Alle Artikel mit dem Schlagwort " Pressefreiheit"

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts zur Rabauken-Affäre: „Medialer Pranger ist mit Verfassung nicht vereinbar“

Geschrieben am 10. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

„Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin angeblich nichts gelernt haben, sollten vermieden werden“, schreibt Helmut Trost, der Generalstaatsanwalt in Mecklenburg-Vorpommern, in einem Gastkommentar zur Rabauken-Affäre. Trost hat offenbar allen Chefredakteuren eine Mail geschrieben, die sich im Nordkurier zur Rabauken-Affäre geäußert haben (siehe ). Er will, so sein Anschreiben, einen Beitrag zur Versachlichung leisten und fügt einen „Gastkommentar“ bei, den er „auf Einladung des Nordkurier verfasst habe, der aber leider nicht veröffentlicht worden ist“. Sein Schreiben an den Nordkurier vom 4. Juni 2015 fügt er ebenfalls bei.

Ich dokumentiere beides:

Brief des Generalstaatsanwalts an den Nordkurier:

Sehr geehrter Herr Dr. Wilhelm,
Ihre Bemühungen, in der genannten Angelegenheit zu einer auch nach meiner Auffassung dringend gebotenen Versachlichung beizutragen, begrüße ich sehr. Ich komme deshalb Ihrer Einladung zu einem Gastkommentar gerne nach, auch wenn die Ausführungen Ihres Chefredakteurs in der Ausgabe vom 22.05.2015 („Geht’s noch? Rabauken in Richter-Roben“) mir diese Entscheidung nicht gerade erleichtern.

Da die Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und dem ebenfalls grundgesetzlich garantierten Recht der persönlichen Ehre andererseits überaus schwierig ist – die zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hierzu belegen dies eindrucksvoll -, ist eine ausgewogene, der Bedeutung der Sache angemessene und über Schlagworte hinausgehende Stellungnahme bei nur 1.500 „Textzeichen“ an sich nicht möglich.

Gleichwohl bin ich zu dem erbetenen Gastkommentar bereit, bitte allerdings um Verständnis, wenn dies unter dem Vorbehalt geschieht, dass Ihre Chefredaktion auf Kürzungen verzichtet, sofern ich den vorgegebenen Rahmen überschreite. Ich bitte ferner um Verständnis, dass ich zu Einzelheiten des laufenden Strafverfahrens gegen den angeklagten Journalisten keine Stellung nehme, sondern mich in dem anliegenden Gastkommentar nur allgemein zur rechtlichen Problematik in derartigen Fällen und zu Ihrer bisherige Berichterstattung äußere.

Gastkommentar des Generalstaatsanwalts:

Meinungs- und Pressefreiheit ja – aber nicht schrankenlos!

In Artikel 1 des Grundgesetzes heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Diese grundlegende Verpflichtung nehmen die Staatsanwaltschaften sehr ernst. Bestandteil der Menschenwürde ist gerade auch die persönliche Ehre.

Ein medialer Pranger ist mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Dementsprechend garantiert das Grundgesetz in seinem Artikel 5 Absatz 2 die Meinungs- und Pressefreiheit nicht unbegrenzt. Vielmehr finden diese Grundrechte ihre Schranken unter anderem ausdrücklich auch in dem Recht der persönlichen Ehre.

Dieser wesentliche Zusammenhang ist in der bisherigen Berichtserstattung – soweit ersichtlich – nicht angesprochen worden. Allenfalls nur am Rande erwähnt wird leider außerdem die
Tatsache, dass der umstrittene Artikel des ‚Nordkurier‘ auch Gegenstand eines Beschwerdeverfahrens vor dem Presserat war, der zuständige Beschwerdeausschuss die festgestellten
Verstöße gegen den Pressekodex einstimmig als schwerwiegend angesehen und deshalb eine Missbilligung ausgesprochen hat. Ich unterstelle, dass der ‚Nordkurier‘ der zudem vom Presserat
als Ausdruck einer fairen Berichterstattung empfohlenen Veröffentlichung dieser Missbilligung nachgekommen ist.

Nach der Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, Ermittlungen zu führen und, wenn diese einen ausreichenden Verdacht für eine Straftat begründen, den ermittelten
Sachverhalt grundsätzlich auch zum Gegenstand einer Verhandlung vor dem zuständigen Gericht zu machen. Das ist in dem diskutierten Strafverfahren geschehen, nachdem eine sorgfältige
Abwägung unter Berücksichtigung des hohen Gutes der Pressefreiheit einerseits und der Pflicht zum Schutz der persönlichen Ehre andererseits aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine –
auch strafbare – Überschreitung der Grenzen einer fairen Presseberichterstattung ergeben hatte.

Für diese Bewertung war selbstverständlich auch die Beurteilung, die der betreffende Artikel des ‚Nordkurier‘ durch den Presserat erfahren hat, nicht ohne Bedeutung. Jedenfalls
der Respekt vor den mit der Sache befassten Gerichten sollte Anlass genug sein, zunächst den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens abzuwarten. Erst dann wird seriös beurteilt werden
können, ob wirklich von einem nicht mehr hinnehmbaren Angriff auf die Pressefreiheit die Rede sein kann und Worte wie „Rabauken in Richter-Roben“ oder „Schaum vor dem Mund des Staatsanwalts“ noch eine angemessene Wahrnehmung berechtigter Interessen sind.

Jedenfalls sollten Vergleiche mit den beiden Diktaturen auf deutschem Boden, aus denen Staatsanwalt und Richterin („die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen“) angeblich
nichts gelernt haben, vermieden werden. Dafür sind die Umstände, die den ‚Nordkurier‘ zu seiner Berichterstattung über den „Rabauken-Jäger“ und „fiesen Wildschleifer“ veranlasst
haben, dann vielleicht doch zu banal.

Chefredakteure zur Rabauken-Affäre: „Post-diktatorische Unterdrücker-Mentalität“

Geschrieben am 8. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Mein Kommentar zur Rabauken-Affäre in Mecklenburg:

Danken wir Staatsanwalt und Richterin! Sie schreiben das Drehbuch für ein Lehrstück, das gerade im Osten unserer Republik mit Pauken und Flöten aufzuführen ist: Ohne die Freiheit der Presse, die die wichtigste Freiheit der Bürger ist, bleibt unsere Demokratie nicht lebendig. Diese Freiheit steht zwar weit vorne in unserer Verfassung, aber sie muss immer wieder zum Thema werden, erkämpft und verteidigt. Aber geht es überhaupt um die Pressefreiheit? Geht es nicht einfach um einen schwachen Artikel, wie der Presserat urteilt, der sich vom Staatsanwalt als Hilfstruppe benutzen lässt?

Man kann trefflich streiten, wie unglücklich die Vermischung von Nachricht und Meinung ist, wie hoch Persönlichkeitsrechte zu hängen sind – aber in der Rabauken-Affäre geht es um einen Grundsatz: Darf ein Staatsanwalt, darf eine Richterin nach eigenem Gusto über die Presse entscheiden? Kontrolliert der Staat die Journalisten? Oder die Journalisten den Staat? Das Grundgesetz gibt eine klare Antwort. Also warten wir, wenn nicht zuvor Vernunft einkehrt, auf unser Verfassungsgericht: Sein Spruch wäre ein würdiger Schlussakt im Rabauken-Lehrstück.

Diese Version steht online beim Nordkurier, der Schluss (ab: „aber in der Rabauken-Affäre…“) stand auch in der gedruckten Ausgabe vom Samstag, 6. Juni 2015.

So kommentierten andere Chefredakteure:

Michael Bröcker, „Rheinische Post“, Düsseldorf

Die Freiheit wird selten mit einem großen Knall, sondern schrittweise und schleichend eingeschränkt. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Öffentlichkeit schnell, klar und eindeutig gegen die verwunderliche Neuinterpretation der Meinungsfreiheit durch die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg stellt. Die Rheinische Post steht jedenfalls an der Seite der Redaktion des Nordkurier.

