einer Volkszeitung im Osten gearbeitet hat.
Zwischen meinen tatsächlichen Vorgesetzten einst wie auch jetzt und den Buchfiguren gibt es absolut keine Ähnlichkeit. Und wer eine Ähnlichkeit zwischen Dieter Lindemanns „Blatt“ und dem Spiegel sieht, der will das so sehen – aber tatsächlich haben die beiden so wenig miteinander gemein wie der Lindemann mit mir.
Ungekürzte Fassung des Interviews (Thüringer Allgemeine, 14. Dezember)
Die Weihnachts-Wanderung auf den Brocken – oder: Wo müssen sich Chefredakteure und Lokalchefs sehen lassen?
„Unsere Zeitung ist wieder nicht gekommen!“, wettert der Brockenwirt auf dem höchsten Berg im Norden. „Die kommen nur noch, wenn es Skandale gibt und irgendwas Aufregendes.“ Für eine Minute ist die festliche Stimmung verflogen. Die meisten reiben sich die Ohren: So erregt hat noch keiner den Brockenwirt erlebt.
Der Freitag vor Weihnachten gehört im Harz traditionell der großen Wanderung auf den Brocken mit Ministern, Sparkassendirektoren, Bürgermeistern, Abgeordneten, Journalisten – eben mit allen, die wichtig sind oder wichtig sein wollen in der Provinz. Etwa 200 kommen, wandern zwei Stunden durch den Schnee (wenn er liegt: dieses Jahr nur fleckenweise), singen unterwegs „Oh Tannenbaum“, essen eine Bratwurst, trinken einen „Schierker Feuerstein“ oder zwei und setzen sich am Ende im Goethesaal auf dem Brocken zu Bier und Erbsensuppe zusammen. Es ist ein Netzwerk- und Wiedersehen-Tag, mit Stiefeln, Mütze und dicken Pullovern statt Krawatte und steifen Hemden.
Da ärgert sich der Brockenwirt, wenn „seine Zeitung“ nicht dabei ist und den Plastik-Eiskratzer als Weihnachtsgabe mitnimmt: Weder Chefredakteur noch der lokale Chef noch irgendeiner.
Chefredakteure und Lokalchefs kennen die Not: Wieviel Repräsentation ist nötig? Wieviel ist möglich?
Was ist nötig? Wenn viele Leute, die wichtig sind oder wichtig klingen, zusammenkommen, erst recht in geselliger Runde, sollte man sie nicht alleine Bier trinken und reden lassen: Wer mit wem? Und wer duzt sich schon? Und wer ist nicht dabei – und warum? So nebenbei lässt sich beim Aufstieg durch die vereiste Bob-Bahn ein Vier-Augen-Gespräch mit dem Kulturminister führen, der sonst nur zögert und zaudert.
Doch solch Aufstieg und Konversation mag nicht jeder Chefredakteur und Lokalchef. Im 46. Kapitel des Handbuchs haben wir sechs Typen von Chefredakteuren beschrieben. Da steht vorne der Blattmacher, der gleichzeitig Innenminister ist: Er verlässt nur selten die geschützten Räume der Redaktion, ist Herr des Newsrooms – auf den der Großraum zugeschnitten ist und in dem er thront wie ein feudaler Herrscher. Auch der selten gewordene Leitartikler mag keine Aufstiege in Winterjacke und Pelzstiefeln.
Glücklich ist die Redaktion zu schätzen, die einen Außenminister hat ohne Karriere-Ambitionen: Wenn sich der neue Chef und sein Vorgänger, der die Rente genießt, gut verstehen, dann geht der alte Chef auf all die Termine, die der neue nicht mag. Der Alte ist bekannt, meist beliebt; er hört zu, wie das Gras wächst, und spielt in die Redaktion das zurück, was Anlass gibt für Recherchen; und auf die allfälligen Beschwerden, die bei solchen Anlässen zu hören sind, kann er gelassen reagieren.
