Grundregeln für eine erfolgreiche Recherche (Journalismus der Zukunft 16)
Nichts ist wichtiger im Journalismus als die Recherche. Sonst gäbe es nur noch Pressemitteilungen, die als Nachrichten getarnt die Zeitungen und Online-Seiten füllten: Propaganda der Mächtigen statt Informationen für das Volk. Darum geht es in der 16. Folge der Kress-Serie „Journalismus der Zukunft“: Recherchiere immer – der fünfte Pfeiler der Qualität.
Das sind die Grundregeln für eine erfolgreiche Recherche:
- Machen Sie sich einen Plan!
- Nehmen Sie alle Quellen ernst, auch die von windigen, gar zwielichtigen Typen! Nicht die Moral der Whistleblower ist entscheidend, sondern das Ergebnis der Recherche.
- Suchen Sie nicht nur im Netz! Telefonieren Sie nicht nur! Gehen Sie raus und treffen wirkliche Menschen: Der Blick in freundliche oder unruhige Augen und auf nervöse Hände ist unersetzbar.
- Trauen Sie keiner Quelle im Internet! Prüfen Sie die Echtheit, Plausibilität und Seriosität eines Internet-Profils!
- Trauen Sie auch nicht ihren Vorurteilen und dem eigenen Recherche-Ziel! Haben Sie Mut, Ihre Recherche scheitern zu lassen!
Die meisten Recherchen, vor allem die kleinen und schnellen, scheitern schon in der Vorbereitung: Statt sich in fünf Minuten Ziel und Ablauf zu überlegen, greift man gleich zum Telefon, findet zwei Leute, die antworten, und fängt an zu schreiben. Sinnvoller ist eine Liste, ein Story-Planer, wie ihn die kleine Pharos Tribune im US-Staat Ohio entwickelt hat:
- Thema?
- Worum geht’s?
- Warum sollte das Thema die Leser interessieren? Und für wie viele ist es relevant?
- Was sind die wichtigsten Leserfragen zur Story?
- Welche Quellen lassen wir zu Wort kommen?
- Wie lautet die vermutete Überschrift?
- Welches Fotomotiv und/oder welche Grafik?
- Was kommt in den Info-Kasten?
Redakteure mögen allerdings keine Checklisten. Warum? fragt der kanadische Journalist Craig Silverman, Autor des Buchs „Regret the Error“: Selbst Piloten und Chirurgen führen sie, weil sie eine anspruchsvolle und verantwortliche Aufgabe erfüllen müssen und keine Fehler machen dürfen. Chefredakteure, Ressortleiter und Lokalchefs, die Story-Planer verlangen und kontrollieren, vermeiden jedenfalls schon zu Recherche-Beginn Fehler und Pannen.
Quellen:
- Storyplaner: Das neue Handbuch des Journalismus (Detaillierter Plan zum Kopieren oder als Vorlage zum Selbermachen auf Seite 108)
- http://kress.de/news/detail/beitrag/134919-journalismus-der-zukunft-der-fuenfte-pfeiler-der-qualitaet-recherchiere-immer.html
Das neue Gold des Journalismus: Vier Erkenntnisse aus den Panama-Paper-Recherchen
Die Zeit des einsamen Reporters ist vorbei. Das ist eine der Erkenntnisse, die wir aus den Panama-Papers ziehen können. Teams werden den Einzelkämpfer ablösen, denn 2,6 Terabyte an Daten und über 11 Millionen Dokumente – wie bei den Panama-Papers – zwingen zur Zusammenarbeit, auch wenn dies den meisten Journalisten noch schwerfällt. Die Zusammenarbeit ist schon in einer Redaktion bisweilen schwer; erst recht kompliziert wird sie, wenn sie mit mehreren Redaktionen erfolgt, die man lange als Konkurrenten gesehen und vielleicht sogar bekämpft hat.