Andreas Ebel, Chefredakteur „Ostsee-Zeitung“, Rostock

Armes Deutschland! In MV gehen Strafverfolgungsbehörden gegen Journalisten vor, die kritisch berichten und kommentieren. Das ist ein Skandal. Der Presse- und Meinungsfreiheit ist es zu verdanken, dass wir in Freiheit und Frieden leben. Wir Journalisten informieren, kritisieren und decken auf. Ja, das ist manchmal unbequem und tut weh. Eine gleichgeschaltete, von Behörden beeinflusste Presse wäre der Untergang der Demokratie. Sehr geehrte Vertreter der Justiz, sehr geehrte Vertreter der Landesregierung – bitte beenden Sie diesen Unsinn.

Wolfram Kiwit, Chefredakteur der „Ruhr Nachrichten“

,Rabauken in Richterroben‘ hat Lutz Schumacher seinen Kommentar überschrieben. Dem schließe ich mich gerne an. Wer im Namen einer unabhängigen Justiz die Presse- und Meinungsfreiheit mit einer post-diktatorischen Unterdrücker-Mentalität einschränken und beschneiden will, schadet der Demokratie. Untergräbt unsere Freiheit. Und ist der Richterrobe nicht würdig. Ausziehen, hinsetzen, nachdenken, schämen. Die Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg scheint aus unserer Geschichte nichts gelernt zu haben. Ihr fehlt es offensichtlich an Demokratie-Verständnis. Der Nordkurier hingegen hat seine Wächter-Rolle verstanden. Das immerhin unterscheidet uns von ‚früher‘. Das war ein Meinungsbeitrag. Staatsanwaltliche Post bitte über den Nordkurier Briefdienst an Wolfram Kiwit.

Horst Seidenfaden, Chefredakteur „Hessisch-Niedersächsisch Allgemeine“, Kassel

Die Meinungsfreiheit, die uns das Grundgesetz garantiert, ist bisweilen für den, der sie ertragen oder gar unter ihr leiden muss, eine lästige Sache. Aber welch großartige Einrichtung stellt dieser Artikel unserer Verfassung doch für unser Leben in Freiheit und Demokratie dar. Die Medien, die täglich von ihr profitieren, pflegen sie und hegen sie – unsere Kunden, die Einwohner dieses Landes, schätzen das und nutzen die Chancen dieses Rechts in Leserbriefen, Online-Kommentaren. All das führt zu einem offenen Diskurs, der in der Regel weiter hilft.

Meinungsfreiheit ist also ein Segen, eine Säule für ein stabiles demokratisches System. Wenn Gericht und Staatsanwaltschaft abseits der Verfassung, die ja auch ihre Tätigkeit regelt, dieses Recht aushebeln, dann ist das der Versuch, einen Staat im Staate aufzubauen bzw. diesen Staat zu schädigen oder zu zerstören. Was ist also nun der eigentliche Verstoß? Freie Meinungsäußerung oder das Verbieten derselben?

Ralf Geisenhanslüke, Chefredakteur „Neue Osnabrücker Zeitung“

Warum läuten nicht bei allen Politikern und Juristen in unserem Land die Alarmglocken? Dreister und direkter kann der Angriff auf die Pressefreiheit nicht gefahren werden. Hier liegt die Vermutung nahe, dass jeder, der nicht eingreift oder sich vor die Pressefreiheit stellt, das Vorgehen gutheißt.

Michael Seidel, Chefredakteur „Schweriner Volkszeitung“

Als hätte sich die Justiz beim Wutbürgertum auf der Straße angesteckt. Die unselige Lügenpresse-Diktion, die oft eher den Boulevard oder den Diskussionsstil von Nicht-Journalisten in sozialen Medien meint, verlagert sich zusehends in Gerichtssäle, scheint mir. Journalisten konnten sich noch nie rühmen, zu einer besonders beliebten Berufsgruppe zu gehören. Lästig sind wir, stellen hartnäckig unbequeme Fragen, suchen ‚das Haar in der Suppe‘, pirschen uns notfalls durch die Hintertür wieder zum Ort des Geschehens, wenn wir zur Vordertüre rausgeflogen sind – kurzum, wir sind schon ein ziemlich unsympathischer Berufsstand. Andererseits wird von uns erwartet, dass wir den Mächtigen auf die Finger schauen und bei Fehlverhalten auch (verbal) hauen. Wir gehen mit diesem Gegensatz professionell um.

Wenn Richter und Staatsanwälte sich jetzt aber anheischig machen, das Niveau einer Zeitung bestimmen zu wollen, widerspricht dies diametral dem Grundgedanken der Pressefreiheit, die übrigens die Zulassungsfreiheit einschließt: Jeder, der das Geld dafür hat, darf ein Medium gründen – egal welcher ideologischen, politischen, weltanschaulichen oder ggf. sogar sexuellen Ausrichtung dieses Medium sein soll. Pressefreiheit bedeutet nach landläufiger Auffassung – zumindest außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns und seit Abschaffung der Sozialistengesetze 1890 sowie dem Ende der beiden deutschen Diktaturen – dass Ausrichtung, Inhalt und Form des Presseerzeugnisses frei bestimmt werden können. Sie gilt gleichermaßen für „seriöse Presse“ wie für Boulevardmedien.

Stefan Hans Kläsener, Chefredakteur „Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag“, Flensburg

Als ich vor 25 Jahren (zu Nachwende-, aber noch DDR-Zeiten) in Mecklenburg arbeitete, hätte ich mir in den pessimistischsten Träumen nicht vorstellen können, dass es einmal so weit kommt. Zu Recht wird die so genannte Vierte Gewalt immer mal kritisiert. Wenn die Dritte sich aber an der Vierten vergreift, geht es an die Wurzeln des Grundgesetzes. Ich bin sprachlos, dass die Politik das so hinnimmt. Das wäre mal ein Betätigungsfeld für den West-Ministerpräsidenten und die Ost-Bundesministerin!

Manfred Sauerer, Chefredakteur „Mittelbayerische Zeitung“, Regensburg

Wenn schon Staatsanwaltschaften und Richter(innen) die besondere Bedeutung der Meinungsfreiheit und die Schutzwürdigkeit der Presse nicht (mehr) erkennen, bleibt eigentlich die Hoffnung auf die Politik. Die war in diesem Fall aber offenkundig vergeblich. Die Justizministerin hätte eines machen müssen: die Sache möglichst geräuschlos kassieren. Hat sie aber nicht – und nun darf ermittelt werden. Was eigentlich? Dass Lutz Schumacher Chefredakteur des Nordkurier ist? Richtig! Dass er Journalist ist? Richtig? usw.

Die Sache ist so bizarr und unglaublich, dass man sich eigentlich gar nicht vorstellen kann, Mecklenburg-Vorpommern sei Teil eines Staates mit einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ist es aber – jedenfalls in der Theorie. Insofern sollte mitermittelt werden, ob hier von offiziellen Organen das Grundgesetz verletzt wird. Aber das macht hoffentlich am Ende das Bundesverfassungsgericht.

Jan Emendörfer, Chefredakteur „Leipziger Volkszeitung“, Leipzig

Ich finde den Begriff Rabauken-Jäger fast noch schmeichelhaft, wenn man dazu Synonyme wie etwa Rüpel, Flegel oder Grobian in Betracht zieht. Der Autor hätte auch vom Kadaverschänder schreiben können … Es bleibt die Frage: Haben Gerichte und Staatsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern keine anderen Sorgen? Die Kriminalitätsstatistik mit Raub, Diebstahl, Erpressung und schlimmeren Delikten bietet eine große Angriffsfläche, an der Ermittler sich abarbeiten können. Der Versuch, eine Zeitung mundtot zu machen, muss scheitern und geht nach hinten los, wie das bundesweite Medienecho im Fall Nordkurier nun zeigt.

Aus den Kommentaren der Leser:

Haben sich die Chefredakteure gut überlegt, ob sie sich solidarisch auf die Seite von Straftätern stellen dürfen ? Nicht, daß sie vom AG Pasewalk noch als geistige Mittäter belangt werden… Den Chefredakteuren ist ohne weiteres zu bestätigen, daß sie sich im Presserecht auskennen, aber darüber hinaus wird auch noch deutlich, was sie von der Justiz (zu Recht) halten: In diesem konkreten Fall – nichts Positives. Also heißt es für die Zukunft aufzupassen, dass Bürger in Erfüllung ihrer Berufspflichten nicht noch belangt werden dafür, dass sie die Wahrheit sagen und schreiben. Denn dann sind wir wieder bei einer Gesinnungsjustiz…

**

Ich kann es nicht mehr hören. Hier ist nicht die Meinungsfreiheit in Gefahr, sondern Euer Ton. Rabauke ist ein Schimpfwort. Ich kann mich noch an einen Fall im letzten Jahr erinnern, da ging es um „Frauenschläger“. Davor habt ihr immer wieder mit Häme berichtet, wenn es gegen die NPD ging. Damals ging es um „Gesinnungsextremistin“. Jetzt seid ihr selbst mal dran und siehe da, das Geschrei ist groß.

