Selbstverständnis eines Lokaljournalisten: Wie stellst Du Dich auf Deine Leser ein? Auf ihre Welt, ihre Bilder?
„Luther schaute dem Volk auf’s Maul, aber er redete ihm nicht nach dem Mund.“ Diese Einsicht des Braunschweiger Dompredigers ist auch eine sinnvolle für Journalisten, die ihre Leser ernst nehmen. Als Beispiel führt der Domprediger, mit dem ich ein langes Interview führte, ein Erlebnis aus Äthiopien an, wo er noch zu Kaisers Zeiten als Vikar ein Jahr gearbeitet hatte.
Er predigte an Heiligabend in einem deutschen Bau-Camp, fünfhundert Kilometer von Addis entfernt:
„Weihnachten ist nicht wetterabhängig“, so habe ich angefangen. Natürlich waren alle mit ihren Gedanken irgendwie im Harz oder im Schwarzwald, eben in ihrer Heimat. Kein „Kling Glöckchen kling“, predigte ich, „aber wir wissen es besser: Weihnachten findet auch statt, wenn das übliche Ambiente nicht da ist.“ Ich habe die Leute daran erinnert, dass Weihnachten eigentlich aus solchen Verhältnissen wie in Äthiopien kommt.
Wie bekommst du geografisch existentielle Situationen zusammen mit biblischen Texten? Diese Frage hat mich lange beschäftigt. Viele der orientalischen Bilder, die es in der Bibel gibt, sind in Äthiopien oder Arabien leichter verstehbar als bei uns in Deutschland. Dort muss ich doch nicht erklären, was eine Oase ist. Dort muss ich doch nicht erklären: Der Herr ist mein Hirte.
Wo Hirten und Herden zum täglichen Straßenbild gehören, da sind biblische Bilder unmittelbar vor Augen. Du brauchst nur einen, der darauf hinweist, zeigt, dolmetscht, Zusammenhänge herstellt. Daran hatte ich immer Freude!
Für uns in Deutschland ist diese orientalische Bilderwelt eine fremde. Für uns ist sie kompliziert; deswegen haben sich auch Generationen von Predigern geflüchtet in philosophische und pseudo-philosophische Gedankenwelten.
So geht es auch einem Lokaljournalisten: Wie stellst Du Dich auf Deine Leser ein? Auf ihre Welt, ihre Erfahrungen, ihre Bilder? Wie verbindest du deine Sicht der Welt, deinen journalistischen Anspruch, deine Erfahrungen mit denen deiner Leser? Der Lokaljournalist ist ein Dolmetscher, der Zusammenhänge herstellt, Welten verbindet.
Schaffst du diese Verbindung nicht, bleibst du abstrakt, blutleer – selbst wenn du ein Leben lang in einer Redaktion arbeitest. Mit dieser lutherischen Einsicht kann man auch achtmal in seinem Leben in eine andere Redaktion wechseln.
Noch einmal Luther: Schau dem Volk aufs Maul, aber rede ihm nicht nach dem Mund.
„In heißer Liebe gebraten“ – Johann Sebastian Bach und seine kraftvolle Sprache (Friedhof der Wörter zu Ostern)
„Der Würger kann uns nicht berühren“, lässt Johann Sebastian Bach im Schlusschoral singen seiner Kantate zum dritten Ostertag. Ja, zu Bachs unfriedlichen Zeiten vor dreihundert Jahren hatten die Menschen noch einen dritten Feiertag: Warum können wir uns den nicht mehr leisten?
Also noch einmal – Johann Sebastian Bach und seine Sprache voller Kraft: Selten ist sie so hörbar wie in den Oster-Kantaten. Auferstehung und Friedens-Sehnsucht spornten Bach an und seine Dichter, deren Texte er vertonte. Eine Auswahl:
> „In heißer Liebe gebraten“
> „Das Blut zeichnet unsere Tür“
> „Der Würger kann uns nicht mehr schaden“
> „Das Gewand blutrot bespritzt“
> „Der Mittler hat dein Schuldenbuch verglichen und zerrissen“
> „Das Trauern, das Fürchten, das ängstliche Zagen“
In heißer Lieb lässt Bach das Osterlamm braten, in einem – zugegeben – leicht schiefen Sprachbild. Zu hören ist der „Braten“ in Bachs wahrscheinlich erster Kantate „Christ lag in Todesbanden“, aufgeführt vor 304 Jahren in Mühlhausen.