Lange Zeit waren aufwändige Recherchen eine Domäne der Magazine – allen voran der Spiegel -, die allein über die Kapazität verfügten. Eine Tageszeitung, die Süddeutsche Zeitung, ist dabei, bei den investigativen Recherchen den Spiegel zu überholen. Die entscheidenden Köpfe in der SZ hat der Spiegel ziehen lassen: Chefredakteur Kurt Kister (falsch – siehe Kommentar unten), Chef-Rechercheur Hans Leyendecker und Georg Mascolo, der den Rechercheverbund mit NDR und WDR leitet.
Wie wird der Spiegel reagieren, falls er seine internen Querelen mal erledigen kann? Oder Stefan Aust, auch Ex-Spiegel-Chefredakteur, bei Springers Welt? Mit wem werden sie kooperieren? Wie werden sich die großen regionalen Zeitungen organisieren, wenn sie die große Recherche auch für sich entdecken und Kooperation nicht nur als Synergie-Effekt sehen? Recherche kostet aber Geld.
„Daten sind das Gold des Journalismus“ schreiben Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, die SZ-Reporter, euphorisch; doch einer ist überfordert, in den Daten das Gold zu entdecken: 11 Millionen Dokumente – dafür reichte nicht einmal ein Reporterleben! Also bleibt nur die Zusammenarbeit.
Nicht die Mönchszelle ist noch das Vorbild für Journalisten, das kleine Ein-Raum-Büro, sondern der Newsroom, in dem Kommunikation mehr ist als ein Modewort. Das ist die zweite Erkenntnis aus den Panama-Papers. Dazu kommt ein virtueller Newsroom: Journalisten, Hunderte und Tausende von Kilometern entfernt, arbeiten in einer Wolke, in der alle Daten, Fragen und Antworten, Artikel und Entwürfe stecken.
Die dritte Erkenntnis: Techniker müssen zum Team gehören. Dateien gibt es in unterschiedlichen Formaten, die lesbar gemacht werden müssen, vor allem wenn es Daten gibt, die ein halbes Jahrhundert alt sind. Techniker müssen zudem den Dialog der Reporter sicher machen: Robuste Computer-Verbindungen, sicher gegen Hacker und Abhör-Spezialisten. Zwar gibt es in der SZ-Redaktion mittlerweile einen Tresor und mit Nummerncodes gesicherte Zimmer, aber sichere Leitungen sind noch wichtiger.
Die vierte Erkenntnis: Die Goldsucher brauchen die alte Moral in den neuen Daten-Minen. Wolfgang Krach, einer der beiden SZ-Chefredakteure, hat sie am ersten Tag der Panama-Papers im Leitartikel formuliert:
Die Frage ist nicht ausschlaggebend, ob die Daten rechtmäßig in den Besitz der Enthüller gekommen sind und ob Medien sie veröffentlichen dürfen. „Entscheidend sind zwei andere Kriterien: Kann man der Quelle trauen? Und: Gibt es ein berechtigtes allgemeines Interesse.“
Bei aller Euphorie über diese historische Stunde des Journalismus: Der Reporter mit seinem Spürsinn und seiner Hartnäckigkeit wird nicht verschwinden, erst recht nicht in kleinen Lokal- und Regionalredaktionen. Auch die Panama-Papers beginnen mit dem Spürsinn und der Hartnäckigkeit eines SZ-Reporters, der einen Anruf bekommt: „Hallo, ich bin John Doe. Interessiert an Daten? Ich teile gerne“.
Der Rest wird irgendwann ein Film werden, vielleicht sogar mit Oscar-Ambitionen.
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Quellen:
SZ vom 4. April und NDR-Zapp „Die Geschichte der Panama Papers“
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Zur Veröffentlichung dieses Blogs in Newsroom schrieb ein Journalist diese Mail:
PJR irrt, wenn er sagt, der Spiegel habe die entscheidenden Leute ziehen lassen.
