Ein Leser schaut zurück auf die Leserbriefe des Jahres: Das ist gelebte Demokratie!
Wolfgang Jörgens, Leser der Thüringer Allgemeine, liest jeden Leserbrief und notiert ihn in seiner Statistik: Welche Themen interessieren die Leser am meisten? In einer der letzten Ausgaben des Jahres schreibt Jörgens auf der „Leser-Seite“, was ihm aufgefallen ist – und tadelt die Redaktion, dass sie nicht jeden Brief der Leser auch beantwortet:
Da findet in Kürze ein Symposium in Erfurt statt, wo u. a. die Frage aufgeworfen und möglicherweise eine Antwort gesucht wird, die da lautet: „Was wollen die Leser?“ – „Und was bekommen Sie“ . . .von ihrer Heimatzeitung, der Thüringer Allgemeinen? Meine Antwort, als interessierter Leser: Sie, die Leser, wollen gehört und ernst genommen werden. Sie bekommen seit nunmehr fünf Jahren „Ihre“ Leserseite!
An dieser Stelle wiederhole ich mich gern und sehr bewusst: Das ist gelebte Demokratie. Kritiker an dieser Aussage mögen die Frage beantworten, welche regionale Tageszeitung bringt es in fünf Jahren fertig, über 6800 Meinungen von Lesern, ob zustimmende oder ablehnende, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich denke, da gibt es nicht viele vergleichbare Beispiele.
Auch das abgelaufene, sehr turbulente Jahr 2014 belegt dies sehr deutlich. Immerhin wurden 1933 Leserbeiträge in Gedichtform, als Bildunterschrift oder als Textbeitrag zu den unterschiedlichsten Tagesthemen veröffentlicht. Mit der großen Politik, der Bundespolitik, befassten sich 732 Beiträge. Mit der Landespolitik des Freistaates 369. Auch mit 195 Beiträgen zum Thema DDR und einem Anteil von rd. 10 Prozent wurde sich befasst und schließlich 637 Beiträge, das sind rd. 33 Prozent aller Beiträge, brachten u. a. Meinungen zum Sport, der Kultur, dem Umweltschutz, der Landwirtschaft und dem Jagdwesen zum Ausdruck.
Sicher haben sich manche Leserbriefschreiber darüber geärgert, oder gewundert, dass ihr Beitrag nicht veröffentlicht wurde. Ich bin mir sicher, dass alle eingegangenen Leserbriefe von der Redaktion gesichtet, gelesen und in die redaktionelle Arbeit einbezogen wurden. Durch Lesergedichte und Fotos mit Bildunterschrift stand möglicherweise weniger Platz zur Verfügung. Aber, diese Beiträge bringen ebenfalls Emotionen und Meinungen und das Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Heimatzeitung zum Ausdruck.
Also haben sie einen berechtigten Platz auf der Leserseite. Ich erspare mir einen näheren Blick auf die „große“ und „kleine“ Politik. Hier würde ich möglicherweise zu viel Subjektivismus rein formulieren. Da mag sich jeder Leser seine eigene Meinung bilden. Etwas erstaunt bin ich jedoch darüber, dass man auf Anfragen an einzelne Redakteure zu bedeutsamen Themen, die die Menschen in unserem Land bewegen, keine Antwort erhält. Lobenswert hierbei sind die rund 50 Beiträge des Chefredakteurs Paul-Josef Raue auf gestellte Fragen, die teilweise unter die „Gürtellinie“ gegangen sind. Respekt vor soviel Mut. Aber Mut zur Wahrheit gehört eben auch zu einem guten Journalismus und einer dynamischen Redaktion im Land und in den Landkreisen. Hier beziehe ich mich gern auf den Landkreis Nordhausen.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass die Leserbeiträge, da diese nicht anonym bleiben, einen gewissen Mut zur Wahrheit belegen. Alles in allem eine gute Kombination von Professionalität, Sachkenntnis, auch im Ehrenamt, und Leidenschaft auf beiden Seiten. Das führt letztlich zu einer guten Tageszeitung, unserer Thüringer Allgemeinen.
In diesem Sinn allen Beteiligten ein glückliches neues Jahr, hoffentlich in Frieden und dem Willen, aufeinander zuzugehen, dem anderen zuzuhören und möglichst miteinander unser schönes Land weiter zu entwickeln und zu gestalten.