Diese Wendungen, der Kampf zwischen Teufel und Gott, erinnern an die Sprachgewalt Luthers, dem vor allem die kurzen, kräftigen Wörter gefielen. Die ein- und zweisilbigen Wörter sind in unserer Sprache die Wörter unserer stärksten Gefühle: Wenn in Bachs Osterkantaten von Tod und Herz und Wonne gesungen wird, beschleunigt sich der Takt; beim Würger auch.
Bach steht in der Tradition der süßen Herz- und Schmerz-Reime des Barocks, vergleichbar den Schlagern unserer und jeder Zeit. Der Musikwissenschaftler Alfred Dürr jedoch kommentiert Bachs älteste Osterkantate: „Er erhebt sich dichterisch über die Dutzendware der Modeerzeugnisse des 18. Jahrhunderts.“
Bei aller Todessehnsucht, die Bach auch an Ostern nicht verlässt, schöpft er Lebensmut in seiner Kantate – versehen mit gleich drei Ausrufezeichen: „Tritt an den neuen Lebenslauf! Auf! Von den toten Werken!“
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Thüringer Allgemeine, Kolumne „Friedhof der Wörter“, 22. April 2014
Veggie gegen Hacktäschli (Friedhof der Wörter)
Der Burger hat nichts mit einer Burg gemein, ist die Abkürzung von Hamburger, der auch nichts mit der Hansestadt gemein hat, er ist ein Anglizismus und wird Börger ausgesprochen. Es gibt auch deutsche Wörter für den Hackfleisch-Kloß: Frikadelle, Bulette, Klops, Fleischpflanzerl, Hacktätschli und andere mehr.
Auch die Verächter des Burgers und des Fleischs im Generellen demonstrieren ihre Liebe zu den Anglizismen und nennen den Tag ohne Fleisch: „Veggieday“. Veggie ist das englische Wort für „Vegetarier“ oder für „vegetarisch“; „day“ ist der Tag.
Das deutsche Wort liegt also zum Greifen nahe: Vegetarischer Tag oder Fleischlos-Tag oder Ohne-Fleisch-Tag. Im Eichsfeld und anderen katholischen Enklaven könnte man auch zum „Fischtag“ greifen, weil nach altem Brauch am Freitag kein Fleisch, sondern Fisch auf den Tisch kommt.
Warum spricht die Thüringerin Katrin Göring-Eckardt dann vom „Veggieday“, die Kanzler-Kandidatin der Grünen? Es dürfte ein politischer Werbe-Trick sein: Wer anglizistisch spricht, möchte als modern gelten und weltläufig.
Und wer die deutsche Sprache mag, die Sprache Goethes und Luthers – was wird dem nachgesagt im Kreis der global Player?
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Kolumne der Thüringer Allgemeine 12. August 2013
Luther, Goethe und der Starkregen (Friedhof der Wörter)
„Himmel, Arsch und Starkregen!“ ist kein Fluch, denn Starkregen ist – im Vergleich mit Himmel und Arsch – ein schwaches Wort. Doch der „Starkregen“ war in den vergangenen Wochen eines der am meisten genutzten Wörter; im Wetterbericht stand es an erster Stelle.
Doch wir haben ein starkes Wort, ein Gefühls-Wort, das in Vergessenheit gerät und dem schwachen Starkregen weicht: Wolkenbruch. Vor einem halben Jahrtausend schlüpfte es in die deutsche Sprache.
Martin Luther schwankte noch, gebrauchte erst die damals geläufige „Wolkenbrust“ – wenn er beispielsweise in seinen Tischreden gegen den Oberchristen in Rom wetterte: „Da ist der Papst mit seinen schädlichsten Traditionen herein gefallen wie eine Wolkenbrust und Sündflut.“
Später wechselte Luther zum modernen „Wolkenbruch“, wenn er dem Volk ins Gewissen redete: „Dich überfallen hier nicht allein Tropfen, sondern eitel Wolkenbrüche mit Sünden.“
Paracelsus war ein berühmter Arzt und Zeitgenosse von Luther. Als er vom Aufplatzen einer Wunde sprach, das er „Platz“ nannte, verglich er es so: Ein Platz geschieht wie ein Wolkenbruch.
