Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht
Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage von Adoptivtöchtern eines Fernsehmoderators – offenbar geht es um Günther Jauch – gegen die Bunte und einen Bericht von 2013 nicht zur Entscheidung angenommen mit der Begründung:
Die erneute Veröffentlichung von bereits weit verbreiteten Informationen greift in geringerem Maße in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ein als eine erstmalige Veröffentlichung. Daher müssen die ihre Erwähnung in der Wortberichterstattung hinnehmen, wenn dieselbe Information bereits in mehreren, nicht beanstandeten Artikeln veröffentlicht worden war.
Der Bundesgerichtshof musste schon abwägen zwischen dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit und dem Recht auf informelle Selbstbestimmung der Klägerin, zumal es sich um „besonders schutzwürdigen Interessen eines Kindes“ handelt. Der BGH hatte 2013 entschieden: Zuvor unbeanstandet erschienen Artikel mit Vornamen und Alter sind weiter über das Internet frei zugänglich. Wer eine bekannte Nachricht nochmals verbreitet, greift zwar auch in das Persönlichkeitsrecht ein; aber dies müsse hinter das Recht der Pressefreiheit zurücktreten.
Die Anonymität ist verloren gegangen, schreiben die Richter des Verfassungsgerichts.
Jauch ist vor kurzem vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit seiner Beschwerde gegen einen Bunte-Bericht über seine Hochzeit 2006 gescheitert.
Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht
Was zählt mehr: Mein Persönlichkeitsrecht, durch unwahre Nachrichten verletzt zu werden – oder die Meinungsfreiheit, eine wichtige, aber nicht beweisbare Nachricht zu verbreiten? Land- und Oberlandesgericht gaben einer Leichtathletin Recht, die nicht mehr lesen wollte: Als Dreizehnjährige habe ihr DDR-Trainer ihr das Dopingmittel Oral-Turinabol verabreicht.
Die Gerichte urteilten im Sinne der Leichtathletin: Einen Vorwurf, der nicht bewiesen werden kann, werten wir als „prozessual unwahr“; also wiegt das Persönlichkeitsrecht der Sportlerin stärker als das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
Die Gerichte haben es sich zu leicht gemacht und die Meinungsfreiheit nicht ausreichend gewürdigt, findet dagegen das Bundesverfassungsgericht. In einem gerade veröffentlichten Urteil gibt es die Kriterien an, nach denen Journalisten auch Unbewiesenes weiter behaupten dürfen:
Es muss ein Vorwurf sein, der für die Öffentlichkeit „wesentlich“ ist.
Der Vorwurf muss „hinreichend sorgfältig“ recherchiert werden. Je schwerer der Vorwurf, umso höher die Sorgfalt. Dabei müssen Journalisten intensiver recherchieren als Privatpersonen, die einen Vorwurf erheben.
Der Vorwurf kann stimmen, muss aber nicht stimmen: Ist so das Ergebnis der Recherche, steht die Wahrheit also nicht fest, kann die Meinungsfreiheit stärker wiegen als das Persönlichkeitsrecht. Das Gericht wörtlich:
„Sofern der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung nicht feststellbar ist, kann das Grundrecht der Meinungsfreiheit einem generellen Vorrang des Persönlichkeitsrechts entgegenstehen.“
Nach Abschluss umfassender Recherchen müssen Journalisten kenntlich machen: Der Vorwurf ist nicht gedeckt trotz intensiver Recherchen; oder: er ist umstritten.
Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht
Ein Mann verlässt seinen Laden, den er gemietet hatte, und zahlt die ausstehende Miete erst, als der Vermieter gegen ihn Strafanzeige stellt und Zwangsvollstreckung beantragt. Drei Jahre danach veröffentlicht der Mieter in einem Internet-Portal den Namen des Vermieters, der gegen ihn Strafanzeige gestellt hatte, und erzählt wahrheitsgemäß, was geschehen war.
Der Vermieter klagt wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und seiner Sozialsphäre, er will den Eintrag gelöscht sehen: Land- und Oberlandesgericht geben ihm Recht. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet allerdings anders – für die Meinungsfreiheit. Das Urteil ist auch für Journalisten interessant, weil das Verfassungsgericht die Gründe aufzählt, die dafür sprechen, den Namen in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zu nennen:
Die Fakten müssen stimmen.
