Scheibchen-Journalismus
So wie der Bundespräsident die Wahrheit in Scheibchen serviert, tun dies auch einige Zeitungen. Nehmen wir die FAZ. Aus einem Seite-3-Beitrag von Eckart Lohse, „Christian Wulffs Gratwanderung“, in der Sonntagszeitung lässt sich diese Chronik zusammenstellen:
28. November: Die Bildzeitung fragt beim Bundespräsidenten wegen der Finanzierung seines Hauses.
ca. 10. Dezember: Der Bundespräsident bittet die Bildzeitung um Aufschub; er wird gewährt.
12. Dezember: Der Bundespräsident spricht dem Chefredakteur der Bildzeitung auf die Mailbox; er bittet, droht und spricht von „Krieg führen“.
16. Dezember: Die Sonntagszeitung der FAZ schreibt Olaf Glaeseker, dem Sprecher des Bundespräsidenten, eine SMS, wünscht eine Stellungnahme zum Mailbox-Anruf und erwähnt Worte aus dem Anruf wie: „Krieg führen“ und „der Rubikon ist überschritten“.
„Danach“: Olaf Glaeseker informiert die Bildzeitung über die FAZ-Anfrage.
„Erst danach“: Glaeseker schreibt eine SMS an die FAS: „Es gab Differenzen. Diese sind zwischen Christian Wulff und Kai Diekmann sollständig ausgeräumt.“
Offenbar wollte die Bildzeitung nicht direkt mit dem Wulff-Anruf in die Öffentlichkeit. Ihr Chefredakteur hatte offenbar Skrupel (was ihn ehrte); wenn man davon ausgeht, dass Kai Diekmann alle Fäden in der Hand hält, ist zu folgern: Er ließ in aller Eile eine Informations-Brücke zur FAZ bauen. Sie war und ist offenbar stabil, auf jeden Fall war die FAZ gut über die Kontakte zwischen Wulff, der Bildzeitung und der Spitze des Springer-Verlags informiert.
Dies „über-die-Bande-spielen“ ist ein eingeübtes Verfahren unter Rechercheuren:
• Ist der Geschäftsführer oder Verleger gegen eine Veröffentlichung (oder denkt man, er sei es), dann steckt man die Fakten einem bekannten Journalisten;
• versucht ein Chefredakteur eine Recherche zu verhindern, spricht man mit einem Kollegen und bekommt so seine Geschichte doch noch ins Blatt (wenn auch unter einem anderen Namen: „Nach Informationen des SP-Magazins…“);
• will ein Chefredakteur oder Verleger den delikaten Erpressungs-Versuch eines Politikers öffentlich machen, tut er dies in der Regel nicht im eigenen Blatt, sondern nimmt den Politiker noch genauer in den Blick und erzählt den Vorfall anderen; er aber kann nur bei Staatsaffären davon ausgehen, dass andere Journalisten dies veröffentlichen und eine Debatte anstoßen.
Es dürfte für Politiker in Deutschland nahezu unmöglich sein, die stimmige Recherche eines Journalisten zu unterdrücken. Dass er sie in Scheibchen serviert, hat mit der Sorge zu tun, von Richtern gestoppt zu werden.
Es ist für geübte Rechtsanwälte einfach, gegen eine Tatsachen-Behauptung eine Unterlassung zu erwirken mittels einer einstweiligen Verfügung. Da ist es hilfreich, noch weitere Fakten und Vorwürfe recherchiert zu haben, denn Verfügungen können nicht vorbeugend erlassen werden. Da helfen nur Drohungen mit Anwälten, wie es offenbar auch der Bundespräsident in seinem Anruf auf die Diekmann-Mailbox getan hat: Ich werde gegenüber Journalisten Strafanträge stellen; die Rechtsanwälte sind beauftragt.
Erfahrene Rechercheure kennen den Grundsatz: Habe bei schwierigen Recherchen immer noch einen Pfeiler im Köcher. Dies trifft sich übrigens mit der Kriegs-Metapher des Bundespräsidenten: Einige Politiker sehen sich im ständigen „Krieg“ mit Journalisten (umgekehrt aber auch).
