Alle Artikel der Rubrik "Presserecht & Ethik"

Nur geträumt: Wie Frank Plasberg mit Fehlern umgeht

Geschrieben am 8. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Wie die New York Times vorbildlich mit Fehlern umgeht, davon berichtete Arthur S. Brisbane in „The Error Iceberg“,  in diesem Blog vorgestellt am 29. Februar.

Und wie geht Frank Plasberg mit Fehlern um? Ein Griff in den Zettelkasten brachte einen Artikel der FAZ-Sonntagszeitung ans Licht. Im „Teledialog ultra“ vom 27. Dezember 2009 steht unter der Überschrift „Nur geträumt“ ein längeres Zitat von Frank Plasberg , der – so der Traum – zu Beginn seiner Sendung „Hart, aber fair“ die vergangene Sendung reflektiert:

„Wir hatten uns der Pharma-Industrie gewidmet und dabei auch eine angebliche Wundersalbe gegen Neurodermitis vorgestellt. Wir sind dafür scharf angegriffen worden, und nach einer genauen Überprüfung muss ich Ihnen sagen: nicht zu Unrecht. Der Eindruck, den wir erweckt haben, dass zahlreiche wissenschaftliche Studien die Wirkung dieser Salbe bestätigen, war falsch.“

Dann folgt ein Satz,  auch nur geträumt:

„Zu meinem Verständnis von verantwortungsvollem, kritischem Journalismus, für den ich seit Jahren nicht zuletzt mit dieser Sendung stehe, gehört es auch, eigene Fehler einzuräumen, und deshalb wollen wir uns jetzt noch einmal eine Viertelstunde lang selbstkritisch mit dem Thema beschäftigen. Übrigens kann ich Ihnen versprechen, dass diesmal auch kritische Zuschauerkommentare in unserem Sendungsforum im Internet nicht gelöscht werden.“

Zu dieser Sendung von Frank Plasberg schrieb Stefan Niggemeier im FAZ-Fernsehblog. Im „Spiegel“ räumte Plasberg handwerkliche Fehler im Ablauf der Sendung ein.

 

 

Deutsche Bahn streicht den Journalistenrabatt

Geschrieben am 6. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Am 15. April läuft der Journalistenrabatt für die „Bahncard 50“ aus. Seit acht Jahren bekamen alle, die einen Presseausweis vorweisen können, die Bahncard zum halben Preis.

Bettina Marchl, Leiterin Kundenbindung der Bahn, begründet die Streichung so:

„Nach eingehender Prüfung ist die Deutsche Bahn zu der Überzeugung gelangt, dass dieser Journalistenrabatt nicht mehr zeitgemäß ist: Nicht nur die Medienwelt hat sich grundlegend verändert, auch die gesellschaftliche Sicht der Dinge wandelt sich, ebenso die Diskussionen innerhalb des journalistischen Berufsstands.“

Schon seit Jahren, aber verstärkt während der Wulff-Affäre fragten Journalisten: Nehmen wir nicht  Vorteile an, für die wir Politiker tadeln? Beginnt Korruption nicht auch bei uns im Kleinen, etwa den Journalistenrabatten?

„Wir hoffen, dass unsere Entscheidung Ihr Verständnis findet“, beendet Bettina Marchl von der DB ihren Brief an die Journalistenrabatt-Kunden.

(zu: Handbuch-Kapitel 51 „Wie man in der PR arbeitet“ und 48ff „Presserecht und Ethik“)

Wie bekommen Abgeordnete Stoff für ihre PR-Meldungen?

Geschrieben am 5. März 2012 von Paul-Josef Raue.

Bundesarbeits-Ministerin von der Leyen (CDU) informiert Abgeordnete der Regierungs-Fraktionen exklusiv mit Meldungen über Projekt in ihrem Wahlkreis. Thomas Öchsner berichtet darüber in der Samstagausgabe der Süddeutschen Zeitung (Wirtschaft, Seite 23).

Lokalredaktionen kennen die Mails oder Faxe: Der Abgeordnete teilt mit, dass er sich besonders eingesetzt habe für die Förderung einer Arbeitslosen-Initiative; wie er vertraulich erfahren habe, werde sein Einsatz belohnt und der Bescheid in den nächsten Wochen versandt. Die Redaktionen drucken es ab, meist ohne weiter zu recherchieren – oder geraten in den Zorn des Abgeordneten, wenn sie die Pressemitteilung nicht bringen.