**

„Man wird doch mal sagen dürfen … “ – so ist eine doppelseitige Solidaritäsbekundung heute im Nordkurier betitelt. Ich meine: Nee – „Rabauken in Richter-Roben“ darf man eben nicht „mal sagen“. Das ist schlichtweg beleidigend, und alleine deshalb nicht tolerabel. Als Rechtfertigung für eine solch geschmacklose Unverschämtheit die Meinungs- und Pressefreiheit heranzuziehen, zeigt doch nur, dass der Mann (und offensichtlich auch der ein oder andere seiner Kollegen) völlig die Bodenhaftung verloren hat. Bezüglich der Frage, ob in diesem konkreten Fall ein Straftatsbestand zu konstatieren ist, vertraue ich auf unseren Rechtsstaat. Unabhängig davon wäre eine Entschuldigung Schumachers gegenüber den „Robenträgern“ das Mindeste. Aber auch das ist eine Frage von Kinderstube und Anstand. Zumindest letzteren kann man sich erschließen und zu eigen machen – oder eben auch nicht.

**

Ständig ziehen sie Leute Firmen und Personen durch den Dreck. Jetzt geht es ihnen an den Kragen, da ist alles schlimm. Ich sage: Verdammt richtig so. Die müssen doch erst Gehirn einschalten und dann schreiben. Und nicht schreiben und bei Gegenwehr jammern. Und sie jammern richtig :-))) Wie Peinlich :-)))) PS.

**

Es ist schade wie einige versuchen, bei diesem brisanten Thema ihre „offene Rechnung“ mit der vermeintlichen „Lügenpresse“ zu begleichen, ohne dabei zu merken, dass es um ihre eigenen Grundrechte geht. Nein, mit einem „in den Dreck ziehen“ von Personen oder Firmen hat eine investigative, kritische Berichterstattung – wie sie täglich im Nordkurier und Uckermark Kurier passiert – nichts gemein. Im Gegensatz zu Juristen, Politikern und hinter Nicknamen versteckten Kommentatoren halten die Reporter täglich mit offenem Visier ihren Kopf hin, nicht in irgendwelchen Hinterzimmern, an Stammtischen, sondern Schwarz auf Weiß nachzulesen. Und sie bekommen diesen (ihren Kopf) auch gründlich gewaschen, wenn ihnen dabei ein Fehler passiert (und wer ist schon fehlerfrei). Nicht den Reportern geht’s bei dem aktuellen Urteil an „den Kragen“, sondern der Meinungsfreiheit und einer unabhängigen, pluralistischen Berichterstattung, die die Leserinnen und Leser zu Recht von ihrer Zeitung erwarten. „Das möchte ich lieber nicht öffentlich sagen, schon gar nicht mit meinem Namen.“ Einen Satz, den die Redakteure in der Region wieder zunehmend bei ihren Recherchen zu hören bekommen. Genau gegen diese Angst schreiben sie täglich mutig an.

Wer ist ein Rabauke? (Ein „Friedhof der Wörter“ zur Freiheit von Meinung und Presse)

Geschrieben am 1. Juni 2015 von Paul-Josef Raue.

Was Franz Beckenbauer in Deutschland ist, war der Trainer Luis Aragones in Spanien: Eine Fußball-Legende, vier Mal Meister, vier Mal Pokalsieger – und mit der Nationalelf Europameister durch einen Final-Sieg gegen Deutschland.

Als er vor gut einem Jahr starb, schrieb die Deutsche-Presseagentur: „Für die einen galt er als Rabauke, für die anderen als Kauz – geliebt haben sie ihn fast alle in Spanien“.

Als der Gewerkschafts-Führer Weselsky vor Pfingsten zum neunten Streik aufrief, nannte ihn die Börsen-Zeitung einen Rabauken. Eine Beleidigung?

Die Lexika sehen in einem Rabauken einen Rüpel, die Wörterbücher verweisen auf den Ursprung: „Rabau“, der Schurke, im Niederdeutschen; „Ribaud“, der Lotterbube, im Französischen und „Ribaldus“, der Landstreicher, im Lateinischen. Rabauke – eine Beleidigung?

Nein, ein Wort aus der Umgangssprache, nicht gerade zärtlich gemeint, aber weit entfernt von einer Beleidigung. Der CDU-Fraktions-Chef in Mecklenburg sieht das ähnlich: Kein Begriff mit beleidigendem Inhalt.

Die Politiker in Mecklenburg haben einen Grund, sich über Rabauken Gedanken zu machen: Sie schütteln, durch alle Fraktionen, den Kopf über eine Amtsrichterin in Pasewalk, die einen Reporter des Nordkurier zu 1000 Euro Geldstrafe verurteilt hat – weil er einen Jäger einen Rabauken nannte.

Der Jäger hatte ein totes Reh an die Anhänger-Kupplung seines Wagens gehängt und über die Bundesstraße gezogen. Als das Foto im Internet auftauchte, empörten sich viele.

Der Jäger empörte sich, als Rabauke tituliert zu werden, erstattete Anzeige und bekam Recht: Ein Kind könne man noch als Rabauke betiteln, urteilte die Richterin, ein Erwachsener müsse sich eine solche pfeffrige und scharfe Formulierung nicht gefallen lassen. Das ließ sich der Chefredakteur des Nordkurier nicht gefallen:

Die Meinungs- und Pressefreiheit „schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch“.

Jetzt empörte sich der Staatsanwalt – und erstattete Anzeige. Wer ist nun der Rabauke?

**

Thüringer Allgemeine, Friedhof der Wörter, 1. Juni 2015

 

 

Pressefreiheit mit Rabauken: Jagdszenen aus Mecklenburg

Geschrieben am 30. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Das Bundesverfassungsgericht bekommt einen neuen Fall – hoffentlich. Eine Amtsrichterin in Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) hat den Nordkurier-Redakteur Thomas Krause zu einer 1000-Euro-Geldstrafe verurteilt, weil er sich – so der Nordkurier – „angeblich in der Wortwahl vergriffen habe, als er über den gefühllosen und ethisch verwerflichen Umgang eines Jägers mit einem Tier berichtete“. Die „Wortwahl“ bezieht sich vor allem auf das Wort „Rabauke“.

Nach dem Kommentar „Rabauken in Richter-Roben“ des Chefredakteurs Lutz Schumacher zu diesem Urteil hat der Oberstaatsanwalt Anzeige wegen Beleidigung erstattet. Davon erfuhr Schumacher aus einer Pressemitteilung des Sprechers des Oberstaatsanwalts. Schumacher reagiert im Nordkurier:

Die Staatsanwaltschaft entlarvt sich in ihrer Pressemitteilung selbst. Sie wollte offenbar gar nicht nur gegen das Wort ‚Rabauke‘ vorgehen, sondern in Missachtung unseres Grundgesetzes den gesamten Nordkurier-Artikel zensieren. Solche Juristen sind Feinde der Meinungs- und Pressefreiheit.

Die Chronik:

Rabauke Foto3. Juni 2014 Der Artikel „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“ erscheint im Nordkurier. Reporter Thomas Krause berichtet über einen Ueckermünder Jäger:, der ein totes Reh an der Anhängerkupplung seines Autos über die Bundesstraße 109 gezogen hatte. Anlass der Recherche ist ein Foto, das in den sozialen Netzwerken die Gemüter erregt. Der Nordkurier stellt nach Recherche fest: Das Bild ist echt, der Vorfall unbestritten. (Wortlaut des Artikels: Siehe unten)

Der Jäger stellt nach Erscheinen des Artikels Anzeige.

Juli 2014 Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein; der Jäger legt Beschwerde ein.