Und wenn der Chefredakteur gerne die Redaktion verlässt wie ein Nest-Flüchter, aber die Provinz und die Provinz-Herrscher nicht mag? Dann kann schon die Frage erlaubt sein, ob dieser Chef für die Leser und für die Redaktion der rechte ist. Ein von mir geschätzter Verleger stellt gern die entscheidende Frage, am besten schon im Bewerbungsgespräch
Wohin gehen Sie am Abend, wenn Sie sich zwischen zwei Terminen entscheiden müssen: Ein Hintergrund-Gespräch mit der Kanzlerin in Berlin, zu dem dreißig Kollegen kommen – oder die Laudatio auf das Ehrenamt des Jahres in der Stadthalle, wo die Großmutter geehrt wird, die krebskranken Kinder vorliest?
Der Papst über Chefredakteure: Häufig sind sie Narzissten
Narzissmus ist nicht gut und kann nur groben Schaden anrichten. Das schädigt nicht nur die Seele, sondern auch die Beziehungen zu den Mitmenschen, die Gesellschaft, in der wir leben. Das wirklich Schlimme ist, dass vom Narzissmus, der in Wahrheit eine mentale Störung ist, am meisten Personen mit viel Macht betroffen sind. Häufig sind die Chefs Narzissten.
Papst Franziskus in einem Interview mit dem italienischen Journalisten und Agnostiker Eugenio Scalfari. Also sind nicht nur Chefredakteure gemeint, sondern alle Mächtigen, auch alle Journalisten, die sich dem einfachen Volk überlegen fühlen und dem Rest der Journalisten sowieso.
Der Papst nennt auch seine Vorgänger:
Die Kirchenführer sind häufig Narzissten gewesen. Sie waren geschmeichelt und in schlechter Weise freudig erregt über ihre Höflinge. Der Hof ist die Lepra des Pontifikats.
Es gibt viele Höfe, überall.
Quelle des Zitats: Welt 5.10.2013
Die FAZ druckt einen Text, den die taz nicht drucken wollte
„Und wer kontrolliert die Zeitungen?“ Es gibt kaum eine Diskussion mit Politikern und nicht selten auch mit Leser, in der nicht diese Frage gestellt wird. Die Antwort ist einfach: Die Medien kontrollieren die Medien.
Ein gutes Beispiel lieferte die Sonntagszeitung der FAZ: Sie druckte auf der zweiten und dritten Seite einen Beitrag, den die taz-Chefredakteurin Ines Pohl nicht drucken wollte. Thema von Christian Füllers „Die große Legende“ ist die Förderung von Kindesmissbrauch und Pädophile durch die Grünen in ihren Anfangsjahren.
Die FAS kündigte den Beitrag auf der Titelseite an: „Die taz-Chefin wollte den Text nicht drucken. Genannt wurden dafür alle möglichen Gründe, auch in der Redaktionskonferenz.“ Die Gründe waren: Falsche Tatsachen, falsche Kausalketten, handwerkliche Schwächen. Der Hauptgrund war wohl der Wahlkampf und die schädliche Wirkung des Artikels auf die Grünen, die der taz nahestehen.
Füllers Artikel endet:
Der grüne Moralist ist nackt – und alle können es sehen.
Am Rande sei eine Pikanterie erwähnt: Die taz-Chefredakteurin beschwerte sich in der Redaktionskonferenz, dass der Streit öffentlich wurde. Der Autor dieses Blogs erinnert sich gut daran, wie genüsslich die taz Diskussionen anderer Redaktionen in ihrem Blatt ausbreitet – in der Regel ohne die Angegriffenen zu befragen.
FAS 15. September 2013
Kommentar von Anton Sahlender via Facebook
Da gibt es durchaus noch etwas mehr Kontrolle: Gesetze, Presserat, Leser und da und dort Ombudsleute
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