Drei Jahrhunderte später machte sich der Dichter Friedrich Hebbel seine Gedanken über die leere Speisekammer: „Hat man nichts zu Hause, so kommen die Gäste wie Wolkenbruch und Hagelschlag.“ Übrigens sah man im Wolkenbruch eine Zeit lang eine Frau: Die Wolkenbruch.
Enden wir das Loblied auf den Wolkenbruch mit einem Fluch des Weimarer Dichters Goethe, zu entdecken in einem seiner Lustspiele: „Wolkenbruch und Hagel!“ Und eben kein Starkregen.
Thüringer Allgemeine, Montag, 24. Juni 2013
Der Speisewagen wird zum gastronomischen Service (Friedhof der Wörter)
„Ein Kauderwelsch aus Namen und Begriffen – wild aneinandergereiht.“ Ein Leser zählte 16 Substantive auf, von „Franziskus“ bis „Fußballgott (totale Entgleisung)“ und beschwerte sich vehement über den Franziskus-„Friedhof“, erschienen kurz nach der Papstwahl.
Er hat Recht: So stark Hauptwörter auch sind, so schwer und unerfreulich wirken sie, wenn sie massenhaft auftreten. Deshalb greife ich heute ein einfaches Thema auf: Der Zugbegleiter im ICE.
Luthers schaute dem Volk aufs Maul. Das sollte auch ein „Zugbegleiter“ beherzigen, dem wir seinen schönen neuen Titel gönnen; den „Schaffner“, obwohl kürzer und netter, begraben wir auf dem Friedhof der Wörter.
Über den Zug-Lautsprecher begrüßt der Zugbegleiter seine Fahrgäste, „die zugestiegen sind“, und weist sie auf den „gastronomischen Service“ hin. Er meint das Restaurant und das Bistro. Warum weist er nicht auf „Restaurant und Bistro“ hin? Ein Leser erinnerte auch noch an den „Speisewagen“, der sich langsam dem Friedhof der Wörter nähert.
„Gastronomischer Service“ ist ein abstrakter, ein kühler Begriff. „Restaurant“ zeichnet in unserem Gehirn ein Bild, für die meisten ein angenehmes Bild mit warmen Farben; noch detaillierter ist das Bild des Speisewagens.
Wörter, die Bilder zeichnen, sind Wörtern überlegen, die im Kühlschrank unseres Gehirns abgelegt werden.
„Gastronomischer Service“ besteht zwar nur aus zwei Wörtern, aber bildet mehr Silben als „Restaurant und Bistro“ und ist deutlich länger als der „Speisewagen“. Es spricht also nichts für den Service – außer dem Rat der Deutschlehrerin, Wörter nicht zu wiederholen und Synonyme zu suchen.
Erinnern mit Goethe und Josef Fischer (Friedhof der Wörter)
Ist dieser Satz falsch? Gar Denglisch?
„Seine Mutter starb früh, und er erinnert heute noch in allen Einzelheiten ihren Tod.“ Der Satz stand in unserer Zeitung im Porträt des Starkochs Heinz Winkler.
Da verfällt der Autor unversehens in einen gepflegtes Denglisch, schimpft ein Zeitungsleser aus Weimar und begründet es so:
„Diese englische Variante des deutschen ,sich erinnern‘ wurde schon vor Jahren durch den Ex-Außenminister Josef Fischer kreiert, der seine Putztruppenzeit absolut nicht erinnert.“
Vergessen wir Josef Fischer, bleiben wir in Weimar. „Erinnre mich nicht jener schönen Tage“, schrieb Goethe in der „Iphigenie auf Tauris“.
Ist Goethe verdächtig, in einem gepflegten Denglisch zu schreiben? Nur weil er nicht dichtete: „Erinnre mich nicht an jene schönen Tage“?