Leyendecker kam vom Spiegel, stimmt, Kilz hatte das eingefädelt, auch er zuvor beim Spiegel, musste dort gehen, beide dann im Gespann bei der SZ; Leyendeckers Geschichte aus Bad Kleinen ist bis heute unbewiesen, (s)ein eigenwilliges Solitär, sie war mit entscheidend für den Wechsel.
Georg Mascolo – desgleichen, in Hamburg geschasst.
CR Kister ist ein SZ-Eigengewächs, kommt aus der Lokalredaktion Dachau.
Und was haben Bastian Obermayer und Frederik Obermaier mit dem Spiegel gemein? Nichts. Aber sie sind die treibenden Kräfte bei den panamapapers.
Und ungeklärt ist und wird wohl bleiben: wer ist die dieser John Doe?
Meine Antwort:
Er hat in einem Recht. Die Namen klingen ähnlich, beide waren oder sind Chefredakteure der SZ, aber nur einer kam vom Spiegel:
Kurt Kister ist in der Tat ein SZ-Eigengewächs, der nie verleugnet hat, dass er in einer Lokalredaktion zu einem exzellenten Journalisten wurde. Kister folgte auf Hans-Werner Kilz als Chefredakteur der SZ. Kister dürfte einer der besten Journalisten in Deutschland sein; zudem hat er den Wert der tiefen Recherche erkannt und Hans Leyendecker – trotz Bad Kleinen – vom Solitär zum Ressortleiter befördert. Es ist nicht nur geglückt, sondern zum Glücksfall für die SZ und unsere Demokratie geworden – nicht erst mit den Panama-Papers.
Hans-Werner Kilz war Chefredakteur des Spiegel. Als Chefredakteur des Spiegel entlassen zu werden, gilt nicht als ehrenrührig, mittlerweile gilt es nahezu als Gütesiegel. In der SZ hatte Kilz auf jeden Fall in schweren Jahren sehr heilsam gewirkt.
Dass Reporter oft eigenwillige Solitäre sind, das stimmt. Wer gute Journalisten haben will, muss das ertragen. Immerhin hat Leyendecker, eigenwillig oder nicht, ein Investigativ-Ressort bei der SZ geschaffen, das führend ist in Deutschland; eines von dieser Qualität würde dem Spiegel gut tun. Dass Bad Kleinen eine bittere Niederlage für Leyendecker war, dürfte er selber wissen; dass er offenbar daraus gelernt hat, ehrt ihn.
Die beiden Obermaiers, der eine mit i, der andere mit y, haben nicht beim Spiegel, sondern in Leyendeckers Ressort genau die Basis gefunden, die Reporter für eine tiefe und professionelle Recherche brauchen.
Schreiben, was ist: War Germanwings-Absturz ein Verbrechen, der Kopilot ein Massenmörder?
Nur wer so zureichend wie möglich beschreibt, was ist, macht seinen Job als Journalist.
Michael Hanfeld, stellvertretender Leiter des FA-Feuilletons, reagiert so auf Journalisten, die zum Jahrestag des German-Wings-Absturzes weder die Krankheit des Piloten noch den Namen veröffentlichen wollten; sie führten als Begründung die Stigmatisierung von Depressiven und von Angehörigen an. Hanfeld zählt zu den radikalen Verfechtern einer möglichst uneingeschränkten Weitergabe von Informationen, die als wahr recherchiert wurden. Wenn sich die Presse Einschränkungen unterwirft, verfehlt sie laut Hanfeld ihren Daseinszweck.
So will Hanfeld nicht von einem „Unglück“ in den französischen Alpen sprechen, sondern von einem Verbrechen und vom Kopiloten Andreas Lubitz als Massenmörder.
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Quelle: FAZ, 26. März 2016, Medien-Seite 16
„Spotlight“-Reporter: Journalisten wollen die Welt verbessern, wenigstens ein bisschen
Journalisten in Zeitungs-Redaktionen erwarten nicht, reich zu werden. Keiner wird Journalist, um Geld zu machen – das ist kein Job dafür. Es ist ein Job für Leute, die eine herausfordernde und faszinierende Arbeit mögen. Und viele dieser Leute wollen die Welt verändern, damit sie besser wird, wenigstens ein bisschen.