Sommer 2014 Die Jagdbehörde eröffnet Verfahren zum Entzug des Jagdscheins, weil „Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit“ verletzt worden sind. (Quelle FAZ)

2. Dezember 2014 Der Beschwerdeausschuss 2 des Presserats spricht eine Missbilligung aus, nachdem er eine Reihe von Artikeln zu dem Jäger-Fall ausgewertet hatte; der Nordkurier-Beitrag mit seiner Rabauken-Überschrift spielte keine hervorgehobene Rolle. Oliver Schlappat, Referent des Presserats, in einer Mail an den FAZ-Redakteur Jochen Zenthöfer:

Die Beschwerde wurde schließlich als begründet bewertet, weil in den Artikeln der Jäger so beschrieben worden war, dass er durch die Berichterstattung identifiziert werden konnte. Dies hat der Beschwerdeausschuss als Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex beurteilt (Schutz der Persönlichkeit). Darüber hinaus hat der Beschwerdeausschuss mindestens die Formulierung „fieser Wildschleifer“ als ehrverletzend angesehen.

Der Presserat habe nicht über den Artikel und die Überschrift „eine dezidierte Entscheidung“ getroffen – im Gegensatz zur Behauptung des Oberstaatsanwalts in einer Pressemitteilung.

Dezember 2014 Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren wieder ein; der Jäger legt wieder Beschwerde ein.

2. Februar 2015 Der Generalstaatsanwalt weist die Staatsanwaltschaft nach erneuter Prüfung an, noch einmal Ermittlungen aufzunehmen (Quelle: Nordkurier unter Bezug auf Generalstaatsanwalt).

Mai 2015 (Woche 21) Eine Amtsrichterin in Pasewalk verurteilt den Redakteur zu einer Geldstrafe von 1000 Euro, nachdem der Reporter einen Strafbefehl nicht akzeptiert hatte. Laut Nordkurier begründet sie, „dass man ein Kind noch als Rabauke betiteln könne, ein Erwachsener sich eine solche Formulierung aber nicht gefallen lassen müsse. Der Berichtsauftrag rechtfertige eine so ,pfeffrige und scharfe‘ Wortwahl nicht.“

21. Mai 2015 Der Nordkurier berichtet über die Verhandlung. Chefredakteur Schumacher kommentiert „Rabauken in Richter-Roben“, darin:

Zwar heißt es im Artikel 5 unserer Verfassung unmissverständlich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ – doch das schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch

27. Mai 2015 Die FAZ zitiert Chefredakteur Lutz Schumacher, der „Einschüchterungsversuche“ der Staatsanwaltschaft in den vergangenen Monaten beklagt und auf Ermittlungen verweist wegen Verleumdung und Geheimnisverrat, das waren Berichte aus nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen:

Die hiesige Staatsanwaltschaft ist übereifrig, man begreift dort nicht die verfassungsrechtlich geschützte Stellung der Presse. Dieser permanente Terror kann bei meinen Mitarbeitern eine Schere im Kopf verursachen, nach dem Motto: Dann berichten wir eben nicht mehr alles.

27.Mai 2015 Stefan Ludmann berichtet auf NDR-1 von Reaktionen auf das Urteil, das bei Politikern Kopfschütteln ausgelöst hat:

> Stefanie Drese, Rechtexpertin der SPD-Fraktion: Eine Richterin kann sich nicht als „Zensorin der Medien“ aufschwingen: Hinter der vermeintlichen Justizposse zeigt sich eine gefährliche Denkweise, die die Meinungsfreiheit angreift.

> Vincent Kokert, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion: Das Wort Rabauke ist dem Sprachgebrauch in Mecklenburg-Vorpommern nach kein Begriff mit beleidigendem Inhalt. Angesichts des Verhaltens des Jägers ist das Wort sogar noch geschmeichelt, da ließen sich schlimmere Wörter finden.

> Helmut Holter, Chef der Fraktion Die Linke: „Rabauken-Jäger“ ist von der Meinungsfreiheit voll gedeckt, der Jäger müsse sich fragen lassen, ob er angesichts seines rüden Verhaltens den Titel Jäger noch tragen sollte.

> Jürgen Suhr, Vorsitzender der Grünen-Fraktion: Ich bin froh, wenn Journalisten kritische Vorgänge gut lesbar aufarbeiten. Es wäre ein falsches Zeichen, wenn sich Journalisten durch ein solches Urteil verunsichert würden.

> Der Presserat bleibt einsam in seiner Einschätzung und erkennt keine Gefährdung der Pressefreiheit. Sprecher Oliver Schlappat spricht von einer sehr hitzigen Diskussion und appelliert an die Verantwortung der Medien: Es ist in dem Prozess kein Thema gewesen, ob die Zeitung über den Fall berichten durfte oder nicht. Journalisten müssen rechtliche und ethische Grenzen beachten. Wenn die Grenze zur Beleidigung oder Schmähkritik überschritten wird, so findet die Meinungsfreiheit darin ihre Grenzen.

BILD Rabauke Nordkurier28. Mai 2015

Die Bildzeitung berichtet über das Urteil und druckt den Artikel als Faksimile ab.

 

 

 

 

 

Rabauken Staatsanwalt PM29.Mai 2015

In einer Pressemitteilung gibt der Oberstaatsanwalt in Neubrandenburg bekannt, er habe Anzeige wegen Beleidigung erstattet gegen Nordkurier-Chefredakteur Schumacher.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Undsoweiter Lutz Schumacher wird voraussichtlich mit Presserechts-Anwalt Professor Johannes Weberling in die weiteren juristischen Händel gehen.

 

**

Die Nordkurier-Artikel am 21. Mai 2015 im Wortlaut:

Zum Abschuss freigegeben

Ein Nordkurier-Redakteur wurde in dieser Woche vom Pasewalker Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Grund: Er hat sich angeblich in der Wortwahl vergriffen, als er über den gefühllosen und ethisch verwerflichen Umgang eines Jägers mit einem Tier berichtete.

Erst schleifte er ein Reh an der Anhängerkupplung über die Bundesstraße, jetzt zerrte er den Nordkurier vor Gericht: Der Mann, der als Wildschleifer von Vorpommern bundesweit traurige Berühmtheit für seine Rohheit im Umgang mit einem verendeten Tier erlangte, ist auf einmal sehr sensibel, wenn es um ihn selbst geht. Der Mann fühlte sich durch unsere Berichterstattung zu dem Fall und die Reaktionen darauf in der Jägerschäft und bei unseren Lesern in seiner Ehre verletzt. Er wandte sich aber nicht an den Nordkurier, um seine Sicht der Dinge vorzutragen und eine ergänzende Berichterstattung zu ermöglichen. Im Gegenteil, er blockte alle Versuche einer Kontaktaufnahme ab. Um dann, als sich die Wogen schon etwas geglättet hatten, Strafanzeige wegen Beleidigung gegen einen einzelnen Redakteur unseres Hauses zu stellen.

Gerichtliche Auseinandersetzungen sind für den Nordkurier natürlich nichts Neues. Wer die Dinge klar beim Namen benennt, auch strittige Themen engagiert angeht und dabei deutlich Stellung bezieht, provoziert natürlich auch Widerspruch. Und stellt sich dem gerne in presserechtlichen Verfahren, in denen noch einmal auf den Prüfstand kommt, ob die Redaktion ihrer Pflicht zur Sorgfalt und Wahrhaftigkeit nachgekommen ist. Das ist beim „Spiegel“ nicht anders als bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und eben auch beim Nordkurier.

Unwaidmännisches Verhalten

In diesem Fall war es allerdings anders – und für die ganze Branche höchst untypisch. Jetzt wurde nicht um die Wahrheit gestritten, sondern mit den Mitteln des Strafrechts gegen unseren Reporter Thomas Krause und eine einzige Formulierung vorgegangen. Es ging um den Begriff „Rabauken-Jäger“, durch den sich der Wildschleifer angeblich aufs Höchste gekränkt fühlte. Jäger ist der Mann schon einmal, das steht fest, zumindest hatte er einen Jagdschein und ein eigenes Jagdrevier. Der Jagdverband allerdings würde ihn nicht Jäger nennen wollen. Zu unethisch und unwaidmännisch fand man dort sein Verhalten, das im Juni 2014 durch ein Foto dokumentiert wurde. Darauf sah man, wie ein verendetes Reh an der Anhängerkupplung über die Bundesstraße 109 geschleift wurde. Das Foto geisterte durch soziale Netzwerke im Internet, binnen 24 Stunden konnte der Nordkurier dann Zeugen auftreiben und die Herkunft des Fotos klären. Das Bild war echt, der Vorfall hatte sich tatsächlich so zugetragen und wird bis heute nicht bestritten. Der Nordkurier veröffentlichte daraufhin das Bild und ging der Frage nach, ob ein Jäger sich so verhalten darf.

