Alle Artikel der Rubrik "Online-Journalismus"

„Ihr habt nur den großen Mund!“ – Wie eine Retterin auf eine Facebook-Diskussion reagiert

Geschrieben am 29. September 2013 von Paul-Josef Raue.

Bei einem Auto-Unfall kommt in einer Nacht eine Familie ums Leben, nur das Kind überlebt, aber ringt mit dem Tod. Auf die Online-Meldung der Thüringer Allgemeine und der Facebook-Debatte zur Schuld antwortet eine Helferin auch auf Facebook. Es ist einfach ein bewegendes Dokument (leicht gekürzt und redigiert):

Mein Beileid an die Familie und meinen Kameraden aus Gräfentonna und umliegenden Orten, viel Kraft zum Verarbeiten des Ganzen. Da denkt auch immer keiner von den Schimpfern hier dran, dass sowas Schreckliches nicht nur die direkt am Unfall beteiligten Personen betrifft, sondern auch die Retter.

Ihr habt das ja zum Glück noch nie erlebt, wie sich das anfühlt, wenn man an sone Einsatzstelle kommt und so ein Massaker sieht. Wenn man betet, dass die Leute da drin noch halbwegs ganz sind.

Ihr habt noch nie die Schreie gehört, bei denen ihr denkt, es ist ein Kind. Ihr sucht verzweifelt nach nem Kind – und der, der schreit, ist ein erwachsener Mann. Ihr habt noch nie die zertrümmerten Gesichter von den Unfallopfern gesehen und später erfahren, dass ihr den kennt.

Ihr kennt nicht das Geräusch, wenn man mit schwerem Gerät ein völlig zerstörtes Auto so schnell wie möglich aufzuschneiden versucht, um die Leute, die alle Hoffnung in einen setzen, da raus zu holen. Ihr kennt nicht die Frustration, wenn sie es dann doch nicht schaffen.

Ihr habt nur den großen Mund. Ihr solltet mal dabei sein. Da ist euch das völlig egal, ob und wer Schuld hat. Und die Jungs und Mädels machen das freiwillig. Für nichts! Einfach so! Weil sie Menschen sind.

Die Meldung zu dem Unfall in der TA

Wenn Möchtegern-Journalisten das Ende des Journalismus beschwören

Geschrieben am 7. August 2013 von Paul-Josef Raue.

Jahrelang ließen sich Redakteure auf die virtuelle Schlachtbank führen: Ihr seid ein Auslaufmodell! Euer Ende naht!

Wie die Zeugen Jehovas, die den Weltuntergang prophezeien (1914, 1925, 1975 oder irgendwann), kündigen die modernen Verächter die papierne Endzeit an: Das Harmagedon der Zeitungen. Aber es gibt auch ein paar Mutige, die sich den Propheten des Untergangs entgegenstellen. Sie seien in diesem Blog genannt, geehrt und zitiert – wie Michael Hanfeld in der FAZ (7. August 2013):

Im Internet beschwören Möchtegern-Journalisten unablässig das Ende der Zeitung und des Journalismus – und haben selbst kein Geschäftsmodell, was sie Verlegern stets vorhalten. An der Bedeutung des Journalismus, wie er von Zeitungen und Zeitschriften geprägt wird, hat sich nichts geändert.

Noch immer orientieren sich die Debatten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft an dem, was Redaktionen zutage fördern. Journalisten sind als Stichwortgeber längst nicht mehr allein, aber im Gegensatz zu Online-Konzernen wie Google, die ihr Eigeninteresse als Allgemeinwohl ausgeben, viel ehrlichere Makler auf dem Markt der Meinungen.

Es folgt ein Satz, der den Verächtern täglich vorzulesen ist:

Es ist ein Irrsinn, dass Journalisten sich an der Verächtlichmachung ihrer Profession und ihrer gesellschaftlichen Aufgabe auch noch munter beteiligen.

Michael Hanfeld fügt an: Dabei geht es in der Krise nicht um journalistische, sondern um ökonomische Fragen.

Argumente gegen Häme: Zeitungen leben und sind stark

Geschrieben am 3. August 2013 von Paul-Josef Raue.