Das sagte Matt Carroll einer jungen Journalistik-Studentin, die angesichts des Chaos in den Zeitungen, der Entlassungen und Synergien, fragte: Kann ich von dem, was ein Reporter verdient, überhaupt leben?
Matt Carroll war einer der Reporter, der den Missbrauch-Skandal in Boston aufdeckte; er ist in dem Oscar gekrönten Journalisten-Film „Spotlight“ der Mann – gespielt von Brian d’Arcy James – , der das Porträt eines Priesters an den Kühlschrank heftet, um seine Kinder zu warnen. 26 Jahre lang war er Reporter beim Boston Globe; heute arbeitet er für „Die Zukunft der Nachrichten“ beim MIT Media Lab und schreibt seinen Blog “3 to read”.
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Quelle:
Vorbildlich: Welt-Chef Aust begründet seinen Lesern, warum er einen Redakteur entlässt
Der Welt-Redakteur Günther Lachmann berichtet über die AfD, bot aber gleichzeitig der Partei seine Beratung an – ohne den Welt-Chefredakteur zu informieren und seine Nebentätigkeit genehmigen zu lassen; er wusste wohl, dass er diese Genehmigung nie bekommen würde; nicht belegt ist, ob er ein Honorar dafür verlangte, wie der AfD-Politiker und Europa-Abgeordnete Marcus Pretzell behauptet.
Mails des Welt-Redakteurs belegen allerdings, dass er seine Dienste angeboten hat; laut Aust räumte der Redakteur ein, Autor der Mails zu sein. Daraufhin trennte sich der Welt-Chefredakteur von seinem Redakteur mit der Begründung:
Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital des Journalismus. Wer diese aufs Spiel setzt, schadet nicht nur der Zeitung oder Zeitschrift, für die er arbeitet. Er schadet der gesamten Publizistik.
So hätten viele Chefredakteure entschieden, aber nur wenige hätten auch ihre Leser informiert. „Liebe Leserinnen, liebe Leser!“ begann Stefan Aust sein Editorial, in dem er unter anderem schreibt:
Die E-Mails allein sind grobe Verstöße gegen fundamentale journalistische Grundsätze. Ein Journalist, der sich als PR-Berater einer Partei andient, hat seine Unabhängigkeit verloren, seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt – und damit seinen Job… Es ist nicht das erste Mal, dass Mitarbeiter eines Unternehmens, auch eines Presseunternehmens, gegen ihren Arbeitsvertrag, den generellen Presse-Kodex oder andere eigentlich selbstverständliche Grundsätze verstoßen. Das macht die Sache nicht besser.
Wir können aber nichts anderes tun, als den Fall lückenlos aufzuklären und die Vorgänge so offenzulegen, wie es arbeitsrechtlich irgend möglich ist. Dazu gehört auch, Herrn Lachmanns Berichterstattung über die AfD nachträglich kritisch zu hinterfragen. Ein Vorgang dieser Art wird weder geduldet noch vertuscht oder beschönigt. Das sind wir Ihnen, den Leserinnen und Lesern, den journalistischen Kollegen bei der „Welt“, das sind wir uns selbst schuldig.
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Quelle: Die Welt 15.2.2016 (Online: http://www.welt.de/politik/deutschland/article152256168/Warum-sich-die-Welt-von-Guenther-Lachmann-trennt.html)
Rabauken-Affäre in Mecklenburg: Auch Landgericht bestätigt Geldstrafe gegen Redakteur
Ein Jäger hängt ein totes Reh an die Anhänger-Kupplung, fährt damit über die Bundesstraße 100, wird zum Thema in den sozialen Netzwerken und schließlich vom Nordkurier-Redakteur Thomas Krause als „Rabauken-Jäger“ tituliert. Das Amtsgericht verurteilt den Redakteur zu 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung, das Landgericht bestätigt heute das Urteil (Freitag, 5. Februar 2016)
Ja. Weil es am Ende jeden betrifft. Wenn sich unsere Leserinnen und Leser auf Facebook über einen Politiker aufregen und ihn dann vielleicht sogar „Schwachkopf“ nennen. Oder wenn uns jemand in einem Leserbrief schreibt, das Amt XY sei in seinen Augen „geistig minderbemittelt“. Die bekommen dann künftig alle Post vom Staatsanwalt, wenn dieses Urteil Bestand hätte.