Die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre müssen grundsätzlich hingenommen werden.
Die Nennung des Namens berührt das Persönlichkeitsrecht
Die Schwelle zur Persönlichkeitsrechts-Verletzung wird erst überschritten, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden befürchten lässt, der unverhältnismäßig ist; das Gericht wörtlich: „außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht“.
Die Nachteile für den Genannten müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.
Droht kein unverhältnismäßiger Verlust an sozialer Achtung, muss einer die Veröffentlichung hinnehmen.
Es ist unwesentlich, ob der Vorfall einige Jahre – im konkreten Fall drei – zurückliegt.
Dies ist kein Freibrief für Zeitungen und Nachrichten-Portale, stets einen Namen zu nennen. Im konkreten Fall ging es um Online-Portale, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben.
Das Urteil zeigt: Es kommt auf den Einzelfall an und die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Recht auf freie Meinungsäußerung. Wie schwierig diese Abwägung ist, zeigt die unterschiedliche Beurteilung von hohen Gerichten in dem konkreten Fall.
Bundesverfassungsgericht – Beschluss vom 29. Juni 2016: 1 BvR 3487/14
Bundesverfassungsgericht: Die Richter kleiden sich rot. Foto: Gericht
Unser höchstes Gericht kann nicht oft genug betonen: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen“, so das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung. Nein, es geht nicht um den Fall Böhmermann, sondern um einen kaum beachteten Prozess in Berlin, in dem das Landgericht einen Rechtsanwalt verurteilt hatte – wegen „Schmähkritik“ an einer Staatsanwältin.
Was wenige wissen: Betrachtet ein Gericht eine Kritik als Schmähkritik, prüft es nicht mehr, ob sie unter die Meinungsfreiheit fällt. So kann ein Gericht den Artikel 5 des Grundgesetzes leicht aushebeln, besonders gerne wenn es um Richter und Staatsanwälte und andere Amtspersonen geht. Das macht offenbar das Bundesverfassungsgericht nicht mehr mit und zieht neue Grenzen.
Zum konkreten Fall:
Zwischen einem Strafverteidiger und einer Staatsanwältin kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung, als der Mandant in Haft genommen wurde. Bei einem Telefonat mit einem Journalisten titulierte der Anwalt die Staatsanwältin als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“. Das Landgericht verurteilte den Anwalt zu einer Geldstrafe von 8400 Euro.
Das Urteil aus Berlin kassierte das Verfassungsgericht: Eine Beleidigung Ja, aber keine Schmähkritik. Es gab die wegweisende Begründung dazu: „Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.“
Jedes Gericht darf künftig nicht mehr automatisch und unbegründet von „Schmähkritik“ ausgehen, wenn eine Amtsperson kritisiert oder beleidigt wird. Gibt es einen sachlichen Grund für die Beleidigung – wie im vorliegenden Fall – kann ein Gericht nicht mehr auf Schmähkritik setzen. Die Verfassungsrichter spekulieren ein wenig:
Hätte der Anwalt die Staatsanwältin beleidigt ohne Zusammenhang mit dem Verfahren, hätte das Gericht von Schmähkritik ausgehen können; oder hätte der Anwalt das Verfahren „nur als mutwillig gesuchten Anlass oder Vorwand genutzt, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren“, dann wäre es Schmähkritik. Aber um eine „Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin“ kommt ein Gericht nicht herum, das nochmals den Fall verhandeln muss.
Einen Beleidigungs-Freibrief gibt es allerdings nicht für den Anwalt: „Ein Anwalt ist grundsätzlich nicht berechtigt, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen.“
Dies Urteil dürfte auch wegweisend sein für Journalisten, denen Richter und Staatsanwälte gerne mit einer „Schmähkritik“-Anklage drohen, wenn sie heftig kritisiert werden.
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Quelle: Bundesverfassungsgerichts-Beschluss vom 29. Juni 2016, AZ 1 BvR 2646/15
Der Tag nach dem Brexit: Titelseite von SZ und Thüringischer Landeszeitung
So kennen wir die taz: Verspielt, ironisch bis leicht hämisch mit der Schlagzeile auf der Titelseite. Die taz? Am Tag nach dem Brexit titelte „Bye-bye, Britain“ die Süddeutsche Zeitung (Duden-affin) – um auf den folgenden Seiten zur Sache zurückzukehren. Die taz dagegen blieb für ihre Verhältnisse zurückhaltend: „Well done, little Britain“.