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Das Symposium, das Jörgens eingangs erwähnt, findet am 12. Januar zum 25-Jahr-Jubiläum der Thüringer Allgemeine statt: „25 Jahre Einheit – 25 Jahre Demokratie im Osten – 25 Jahre TA“
Thüringer Allgemeine, 30. Dezember 2014
Muss nicht jede Zeitung eine Debatten-Zeitung sein? Das neue FAZ-Feuilleton
Der neue FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube:
Das Debattenfeuilleton hat sich bewährt. Die Frage ist, ob die Themenbreite dieser Diskussionen nicht breiter ist, als sie manchmal bei uns war. Über längere Strecken wurden jeweils die Genetik, die Demografie oder die Probleme mit der Internetökonomie behandelt, andere Themen wie Migration oder soziale Ungleichheit blieben im Hintergrund. Ich strebe einen ausgeglicheneren Stil an. Und im Feuilleton dürfen die klassischen Künste und ästhetischen Fragen nicht zu kurz kommen. Die Entscheidung zwischen Debatte und Ästhetik wäre eine schlechte Alternative.
Kaube auf die Frage von Martin Eich „Was werden Sie anders machen als Frank Schirrrmacher?“ (Mainz, Allgemeine-Zeitung vom 17.12.2014)
Die Frage muss sich jede Zeitung, erst recht Regional- und Lokalzeitung stellen:
> Erkennen wir die Themen, die die Menschen umtreiben?
> Recherchen wir sie tief genug?
> Bieten wir die Themen an, die zur Debatte taugen?
> Vernachlässigen wir Themen?
> Drängen wir den Politiker die Themen auf, wenn wir erkennen, dass die Bürger auf eine große Debatte oder Entscheidung drängen?
Wer meint, dies sei nicht Aufgabe einer Zeitung, der lese im Spiegel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 1966, zu lesen im Handbuch auf Seite 21:
Die Presse fasst die in der Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran.
Jeder Dritte liest auf dem Smartphone aktuelle Politik-Nachrichten
Immer mehr Deutsche nutzen das Internet auf dem Smartphone, genau sind es 31 Millionen (44 Prozent der Bevölkerung über 14). Um ein Viertel ist die Nutzung in nur einem Jahr gestiegen, wie die neue Internet-Studie, die Acta 2014, von Allensbach belegt. Das sind die Favoriten der Mobile-Nutzer:
1. Wetter (60 Prozent)
2. Soziale Netzwerke / Chatten (52)
3. Karten / Routenplaner (47)
4. You Tube / Videos schauen (42)
5. Wikipedia / Nachschlagewerke (40)
6. Veranstaltungen suchen (40)
7. Musik hören (38)
8. Aktuelle Politik-Nachrichten (32)
9. Sport (29)
Mittlerweile sind online auch zwei Drittel der Älteren über 60; in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 sind es über achtzig Prozent. Seit Jahren sind fast alle der unter 29jährigen täglich online.
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Quelle: Acta 2014 (Allensbacher Computer- und Technikanalyse), wird seit 1997 jährlich erhoben.
Was sind Leserbriefe wert ? Was verändern sie?
Vor allem eifrige Leserbrief-Schreiber fragen immer wieder: „Was verändern unsere Leserbriefe? Werden Leserbriefe seitens der Redaktion ernst genommen?“ In der aufgewühlten Atmosphäre vor der Wahl Bodo Ramelows (Die Linke) zum Ministerpräsidenten Thüringens fragt zudem ein Leser der Thüringer Allgemeine nach der „Kultur der Kommunikation“, wenn er die Leserbriefe liest:
Ich kann mich des Eindrucks nicht verschließen, dass seit Wochen und Tagen – insbesondere was die Regierungsbildung in unserem Land betrifft – Hasstiraden zu lesen sind. Es ist aus meiner Sicht lediglich eigene Frustbewältigung in der Öffentlichkeit?! Die Wortwahl total daneben, die gute Schule der Manieren vergessend? In was für einer Gesellschaft leben wir?“
In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der TA-Chefredakteur:
Es gibt meines Wissens keine Zeitung in Deutschland, die jeden Tag ihren Lesern eine komplette Seite zur Verfügung stellt – als Seite für die Leser und von den Lesern. So wertvoll sind uns unsere Leser, so wertvoll sind unsere Leser und Bürger für die Gesellschaft – und so wertvoll sind die Bürger und ihre Gedanken für unsere Demokratie.