> Wie das?
Naja, das sind alles Meinungsäußerungen. Vielleicht nicht so nette, aber eben doch Meinungen. Und die freie Meinungsäußerung wird von unserer Verfassung geschützt.
> Heißt das im Umkehrschluss, man darf alles sagen? Und insbesondere Journalisten? Stehen sie über dem Gesetz?
Nein, um Gottes Willen. Die Frage ist nur, wo hört eine Meinung auf und wird zur reinen Beleidigung.
> Und wann ist das so?
Das ist schwer zu sagen – am Ende oft eine Auslegungssache. Unser Verfassungsgericht urteilt aber seit Jahrzehnten, dass die Grenzen weit gesteckt sind. Das ist auch gut so, denn niemand sollte in Deutschland Angst haben, seine Meinung zu sagen.
> Kann ich also ungehindert Menschen in der Öffentlichkeit als Mörder, Kinderschänder oder Geisteskranke bezeichnen?
Nein! Die Grenze ist immer da erreicht, wo die Äußerung überhaupt nichts mehr mit der Sache zu tun hat, sondern nur noch die Person treffen möchte. Außerdem darf ich nicht unter dem Deckmantel einer Meinungsäußerung falsche Tatsachen verbreiten. Einen Mörder darf ich nur jemanden nennen, der auch als solcher verurteilt wurde.
Petry bei der Lügenpresse – diesmal Autorisierungs-Ärger bei der Rhein-Zeitung
Den Wagemut der AfD-Vorsitzende könnte man bewundern: Nach dem Interview beim Mannheimer Morgen mit verheerender Wirkung, weil Petry den Schießbefehl an der Grenze empfahl, besuchte sie nun die Rhein-Zeitung in Koblenz. Es ist Wahlkampf im Südwesten, und im Interview sagt sie entwaffnend: „Was dem Land jeden Tag schadet, meist durch illegale Einwanderung, das nützt der AfD parteipolitisch aktuell.“
Und wieder kracht es bei der Autorisierung. RZ-Chefredakteur Christian Lindner beklagt: Petry hat ein Interview „dreist“ umgeschrieben. Im Gespräch habe sie „eindeutig“ den Einsatz von Waffen an der deutschen Grenze gefordert, aber in der zur Autorisierung vorgelegten Fassung spreche sie nur noch von der Verantwortung der Grenzbeamten und vom „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Autorisierung hin, Autorisierung her: Der Chefredakteur macht die Änderungen öffentlich, kommentiert und erklärt dem Leser die Vor- und Nachteile der Autorisierung.
Nachtrag (6. Februar 2016)
AfD-Parteisprecher Christian Lüth zu Meedia.de:
Wir hatten vor dem Interview eine Autorisierung vereinbart, aber daran hat sich die Zeitung nicht gehalten… Wenn man Probleme mit der Autorisierung eines Interviews hat, dann klärt man das danach im vertraulichen Gespräch. Was die Rhein-Zeitung jetzt getan hat, ist nichts anderes als übelste Verleumdung.
Vorbildlich: Ein Chefredakteur entschuldigt sich wegen „rassistischer“ Grafik
Die Republik scheint nach den Silvester-Übergriffen in Köln im Ausnahmezustand zu sein, was die Medien und die Politik betrifft. Da reicht ein falsches Bild, ein falscher Satz, und der Sturm bricht los in den Netzwerken, die schnell nicht mehr sozial sind. Da hilft nur eines: Schnell reagieren, auch am Wochenende, so wie es Wolfgang Krach tat, einer der beiden SZ-Chefredakteure. Er entschuldigte sich für zwei Illustrationen, die Leser zum Teil vehement als „rassistisch“ kritisiert hatten. Krach nutzte dafür den Facebook-Auftritt der Süddeutschen Zeitung. Er war schnell und verhinderte so einen langen Shitstorm.