Ähnlich wie die Süddeutsche Zeitung spielte die Thüringische Landeszeitung (TLZ): „Bye, bye, Europa“ (nicht Duden-affin) – allerdings nicht in der Überschrift, sondern in einer Nel-Karikatur oben auf der Titelseite. Die Überschrift darunter war im Tagesschau-Stil, regional gewendet: „Brexit verunsichert die Thüringer Wirtschaft“.
Wieviel Kommentar verträgt eine Schlagzeile? Wieviel Spiel? Wieviel Ironie?
Der Boulevard braucht das Spiel, die Ironie, er will reizen, gar verletzen. Die Bildzeitung spielt nach dem Brexit mit der Sprache und schreibt in riesigen Lettern „OUTsch!“
Die taz hatte nie Probleme mit diesen Fragen. Als Weltanschauungs-Zeitung spielt und kommentiert sie in der Zeile, bis es dem Gegner weh tut – wie etwa der katholischen Kirche mit dem „Balken-Sepp“ nach dem Kruzifix-Urteil – und bis der Presserat die Rüge aus dem Sack holt.
Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) und die FAZ machen es gelegentlich. Die FAZ hat sich ein neues Meinungs-Stilmittel oben auf der Titelseite einfallen lassen: Nachdem das Bilderverbot für Seite Eins gefallen war, spielt sie über der Aufmacher-Schlagzeile mit einem Bild oder einer Grafik, das kommentierend bis ironisch auf eine Geschichte im Innenteil verweist – ein grafisches Streiflicht.
Die nationalen Zeitungen, die sich „Qualitätszeitungen“ nennen, formulieren in der Regel sachliche Überschriften im Tagesschau-Stil – bis es staubt. Sie verstehen sich, wie auch die meisten Regionalzeitungen, als pädagogische Anstalt, die dem Leser ein historisches Ereignis markieren: Pass auf, so wird es auch in den Geschichtsbüchern stehen! Die Oberstudienrätin freut sich, alle anderen sind gelangweilt.
Das „Neue Handbuch des Journalismus“ postuliert es ähnlich und appelliert an den Redakteur:
Er möge den Willen haben, politische Nachrichten mit strikt unparteiischen Überschriften zu versehen.
Über der politischen Nachricht ist Ironie deplatziert.
Ist dieser Appell in digitalen Zeiten noch zeitgemäß, wenn jeder, auch wirklich jeder die Nachricht kennt und vieles dazu? Allerdings raten Online-Redakteure zu eher sachlichen Überschriften und nicht zu feuilletonistischem Überschwang, der den Leser und Google verstört.
Vielleicht sind grafische Lösungen zeitgemäß, wie sie skandinavische Zeitungen mögen – wie die dänische Jyllands-Posten nach dem Brexit: Nahezu die komplette Titelseite mit den EU-Sternen im Kreis; ein Stern fehlt:
Peter M. Huber ist Richter im Zweiten Senats des Bundes-Verfassungsgerichts (Foto: Gericht)
Was tun Zeitungen und Magazine, wenn unsere Demokratie schwächelt? Was setzen Lokaljournalisten, Reporter und Korrespondenten dagegen, wenn der Staat in einer Sinnkrise steckt?
Die Diagnose stellt mit Peter M. Huber ein Verfassungsrichter, geschrieben in einem Essay zum 25-Jahr-Jubiläum der Einheit vor einem Jahr, noch einmal zitiert heute in einem FAZ-Huber-Porträt:
Ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung steckt der durch das Grundgesetz verfasste Nationalstaat in einer Sinnkrise, der Rechtsstaat zeigt Erosionstendenzen, die Demokratie schwächelt, das Gewaltenteilungsgefüge hat sich weiter zugunsten der Exekutive verschoben, und die Entwicklung des Bundesstaats lässt eine Orientierung vermissen.
Die Therapie in den Medien ist eine Debatte wert, auch jenseits von AfD und Pegida. Die Presse und ihre Freiheit zählen zu den Grundrechten, also zu den Pfeilern, auf denen Staat und Demokratie stehen: Wer durch ein Grundrecht privilegiert ist, hat nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Zu den Pflichten eines Journalisten zählt, die Demokratie zu stärken.
