Die dpa, der Tod und die Auferstehung (Zitat der Woche)
Wenn jemand bei uns gestorben ist, wird es schwer, ihn wieder auferstehen zu lassen.“
dpa-Innenpolitik-Chef Roland Freund auf die Frage, warum die Agentur Gerüchte über einen prominenten Toten nicht unverzüglich meldet, sondern erst gründlich recherchiert.
Erfolgreiche Bezahlschranke, aber weniger tiefe Recherche
„Wir zahlen nichts“, sagten die Leser der Online-Seiten von Haaretz. „Sie haben gelogen“, sagt Lior Kodner, der Online-Chef der israelischen Zeitung. In einem Land, in dem es mehr Smartphones gibt als Bürger, scheint es zu gelingen: Die Online-Leser zahlen für guten Journalismus.
Es gibt keine eigene Online-Redaktion. Die dreihundert Redakteure sitzen in einem Newsroom, schreiben für die gedruckte Zeitung wie für Online – auch wenn das viele noch üben müssen. Nach dem Wochenende sitzen die Redakteure in der Sonntags-Konferenz zusammen und sprechen über die am meisten gelesenen Artikel der Online-Seiten der vergangenen Woche und des Sabbats.
Was alle noch verstehen müssen: „Wie schreiben wir eine Geschichte in der digitalen Welt?“ Dazu gehören, so Lior Kodner, auch Töne – wenn beispielsweise eine Lokomotive in der Story vorkommt – oder auch kleine Filme. So weit wie Haaretz ist offenbar noch keine große Zeitung in Israel. Der Markt für hebräische Online-Seiten ist auch klein: Gerade mal sieben Millionen potentielle Nutzer in Israel; zwei Millionen davon gehen im Monat auf die Haaretz-Seiten. Weil die Konflikte in Israel und den Nahen Ost auch außerhalb von Israel interessieren, bietet Haaretz nicht nur eine gedruckte Ausgabe in englischer Sprache an, sondern auch eine englische Online-Version, die – je nach Konfliktlage – zwischen zwei und drei Millionen Leser anzieht.
Haaretz musste experimentieren und online gehen, weil die Einnahmen immer mehr zurückgehen – wie nahezu überall in der westlichen Welt. Doch der Journalismus verliert Kraft, „power“, beobachtet Hanoch Marmori, der zehn Jahre lang Chefredakteur von Haaretz war: Weniger investigative Recherche, weniger Bohren in der Tiefe. Der Grund? Die Redakteure wollen das Management nicht aufschrecken, sie wollen keine Risiken eingehen und schauen zu, nur noch Geschichten zu bringen, die die Leute lesen wollen.
Nur auf die Online-Liste der meistgelesenen Artikel zu schauen, sei falsch, meint der Online-Chef Lior Kodner. Man dürfe die gedruckte Zeitung nicht allein nach den Einschaltquoten von Online ausrichten. Man solle sie zur Kenntnis nehmen und berücksichtigen, aber die Zeitung habe schon ein eigenes Gewicht.
Arabische Journalisten schreiben kaum für die israelische Zeitung. Das beklagt auch der frühere Chefredakteur: Es gibt einen arabischen Kolumnisten, der sehr populär ist, aber sonst keine, auch nicht in den anderen Zeitungen. „Sie wollen nicht“, sagt Hanoch Marmari, und fügt leise an: „Vielleicht schaffen sie es auch nicht.“
Die Israelis scheinen Journalismus bei der Armee zu lernen, guten, unabhängigen Journalismus, wie fast alle versichern. „Die Armee ist die einzige wichtige Journalismus-Schule“, sagt Marmari, und alle nicken, weil auch alle drei Jahre in der Armee dienen (Frauen zwei Jahre) und jedes Jahr zu Reserve-Übungen eingezogen werden: Die Armee als Schule der Nation.
Quelle:
Diskussion am 27. Oktober 2013 im „Israel Democracy Institute“, zusammen mit der Adenauer-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (anläßlich von 50 Jahre Israel-Reisen #bpb50israel)
Der dritte Mann, Blogger in Israel und Recherchen auf Facebook
Wer ist ein Journalist in der digitalen Ära? Wer genießt Schutz – wenn es etwa um die Vertraulichkeit der Quellen geht?