Darf er nicht. „Es widerspricht allen ethischen und moralischen Wertvorstellungen, die wir mit der Jagd verknüpfen“, erklärte Kreissprecher Achim Froitzheim dazu. Der Beitrag im Nordkurier schlug hohe Wellen, in der Redaktion gingen viele Leserkommentare dazu ein, im Internet machten sich empörte Tierfreunde Luft. Auch darüber berichtete der Nordkurier. Und weil die Kommentare einhellig die Rohheit und Gefühllosigkeit eines solchen Umgangs mit einem Tier zum Thema hatten und den rabiaten Pragmatismus dieses „Jägers“ aufs Korn nahmen, erschien dieser Beitrag am 3. Juni unter der Überschrift „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“. Nach Meinung unseres Reporters und auch der Redaktion wurde so das Verhalten des Wildschleifers auf den Punkt gebracht.

Abrechnung mit den Medien

Seiner Meinung nach nicht. Er suchte aber wie gesagt nicht die Auseinandersetzung mit dem Nordkurier, er kämpfte auch nicht für seine Sicht auf die Ereignisse, sondern zeigte den Kollegen wegen Beleidigung an. Nun also der Prozess vorm Pasewalker Amtsgericht. Und dort staunten die Prozessbeobachter nicht schlecht, als es auch hier nicht um das Verhalten des Wildschleifers ging, sondern der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gegen die Medien allgemein und den Nordkurier speziell zu Felde zog. Da ging es nicht mehr um den „Rabauken-Jäger“, sondern da gab es eine Generalabrechnung mit dem ganzen modernen Medienbetrieb. Zu laut, zu schnell, zu plakativ. Die wahren Rabauken, so klang das unterm Strich, sind die Journalisten.

Die Richterin wollte ebenfalls nicht gelten lassen, dass eine Zeitung die Dinge im Sinne der Meinungsfreiheit auch deutlich benennen darf. Selbst wenn ein Reporter ein Verhalten als unangemessen charakterisieren wolle, dürfe er dazu keine derartigen Formulierungen benutzen. Konkret führte sie aus, dass man ein Kind noch als Rabauke betiteln könne, ein Erwachsener sich eine solche Formulierung aber nicht gefallen lassen müsse. Der Berichtsauftrag rechtfertige eine so „pfeffrige und scharfe“ Wortwahl nicht.
Reporter soll 1000 Euro zahlen

Da half es auch nicht viel, dass der Nordkurier-Anwalt ausgeführt hatte, dass sogar die hochseriöse Börsen-Zeitung GdL-Chef Weselsky als Rabauken bezeichnet hatte. Der könne ja auch klagen, ließ die Richterin wissen und machte sich, anders als der Nordkurier, keine großen Sorgen, welche Auswirkungen das auf die Pressefreiheit haben könnte. Ihrer Meinung nach rechtfertige auch der Berichterstattungsauftrag diese Wortwahl nicht. Und weiter: „Ich wäre auch erbost, wenn ich als Rabauken-Richterin bezeichnet werden würde.“ Im Ergebnis erkannte sie auf schuldig.

1000 Euro soll Nordkurier-Reporter Krause jetzt zahlen. Aber noch im Gerichtssaal kündigte der Nordkurier-Anwalt an, gegen dieses Urteil Rechtsmittel einzulegen. Und unser Kollege erklärte, dass er die Nordkurier-Berichterstattung nach wie vor für angemessen und wahrheitsgemäß halte.

**

Schumacher-Kommentar nach der Verurteilung des Redakteurs:

Rabauken in Richter-Roben

Das Grundgesetz gilt eigentlich in ganz Deutschland. Im Amtsgericht Pasewalk und bei der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg scheint das wichtigste deutsche Gesetz jedoch irgendwie verschludert worden zu sein. Zwar heißt es im Artikel 5 unserer Verfassung unmissverständlich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ – doch das schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch. Sie meinen allen Ernstes, es sei Sache von Strafgerichten zu entscheiden, was und in welchem Tonfall die Presse zu berichten habe.

Dieses Land hat zwei Diktaturen hinter sich und leider auch eine entsprechend fürchterliche Justizgeschichte. Die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen haben daraus nichts gelernt. Vielleicht wäre es ihnen genehm, wenn der Nordkurier seine Artikel künftig den Behörden vorab zur Begutachtung vorlegt – war doch früher auch schon so. Und den Nachsatz im Artikel 5 des von Rabauken in Richter-Roben vergessenen Grundgesetzes – „Eine Zensur findet nicht statt“ – vergessen wir halt auch.

In Mecklenburg-Vorpommern will die Justizministerin im Rahmen einer Justizreform kleine Amtsgerichte auflösen. Der Nordkurier steht diesem Plan bislang eher kritisch gegenüber. Amtsgerichte, die offenen Verfassungsbruch begehen und die Meinungen von Journalisten bewerten und bestrafen wollen, sollten allerdings wirklich schleunigst dichtgemacht werden. Damit das Grundgesetz künftig auch wieder in unserer Region gilt. Ich freue mich in diesem Zusammenhang bereits jetzt auf Post: Lieber Staatsanwalt, auch dieser Kommentar dürfte Ihnen nicht schmecken. Bitte schicken Sie Ihre Ladung aber wenigstens mit dem Nordkurier-Briefdienst.

**

Oberstes Verwaltungs-Gericht gegen die Pressefreiheit

Geschrieben am 18. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Der ehemalige thüringische Innenminister Christian Köckert wird vom Landgericht Meiningen wegen Vorteilsnahme zu einer Strafe auf Bewährung verurteilt. Doch die Presse bekommt den Tenor des Urteils nicht: Das Handelsblatt hat die Herausgabe verlangt, das Landgericht hat sie verweigert, das Meininger Verwaltungsgericht hat die Herausgabe angeordnet (in einer anonymisierten und neutralisierten Fassung), das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat die Anordnung wieder kassiert mit der Begründung: Eine Veröffentlichung könne Zeugen im weiteren Verlauf der Revision beeinflussen.

Diese Entscheidung ist eine massive Einschränkung der Pressefreiheit. Gestern (17. März 2015) hat der Bundesgerichtshof die Revision verworfen: Der Ex-Innenminister ist wegen Bestechung rechtskräftig verurteilt. Damit ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zwar unbedeutend geworden, aber die grundsätzliche Entscheidung bleibt ein Skandal: Kann ein Gericht den Artikel 5 des Grundgesetzes aushebeln.

Offenbar hat der BGH darüber nicht verhandelt; es gibt zur Zeit nur eine Pressemitteilung und noch nicht das komplette Urteil. Im Zweifel sollte das Handelsblatt bis zum Verfassungsgericht gehen.

**

Quelle: Handelsblatt vom 17. März 2015

Ein Hauch von Anarchie – Vor 25 Jahren: Die Eisenacher Presse war die erste deutsch-deutsche Zeitung

Geschrieben am 8. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Im November 1989 fiel die Grenze auch zwischen Thüringen und Hessen. Zwei Monate später fuhr ein Lieferwagen aus dem Westen im strömenden Regen über einen kleinen Grenzübergang an der Werra, durch eine Landschaft aus engmaschigen Zäunen und Wachtürmen. Für die Grenzer waren einige Flaschen Wodka eingepackt worden und unter dem Fahrersitz versteckt: Bestechungs-Trunk, es sollte schnell gehen. Doch die Grenzer wollten nur eines der Zeitungspakete, die als Schmuggelware auf der Ladefläche lagen, gedruckt in Marburg, der Partnerstadt von Eisenach.

Es war noch dunkel, auf der Stadt lag der gelb-graue Winterdunst. Der Markt-Platz war rappelvoll, ein Meer aus Regenschirmen. Eine Demonstration? Gegen eine mögliche Schließung des Automobilwerks, in dem der Wartburg gebaut wird? Gegen die alten Genossen?