Frank A. Meyer, Cicero-Kolumnist (Foto: cicero.de)
Es gibt Preise für Journalisten, die über Wölfe schreiben oder „Die Apotheke in der Gesellschaft“, es gibt Preise für wirtschaftliche Bildung und Natur-Arzneien – aber keine für Journalisten, die über den Journalismus nachdenken. Solch einen Preis müsste es für Journalisten geben, die sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzen, schlägt Frank A. Meyer in der aktuellen Ausgabe von Cicero vor.
Cicero-Kolumnist Frank A. Meyer ist einer, der sich stört am elitären Blick vieler Journalisten auf die Wirklichkeit. Drei Gründe nennt er für die Abgehobenheit von Journalisten:
„Die Gesellschaft spiegelt sich nicht mehr in den Lebensläufen der Medienarbeiter.“ Das ist korrekt und deckt sich mit den Lebensläufen der meisten Politiker. Mein erster Lokalchef lenkte im ersten Beruf Straßenbahnen; so schrieb er auch, aber die Leser mochten ihn, weil er wusste, wie sie denken.
Zu starke Nähe zu den Mächtigen der Gesellschaft: „Dazugehören ist alles.“
„Schwarm-Mentalität ist stilbildend. Dem Kollegen gefallen und keineswegs missfallen zu wollen.“
Meyer fragt und irrt: „Wenn die Medien aber keine vierte Gewalt sind und keine Kontrollinstanz sind, was sind sie dann?“ Sie sind nach unserer Verfassung Kontrollinstanz. Ob man sie deshalb vierte Gewalt nennt, darüber kann man streiten. Juristisch sind sie es nicht, faktisch sind sie es – und werden auch so vom Verfassungsgericht gesehen.
Im Spiegel-Urteil stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“
Das ist aber kein Grund für Arroganz, das ist ein Grund für Meyers Forderung im Juni-Heft von Cicero: Seid demütig!
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Quelle: Das neue Handbuch des Journalismus, Seite 21
Ein Jäger hängt ein totes Reh an die Anhänger-Kupplung, fährt damit über die Bundesstraße 100, wird zum Thema in den sozialen Netzwerken und schließlich vom Nordkurier-Redakteur Thomas Krause als „Rabauken-Jäger“ tituliert. Das Amtsgericht verurteilt den Redakteur zu 1000 Euro Strafe wegen Beleidigung, das Landgericht bestätigt heute das Urteil (Freitag, 5. Februar 2016)
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Nordkurier-Chefredakteur Lutz Schumacher hatte vor einigen Tagen im Nordkurier auf Leser-Fragen zum Thema geantwortet:
> Können Sie das nicht still mit der Justiz aushandeln? Muss der Nordkurier seinen eigenen Fall so an die große Glocke hängen?
Ja. Weil es am Ende jeden betrifft. Wenn sich unsere Leserinnen und Leser auf Facebook über einen Politiker aufregen und ihn dann vielleicht sogar „Schwachkopf“ nennen. Oder wenn uns jemand in einem Leserbrief schreibt, das Amt XY sei in seinen Augen „geistig minderbemittelt“. Die bekommen dann künftig alle Post vom Staatsanwalt, wenn dieses Urteil Bestand hätte.
> Wie das?
Naja, das sind alles Meinungsäußerungen. Vielleicht nicht so nette, aber eben doch Meinungen. Und die freie Meinungsäußerung wird von unserer Verfassung geschützt.
> Heißt das im Umkehrschluss, man darf alles sagen? Und insbesondere Journalisten? Stehen sie über dem Gesetz?
Nein, um Gottes Willen. Die Frage ist nur, wo hört eine Meinung auf und wird zur reinen Beleidigung.
> Und wann ist das so?
Das ist schwer zu sagen – am Ende oft eine Auslegungssache. Unser Verfassungsgericht urteilt aber seit Jahrzehnten, dass die Grenzen weit gesteckt sind. Das ist auch gut so, denn niemand sollte in Deutschland Angst haben, seine Meinung zu sagen.
> Kann ich also ungehindert Menschen in der Öffentlichkeit als Mörder, Kinderschänder oder Geisteskranke bezeichnen?