Wie die Informationen in Berlin laufen, ahnen die Redakteure; die SZ zitiert ein internes Schreiben, das zeigt, wie es wirklich läuft:

  • Steht eine Förderung kurz vor der Bewilligung, sucht die Fachabteilung heraus, ob das Projekt im Wahlkreis eines CDU-, CSU- oder FDP-Abgeordneten liegt.
  • Für die Informationen gibt es zwei Muster-Schreiben.
  • Die Fachabteilung informiert den zuständigen parlamentarischen Staatssekretär unmittelbar per Mail, „d.h. nicht auf dem Dienstweg“.
  • Der Staatssekretär informiert den Abgeordneten möglichst schnell, damit der Abgeordnete vor der Projekt-Bewilligung Bescheid weiß.

 

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ + 57 „Wie können Zeitungen überleben“)

Der Fehler-Eisberg

Geschrieben am 29. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 29. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik, Recherche.

Wie viele Fehler korrigiert die „New York Times“ in einem Jahr? 3500 in der Zeitung und weitere 3500 in der Online-Ausgabe – doch das sei höchstwahrscheinlich nur ein Bruchteil der Fehler, die tatsächlich vorkommen,  schreibt Arthur S. Brisbane in „The Error Iceberg“ (in der Sonntagsausgabe der New York Times“ vom 25. Februar 2012).

Die „New York Times“ bezahlt laut Brisbane einen eigenen Redakteur, der sich nur um Fehler und Korrekturen kümmert: Der erfahrene Blattmacher Greg Brock. Er schätzt, dass die Times im Jahr rund 14.000 Hinweise auf Fehler erhält. So ist die Korrektur in der Zeitung organisiert:

• Beschwerden über Fehler werden an 34 ausgesuchte Blattmacher (Editors), Korrektur-Redakteure in den Ressorts, weitergeleitet.
• Offensichtliche Fehler werden sofort korrigiert.
• Widersprechen Reporter, Blattmacher und Korrektur-Redakteur, muss Brock entscheiden.
• Sieht es so aus, als habe die Redaktion einen Fehler gemacht, aber nicht herausbekommt, was richtig ist, gibt es keine Korrektur.
• Manchmal, wenn ein großes Durcheinander herrscht, leitet er eine Entscheidung an einen stellvertretenden Chefredakteur weiter.
• Brock bedient eine Datenbank, um zu erkennen, welche Ressorts und welche Journalisten auffällig oft Fehler machen.

Arthur S. Brisbane endet seinen Essay: „Es ist schwer zu sehen, wie viel vom Fehler-Eisberg wirklich sichtbar ist. Aber sicher ist: Je mehr Korrekturen man in der „New York Times“ sieht, desto besser.“

(Den Hinweis auf diesen Artikel gab Andreas Kemper, Leitender Redakteur der „Main Post“, auf seiner Facebook-Seite)

Über Fehlermanagement in Zeitungen berichtet auch Henning Noske im zweiten Teil des Interviews zu seinem Journalismusbuch, den wir am 15. Februar hier veröffentlichten.

*

In der aktuellen Ausgabe unseres „neuen Handbuchs des Journalismus und des Online-Journalismus“ haben wir einen langen Passus über Fehler in den Zeitungen aufgenommen (Seite 96):

„Die Hälfte aller Artikel sind fehlerhaft, fand Professor Philip Meyer heraus, der an der Universität von North Carolina forscht. Über zwei Jahre ließ er 7600 Artikel von 22 US-Zeitungen überprüfen und stellte fest:

• 48 Prozent der Artikel irrten sich in mindestens einem Fakt; durchschnittlich fielen drei Fehler auf.
• Die häufigsten Fehler: Zitat falsch wiedergegeben (21 %), ungenaue Überschrift (15 %), falsche Zahlen (13 %), Rechtschreibfehler (10 %).
• Die Redakteure gaben als Grund für ihre Fehler an: Ich habe die Sache nicht verstanden (26 %); ich habe nicht genügend oder falsche Fragen gestellt (25 %); der Redaktionsschluss drohte (19 %); meine Recherche war lückenhaft (19 %), oder einfach: Ich war zu faul (10 %).

Eine ähnliche Studie in Lugano zeichnet ein noch düstereres Bild: 60 Prozent der Artikel in Schweizer Zeitungen, darunter Tages-Anzeiger und Basler Zeitung, sowie 52 Prozent in italienischen, darunter Il Secolo, weisen Fehler auf. In beiden Ländern ist jede vierte Überschrift falsch, ein fast doppelt so hoher Wert wie in amerikanischen Zeitungen.