Es war jedenfalls kein Durchkommen. Der Fahrer des Lieferwagens wollte schon umdrehen, als sich die Menge wie auf einen Ruf hin in Bewegung setzte. Was jetzt passierte, rührte alle Beteiligten zu Tränen: Die Eisenacher hatten stundenlang im Regen auf die Zeitung gewartet, sie waren hungrig auf Nachrichten und Kommentare, die weder einer der Mächtigen lenkte noch zum Zwecke der Propaganda drucken ließ. Sie umlagerten den Lieferwagen, sie wollten nur eins: die Zeitung, die eine richtige Zeitung ist.

Erste Ausgabe der Zeitung war schnell vergriffen

Die Eisenacher waren schon in der Dämmerung auf den Marktplatz geströmt, weil eine Woche zuvor, am 18. Januar 1990, die erste Ausgabe der Eisenacher Presse schnell vergriffen war und sich nicht jeder ein Exemplar einstecken konnte. Schon nach wenigen Wochen war in Thüringen die Auflage der Zeitung höher als die Auflage im heimischen Westen. Die Redaktion mietete einen Raum im „Haus der Dienste“ an, weil es dort ein funktionierendes Telefon gab. Allerdings brach die Leitung immer wieder zusammen, wenn man die Computer-Daten nach Marburg übertragen wollte.

So speicherten die Redakteure ihre Artikel und Fotos auf Disketten und fuhren abends über die Grenze nach Herleshausen, wo sie in einem Einfamilienhaus ein kleines Zimmer gemietet hatten. Dort wurden die Daten mit einem Akustik-Koppler via Telefon an die Druckerei nach Marburg gesendet.

In der Redaktion in der Friedrich-Engels-Straße saßen Journalisten aus dem Westen zusammen mit Journalisten aus dem Osten. Für Konzepte und lange Konferenzen war keine Zeit; statt Marketing-Strategien war Spontanität gefragt. Es war eine bunte Truppe. Von denen, die schon in der ersten Stunde dabei waren, wurden zwei später Chefredakteure, einer in Hanau, einer an der holländischen Grenze; andere sind zum Fernsehen gegangen oder als Pressesprecher geblieben – und die Journalistin, die über einen Zitronen-Skandal auf der Müllkippe schrieb, verkauft heute Wasserbetten.

Schnell sprach sich herum, dass die Zeitung aus der Partnerstadt eine Redaktion eröffnet hatte. Zu Dutzenden standen Bürger in dem stickigen kleinen Raum, in dem im Westen kein Redakteur arbeiten würde. Es war gut, dass die Bürger kamen, denn das Telefon war kaum eine Hilfe. Die Zentrale, welche die Gespräche vermittelte, residierte im Keller und war nur stundenweise besetzt, nach 16 Uhr überhaupt nicht mehr.

In den beiden ersten Ausgaben hieß die neue Zeitung noch Oberhessische Presse – Wochenzeitung für Eisenach, schon im Februar gab es den neuen Zeitungsnamen Eisenacher Presse, der etliche Besitzerwechsel überdauern sollte. Heute gehört die Eisenacher Presse zur TLZ, die in Weimar herausgegeben wird.

Redaktion druckte das „Tagebuch der Revolution“

Worüber schrieben die Redakteure in der neuen Zeitung:

> Willy Brandts Besuch auf dem Marktplatz, bejubelt von 20 000 Menschen;
> die ersten Gewerbe-Genehmigungen;
> die Dreck-Luft in Eisenach, das Verkehrs-Chaos und Giftschlamm auf der Hausmüll-Deponie;
> die Zukunft des „Wartburg“, des Automobil-Werks und seiner Arbeiter;
> die Arroganz der Westdeutschen, die mit ihrem Geld protzen;
> Zitronen, die wegen Verteilungs-Pannen auf die Moosewald-Müllkippe weggeworfen wurden – und das in einem Land, in dem man Südfrüchte nur aus dem West-Fernsehen kannte;
> Hunderte von Anzeigen, in denen Eisenacher und Marburger Kontakt zueinander suchten, Arbeit oder Unterkunft.

Der erste Roman, den die Eisenacher Presse druckte, ist Monika Marons „Flugasche“, der in der DDR nicht erscheinen durfte und der die Geschichte einer Werkszeitungs-Journalistin in Bitterfeld erzählt.

Die erste Kolumne bekam die Eisenacherin Margot Friedrich mit ihrem „Tagebuch der Revolution“, das wenig später als Buch gedruckt wird. „Manchmal denke ich, eine Epoche beginnt zu schwanken“, schrieb die Eisenacher Journalistin.

In den Zeitungen machte sich in den letzten Monaten der DDR eine Spielart der Anarchie breit, wie es sie nur in revolutionären Zeiten gibt. Um die Pressegesetze der DDR kümmerte sich kaum einer. Die westdeutschen Journalisten kannten sie nicht, die Ostdeutschen waren froh, endlich einmal alles schreiben zu können. Wer heute wie damals lange Namens-Listen von Stasi-Spitzeln druckte, würde monatelang mehr Stunden im Gericht als in der Redaktion verbringen.

Diese ostdeutsche Anarchie machte sich nicht nur im Journalismus breit. So berichtete die Eisenacher Presse im März 1990 über Händler, die in Eisenach Kiwis und Ananas nur gegen D-Mark verkauften. Das ist verboten, sagte die „Stellvertreterin für Handel und Versorgung im Rat des Kreises Eisenach“. Eine Ordnungsstrafe bis zu 500 Mark, offenbar Währung der DDR, drohte. Nur, so schränkte die Stellvertreterin ein: „Bis zum heutigen Tag ist noch niemand für so etwas belangt worden – und übermorgen können die Rechtsvorschriften vielleicht schon ganz anders sein.“

Keiner klagte an, keiner beschwerte sich. Das Volk war so forsch, geradezu übermütig, wie die Journalisten – etwa wenn es um die Abrechnung mit den lokalen Mächtigen ging, die sich den DDR-Alltag vergoldet hatten. Das ist eine von vielen Geschichten, wie sie in der Eisenacher Presse stand:

In einem Dorf nahe Eisenach warfen die Bürger dem Bürgermeister Amts-Missbrauch und Korruption in vierzig Fällen vor. Was für eine Szene! Kein Drehbuch-Autor könnte sie erfinden, sie war nur möglich in der Aufbruch-Stimmung einer revolutionären Zeit. Die Kriminalpolizei lud die Bewohner des Dorfes Unkeroda in einen großen Saal und berichtete von den Ermittlungen gegen ihren ehemaligen Bürgermeister, allerdings mit einem für die hundert Zuhörer unbefriedigenden Ergebnis: Für eine Strafverfolgung fehlten die rechtlichen Grundlagen.

Die Leser schrieben sich die Vergangenheit von der Seele. Wochenlang lief die Serie „Leben unter Hammer & Zirkel“, wo die Qual der Erinnerung zu spüren ist – Erinnerungen aus einer Zeit, als kaum einer es wagte, etwas aufzuschreiben und aufzubewahren.

Landrat verpasste seinen Leuten einen Maulkorb

Monatelang hemmte keine Bürokratie und kein Bürokrat die Recherche der Journalisten, und schnell machten die ostdeutschen Journalisten mit. Doch schon am 31. Oktober 1990 – wenige Tage nach der Einheit – berichtete die Eisenacher Presse über den ersten Maulkorb-Erlass aus dem Landratsamt.

Der Landrat verfügte, dass künftig jede Stellungnahme aus seinem Haus über seinen Tisch zu gehen hatte. Vergebens empörten sich die Mitarbeiter, vor allem die leitenden: „Das ist ja schlimmer als in früheren Zeiten“. Der Landrat pochte auf sein Recht als Chef des Hauses.

Doch nicht allein Affären, Missstände und die Skandale prägten die ersten Monate. Das Leben war nicht traurig, die Eisenacher Presse berichtet von der neuen Lust am Konsum und der Lust am Reisen.

Kiloweise Bananen und zehn Stunden Wartezeit bei der Anmeldung des neuen Autos, der erste Tchibo-Stehausschank, gleich von Tausenden gestürmt – und die Kehrseiten des schnellen Konsums: Mikroben in der Thüringer Bratwurst, Ladendiebstahl und die Schrecken der ersten Kaffeefahrt. Für eine Eisenacherin wurde die Fahrt nach Stukenbrock zum Verlustgeschäft erster Güte – mit der Kamindecke „Butterfly“.