So zu tun,als gehörte Print schnellstmöglich beerdigt,ist lächerlich.

schreibt Horizont-Chefreporter Jürgen Scharrer zum Kauf von Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost, Hörzu und anderen durch die Funke-Mediengruppe und kommentiert die grenzenlose Häme auf den Kommentarseiten im Netz mit drei Argumenten:

1. Es gibt nicht nur jemanden, der verkauft, sondern auch jemanden, der kauft. Ein Ausverkauf von Print sieht anders aus.

2. Wo sind die schlauen Digital Natives, die ein journalistisches Digitalangebot entwickelt, das groß und renditestark ist, um eine Redaktion zu beschäftigen, die nicht nur bloggt, sondern richtig recherchiert?

3. Was Vertriebs- und Werbeerlöse betrifft, liegt Print nach wie vor Lichtjahre vor Online.

Der deutsche Blogger: männlich, unerfahren, arm (= weniger als 300 Euro im Monat)

Geschrieben am 29. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Zwei Drittel aller Blogger verdienen weniger als 300 Euro im Monat, nur 13 Prozent verdienen mehr als 1000 Euro durch Werbe-Einnahmen. Das hat der Blogvermarkter Rankseller durch eine Umfrage unter mehr als 2.300 deutschen Bloggern ermittelt.

Der Großteil der Autoren schreibt fünf bis zehn Artikel pro Monat über Themen wie „Heim und Garten“, „Erotik und Liebe“ oder „Gesundheit und Ernährung“. Zwei Drittel der Blogger sind Männer, von denen nur 15 Prozent eine journalistische Ausbildung haben.

(aus einer Pressemitteilung des Ernst-Schneider-Preises des DIHK)

Facebook, das Mittagessen mit Max Schultze und der Gipfel der Kommunikation (Zitat der Woche)

Geschrieben am 22. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 22. Juli 2013 von Paul-Josef Raue in Online-Journalismus.

Wieder etwas Neues bei Facebook! Zu welch einsamen Höhen der Kommunikation werden uns die sozialen Netzwerke noch führen?

Du kannst deine Freunde jetzt in deinen Statusmeldungen oder Beiträgen markieren. Gib dazu @ und dann den Namen deines Freundes ein. Zum Beispiel: „Hab mit @Max Schultze zu Mittag gegessen“.

Recherchen werden gesponsert – auch im Sport-Ressort

Geschrieben am 20. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Die Recherchen zu diesem Text wurden teilweise unterstützt von Schweiz Tourismus.

Der Satz steht nicht unter einer Reportage im Reiseteil der FAZ, sondern im Sport-Teil unter der spannenden Reportage „Steile Welt“ zum Jubiläum der Erstbesteigung der Eiger-Nordwand (20. Juli 2013). Ist es das erste Mal, dass der Sponsor-Hinweis auf einer der klassischen Ressort-Seiten der FAZ erscheint?

Bei der Debatte zur Rettung der journalistischen Qualität streiten wir uns zu Recht über Stiftungs-Modelle, wenn sie vom Staat finanziert werden – wie in NRW vorgeschlagen; aber wir nehmen nur am Rande wahr, wie stark selbst große Zeitungs-Redaktionen gesponsert werden:

+ von Auto-Herstellern, die kostenlos Testwagen zur Verfügung stellen und zu Präsentationen an noblen Stätten einladen;

+ von Reiseveranstaltern;

+ von Verlagen, die Bücher, CD und DVD verschicken;

+ von Bundesliga-Vereinen und Konzertagenturen, die kostenlos Eintritt anbieten usw.

Dies sei keine Kritik an der Praxis des journalistischen Sponsorings, das durchaus nützliche Effekte haben kann – vorausgesetzt der Leser wird informiert (wie vorbildlich unter der FAZ-Reportage). Dies ist ein Hinweis zur Debatte um die Förderung von Recherchen und zur Sicherung der journalistischen Qualität: Was ist notwendig? nützlich? strittig? verwerflich?

Die drei großen Lügen in sozialen Netzwerken

Geschrieben am 19. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 19. Juli 2013 von Paul-Josef Raue in Online-Journalismus.

1) Gefällt mir

2) Freund

3) Privatsphäre

Süddeutsche Zeitung Magazin, 19. Juli 2013, Seite 8

Wie viele Lokalredakteure beherrschen ein Tablet?