Frage von Tehilla Shwartz Altshuler, einer jungen israelische Medien-Wissenschaftlerin, bei einer Diskussion in Jerusalem. In Israel bekommen Blogger nur einen Presseausweis, wenn sie mindestens 10.000 Besucher im Monat nachweisen können; der Ausweis ist wichtig, damit Behörden und Politiker überhaupt reagieren.
Tal Schneider, Israels prominenteste Politik-Bloggerin, kritisiert: Bloggt man über Mode oder Kochen, dann kommt man leicht über 10.000; bloggt man über Politik, wird es schon schwierig. Schneider schafft es, obwohl die Besucher für ihren Blog (auf hebräisch) zahlen müssen. Sie war für Haaretz, die fast hundert Jahre alte Zeitung, Korrespondentin in Washington und wurde kurz nach ihrer Rückkehr gefeuert. Als sie zwei Jahre lang gesucht hatte und keine gute Anstellung gefunden, fing sie an zu bloggen – mit erstaunlichem Erfolg: Wer sich in Israel für Politik interessiert oder Politiker ist, kommt an ihrem Blog nicht vorbei, sagen ihre Kollegen.
Sie erzählt einen ihrer Erfolge: Sie bekam ein Foto zugespielt, das drei Leute in einem vertraulichen Bereich des Parlaments zeigte – zwei von ihnen bekannte Politiker, einer, von dem nur der Rücken zu sehen war, blieb unbekannt.
Wer ist der dritte Mann auf dem Foto?, fragte Schneider auf Facebook und bekam fünfzig Reaktionen – darunter den Namen des Mannes, der ein verurteilter Bombenlager war. Sie recherchierte weiter und fragte die beiden anderen Politiker: Was haben sie mit dem Mann zu tun? Die Geschichte nahmen viele Zeitungen auf, sie wurde zum nationalen Thema.
„Der Blogger ist allein, er hat keinen Editor, der prüft, redigiert, kritisiert“, sagt Tal Schneider. Ihr Editor sind die Leser, ihre Prüf-Instanz ist die Gemeinschaft im Netz, the crowd. Doch ihre Leser sind noch mehr: „Jeder ist ein Reporter, der ein Smartphone hat und ein Foto machen kann.“
Quelle:
Diskussion am 27. Oktober 2013 im „Israel Democracy Institute“, zusammen mit der Adenauer-Stiftung und der Bundeszentrale für politische Bildung (anläßlich von 50 Jahre Israel-Reisen #bpb50israel)
PR als Nachricht: Das Geschäftsmodell von Online-Zeitungen wie Huffington Post
Stefan Niggemeier entdeckt bei der Huffington Post, deren deutsche Ausgabe zu Burda gehört, Pressemitteilungen von Burda, die „als normale Nachrichten“ verkauft werden. Das ist die Geschäftsidee von einigen Online-Zeitungen: Ich verwische die Grenze zwischen PR und Journalismus und lasse mich zweimal bezahlen – zuerst von meinem PR-Auftraggeber und dann vom Online-Nutzer.
Diese Praxis verstößt gegen den Pressekodex. Aber wer beschwert sich schon über Online-Zeitungen beim Presserat? Gehen wir schon davon aus, dass es normal ist in dem Sinne: Womit sollen die Onliner sonst ihr Geld verdienen?
Zumindest können sie PR als PR kennzeichnen.
Niggemeiers Quellen: Pressemitteilung von Burda
http://t.co/83xUhFSP4s
@HuffPostDE:
http://http://t.co/R2E1jr1ssk
DEBATTE
Joachim Widmann
weist zu Recht in Facebook darauf hin, dass die Glaubwürdigkeit ruiniert wird, wenn die „Tranzparenzhinweise“ nicht zu lesen sind. Er weist zudem darauf hin, dass auch die klassischen Zeitungen „in eigener Sache oder bei guten Freunden und Kunden nicht gerade zimperlich sind“.Er berichtet von Redakteuren, die Pressemitteilungen übernehmen und mit eigenem Kürzel veröffentlichen. So sei es einseitig, das Problem nur online zu sehen.