Legionen von westdeutschen Versicherungs-Vertretern und Werbern schlüpften durch das kleinste Loch in der Grenze, für Halsabschneider jeder Art begann eine große Zeit ebenso wie für jene kleinen Gauner, die im Westen keine Opfer mehr fanden. Nur informierte Menschen werden nicht zum Opfer, nur wer sein Recht kennt, kann sich wehren.

So war die erste Aufgabe der Zeitung eine Pflicht, der im Westen nur noch wenige nachkamen: Lebenshilfe, verstanden als Service für alle Fragen, eben Ratschläge und Informationen für den Alltag. Es waren meist einfache Fragen, die auf Antworten warteten: Was ist eine Kündigung? Was sind Nebenkosten bei der Miete? Wann gibt es Sozialhilfe?

Die Redakteure wollten helfen in der neuen Marktwirtschaft, die von den meisten als Dschungel erlebt wurde. Die Zeitung schlug Trampelpfade und wählte Experten als Führer – etwa für die Serie „Einführung in die Marktwirtschaft“, die der Direktor des Marburger Arbeitsgerichts schrieb.

Die Redakteure zogen in die Öffentlichkeit, was manche gerne unter der Decke halten wollten: Kaufen und Verkaufen von einst volkseigenem Besitz oder die Beutezüge von Wendegewinnlern aus dem Westen. In den ersten Monaten schien sich kaum einer, der aus dem Westen kam, an die Maxime zu halten, die die Eisenacher Presse aus einem Manager-Seminar berichtete: „Bitte: Geben Sie keinem in der DDR das Gefühl, 40 Jahre umsonst gearbeitet zu haben!“.

Journalisten leisteten sich Ungewöhnliches in dieser Zeit: Gefühle. Sie schrieben davon, ohne Scham, weil sie anders nicht beschreiben konnten, was sich wirklich ereignete in diesem Land, das am ersten Samstag im Juli seine Grenze verlor – und nicht nur die aus Beton und Stacheldraht und Todesstreifen.

Eine Rose zur Erinnerung an das Ende der Grenze

Lokalchef Dieter Schreier schrieb in seinem „Eisenacher Notizbuch“ am 6. Juli 1990:

Unser Leser Karl-Heinz Langhammer aus Kirchhain befand sich per Lkw auf der Rückfahrt Richtung Marburg. Wie so oft in den vergangenen Jahrzehnten bei vielen Reisen in die DDR. Bei den Kontrollen sei er dabei immer „den Umständen entsprechend korrekt behandelt worden“. So auch diesmal.

Am Übergang Eisenach standen vier Grenzbeamte, die sich kurz nach dem Transportgut erkundigten. Dann verschwand plötzlich einer im Kontrollgebäude. Kurze Zeit später kam er wieder, mit einer Rose, die er ins Fahrerhaus reichte. „Zum Andenken an unsre letzte Schicht an der Grenze!“

Realität an der deutsch-deutschen Grenze. Im Juni 1990, fast drei Jahrzehnte nach dem Bau der Mauer und nur ein paar Monate nach der Revolution. Eigentlich unfassbar.

**

Thüringer Allgemeine 7. Februar 2015

Auszug aus dem Buch „Die unvollendete Revolution – Die Geschichte der deutsch-deutschen Missverständnisse“, das im Frühjahr im Klartext-Verlag erscheinen wird.

Ein TV-Interview – als abschreckendes Beispiel für Volontäre: Ramelow und die Eier

Geschrieben am 4. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Herzlich Willkommen in der Serie „Thüringens Minister“ und heute heißt es Thüringer Ministerpräsident. Herzlich Willkommen Bodo Ramelow!

Heute früh musste ich intensiv an Sie denken, als ich ein Rührei gemacht habe. Ich schlug die Eierpackung auf und da war ein großes Ei drin. Das war fast doppelt so groß wie die anderen, und da habe ich mich ganz arg erschrocken und habe gedacht: Das kann ich jetzt nicht essen. Dann habe ich gedacht: Warum eigentlich nicht? Warum müssen wir denn genormt sein? Da habe ich es mutig aufgeschlagen, und da war die Doppelpower drin, nämlich zwei Eidotter. Da dachte ich, es ist ein bisschen wie Bodo Ramelow.

So beginnt ein Interview im Weimarer Lokalsender Salve TV: Geschäftsführerin Judith Noll hat Ministerpräsident Ramelow zu Gast. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender der deutschen Medienanstalten, empfiehlt die Interviews des Senders in die Journalistenausbildung zu integrieren – als abschreckendes Beispiel für Hofberichterstattung statt Staatsferne.

Bei Salve TV kommt etwa in der zweiwöchentlichen Sendung „Ramelow & Co“ der Ministerpräsident ausführlich zu Wort. Brautmeier: „Die Öffentlichkeitsarbeit der Politik und der Parteien darf nicht vermischt werden mit der journalistischen Arbeit der unabhängigen Medien.“ So erweise man auch der Politik eher einen Bärendienst. Und bei den Zuschauern werde der Eindruck erweckt, Journalisten und Politiker würden miteinander kungeln. „Dabei haben Journalisten als vierte Gewalt die wichtige Aufgabe, Politik zu kontrollieren.“

Das Rühr-Ei-Interview nahm der Moderator Oliver Welke auch auszugsweise in seine Heute Show beim ZDF und kommentierte: „Ich habe schon viele verstörende Interview-Anfänge gesehen, aber das schlägt alles.“

„Sie wollen aber nicht sagen, dass Sie mich aufschlagen wollen?“ reagiert Bodo Ramelow auf den Rührei-Beginn der Journalistin. So geht das Interview weiter:

Noll: Ich will Sie auch nicht essen, und ich finde sie auch nicht Ihh, aber ich weiß, dass Sie sich mit Hühnern auskennen.
Ramelow: Ich bin gelernter Lebensmittelkaufmann und könnte jetzt anmerken, dass das, was sie in der Packung gefunden haben. nicht den Handelsklassen entsprochen hat, weil es kann immer nur in einer Handelsklassenpackung immer die gleiche Größe nur drin sein. Wenn müsste man eine Doppelhandelsklasse extra ausweisen, oder Sie haben bei einem Bauer gekauft, das wäre ja sehr lobenswert, auf dem Markt – und dann haben Sie von Freilandhühnern die Eier gekauft und dann hoffe ich, dass es auch besonders gut geschmeckt hat.
Noll: Auf jeden Fall habe ich jetzt die doppelte Portion Ei.

Ramelow erzählt von seiner Ausbildung bei Karstadt und scherzt mit der Moderatorin: „Sie erinnern sich gut an Dinge, die ich irgendwann mal erzählt habe aus meinem Leben – das war fahrlässig. Ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen.“ Daraufhin entgegnet die Moderatorin:

„Ich weiß auch, dass irgendwo eine Narbe an Ihrer Hand ist. Aber jetzt müssen wir aufpassen, sonst heißt es: Frau Noll kennt Herrn Ramelow… Aber wie das kommt, dass es inzwischen verwerflich ist, Sie zu kennen – ich darf mich auch noch erinnern an die Zeit, als Sie hier saßen und sagten: Ich will Ministerpräsident werden. Jetzt sind Sie Ministerpräsident, und für viele wird es immer schärfer.“

**

Quelle: Thüringer Allgemeine 4 Februar 2015, Salve TV Mediathek, Heute Show, ZDF-Mediathek

Facebook Kommentare

von Joachim Widmann (4. Februar um 10:29)

Die offene Unterwürfigkeit und Kumpelei ist einerseits unerträglich, andererseits aber auch so etwas wie ein Transparenzhinweis. Die Interviewerin versucht ja nicht einmal, es Journalismus ähnlich sehen zu lassen. Dass gerade Regionalmedien sich in Interviews mit Spitzenpolitikern aus oder in ihrer Region als Stichwortgeber für Verlautbarungen verstehen oder sich mangels Recherche gewissermaßen versehentlich als solche verhalten, ist ja leider insgesamt keine Seltenheit.

Alexander Will, 4. Februar um 10:54

Ich bin fassungslos. Kein Wunder, dass die Leute Journalisten immer stärker als Speichellecker und Dummköpfe wahrnehmen. Man kann’s ihnen manchmal wirklich nicht verübeln…

Joachim Widmann 4. Februar um 10:57

Nein, Herr Will: Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Diese Frau repräsentiert nicht „die Journalisten“. Nicht einmal ohne „die“. Sie steht erst eimal nur für sich selbst und die eigene Unterwürfigkeit.