Geschrieben am 15. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Der Vertrieb muss sich umstellen, wenn immer mehr Leser auf dem Tablet statt auf Papier lesen wollen. „Das hat neue Bewegung in die Vertriebsabteilung gebracht“, sagt Iris Bode, Vertriebschefin der Welt-Gruppe,in einem nb-Interview und erläutert:

Wir betreuen Neukunden, die digitale Produkte bestellen und dann Fragen zur Registrierung haben. Printlesern erklären wir das digitale Angebot… Das bedeutet natürlich eine große Umstellung für den Kundenservice, der bisher vor allem Lieferunterbrechungen oder Reklamationen im Printgeschäft bearbeitet hat. Heute müssen die Mitarbeiter im Vertrieb und im Service selbstverständlich alle Endgeräte beherrschen.

Und wie selbstverständlich ist das in Redaktionen? Wie viele Redakteure in Lokalredaktionen beherrschen wenigstens ein Gerät? Wer kann schnell und gut Texte und Bilder online stellen? Wer antwortet auf Tweets der Leser, auch schnell und kompetent?

Quelle: New Business, 15.Juli 2013 „Ein spannender Prozess“

Twitter-Chronik: In Sekunden erschien das erste Foto vom Flugzeug-Crash

Geschrieben am 14. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Dreißig Sekunden nach dem Flugzeug-Unglück in San Francisco postet @KristaSeiden das erste Foto über Twitter. Sie ist eine Google-Mitarbeiterin und wartete auf ihren Flug. Das Foto erschien in den folgenden 24 Stunden in 4500 Nachrichten-Artikeln; es zeigt im Hintergrund dichten Rauch auf dem Rollfeld des Flughafens.

Omg a plane just crashed at SFO on landing as I’m boarding my plane pic.twitter.com/hsVEcVZ2VS

— Krista Seiden (@kristaseiden) July 6, 2013

Warum und wie sie so schnell reagierte, beschreibt Krista Seiden in einem Blog.

Am nächsten Tag twittert Cory S. voll Respekt:

You broke the news before the News broke the news.

Achtzehn Minuten später schickt der erste Passagier vom Rollfeld sein Foto der brennenden Maschine und der fliehenden Passagiere über Facebook und Twitter; David Sun ist Samsung-Mitarbeiter:

I just crash landed at SFO. Tail ripped off. Most everyone seems fine. I’m ok. Surreal…

Elf Minuten später fragt ein norwegischer Journalist, ob er das Foto nutzen darf. Viele Anfragen folgen.

Erst zwei Stunden nach dem Unglück gibt es per Twitter die erste Mitteilung von Boeing.

Vier Stunden nach dem Unglück folgt Asiana Airline.

Eine Dokumentation findet sich hier – auch mit dem vernichtenden Urteil über das Krisenmanagement der Fluglinie: Wenn Fluggäste über soziale Netzwerke verbunden sind, hast du keine 20 Minuten mehr, um zu reagieren, sondern gerade mal 20 Sekunden.

Asiana brauchte vier Stunden.

Der NSA-Skandal – „Was ist der Staat anderes als eine große Hackerbande“ (Zitat der Woche)

Geschrieben am 10. Juli 2013 von Paul-Josef Raue.

Um Augustinus von Hippo zu paraphrasieren: Nimm die demokratische Legitimität weg – was ist der Staat dann noch anderes als eine große Hackerbande?

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die eigentlichen digitalen Feinde der Demokratie, über die Idee der Vorratsdatenspeicherung, die wir Rot-Grün zu verdanken hätten, und über das Ausspähen durch amerikanische und britische Geheimdienste (FAZ, 9. Juli 2013).

Das Zitat von Augustinus, aus dem dem vierten Buch des „Gottesstaats“, lautet im Original:

„Remota itaque iustitia quid sunt regna nisi magna latrocinia? Quia et latrocinia quid sunt nisi parva regna?“, also: „Ohne das Recht in einem Staat: Was sind Staaten anderes als große Räuberbanden? Und was sind Räuberbanden anderes als Staaten im Kleinen?“

Bitte um Nachsicht:
In der ersten Fassung stand irrtümlich „NSU-Skandal“. Es geht, selbstverständlich, um den amerikanischen Nachrichtendenst NSA (National Security Agency). Wer sich so viel mit der NSU beschäftigt wie ich, der kommt leicht zu einem Freudschen Verschreiber.

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