Gut , dass Sie sich entschuldigen. Besser ist noch, wenn Sie wirklich verstehen, warum diese Grafik sowohl rassistische als auch sexistische Stereotype bedient und ab jetzt doppelte Vorsicht walten lassen. Sie sind ein Qualitätsmedium. Ihre Stellungnahme bestätigt das. Viele Kommentare hier lassen mich allerdings an der Qualität ihrer Leser_innen zweifeln.
Die Reaktion von Krach ist vorbildlich; hier im Wortlaut:
Am Wochenende haben wir sowohl in der gedruckten Ausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ als auch auf SZ.de ausführlich über die Ereignisse der Silvesternacht von Köln und die sexuelle Gewalt berichtet, die dort vielen Frauen angetan worden ist. Wir haben dabei unter anderem zwei Illustrationen verwendet.
Die eine zeigt eine Faust im Kopf, die andere symbolisiert einen sexuellen Übergriff auf eine weiße Frau durch eine schwarze Hand (http://on.fb.me/1SbvU9n). Diese zweite Illustration hat bei etlichen unserer Leserinnen und Leser Unverständnis und Wut hervorgerufen; sie kritisieren sie als sexistisch und rassistisch.
Unsere Absicht war, mit den beiden Illustrationen deutlich zu machen, dass sexuelle Gewalt gegen Frauen nicht nur aus physischen Übergriffen besteht, sondern meist im Kopf und im Denken beginnt. In den begleitenden Texten haben wir so differenziert wie möglich über die Ereignisse von Köln, die Angriffe auf die Frauen, die Motive und die Hintergründe der Taten, das Versagen der Polizei und auch über die Instrumentalisierung der Taten durch rechte Demagogen berichtet.
Die zweite Illustration läuft dieser differenzierenden Absicht jedoch entgegen. Sie bedient stereotype Bilder vom „schwarzen Mann“, der einen „weißen Frauenkörper“ bedrängt und kann so verstanden werden, als würden Frauen zum Körper verdinglicht und als habe sexuelle Gewalt mit Hautfarbe zu tun. Beides wollten wir nicht. Wir bedauern, wenn wir durch die Illustration die Gefühle von Leserinnen und Lesern verletzt haben und entschuldigen uns dafür.
Wolfgang Krach, Chefredakteur
Innenminister de Maiziere gegen den Presserat: Es darf keine Schweigespirale geben
Ein Migrations- oder ein Flüchtlingshintergrund darf nicht verschwiegen werden. Das wäre im Ergebnis nur Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Politik und Medien bewusste Verzerrung vorwerfen.
Sagt Innenminister Thomas de Maizières im Interview mit der FAZ. Er meint das generell und plädiert indirekt für die Abschaffung von Richtlinie 12.1 des Pressekodex, die eine Erwähnung von Nationalitäten bei Straftätern nur ausnahmsweise gestattet („Erwähnung könnte Vorurteile gegenüber schutzbedürftigen Gruppen schüren.“) Die Tabuisierung der Herkunft von Kriminalität ist laut de Maizières nicht der richtige Weg.
Der Innenminister plädiert dafür, dass der Bürger sich selber eine Meinung bilden solle in Kenntnis aller Informationen:
Wir müssen schon aufpassen, dass nicht vor lauter politischer Korrektheit die Dinge nicht beim Namen genannt werden. Und wir müssen die Bürger auch nicht in Watte packen.