Fehler sind an der Tagesordnung, stellten auch Studenten in Hamburg und im holländischen Tilsit fest, als sie größere Artikel systematisch untersuchten. Als Grund machten sie neben Zeitdruck und fehlenden Ressourcen auch die trügerische Leichtigkeit der Internet-Recherche aus.“

(zu: Handbuch-Kapitel 17 „Die eigene Recherche“)

„Schweinejournalismus“

Geschrieben am 28. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

So nannte Jürgen Trittin den Vorwurf der „taz“ über Joachim Gauck, er habe den Holocaust verharmlost – zu sehen in Maybrit Illners Talkshow am 23. Februar. Das Wort prägte wohl Oskar Lafontaine. 1995 schrieb Hans-Werner Kilz, einst Chefredakteur von  „§piegel“ und „Süddeutscher Zeitung, im immer noch empfehlenswerten „Spiegel Spezial“ über Journalisten:

„Lafontaine und andere Mitglieder der saarländischen Landesregierung gerieten in Verdacht, sich zu eng mit Saarbrücker Kiez-Größen eingelassen zu haben. Diesem Umstand verdankt die Öffentlichkeit eine Lafontaine-Wortschöpfung, die das Berufsfeld der Medienschaffenden um eine neue Gattung bereichert – den „Schweinejournalismus“. Falsches stand nicht in den Blättern, nur Unangenehmes.

Doch seitdem denkt der Sozialdemokrat darüber nach, was er als Politiker gegen verwilderte Sitten im Journalismus tun kann, jedenfalls dort, wo er bestimmen kann. Und natürlich ist ihm etwas eingefallen: Das Saarland hat seit einigen Monaten ein neues, schärferes Pressegesetz, von dem der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, sagt, daß damit „an der Freiheit der Presse genagt“ werden soll.

Nun muß nicht alles, was dazu gedacht ist, böse Journalisten zu zügeln, gleich als Attentat auf die Pressefreiheit empfunden werden. Auch Journalisten sündigen. Doch wenn Oskar Lafontaine überlegt, „wie der investigative Journalismus in seine ethischen Schranken zurückverwiesen werden kann“, ist Vorsicht geboten. Da fühlen sich Rechercheure und Autoren bei anderen besser aufgehoben.

Geht es nach dem Saarländer, werden Zeitungen künftig nach politischen Enthüllungen maßlos lange Gegendarstellungen drucken müssen, die sowieso schon ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt abgefaßt werden können. Ein erläuternder Zusatz der Redaktion ist an gleicher Stelle nicht erlaubt.“

Dies  saarländische Pressegesetz wurde vom Bundesverfassungsgericht kassiert.

Polemik gegen Gauck im Netz: Tausendfaches Rülpsen

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
5 Kommentare / Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Online-Journalismus, Presserecht & Ethik.

Er hat mich betrogen, brach es aus Marianne heraus, der Ex-Ehefrau eines US-Präsidentschafts-Kandidaten. Im Fernsehen erzählt sie, ihr Ex-Ehemann habe seine Geliebte in ihr gemeinsames Washingtoner Schlafzimmer gelockt, als sie verreist war.

So garstig laufen in den USA die Wahlkämpfe vor einem ebenso neugierigen wie entrüsteten Publikum. Die Wähler sind anders gestimmt als im ruhigen Deutschland: Wer sich im Schlafzimmer daneben benimmt, der kann das Land nicht regieren. Das Privatleben ist der Test für das politische Wirken.

So tief sind wir in Deutschland nicht gesunken, selbst wenn nach den Wulff-Affären viele den Eindruck haben: Das Privatleben der Politiker ist für die großen Medien kein Tabu mehr.

Das frühere Leben der Wulff-Gattin war kein Zeitungs-Thema; zum Thema machte es der Ex-Präsident selber im TV-Interview. Im Internet gab es Zigtausende von Einträgen, in den Tagebüchern der Boshaftigkeit.

Selbst tausendfaches Rülpsen im Internet vergiftet nicht die öffentliche Debatte – wenn es nicht die seriösen Blätter oder TV-Sender aufgreifen. Das Internet ist für sich allein keine öffentliche Macht.

Joachim Gauck war der Liebling im Internet – bis zur Minute seiner Nominierung. Plötzlich wird er in den Online-Tagebüchern zerrupft mit verkürzten Zitaten und tölpelhaften Anwürfen. In 140-Twitter-Zeichen kann man pöbeln, aber eben nicht argumentieren.
(Leitartikel der Thüringer Allgemeine, 23. Februar 2012)

(zu: Handbuch-Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“)

„Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser“

Geschrieben am 23. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

„Ein Problem in der Summe der im Internet kursierenden Informationen ist ja, das vieles nicht stimmt. Es gibt moderne Märchen, die sich imInternet schnell verbreiten“, sagt WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) im Interview mit BZ-Chefredakteur Armin Maus. „Der Nutzer muss sich genau ansehen, aus welcher Quelle die Informationen stammen, und er braucht die Sicherheit, dass Informationen aus unseren Medien verlässlich sind.