Nein! Die Grenze ist immer da erreicht, wo die Äußerung überhaupt nichts mehr mit der Sache zu tun hat, sondern nur noch die Person treffen möchte. Außerdem darf ich nicht unter dem Deckmantel einer Meinungsäußerung falsche Tatsachen verbreiten. Einen Mörder darf ich nur jemanden nennen, der auch als solcher verurteilt wurde.
Fast alle Urteile des Verfassungsgerichts zu Durchsuchungen in Redaktionen enden mit dem Urteil: Verfassungswidrig! – so auch zur Durchsuchung der Berliner Morgenpost vor drei Jahren. Dem Verfassungsgericht schwant, warum der Staat trotzdem immer wieder durchsuchen lässt: Er will Informanten abschrecken. Das Bundesverfassungsgericht erklärt deshalb deutlich:
Der Schutzbereich der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) umfasst den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten. Dieser Schutz ist unentbehrlich, weil die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen kann. Eine Durchsuchung in Presseräumen stellt wegen der damit verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit und der Möglichkeit einer einschüchternden Wirkung eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar.
Die Chronik:
Am Mittwoch, 28. November 2012 durchsuchten Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt Privatwohnung und Arbeitsplatz des Chefreporters der Berliner Morgenpost, weil sie dem Reporter die Bestechung eines Polizeibeamten vorwarfen.
Um 6.55 Uhr begannen die Ermittler ihre Arbeit mit der Durchsuchung der Privatwohnung des Chefreporters. Eine Nebenrolle bei den Vorwürfen spielt eine SMS, in der sich der Polizist bei dem Reporter für 100 Euro bedankte. Dabei handelte es sich um eine Auslage für zwei Jacken, die der LKA-Beamte in einem Polizei-Shop für den Reporter und einen weiteren Kollegen erworben hatte. Dort können Polizisten einkaufen. Der Morgenpost-Reporter gab ihm später das Geld für die Jacken zurück.
Um 8.30 Uhr begann auch die Durchsuchung in den Büroräumen im Verlagshaus der Axel Springer AG. Die Morgenpost gehörte 2012 noch zum Springer-Verlag, mittlerweile gehört sie zum Funke-Konzern in Essen.
Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) informierte zeitgleich den Chefredakteur der Berliner Morgenpost, Carsten Erdmann. Heilmann sollte im Auftrag des ermittelnden Staatsanwalts zu einer Deeskalation der Situation beitragen, sagte eine Sprecherin der Justizverwaltung gegenüber der dpa.
Nach Eintreffen der Ermittler wurden ihnen die gesuchten Rechnungen sofort ausgehändigt, um so den Vorwurf der Bestechung zu entkräften. Dennoch bestand die Staatsanwaltschaft weiter auf der Durchsuchung. Die Beamten beschlagnahmten weitere Unterlagen, darunter sogenannte „Zufallsfunde“, also Unterlagen, die nichts mit den aktuellen Vorwürfen zu tun haben. Dazu gehörte auch Material zu Kriminalfällen, mit denen sich der Chefreporter intensiv beschäftigt hatte.
Zur Vorgeschichte:
Mitte der 90er-Jahre verschwand der zwölfjährige Manuel Schadwald aus Berlin-Tempelhof. Jahrelang gab es Gerüchte, dass er Opfer von Pädophilen geworden sein könnte. Immer wieder tauchte in diesem Fall auch der Name des belgischen Kinderhändlers Marc Dutroux auf. Der Chefreporter der Berliner Morgenpost recherchierte und berichtete zusammen mit einem Kollegen über das Verschwinden des Berliner Jungen.
2010 meldete sich plötzlich ein neuer Informant. Es ergab sich erneut eine Spur, die nach Holland führte. Im Frühjahr 2011 reisten die beiden Journalisten nach Amsterdam. Der Verlag bestand darauf, dass auf der Recherche-Reise ein besonderer Sicherheitsstandard eingehalten wurde. Denn im Umfeld des Kinderhändler-Rings von Marc Dutroux starben schon mehrere Zeugen. Neben zwei Personenschützern einer privaten Sicherheitsfirma wurde auch ein Sicherheitsexperte des Berliner Landeskriminalamts engagiert.