Zu Goethes Zeiten brachen nicht englische, sondern französische Wörter in die deutsche Sprache ein: Jede Zeit hat ihre Sprachmoden.
Matthias Claudius, ein schlichter Zeitgenosse Goethes, schrieb nicht nur „Der Mond ist aufgegangen“, sondern auch „Da unser einer doch täglich seiner Sterblichkeit erinnert wird“ in seinem „Wandsbecker Boten“ – und eben nicht „Unser einer wird täglich an seine Sterblichkeit erinnert.“
Jahrhunderte vor Goethe und Claudius übersetzte Martin Luther die Bibel: „etwas erinnern“ und nicht „an etwas sich erinnern“. Kurzum: Denglisch ist teuflisch, aber „erinnern“ ist, wie auch der Duden beteuert, so zauberhaft wie die goldnen Sternlein, die prangen – am Himmel hell und klar.
Thüringer Allgemeine geplant für 25. März 2013
Luther, das rote „W“ und der Wechsel im Ausdruck (Friedhof der Wörter)
Martin Luther ist ein Vorbild für alle, die die deutsche Sprache schätzen. So luden denn die evangelischen Kirchen in Thüringen zum Adventsempfang in die „unbeheizte“ Augustinerkirche mit einem Vers von Luther, mit dem er gegen gewaltsame Missionierung predigte.
Wer die Menschen von Gott überzeugen will, vertraue nur dem Wort:
Predigen will ich’s,
sagen beabsichtige ich’s,
schreiben befördere ich’s.
Das ist korrektes Deutsch, so wie es Journalisten mögen und Germanisten, Lehrer und Pressesprecher. Korrekt ist es, denn den „Wechsel im Ausdruck“ fordern sie und empfehlen den Kauf eines Synonym-Wörterbuchs.
Luther hatte das Vermögen, korrekt schreiben zu können – aber auch das Glück, keinen neben sich zu haben, der bei jeder Wortwiederholung ein rotes „W“ an den Rand schrieb. Luther durfte sich wiederholen, er tat’s und pries so das Wort:
Predigen will ich’s,
sagen will ich’s,
schreiben will ich’s.
Zwei rote „W“ hätte die Deutschlehrerin Luther an den Rand geschrieben, vielleicht sogar vier, wenn sie auch das dreifache „Ich“ unerträglich fände. So nähme sie zwar den Schwung aus dem Reim, die Kraft aus den Worten und erschwerte das Verstehen, aber vermiede jede Wiederholung.
Nur – wenn ich dasselbe meine, dann sage ich dasselbe: Ein Sturm ist ein Sturm und bei der zweiten Erwähnung ist er immer noch ein Sturm und kein mächtiger Wind.
Für unsere stärksten Wörter finden wir keine Synonyme: Liebe und Hass, Sonne und Mond – es sei denn wir griffen zu gequältem Ersatz und sprächen von „jenem starken Gefühl“ und vom „glühenden Zentralgestirn“.
Nur wenn wir schwache Wörter schreiben, sollten wir Wiederholungen verbieten: Nicht zweimal „aber“ oder „kreativ“ oder „tun“. Auch bei „sollen“ oder „wollen“ reicht ein Mal – es sei denn jemand ist ein Meister wie Martin Luther: Sagen will ich’s, schreiben will ich’s!
Thüringer Allgemeine, 10. Dezember 2012
Wenn der Neger nickt (Friedhof der Wörter)
In der Eisenacher Georgenkirche feiert der Bachchor am ersten Advent ein Jubiläum: Der 200. Kantaten-Gottesdienst – mit Georg-Philipp Telemanns: „Nun komm, der Heiden Heiland“. Auch Johann-Sebastian Bach hat eine Kantate mit diesem Titel geschrieben.
Wer die Melodie hört, summt sie mit – sie ist in unseren Köpfen; den Text beachten wir nicht, wie so oft in den Kantaten aus den fernen Jahrhunderten. Die Musik bleibt, die Worte fliegen davon.