Zu lesen ist das auführliche Interview in der Beilage „65 Jahre Innovation“, in dem die Braunschweiger Zeitung ihren neuen Internetauftritt vorstellt.

Nienhaus plädiert, besonders auf die Glaubwürdigkeit im Journalismus zu achten:

„Was als journalistischer Beitrag gekennzeichnet ist, darf niemals parteiisch und gefärbt oder den wirtschaftlichen Interessen anderer untergeordnet sein… Die Pflicht zur guten Recherche, zu ordentlicher, sauberer Arbeit und vor allen Dingen zur Bekämpfung der eigenen Vorurteile gehören zum freien Journalismus.
Aber der Verlag muss eine Brandmauer errichten, um die Interessen der von uns ebenfalls geschätzten Anzeigenkunden deutlich abzutrennen.“

Die Kernleistung der Zeitungen ist für Nienhaus das Lokale und Regionale:

„Man kann Synergien auf allem möglichen Feldern schaffen, aber muss vor Ort aktiv mit eigenen Journalisten tätig sein. Wir brauchen in den Städten der Region Journalisten, die unabhängig sind, die unabhängig von Interessengruppen schreiben, ob die Haushaltsrede des Bürgermeisters im Stadtrat ordentlich war oder nicht, und ob der Sportverein gut gespielt hat, und ob die Sanierung der Fußgängerzone vernünftig von statten geht, oder wo zu viele Baustellen sind.
Das alles sind Dinge, die man nicht über Blogs im Internet, mit staatlichen Pressestellen und interessengesteuerten Einträgen organisieren kann. Da braucht man eine Instanz, von der man weiß, dass sie unabhängig ist. Die Journalisten bekommen ihr Gehalt eigentlich vom Leser, sind deswegen nur dem Leser verpflichtet. Guten kritischen Journalismus – den wird es auch in 35 Jahren geben.“

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und Kapitel 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“ und Kapitel 3 „“Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht“)

Rücktritt nach Redaktionsschluss: Wie es der „Spiegel“ machte

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Ein Meisterstück präsentierte der „Spiegel“, der wegen des Rosenmontags schon am Samstag erschien: Als Wulff seinen Rücktritt erklärte, wurde die aktuelle Ausgabe schon gedruckt mit dem Titel „Der unvermeidliche Rücktritt“. Gleichwohl negert die Redaktion nicht, tut nicht so, als habe sie seinen Rücktritt erlebt (was ja gewaltig ins Auge gehen kann). Wer den glänzend geschriebenen Aufmacher liest, liest ihn mit dem Wissen des tatsächlichen Rücktritts; aber an keiner Stelle arbeitet die Redaktion unsauber, sie spricht nur von der Möglichkeit und Unvermeidlichkeit des Rücktritts. Eine Lehrstunde des Konjunktivs!

„Focus“ brachte auf dem Titel zwar auch etwas über Trennung und Abschied, aber nichts über Wulff: „Die 25 härtesten Scheidungstricks“.

Die Bundestags-Wochenzeitung „Das Parlament“ wurde vom Rücktritt offenbar kurz vor Redaktionsschluss überrascht. Sie brachte zwei Titelseiten: Die eigentliche zum Rücktritt „Bellevue sucht Nachmietert“; die dritte Seite zeigte die ursprünglich produzierte Titelseite zur EU: „Schluss mit den Zweifeln!“

 

 

Wulffs Staatsanwalt: Ich will meinen Namen nicht in der Zeitung lesen

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Presserecht & Ethik.

Den Namen des Staatsanwalts in Hannover, der die Aufhebung der Immunität Wulffs beantragte, nennt der „Spiegel“ nicht in der aktuellen, schon am Samstag erschienenen Ausgabe – mit dem Hinweis: „Dieser Mann ist seit nicht einmal einem Vierteljahr auf seinem Posten. Er ist Oberstaatsanwalt, seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.“

Am Samstag, als der „Spiegel“ erscheint, schreibt die Süddeutsche ein Porträt über Clemens Eimterbäumer – mit Foto.