Diesen kannte der Chefreporter seit vielen Jahren persönlich und vertraute ihm daher besonders. Der Beamte begleitete die Reporter außerhalb seiner Dienstzeit nach Amsterdam. Dafür erhielt der Polizist einen Tagessatz von 500 Euro. Solche Tagessätze gelten in der Sicherheitsbranche als üblich. Nach Angaben der Berliner Kuhr Security, die auch Personenschutz übernimmt, betragen die Kosten bei Auslandseinsätzen sogar deutlich mehr. Die Recherchen in Amsterdam dauerten vier Tage. Hinzu kamen Kosten für Flugtickets, Mietwagen und Hotel in Höhe von gut 1000 Euro. Damit belief sich die Gesamtsumme auf gut 3000 Euro.
In Amsterdam stießen die Reporter auf Hinweise, dass es ein Kapitalverbrechen gegeben haben könnte. Doch es gab nur eine Quelle, zu wenig für eine seriöse Berichterstattung. Die Hinweise wurden später der Berliner Polizei zur weiteren Prüfung übergeben. Dafür trafen sich die Reporter mit dem damaligen Leiter der Pressestelle Frank Millert und dem Dezernatsleiter für Sexualdelikte, um die Recherche-Unterlagen auszuhändigen.
Die Staatsanwaltschaft scheint bei der Fahrt nach Amsterdam von einer Vergnügungsreise auszugehen und leitet daraus den Vorwurf der Bestechung ab. Das der Berliner Polizei übergebene Material lässt aber eindeutig einen anderen Schluss zu: Die Reise war eine Recherche-Reise – mit persönlichem Risiko für die Reporter der Berliner Morgenpost. Nach der Übergabe der Unterlagen an die Berliner Polizei passierte lange Zeit nichts.
Mitte 2012 geriet der Beamte, der die Reporter in Amsterdam begleitet hatte, in Verdacht, eine geplante Razzia im Rockermilieu an Journalisten verraten zu haben. Die Polizeiführung leitete ein Verfahren wegen Geheimnisverrats an. Auf dem Computer und auf dem Handy des Beamten fanden die Ermittler eine Rechnung für die Recherchereise nach Holland in Höhe von gut 3000 Euro und die Telefonnummer des Morgenpost-Reporters.
Die Rechnung war für die Staatsanwaltschaft der Hauptgrund für den Vorwurf der Bestechung. Denn für Informationen darf kein Geld an Behördenmitarbeiter gezahlt werden. Das wäre Bestechung.
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Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 28. August 2015:
Das Gericht teilt auf der Internet-Seite mit (hier in Auszügen):
Die Durchsuchung in Redaktionsräumen oder Wohnungen von Journalisten darf nicht vorrangig dem Zweck dienen, den Verdacht von Straftaten durch Informanten aufzuklären. Erforderlich sind vielmehr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat der konkret betroffenen Presseangehörigen, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 5 Satz 1 Strafprozessordnung entfallen lässt…
Ein bloß allgemeiner Verdacht, dass dienstliche Informationen an die Presse weitergegeben wurden, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Im vorliegenden Fall ging es den Strafverfolgungsbehörden zumindest vorwiegend um die Ermittlung belastender Tatsachen gegen einen Informanten aus Polizeikreisen. Diesem sollen Geldbeträge für Informationen zu bevorstehenden Ermittlungsmaßnahmen gezahlt worden sein. Bezogen auf dessen Kontakt zu den Beschwerdeführern handelt es sich jedoch um bloße Mutmaßungen.
Zum einen berichtete nicht der beschwerdeführende Zeitungsverlag über die bevorstehende Razzia, sondern ein mit diesem nicht zusammenhängendes Online-Portal. Weder dem Durchsuchungsbeschluss noch der Beschwerdeentscheidung ist zum anderen zu entnehmen, für welche Informationen Geld gezahlt worden sein soll. Der Tatbestand der Bestechung verlangt jedoch schon einfachrechtlich die Vornahme einer hinreichend konkreten Diensthandlung. In Bezug auf die Beschwerdeführer mangelt es daher an zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat, die den Beschlagnahmeschutz entfallen lässt.
Ferner lässt sich aus dem bloßen Umstand, dass der mitbeschuldigte Polizeibeamte ein auf eine fingierte Person angemeldetes „Journalisten-Handy“ nutzte, nicht auf einen Tatverdacht der Bestechung gerade gegen die Beschwerdeführer schließen. Auf dem Handy waren die Namen des Beschwerdeführers und eines Journalisten des Online-Portals gespeichert. Dies mag dafür sprechen, dass der Informant dienstliche Geheimnisse an Journalisten weitergegeben hat.