Der Innenminister greift einen Begriff auf, den Elisabeth Noelle-Neumann, Chefin des Allensbacher Meinungsforschungs-Institut, vor gut vier Jahrzehnten geprägt hat: „Es darf keine Schweigespirale geben.“. Medien bestimmen laut Noelle-Neumann die öffentliche Meinung, so dass Bürger, die eine andere Meinung haben, gehemmt werden, diese zu äußern: „Belohnt wird Konformität, bestraft wird der Verstoß gegen das übereinstimmende Urteil“, so Noelle-Neumann in ihrem Buch „Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut“.
Im Interview bezieht de Maizières die Schweigespirale nicht nur auf die traditionellen Medien, sondern vor allem auf das Internet, das seine „große aufklärerische Wirkung“ verloren habe:
Internetforen sind sich selbst bestätigende Zirkel, in denen fremde Argumente als störend empfunden werden.
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Quelle: FAZ 9. Januar 2016, Aufmacher Titelseite und Seite 2
Kriminelle Ausländer: Presserat wirft mehr Fragen auf, als Hilfe zu geben
Dürfen Journalisten erwähnen, dass Nordafrikaner und Araber wahrscheinlich an den Übergriffen auf Frauen in der Kölner Silvesternacht beteiligt waren? Der Deutsche Presserat, die moralische Instanz der Zeitungen und Magazine, sagt: „Noch akzeptabel“.
Was bedeutet „noch“? Eigentlich darf man – siehe Richtlinie 12 – die Herkunft von Verdächtigen nicht nennen. Aber es gibt Ausnahmen, so Presserats-Pressesprecherin Edda Eick im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd):
- Es handelt sich um ein Massenverbrechen, das in dieser Dimension so noch nicht stattgefunden hat.
- Möglicherweise steckt eine größere kriminelle Struktur hinter der Tat und die Polizei fahndet mit Täterbeschreibungen.
Nicht erlaubt seien „bloße Spekulation darüber, ob das Motiv für die Taten mit der religiösen Zugehörigkeit etwas zu tun haben könnte; hierfür müsse es konkrete Anhaltspunkte geben“.
Fragen bleiben:
- Dürfen Journalisten bei einer Tat und einem Täter, der eine Frau vergewaltigt, keine Nationalität angeben?
- Oder erst bei der Fahndung?
- Gilt der Polizeibericht, wenn er eine Nationalität erwähnt, als Erlaubnis, diese zu erwähnen?
- Wann wird ein Verbrechen ein Massenverbrechen? Bei fünf, bei fünfzig oder erst bei mehreren hundert Tätern wie in Köln?
- Was sind konkrete Anhaltspunkte für eine religiöse Zugehörigkeit? Wird sie erst konkret, wenn der Täter „Allah ist groß“ gerufen hat oder ein Bekennerschreiben verbreitet?
- Wenn, so Eick, der Pressekodex mit seinem Verbot, die Nationalität zu nennen, die „Belange aller gesellschaftlichen Gruppen, die sich als Opfer tiefverwurzelter Vorurteile fühlen“ berücksichtigt: Wie unterscheidet man zwischen Vorurteilen und Urteilen? Selbst aufgeklärte Muslims beklagen das tief verwurzelte Frauenbild des Islam: Ist das ein Urteil oder Vorurteil oder „Stereotyp“?
Das Sowohl-Als-auch des Presserats macht die Arbeit in den Redaktionen nicht einfacher: „Journalisten dürfen sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Informationen zu verschweigen“, rät der Presserat; andererseits „können auch mit kleinen Meldungen schon starke Ressentiments gegen Minderheiten geschürt werden“.
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Quelle: epd von Mittwoch, 6. Januar 2016; Gespräch mit Referentin für Beschwerdeführung beim Deutschen Presserat, Edda Eick.
In meinem Blog am 7. Januar hatte ich – ohne Kenntnis des epd-Berichts – vermerkt, es gebe keine Reaktion des Presserats. Auf seiner Homepage schweigt der Presserat auch am 8. Januar noch. In der Rubrik „Aktuelles“ stammt die letzte Meldung vom 3. Dezember 2015.
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