Der Unterschied zwischen dem Scheibchen-Journalismus und der Scheibchen-Wahrheit des Bundespräsidenten liegt auf der Hand: Die einen wollen aufklären, der andere will verhindern – alles dazwischen ist Taktik.
(zu: Handbuch Kapitel 17 „Die eigene Recherche“)
Braun: Leser verzeihen keinen Kampagnen-Journalismus
In seinem Blog „Ankommen in Bayreuth“ schreibt Joachim Braun, Chefredakteur des „Nordbayerischen Kuriers“, über Politiker, die Redakteure einzuschüchtern versuchen:
„Gestern hat’s wieder einer probiert. Nein, keine Drohung, kein Stahlgewitter, und auch vom Rubikon war keine Rede. Obwohl der Mann Lateiner ist. Der Hobbypolitiker sprach lediglich von der “oberfränkischen Version von Pressezensur”, von “Gutsherrenart” (nicht Guttenberg, wohlgemerkt). Irgendwie blöd jedenfalls. Und als ich ihn anrief, schimpfte er am Telefon, dass Kollege M. bei der CSU angeblich nicht schreiben durfte, was er wollte, bei der FDP hingegen schrieb, was er wollte, aber nicht sollte. Das gefiel ihm dann auch nicht. Sie haben Recht, so ein Verhalten ist eher lächerlich. Das ist keine Kriegsdrohung, kein Wulffen – das ist Alltag in der Lokalredaktion.
Kein Lokalredakteur, schon gar kein Chefredakteur wundert sich über das, worüber zurzeit die Republik diskutiert. Dass nämlich Politiker versuchen, Journalisten einzuschüchtern, Berichterstattung zu verhindern, zu drohen. Das war schon immer so, und daran wird sich auch nichts ändern.
Als der Nordbayerische Kurier kürzlich zwei wichtigen oberfränkischen Politikern mitteilte, man werde vor das Verwaltungsgericht ziehen, um eine vom Presserecht gedeckte, von den beiden Herren aber verweigerte Auskunft zu bekommen, da ging erst mal die Post ab.
Einer der beiden, der weniger coole, rief sofort beim Kurier-Geschäftsführer an und schimpfte und drohte: Niemals werde er die gewünschte Auskunft gehen. Lieber gehe er in Beugehaft. Und außerdem: Eine solche Klage werde sich äußerst negativ auf die Beziehungen zwischen seiner Behörde und der Zeitung auswirken. Das sei ja wohl klar.
Mit mir wollte der Mann erst gar nicht sprechen. Schade eigentlich.
Die Sache ging ihren Gang.
Kurz darauf gab’s darum noch einen ”Schlichtungsversuch”. Gesprächstermin bei einem der beiden Politiker. Nun wollte man auch mit mir reden. Eine Stunde Hin-und-Her-Geeiere. Und dann der letzte Coup: “Ich gebe Ihnen jetzt die gewünschte Auskunft, aber Sie versprechen mir, dass Sie sie nicht veröffentlichen.” So etwas Törichtes hätte ja nicht einmal unser Bundespräsident probiert.
Die Klage ist eingereicht. Demnächst ist Verhandlungstermin.
Der (all)tägliche Wulff.
Den probierte weiland auch ein inzwischen pensionierter Landrat aus dem Oberbayerischen, den meine Berichte und Kommentare mächtig ankotzten. Zwei Mal saß er beim Verleger im Büro, und beim Starkbier-Anstich auf dem Andechser Klosterberg ging er erneut auf Tuchfühlung zu meinem obersten Dienstherrn. Den nervte das, zumal klar war, dass die Recherchen stimmten, und die mitgereisten Bürgermeister-Kollegen des Landrats waren beschämt. Wulff regierte da übrigens noch in Hannover.
So ist das seit jeher zwischen (Lokal-)Politikern und (Lokal-)Journalisten. Und daran wird sich auch durch die jüngsten Diskussionen nichts ändern, obwohl auch Landräte und Bürgermeister auf die Verfassung – und damit auf die Pressefreiheit – vereidigt sind.
Warum soll sich auch was ändern? Das gehört zum Spiel. Journalisten können schreiben, was sie wollen – beklagen jedenfalls die Politiker. Und obwohl sie nicht gewählt sind, mischen sie sich in Dinge ein, die sie nichts angehen. Das kann man so sehen, aber nur wenn man das Grundgesetz nicht gelesen hat.