Was sie verändern? Wir sind uns sicher: Sie verändern viel in den Köpfen der Mächtigen, die schon lauschen, wie das Volk denkt – vor allem um ihre Macht zu sichern oder die Macht zu bekommen.
Veränderung hat immer etwas mit der großen Zahl zu tun: Den größten Einfluss nimmt der Bürger, der sich direkt in der Politik engagiert – ob in seinem Ortsteil oder im Kreis, im Landtag oder im Bundestag. Wer abstimmen kann, der regiert mit und hat die Macht. Die Chance mitzuregieren hat jeder.
Wer nicht regieren will, der kann seine Stimme erheben – aber er hat nur die Macht der Argumente auf seiner Seite und die Macht der Überzeugung, so andere sich überzeugen lassen. Die Macht des freien Wortes ist in einer Demokratie so wichtig wie die Kontrolle der Macht. Deswegen ist sie so wertvoll in der Zeitung der Bürger.
Und die Kultur der Kommunikation? So ist es eben: In dieser Gesellschaft mit ihren vielen Stimmen leben wir. Und wir verändern sie nicht, wenn wir die Frustbewältiger nicht zur Kenntnis nehmen. Im Übrigen ist auch die Sprech-Kultur der Volksvertreter nicht immer vorbildlich.
„Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“, pöbelte sagte Joschka Fischer im Bundestag. Also halten wir es mit Martin Luther und schauen dem Volk, dem „Pöbel“, aufs Maul.
Und – in einer Demokratie hat eben jeder eine Stimme – nicht nur bei der Wahl.
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Thüringer Allgemeine 6. Dezember 2014
Zentralisierung von Redaktionen oder: Wie ein Rennwagen zum Trabbi wird (Zitat der Woche)
All Business is local, habe ich nicht nur gelernt, sondern auch verinnerlicht. Bei Zentralisierungsprozessen kann deshalb u. a. die kreative Vielfalt vor Ort auf der Strecke bleiben und statt eines Rennwagens könnte am Ende ein Trabbi dabei rauskommen, wenn nicht mit Umsicht agiert wird. Eigentümer und Mitarbeiter sind in diesem Fall die gelackmeierten. Die Heuschrecken wüten derweil bereits an einem anderen Ort.
Thomas Bertz in pro-TZ (5. Dezember 2014, 19:47) zur Debatte über die Zukunft der Regionalzeitungen.
Cordt Schnibben: Die meisten Journalisten sind zu satt und zu zufrieden (Zitat der Woche)
Ich bin tief beunruhigt. Wir stecken in einer schweren Strukturkrise. Mich sorgt, dass die meisten meiner Kollegen noch zu satt und zu zufrieden sind. Und ich weiß, dass der entscheidende Punkt für alle ist – werden wir es schaffen, unsere tollen Inhalte so ins mobile Netz zu kriegen, dass wir dafür Geld bekommen. Wenn das nicht gelingt, wird es in zehn Jahren diese Form von Qualitätsjournalismus nicht mehr geben.
Cordt Schnibben, Spiegel-Reporter und Juror des Deutschen Reporterpreises – nach der Verleihung am Montag in einem Interview mit Christian Meier (meedia.de, 2. Dezember 2014)
Die erfolgreiche Titelseite: Lokal-Schau oder Tagesschau?
Wie sieht die ideale Titelseite aus? Tagesschau-Nachdreher? Regional und lokal? Ein Mix, also: Lokales Foto und Berliner Aufmacher? Marianne Schwarzer ist Redakteurin der Lippischen Landes-Zeitung in Detmold und gehört zu einer Arbeitsgruppe, die ein Konzept für die Lokalzeitung im Kreis Lippe diskutiert. Sie fragt nach den Erfahrungen der Thüringer Allgemeine, die seit drei Jahren eine strikt regionale Titelseite anbietet.
Das sind die Thüringer Erfahrungen:
Die Leser wollen eine regionale Titelseite, aber sie wollen eine regionale Titelseite mit Qualität: Die Themen müssen wichtig sein, gut recherchiert und gut geschrieben – und sie sollten, so oft wie möglich, die Leser auch überraschen.