Die FAZ bringt das Eimterbäumer-Porträt erst am Montag, eingeleitet mit dem Satz: „Noch zur Wochenmitte hatte Clemens Eimterbäumer großen Wert darauf gelegt, dass zum Schutz seiner Famili sein Name nicht genannt werde – Ende der Woche aber gab die hannoversche Staatsanwaltschaft dem Drängen der Medien nach.“

 

(zu: Handbuch-Kapitel 50 „Presserecht“)

Kommentare zu: Medien und Christian und Bettina Wulff

Geschrieben am 21. Februar 2012 von Paul-Josef Raue.

Die Medien und den Rücktritt des Bundespräsidenten  thematisieren nur wenige Kommentatoren. Auf der Titelseite des Samstag-Feuilletons der FAZ greift Michael Hanfeld, nach achtzig Zeilen „Ende einer Hetzjagd?“, eine sensible Frage auf: Warum beschäftigte sich selbst die Bildzeitung nicht mit Frau Wulff und ihrer Vergangenheit?

„Von ehrverletzenden Gerüchten über Bettina Wulff, die man bei einer Google-Suche im Internet sofort angezeigt bekommt, war, wenn wir es richtig überblicken, in der deutschen Qualitätspresse nirgends zu lesen, nicht einmal in der „Bild“-Zeitung. Blogs hingegen sind voll davon. Und hingedeutet darauf hat niemand anderes als Wulff selbst – in seinem Interview mit ARD und ZDF.“

Im englischen oder amerikanischen Boulevard wäre die Vergangenheit der First Lady schnell ein Thema gewesen, vielleicht als Pretty-Woman-Story, vielleicht als Skandal. Niedersächsische Zeitungen wussten schon davon zu Zeiten, als Wulff Ministerpräsident in Hannover war. Sie brachten nichts darüber trotz der Verärgerung, dass Wulff seine Trennung, Scheidung und neue Freundin exklusiv über „Bild“ öffentlich gemacht hatte.

Michael Hanfeld verteidigt, nach einigen Seitenhieben, die Recherche-Leistung der deutschen Zeitungen: „Es sind ohne Zweifel Pharisäer unter uns. Es gibt auch keinen Grund, zu jubeln. Doch eine Presse, die ihre Arbeit ernst nimmt, kann auf Recherchen und auf die entsprechenden Berichte und Kommentare nicht verzichten. Den Gegenstand dafür hat Christian Wulff produziert. Er hat sich politisch selbst zerstört.“

Dass auch Zeitungsleser die Medien genau beobachten,  zeigt ein Leserbrief aus Gotha, den die „Thüringer Allgemeine“ in der Dienstag-Ausgabe (21.2.2012)  veröffentlicht:

„Unfraglich hat sich Christian Wulff mehr als ungeschickt und in keiner Weise auf dieses Amt vorbereitet verhalten. Wahrscheinlich sollte man die Stellenbeschreibung für das Amt des Bundespräsidenten bis ins Detail präzisieren. Denn wer immer auch bereit sein sollte, für dieses Amt zu kandidieren, muss wissen, dass es für ihn keine Privatspäre und keinen Datenschutz geben wird.

Er muss wissen, dass der große Bruder, die Presse, ihm ständig über die Schulter schaut und auch die kleineste Verfehlung in Vergangenheit und Gegenwart bis ins Detail zu recherchieren vermag. Und die Macht der letzteren ist nicht zu unterschätzen, denn wer mit uns im Fahrstuhl hochfährt, fährt auch wieder mit uns runter, lautet eine eiserne Regel der Klatschpresse.“

Positiv über die Leistung der Journalisten urteilt auch Kurt Kister, der Chefredakteur der „Süddeutschen“, im Leitartikel am Samstag:

„Die Medien übrigens, vor allem die Printmedien, haben in der Angelegenheit Wulff im Großen und Ganzen jene Rolle gespielt, die sie spielen sollten: Es waren professionelle Journalisten, die jene hundert Kleinigkeiten, aber auch die paar sehr relevanten größeren Dinge herausgefunden und veröffentlicht haben. Gewiss, auch dabei gab es Fehler. Übertreibungen und Bizzarrerien wie etwa einen Reime schmiedenden FAZ-Herausgeber oder die Vielzahl der posaunierenden Kollegen, die ein Bobbycar für 30 Silberlinge hielten und jeden Tag dreimal Wulffs Rücktritt forderten.

Ohne die manchmal auch in Sackgassen führende Recherche und durchaus auch das Räsonieren der Journalisten aber hätten die Kontrollmechanismen so versagt, wie sie über Jahre hinaus in Niedersachsen nicht funktioniert haben.“

(zu: Handbuch-Kapiteln 2-3  „Die Journalisten“ und 91 „Recherche“)

 

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