Meine Antwort:
Okay und Dank für den Hinweis – dies ist die berühmte Sache mit dem Glashaus. In der Tat drucken zu viele Redaktionen Pressemitteilungen ohne Not ab, ohne Quellenangabe – und sie tun es meist ohne Druck von oben. Denn zumindest die Quelle kann jeder nennen: Wer will das verbieten? – Bei den lokalen Online-Zeitungen geschieht die PR-Veröffentlichung nicht selten aus der Not heraus, zu überleben. Und da ist die große Huffington Post, die in einem Konzern erscheint, einfach ein schlechtes Vorbild.
Die zynischen Mechanismen öffentlicher Empörung: Eine Redakteurin wird Oberbürgermeisterin und verzweifelt
Man wird unglücklich, wenn man erst einmal in der Mühle drin steckt. Man wacht um vier Uhr nachts auf, voller Angst, weil um halb fünf die Zeitung mit der nächsten üblen Geschichte vor der Tür liegt.
So spricht heute Susanne Gaschke (SPD), Oberbürgermeisterin in Kiel, zuvor Redakteurin bei der Zeit.
Die Süddeutsche widmet Susanne Gaschke die Seite Drei (30. September) wegen ihrer Verstrickungen in einem Skandal, in dem sie schmerzhaft spürt – diesmal auf der anderen Seite – „wie hartnäckig eine empörte Menge aus Journalisten, Opposition, Netzgemeinde sich an die Fehlersuche machen kann, wie viel Häme und Unterstellungen damit eingehen, wie zynisch die Mechanismen öffentlicher Erregung sein können.
Eine aufschlussreiches Porträt liefet Charlotte Parnack in „Von der Rolle“: So schwer ist der Rollenwechsel von der Redaktion ins Rathaus, in die Politik. Die Journalistin kannte und recherchierte Skandale – „aber sie kannte sie nur aus dem warmen Kokon der Redaktion heraus“.
Recherchen werden gesponsert – auch im Sport-Ressort
Die Recherchen zu diesem Text wurden teilweise unterstützt von Schweiz Tourismus.
Der Satz steht nicht unter einer Reportage im Reiseteil der FAZ, sondern im Sport-Teil unter der spannenden Reportage „Steile Welt“ zum Jubiläum der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand (20. Juli 2013). Ist es das erste Mal, dass der Sponsor-Hinweis auf einer der klassischen Ressort-Seiten der FAZ erscheint?
Bei der Debatte zur Rettung der journalistischen Qualität streiten wir uns zu Recht über Stiftungs-Modelle, wenn sie vom Staat finanziert werden – wie in NRW vorgeschlagen; aber wir nehmen nur am Rande wahr, wie stark selbst große Zeitungs-Redaktionen gesponsert werden:
+ von Auto-Herstellern, die kostenlos Testwagen zur Verfügung stellen und zu Präsentationen an noblen Stätten einladen;
+ von Reiseveranstaltern;
+ von Verlagen, die Bücher, CD und DVD verschicken;
+ von Bundesliga-Vereinen und Konzertagenturen, die kostenlos Eintritt anbieten usw.
Dies sei keine Kritik an der Praxis des journalistischen Sponsorings, das durchaus nützliche Effekte haben kann – vorausgesetzt der Leser wird informiert (wie vorbildlich unter der FAZ-Reportage). Dies ist ein Hinweis zur Debatte um die Förderung von Recherchen und zur Sicherung der journalistischen Qualität: Was ist notwendig? nützlich? strittig? verwerflich?
Twitter-Chronik: In Sekunden erschien das erste Foto vom Flugzeug-Crash
Dreißig Sekunden nach dem Flugzeug-Unglück in San Francisco postet @KristaSeiden das erste Foto über Twitter. Sie ist eine Google-Mitarbeiterin und wartete auf ihren Flug. Das Foto erschien in den folgenden 24 Stunden in 4500 Nachrichten-Artikeln; es zeigt im Hintergrund dichten Rauch auf dem Rollfeld des Flughafens.
Omg a plane just crashed at SFO on landing as I’m boarding my plane pic.twitter.com/hsVEcVZ2VS
— Krista Seiden (@kristaseiden) July 6, 2013
Warum und wie sie so schnell reagierte, beschreibt Krista Seiden in einem Blog.
Am nächsten Tag twittert Cory S. voll Respekt:
You broke the news before the News broke the news.