Wir haben dies in einigen Leserbefragungen erkundet:
> Die Leser wollen auf der Titelseite keine Stoffe, die sie aus der Tagesschau, den Hörfunk-Nachrichten und dem Internet längst kennen. Wenn wir diese Themen doch bringen, dann müssen sie aus der Perspektive der Leser gesehen werden: Flüchtlinge aus Syrien – ja, aber gibt es noch Platz in unserer Region? Was sagen die Landräte usw. / Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada – ja, aber was sagen die IHK, die Unternehmer? Kostet es oder bringt es Arbeitsplätze in der Region usw.
> An den meisten Tagen bringen wir eigene Geschichten als Aufmacher, sehr viel aus der Wirtschaft und der regionalen Politik, aber auch Gesundheits- und Schul-Themen; eine Besonderheit im Osten sind historische Themen, die sich um die DDR drehen. Was in einer Region für die Leser interessant ist, bekommt eine Redaktion mit, wenn sie oft mit den Lesern spricht und dies am besten institutionalisiert.
> Qualität bekommt eine Redaktion allerdings nur, wenn sie gute Reporter hat, die ein aktuelles Thema auch schnell runterbrechen können (und nicht erst am Folgetag oder noch später). Wir nennen diesen Reporter „Ad-hoc-Reporter“, es gibt jeden Tag einen (und wenn er nichts zu recherchieren hat, dann arbeitet er an einer größeren Eigen-Recherche für die kommenden Tage).
> Einfach die erste Lokalseite auf die Titelseite bringen, dürfte schief gehen – nicht nur an einem Montag im Sommer, wenn die Hüpfburgen beschrieben werden. Die Leser müssen schon das Gefühl bekommen, dass sie für ihr gutes Geld Qualität bekommen und keine Ramsch-Ware.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob es in ländlichen Regionen doch gelingen könnte. Das kann man testen: Eine Null-Nummer produzieren und zu Leserkonferenzen einladen (aber nicht nur Oberstudienräte, die uns einen Bildungsauftrag aufschwatzen wollen).
> Wenn man ein komplettes Bundesland mit seinen Themen für die Seite 1 hat, ist es wahrscheinlich einfacher, als wenn man ein eher kleines Gebiet mit Nachrichten versorgt. Bei uns wollten die Leser Thüringen auf der Titelseite. Die Reaktionen geben uns recht: Seit mehr als zwei Jahren steigt der Einzelverkauf deutlich (gegen den bundesweiten Trend), und beim „Lesewert“ – eine Art Einschaltquote für die Zeitung – bekommt die Titelseite exzellente Werte, am meisten übrigens der Leitartikel auf der ersten Seite, der strikt regional ist und sich meist auf den Aufmacher oder Aufsetzer der Titelseite bezieht. Besonders gut läuft der Einzelverkauf, wenn der Teaser – ein sechsspaltiges Foto oben auf der Seite – emotional ist, einfach ein Hingucker ist, und wenn der Aufmacher eine leicht verständliche Überschrift hat und zum Gespräch anregt.
Die „Zeit“ versucht sich am Lokalen und lernt Demut vor dem Leser
Was passiert, wenn eine Zeit-Redakteurin plötzlich eine Lokalausgabe macht? Sie ist verwirrt, verwundert und stellt fest:
Man merkt erst einmal, wie stark man wirklich gelesen wird. Einmal haben wir zum Beispiel über den überhitzten Immobilienmarkt geschrieben. Und auf einmal hing der Artikel in Eimsbüttel an den Laternenmasten. Selbst beim geschliffensten politischen Kommentar zur internationalen Großwetterlage passiert das nicht.
So staunt Zeit-Hamburg-Chefin Charlotte Parnack in einem Interview mit Alexander Becker bei meedia.de (vom 19. November 2014). Der Zeit-Redakteurin fällt auf, was Lokalredakteure längst wissen: „Im Lokalen ist vieles extremer. Die Reaktionen im Positiven, aber auch im Negativen sind stärker. Bei den Lesern geht es immer gleich um alles. Das lehrt einen als Journalisten Demut. Es gibt keine Kleinigkeiten mehr. Das verändert alles.“
So ganz ist der typische Hochmut einer Zeit-Redakteurin aber noch nicht verflogen: „Wir glauben: Der Leser will erst einmal über den Krieg in Syrien lesen, nicht über die Busbeschleunigung vor seiner Haustür.“
Der Blick von außen auf das Lokale lässt auch Defizite erkennen. Beckers Frage „Fehlt grundsätzlich der Spieltrieb im Lokaljournalismus?“ bejaht Parnack zu Recht: Leser wollen Neues, das so sein soll wie das Alte. Die typische Zeit-Lokalgeschichte muss, so Parnack, eine Lagerfeuergeschichte sein, über das Kleine im Großen. „Also eine Geschichte, über die ich abends am Abendbrottisch immer noch sprechen will.“
PS. Die Konkurrenz vom Hamburger Abendblatt hat schon zweimal den Deutschen Lokaljournalistenpreis gewonnen und ähnlich wichtige Preise. So schlecht steht es um Hamburgs Lokales also nicht.