Die „Heiden“ stören, das Wort ist aus unserem Wortschatz gewichen, es passt nicht in unsere multi-kulturelle Gesellschaft, die eine multi-religiöse und gottferne geworden ist. Wir kommen uns schäbig, gar fremdenfeindlich vor, etwa die Besucher einer Moschee „Heiden“ zu nennen – auch wenn Muslime uns „Andersgläubige“ nennen; dabei schwingt noch die Bedeutung mit, die Bach mit den „Heiden“ verknüpfte.
Wir verbannen Wörter aus unserer Sprache, weil sie grausame Bilder aus der Geschichte mitschleppen, die der Kreuzzüge gegen die Heiden, das Morden und Zerstören in Gottes Namen. Oder aus unserer Erinnerung tauchen peinliche Bilder auf. In katholischen Kirchen standen vor nicht allzu langer Zeit noch Neger-Figuren, die – politisch inkorrekt – so genannt wurden. Sie standen in der Kirche und nickte mit dem Kopf, wenn man einen Groschen einwarf.
Von einigen Esoterikern abgesehen, die sich als neue Heiden verstehen, haben wir den „Heiden“ begraben. Nur am 1. Advent werden wir ihn nicht los, wenn wir Bachs und Telemanns Musik hören. Musik ist stärker.
Thüringer Allgemeine 3. Dezember 2012
Nüchtern und kreativ (Friedhof der Wörter)
Die Menschen werden älter, die Jungen werden weniger, das ist die Gesellschaft von morgen. Damit wir nicht allzu sehr erschrecken, verstecken wir uns hinter einem wissenschaftlichen Begriff: „Demografischer Wandel“.
Der Wandel macht allen zu schaffen, auch den Kirchen. Was machen sie mit einem Wandel? Sie diskutieren ihn. Und wie? „Nüchtern – mutig – kreativ“, so steht es in einer Einladung der beiden großen Kirchen in Erfurt.
Dass die frommen Männer nebst Bauminister Carius dem Alkohol entsagen beim Diskutieren und Reden, hatte ihnen schon Luther, die Bibel übersetzend, empfohlen:
„Seid nüchtern und wachet; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe.“
Nüchtern reicht nicht aus, auch kreativ soll es sein. Wie schrieb Luther? „Und Gott war kreativ.“
Nein, Luther übersetzte: „Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut.“
Wer kreativ ist, der schafft etwas – die ganze Welt, ein Gedicht oder ein Blumenbeet. Jeder Mensch, der etwas schafft, ist kreativ.
„Kreativ“ ist ein leeres Wort, ein Modewort geworden, vor allem in der Werbung. Es hat keinen Inhalt mehr. Es gehört, ganz nüchtern, auf den Friedhof der Wörter.
(Thüringer Allgemeine 14. Mai 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 16 „Lexikon unbrauchbarer Wörter“)
Sprich verständlich! – Friedhof der Wörter
„Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das ist verdeutschet: Schädelstätt“ – so singt der Evangelist in einem beeindruckenden Musikwerk, in Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“. In diesem Satz steckt eine komplette Philosophie der Sprache: Sprich so, dass jeder Dich versteht!
Der Evangelist wirft dem Zuhörer nicht einfach ein fremdes Wort an den Kopf, er benennt seinen Sinn – damit der andere versteht. Das ist beste Luthersche Tradition.
Der Mönch aus Erfurt hat den Eliten und Wohlgebildeten seiner Zeit, den Priestern und Würdenträgern, den Mächtigen und Edlen ihr Monopol auf den Gebrauch der Bibel entrissen – indem er sie aus der Fachsprache, damals das Lateinische, in die Sprache des Volkes übersetzte.
Das war das Ketzerische: Sprich so, dass jeder Dich versteht! Das gilt heute wie vor fünfhundert Jahren. Wer sich in Experten-Latein und Fachsprachen einmauert, will nicht mal den Experten des Nachbar-Fachs sehen; wer mit Anglizismen Werbung treibt, vergrault Kunden und schadet der Marke.
Wer so die Gesellschaft spaltet, die sich durch eine gemeinsame Sprache bestimmt, sollte am Karfreitag Bach hören: „Das ist verdeutschet“!
THÜRINGER ALLGEMEINE vom 02.04.2012, S. 14
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