Wegen des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informantenschutzes rechtfertigt das bloße Interesse der Strafverfolgungsbehörden, dies zu erfahren, jedoch keine Durchsuchung in den Redaktionsräumen von Presseorganen, sofern nicht erkennbar ist, dass auch gegen diese selbst strafrechtlich relevante Vorwürfe zu erheben sind. Was für eine Weitergabe der Informationen über eine Razzia gerade an den Beschwerdeführer sprechen soll, obwohl ein anderes Online-Magazin, für das der andere eingespeicherte Journalist tätig war, über diesbezügliche Ermittlungsmaßnahmen vorab berichtete, bleibt unklar.
Auch aus dem Vermerk auf der Rechnung lässt sich nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf eine Bestechung schließen. Die Rechnung bezog sich auf die Reise nach Amsterdam, für deren Ermöglichung sich der Beamte dienstunfähig gemeldet hatte. Es erscheint daher nicht fernliegend, dass der Beamte disziplinarrechtliche Konsequenzen wegen der falschen Krankmeldung und mangelnden Nebentätigkeitsgenehmigung befürchtete. Ein Verdacht gegenüber den Beschwerdeführern folgt hieraus jedoch nicht.
Staatsanwälte in Deutschland gehen gezielt gegen Journalisten vor, um sie einzuschüchtern und kritische Berichterstattung zu verhindern: Man mag die Ermittlungen gegen den Nordkurier in der Rabauken-Affäre als Petitesse abtun (was sie nicht ist), aber die Ermittlungen gegen netzpolitik.org sollen signalisieren: Redakteure lasst die Finger von geheimen oder auch nur geheim eingestuften Dokumenten des Staates! Und was „geheim“ ist, bestimmen wir, die Diener des Staates.
Vor allem sollen Informanten abgeschreckt werden, Kontakt zu Redaktionen zu suchen. So ermittelt der Generalbundesanwalt gegen die Redaktion von netzpolitik.org, die über Pläne für eine neue Rasterfahndung des Geheimdienstes berichtet hatte:Im geheimen Haushalt des Verfassungsschutzes sollen knapp drei Millionen Euro eingestellt werden, um Internet-Inhalt, auch bei Facebook, auszuwerten.
Die Diener des Staates erweisen sich so als Gegner der Verfassung. Constanze Kurz zitiert aus einem Urteil des Verfassungsgerichts:
Die Pressefreiheit umfasst auch den Schutz vor dem Eindringen des Staates in die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit sowie in die Vertrauenssphäre zwischen den Medien und ihren Informanten.
Constanze Kurz schreibt regelmäßig „Aus dem Maschinenraum“ in der FAZ, der stärksten Internet-Kolumne der deutschen Tageszeitungen. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts kommentiert sie in netzpolitik.org:
Nur weil es sich mehr und mehr einbürgert, dass es als normal angesehen wird, dass das Handeln der Geheimdienste undurchschaubar ist und viel zu viele Aspekte von deren Arbeit „geheim“ gestempelt wird, heißt das für die Arbeit von Journalisten mit Informanten noch lange kein devotes Duckmäusertum, jedenfalls nicht bei uns. Dass wir Informationen oder uns möglicherweise anvertraute Dokumente über das Bundesamt für Verfassungsschutz oder andere intransparente Behörden auf netzpolitik.org bringen, wird auch in Zukunft so bleiben.
Wir lassen uns natürlich nicht einschüchtern.
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Lutz Schumacher per FacebooK:
Offenbar verführt der „General“ im Ttel. Habe da ja gerade erst entsprechende Erfahrungen machen dürfen… #Rabauke
Wolfgang Bok am 15. Juli um 13:57 auf Facebook:
Dieser „Enthüllungsjournalismus“ besteht bsp. darin, brav die gezielt platzierten Empörungsnews von Snowden & Co. abzudrucken, ohne diese zu überprüfen. Erfüllungsgehilfen wäre der treffendere Ausdruck. Lesenswert dazu: Spionageexperte Sandro Gaycken in der FAZ vom 10.7.15, Seite 10: „Wer steckt hinter den NSA-Enthüllungen?“ Aber so weit geht der deutsche „Enthüllungsjournalismus“ natürlich nicht. Dann würde ja das Feindbild nicht mehr stimmen…
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