Achtzehn Minuten später schickt der erste Passagier vom Rollfeld sein Foto der brennenden Maschine und der fliehenden Passagiere über Facebook und Twitter; David Sun ist Samsung-Mitarbeiter:
I just crash landed at SFO. Tail ripped off. Most everyone seems fine. I’m ok. Surreal…
Elf Minuten später fragt ein norwegischer Journalist, ob er das Foto nutzen darf. Viele Anfragen folgen.
Erst zwei Stunden nach dem Unglück gibt es per Twitter die erste Mitteilung von Boeing.
Vier Stunden nach dem Unglück folgt Asiana Airline.
Eine Dokumentation findet sich hier – auch mit dem vernichtenden Urteil über das Krisenmanagement der Fluglinie: Wenn Fluggäste über soziale Netzwerke verbunden sind, hast du keine 20 Minuten mehr, um zu reagieren, sondern gerade mal 20 Sekunden.
Asiana brauchte vier Stunden.
Kubicki: Am besten wäre ein Prozess in den USA – nicht nur für Snowden
Was wäre, wenn Snowden vor ein amerikanisches Gericht gestellt würde? fragt Wolfgang Kubicki. Dann müsste sich die amerikanische Gesellschaft intensiv damit beschäftigen: Was darf der Staat überhaupt? Wie tief darf er in das Private der Menschen eindringen, um die Sicherheit der Bürger zu garantieren? Welche Rolle spielen die Medien in der Aufklärung solcher Staats-Affären?
Es ist Unsinn, Snowden in Deutschland politisches Asyl zu geben. Die USA sind ein Rechtsstaat mit strengen Regeln, die man auch einklagen kann. Statt politisches Asyl in Deutschland zu fordern, wäre es sinnvoller, wir in Deutschland ein paar Millionen zu sammeln, Snowden die besten Anwälte zu besorgen und ihm ein gutes Verfahren in den USA zu ermöglichen.
Das sagte Wolfgang Kubicki am Rande eines TA-Gesprächs mit jungen Wähler in Nordhausen. Kubicki kandidiert für den Bundestag, ist FDP-Chef in Schleswig-Holstein und Mitglied des Präsidiums der Bundes-FDP.
FAZ enthüllt neuen Beruf: Enthüllungsjournalist
Hart aber fair Zu Gast: Günter Wallraff (Enthüllungsjournalist und Buchautor)
FAZ, 1. Juli 2013, Medienseite
Der Blog oder das Blog? Und viele Liveticker – sogar von der Kreisliga
Woran erkennt man einen richtiger Blogger? Er sagt: Das Blog. Macht einer den Blog zu einem männlichen Substantiv, wird er belächelt und als digitaler Staatenloser an den Katzentisch gesetzt.
Philipp Ostrop, Lokalchef der Ruhr-Nachrichten in Dortmund, dürfte der agilste Onliner in deutschen Lokalzeitungen sein. Bei der Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche tapste er in die Falle:
Der Blog, nee, das Blog, glaube ich… Sonst krieg ich wieder Ärger auf Twitter
David Schraven von der konkurrierenden WAZ stellte einige Coups des Dortmunders vor, der in seiner Redaktion Zeitung und Online zusammen organisiert an einem fünfköpfigen Desk, dem 15 Reporter zuliefern:
+ Der Live-Ticker zu einer Giraffe im Zoo, die umgefallen war (nebst Shitstorm: Seid Ihr bekloppt – so was als Liveticker);
+ Live-Ticker von einem plötzlichen Unwetter am Abend, der vor allem hundert Tweets von Lesern nutzte und auch unbestätigte mitnahm, weil die Redaktion sie als wichtig ansah: „Offenbar Wasser in der U-Bahn-Haltestelle Stadtgarten. Wir können es nicht verifizieren. Hier der Tweet von Kevin. Danke!“;
+ Liveticker von der Räumung wegen einer Fliegerbombe;
+ „Lokalredaktion London“ während des Champion-League-Finales; nach diesem Vorbild soll es in einem schwierigen Dortmunder Gebiet ab 1. Juli die „Lokalredaktion Nordstadt“ geben;
+ „Wir livetickern sogar Kreisliga“ (Ostrop).
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