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Mail vom Journalisten und Juristen Daniel Grosse
Wenn lokale Geschichten bei Spiegel, stern und Co. explodieren
Es sind lokale Geschichten, die dann irgendwann explodieren. Überregional in einem der Medien wie Spiegel, stern oder Süddeutsche Zeitung. Dort sind die Explosionen zu hören. Mit den Augen. Es sind diese Geschichten hinter den Geschichten aus der Provinz, dem Lokalen. Einst immer wieder aufgegriffen von Reportern vor Ort, begleiten diese Geschichten ihre Leser. Und dann, wenn die Nachrichtenkriterien endlich übererfüllt sind, ziehen die Überregionalen nach. Genauso könnte es auch der Geschichte um den seit rund 20 Jahre währenden Verfall des Ortsmittelpunktes Marbach ergehen. Misswirtschaft, Familienschicksale und dann der Brand haben dort aus einer einst denkmalgeschützten Fachwerk-Villa mit imposantem Gelände einen öden Ort gemacht.
Ein verkohltes Dachstuhl-Gerippe überragt die vom stundenlangen Feuer geschundene Fassade, zerborstene Fensterscheiben erinnern an ein nächtliches Inferno, verkohlte Vorhangreste flattern hinter rußgeschwärzten Fensterrahmen. Beirut, Libanon, sind Worte, die Passanten sagen, wenn sie heute an der Bauruine in der Brunnenstraße vorbeigehen. Tatsächlich wie im Krieg. So sieht es dort aus. In dem ansonsten sehr ansehnlichen, gemütlichen Ortsteil Marbach am Rande der Uni-Stadt Marburg.
Gebrannt hat es am 15. August 2014. In der Nacht. Behörden, Feuerwehr, Polizeiermittler, Gerichte, Zwangsverwalter, Sachverständige und die Staatsanwaltschaft suchen seitdem nach Schuldigen, nach Hintergründen, sortieren Interessenlagen, sichern den Brandort und die Umgebung, planen weitere Schritte. Pikantes Detail: Gebrannt hat es in den vergangenen Jahren bereits in verschiedenen anderen Gebäuden des Eigentümers. Marbacher Bürger rätseln, verdächtigen und spekulieren. Suchen Zusammenhänge. Oberhessische PresseGr und Lokalreporter berichten. Weiträumige installierte Absperrgitter schützen Kinder, Blinde und andere Passanten vor maroden Gebäudeteilen, die herabstürzen könnten.
Eine Geschichte, die ganz sicher noch überregional in den Medien explodieren wird. Vielleicht spätestens dann, wenn zum Beispiel auf dem historischen Grund in bester Lage eventuell eine neue Immobilie wächst.
Quelle: Blog von Daniel Grosse
http://irondan.de/?p=119
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Nun erwischt es auch eine Journalismus-Zeitschrift: Message wird nicht mehr gedruckt
Bisher hat Message die Schwierigkeiten und vor allem Defizite von Zeitungen und Zeitschriften analysiert – und des Journalismus überhaupt. Nun muss Message selber aufgeben und verkauft das Ende als „Schritt in die Zukunft“. Im kommenden Jahr erscheint Message nur noch im Netz, als App oder E-Paper.
Die Abos gehen, wie bei den Zeitungen, zurück. Noch in diesem Jahr sollte der Relaunch den Niedergang stoppen – vergebens. Auch hat die Zeitschrift den Abgang von Gründer Michael Haller vor zwei Jahren nicht verkraftet. Das Projekt der „Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus“ hat wohl selber keine ausreichende Qualität liefern können.