Journalisten sitzen am längeren Hebel, das glauben auch viele Menschen. Die machen Politik, die halten Nachrichten zurück, die kochen ihre eigene Suppe. Wie jetzt die Bild-Zeitung, die Wochen wartete, bis sie die Nachricht von der Mailbox-Botschaft des Bundespräsidenten durchsickern ließ und anschließend deren genaue Inhalte auch noch verbreitete.
Das aber unterscheidet die Bild-Zeitung von regionalen Blättern wie dem Kurier. Wir könnten uns so etwas nie leisten. Wir wüssten auch nicht, warum wir das tun sollten. Unser Regulativ sind unsere Kunden, die Leser. Und die verlangen Offenheit und Glaubwürdigkeit. Die würden uns Kampagnenjournalismus nicht verzeihen. Zu Recht…“
(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“ und 49 „Wie Journalisten entscheiden sollten“)
Zeitunglesen schützt vor Demenz
„So schützen Sie sich vor Demenz“ überschrieb die Bildzeitung am 9. Januar ihre Ratgeber-Seite und empfahl:
„Auch das morgendliche Zeitunglesen ist ein ideales Gehirntraining. Ständiges Fernsehen schadet dem Gehirn!“
(zu: Handbuch Kapitel 39 „Wie man Leser gewinnt: Ein heikler Souverän“ +53 „Was die Leser wollen “ + 56 „Service und Aktionen“)
Welche Zeitung schreibt auch über Politiker-Drohungen?
Wer als Journalist mit Politikern zu tun hat, kennt die Anrufe, in denen gedroht und geschrien wird. Nach der Bildzeitungs-Enthüllung hat in der gestrigen Ausgabe der „Thüringischen Landeszeitung“ Chefredakteur Hoffmeister aufgezählt, welche Landespolitiker ihm in seiner langen Amtszeit schon gedroht hätten oder den Geschäftsführer angerufen. Er nennt Namen, erzählt Geschichten.
Wer hat auch solche Anrufe in seiner Zeitung dokumentiert? Wer hat solche Artikel gelesen? Ich bitte um Hinweise, entweder als Kommentar oder per Mail:
mail@journalisten-handbuch.de
Wulff und die Kontrolle der Mächtigen
Die intensive Debatte über den Drohanruf des Bundespräsidenten bei BILD-Chefredakteur Diekmann und Springer-Vorstandschef Döpfner zeigt, wie stark offenbar die Bürger am Umgang von Politikern und Journalisten interessiert sind (und wie wenig darüber bekannt ist). Im neuen Handbuch gibt es dazu einen kurzen, aber klaren Hinweis (im Kapitel „Presserecht und Ethik“, Seite 293):
„Die Kontrolle der Macht und der Mächtigen, verbunden mit hoher Glaubwürdigkeit und dem Wille zur Wahrhaftigkeit, das ist die oberste Pflicht von Journalisten. Bodo Hombach, der WAZ-Verleger, hat Kants kategorischen Imperativ mit der Frage «Was ist, wenn es alle tun?» umgedeutet in den kategorischen Imperativ der Mediengesellschaft: «Was ist, wenn es rauskommt?»
Also, was die Bürger wissen müssen, um die Mächtigen kontrollieren zu können, das muss, alles andere kann in der Zeitung stehen… So einfach ist die journalistische Ethik.“
Im Vergleich zu den vorhergehenden Auflagen des Handbuchs haben wir das Hombach-Zitat eingefügt. Hombachs kategorischer Imperativ der Medien wäre wohl für den Bundespräsidenten hilfreich gewesen.
Die Wulff-Affäre könnte in den nächsten Auflagen des Handbuchs auftauchen. Überlegenswert wäre, sogar ein eigenes Kapitel „Politiker und Journalisten“ aufzunehmen. Stoff gibt es ja jetzt genug.
Meine Bitte: Wer zu diesem oder anderen Themen des Handbuchs bemerkenswerte Beispiele in Zeitungen oder anderen Medien findet: Bitte als Kommentar schicken oder als Mail.
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