Zum 15-Jährigen in diesem Jahr hatte Michael Haller noch einmal die Feder gespitzt – und manchem Medien-Wissenschaftler in seiner gewohnt diplomatischen Art bescheinigt, dass sie nicht in der Lage sind, „ihre Befunde allgemeinverständlich rüberzubringen“:
Unvergessen blieb mir ein über Wochen laufender Mailverkehr mit einem Professorenkollegen, dessen Text im Wissenschaftsjargon abgefasst (aufgeblasen) war und im Zuge unserer Bearbeitung seine gedankliche Trivialität offenbarte. Am Ende zog der Kollege den Text zurück: Wir hätten seinen Gedankengang zerstört.
Auch die Macher, die Chefredakteure, geißelte Haller, der selber kaum am Minderwertigkeits-Syndrom leidet:
Warum wird man Ressortchef, dann Chefredakteur? Auf welche Qualifikationen kommt es an, um den Medienwandel zu verstehen und den heute sogenannten Changeprozess crossmedial zu steuern? Wir haben dieses Thema später dann nur noch mit spitzen Fingern angefasst, weil wir merkten, dass doch viele Redaktionschefs in Deutschland auf Manöverkritik eher beleidigt reagieren, offenbar, weil ihnen, spitz gesagt, die eigene Eitelkeit im Wege steht.
Wenn ich meinen Aktenordner mit Korrespondenzen der vergangenen 15 Jahre durchblättere, begegnen sie mir wieder, die pseudo-coolen, doch im arroganten Ton abgefassten Beschwerdebriefe deutscher Chefredakteure. Es war nicht nur Mangel an Selbstreflexion, der irritierend wirkte, sondern auch deren Weigerung, sich mit dem Wandel der Medienfunktionen praktisch zu beschäftigen und Konsequenzen zu ziehen.
Trotz anhaltendem Reichweitenschwund hielten viele Blattmacher an der Überzeugung fest, ihr persönliches Bauchgefühl sei Garant für erfolgreichen Journalismus.
Diese Arroganz wird uns, zumindest in gedruckter Form, fehlen. Der Abschied vom Druck wird wohl der Abschied von Message überhaupt sein.
PS. Der Autor dieses Blogs hat nie einen Brief an Message geschickt, noch war er Autor der Zeitschrift.
Twitter-Journalismus: Investigative Fragen an Bastian Schweinsteiger
Bei der Bambi-Preisverleihung langweilt sich Thorsten Schmitz von der Süddeutschen Zeitung, hört „übliche Phrasen“ und sieht „altbackene Choreografien“. Kurzum – das ist nicht seine Welt. So geht er in die Lobby zu den „jungen nervösen Klatschreporterinnen, die ihre Redaktionen mit Twitter-Nachrichten füttern müssen“. Vielleicht will er die schöne neue Welt des Journalismus ahnen, die Zeit nach der Süddeutschen, wenn Papier nicht mehr raschelt und der Leser mit 140 Zeichen zu befriedigen sein wird.
Zwei Worte reichen schon, um die „heimelige Bambi-Welt“ zu zerstören: „Fuck Isis“ steht auf dem T-Shirt eines jungen Sängers. „Zu krass“ findet das eine der jungen nervösen Klatschreporterinnen und twittert es – nicht. Dann kommt der journalistische Höhepunkt, den Thorsten Schmitz sekundengenau schildert:
Als Bastian vor ihr (der jungen nervösen Klatschreporterin) steht, fragt sie investigativ: „Wie geht’s Ihnen?“ Scheinsteiger sagt: „Super!“ Sekunden später ist das Zitat im Umlauf.
Aber richtig zufrieden ist sie auch nicht damit.
„Hast Du schon einen Knaller?“ fragt sie eine Kollegin.
„Nö“, sagt die. „Du?“
Bei so viel Phrasen möchte sich Thorsten Schmitz befreien, er zitiert Arthur Schnitzler, den Senta Berger zitiert: „Wir alle spielen. Wer es weiß, ist klug“; er zitiert Helmut Dietl und nennt es einen „Moment der Authentizität“: „Wüsste ich, wie Glücklichsein geht, wäre ich es damals gewesen“.
Schmitz nennt diesen Satz „Sperrgut im Weichspülermeer vor Bambiland“. Wer viele Phrasen hören muss, versinkt halt auch mal im Sprachbilder-Schlick.
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Quelle: Süddeutsche Zeitung 15. November 2014 „Hast Du schon einen Knaller“
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