Alexander Will 4. Februar um 10:58

Leider eben in der Öffentlichkeit nicht. Das wird anders wahrgenommen. Es wird uns allen angekreidet, da kann man sich noch so sehr wehren…

Ramelow, Staatsfernsehen und die Kontrolle der Macht: Bestialisch (Leser fragen)

Geschrieben am 1. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Der neue Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) hat im Weimarer Privat-Sender Salve TV eine Sendung, in der er seine Politik ohne lästige Fragen von Journalisten preisen kann. Die Sendung „Ramelow & Co“ wird gerade von Medienrechtlern scharf kritisiert als „Staatsfernsehen“. Leser der Thüringer Allgemeine sehen das anders, so schreibt ein Leser aus Apolda:

Mit mir fragen auch viele Leser, was die Hetzkampagne gegen Salve-TV und gegen den neuen Ministerpräsidenten Ramelow bezwecken soll. Soll eine wahrheitsgetreue hautnahe Darstellung der Tagesarbeit des Neuen an der Spitze Thüringens, die durchaus interessant ist, verhindert und er in seiner freien Meinungsäußerung beschnitten werden?

Und eine Leserin aus Erfurt stellt fest: „Das ist doch dann endlich mal nachvollziehbare Demokratie.“

Der TA-Chefredakteur antwortet in seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“

Sie gehen beide davon aus, dass Politiker prinzipiell die Wahrheit sagen, uneigennützig sind und nicht ihre eigene Macht im Sinne haben, sondern stets das Wohl des Volkes. Man muss ihnen nur zuhören und schon kennen wir die Wahrheit und können Demokratie nachvollziehen.

Das wäre schön, aber die Erfahrung zeigt: Politiker mögen zwar über ein reines Herz verfügen, das allein die Wahrheit liebt, aber dennoch ist eine gute Kontrolle sinnvoll im Namen der Bürger und zum Nutzen der Demokratie.

Diese Kontrolle üben Medien aus – und nicht Politiker selber. So sieht es auch unsere Verfassung.

Jürgen Brautmeier ist ein unverdächtiger Zeuge. Er leitet die Direktorenkonferenz der Medienanstalten, also der Anstalten, die Rundfunk und Fernsehen in privater Hand zu kontrollieren haben. Er sagt: „Es gehört zu den Grundlagen unserer Verfassung, dass sich der Staat aus dem Rundfunk herauszuhalten hat. Deshalb wäre ich Ministerpräsident Ramelow dankbar, wenn er von sich aus seine Sendungsabsichten aufgibt. Alles andere wäre ein Tabubruch.“

Wenn ein Ministerpräsident kontrolliert wird, ist das weder eine Hetze noch eine Beschneidung seiner freien Meinungsäußerung. Er verfügt über eine eigene Abteilung, die seine Meinungen – oder auch Wahrheiten – der Welt mitteilt und den Presse-Stellen in den Ministerien Sprachregelungen verfügt wie etwa zu Salve-TV: „Der Vorwurf der staatlichen Einflussnahme ist nicht zutreffend.“

Wir alle sollten wachsam bleiben. Wer wachsam ist, sollte auch nicht der Hetze verdächtigt werden – auch nicht als „bestialisch“ eingeordnet, wie Salve-TV die Berichterstattung unserer Zeitung nannte. Wächter können irren, aber Bestien sind wir nicht.

**

Thüringer Allgemeine 31. Januar 2015

OTZ-Chefredakteur wehrt sich in seiner Zeitung gegen den Vorwurf „Lügenpresse“

Geschrieben am 27. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

„Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft“, schreibt Chefredakteur Jörg Riebartsch in einem langen Seite-Drei-Beitrag der OTZ, der in Gera erscheinenden Ostthüringer Zeitung: „Gegendarstellung – Ungewöhnlich: Eine Zeitung wartet mit einer Gegendarstellung an ihre Leser auf. Aber nur an die, die die Redaktion derzeit mit Unterstellungen, Verschwörungstheorien und Kolportagen überziehen“.

Er geht auf den Vorwurf der Lügenpresse ein und nimmt sich detailliert die Kritik der Leser vor:

> Wenn wir Leserbriefe ablehnen, hat das gute Gründe: Beleidigungen zum Beispiel oder unbewiesene Behauptungen.

> Gelenkte Medien gibt es heute nicht; die gab es beispielsweise in der DDR.

> Fehler machen auch Zeitungen. Weiß die Redaktion davon, wird sie diese korrigieren.

> Redaktionen lassen sich nicht einschüchtern – auch nicht von Anwälten, die statt Gegendarstellungen immer öfter Unterlassungserklärungen verlangen.

> Geschäftsführer und Verleger dürfen in die Arbeit der Redaktion nicht eingreifen und auf Willfährigkeit bestehen.

Dies ist der komplette Beitrag von Jörg Riebartsch; die in seinem Text erwähnte Volkswacht ist die SED-Zeitung, die in der DDR erschien.

Wer als Journalist schon mehrere Berufsjahre auf dem Buckel hat, der weiß, mancher Leser ist mit Kritik schnell zur Hand. Wer an der Dienstleistung „Zeitungmachen“ teilnimmt, sollte da zuweilen nicht zart besaitet sein. Ein dickes Fell hilft. Manche Hinweise aus der Leserschaft haben ihre Berechtigung, anderes beruht auf Nichtwissen. Oft macht auch der Ton die Musik. Da sind die Reaktionen gegenüber der Zeitung auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft, in der der Umgangston zunehmend rauer und aggressiver wird.

Seit einigen Monaten aber nimmt die Zahl der Unterstellungen, Mutmaßungen und kruden Verschwörungstheorien, die die Redaktion erreichen, bedenklich zu. Auch als „Lügenpresse“ musste sich die Ostthüringer Zeitung vereinzelt schon beschimpfen lassen. Nachstehend gehen wir auf die häufigsten Behauptungen ein und stellen diese damit gern zur Diskussion.

Zensur, Meinungs- und Pressefreiheit

Diese Begriffe werden oft in einem Atemzug genannt und falsch verwendet. Die OTZ zensiert Leserbriefe heißt es dort. Das ist falsch. Zensur beschreibt den Umstand, wenn staatliche Stellen den Informationsfluss lenken. Der Staat übt dann Zensur aus. Die OTZ kann keine Zensur ausüben.

Verwendet wird dieser Vorwurf meist von Leserbriefschreibern, deren Leserbrief wir ablehnen mussten. Der Ärger ist verständlich. Man setzt sich hin, gibt sich Mühe, schreibt einen Brief – und die Zeitung lehnt es auch noch ab, diesen zu veröffentlichen. Diese Ablehnung ist keine Zensur. Wir nehmen an dieser Stelle unsere Freiheit als Presseorgan wahr. Die OTZ veröffentlicht gern Leserbriefe. Schließlich wollen wir die Meinungsvielfalt befördern. Da liegt es in unserem eigenem Interesse möglichst viele Zuschriften zu publizieren.

Wenn wir Leserbriefe ablehnen hat das gute Gründe. Der Inhalt des Briefes kann strafrechtlich relevant sein oder er enthält Beleidigungen, bösartige Unterstellung oder unbewiesene Tatsachenbehauptungen. Könnte der Zeitung doch egal sein, mag mancher Leser einwenden. Ist es aber nicht. Der Gesetzgeber hat uns nämlich dazu verpflichtet, alles was die Redaktion veröffentlicht auch presserechtlich zu verantworten. Obwohl unter den Leserbriefen der Name des Autoren steht, trägt trotzdem die Redaktion die presserechtliche Verantwortung für das Veröffentlichte – auch wenn wir ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Leserbrief nicht die Meinung der Redaktion wieder gibt.

Weitere Gründe zur Ablehnung von Leserbriefen können Wiederholungen sein oder wenn sich Diskussionen um ein Thema im Kreis drehen und nach zahlreichen bereits publizierten Leserbriefen keine neuen Argumente mehr auftauchen.

Hin und wieder fordern uns wiederum Leser auf die Leserbriefe zu zensieren, weil ein bestimmter Autor nur „dummes Zeug schreibt“ oder eine „falsche Meinung“ hat. Kürzlich hat ein Abonnent sogar die OTZ abbestellt, weil er die Leserbriefe eines anderen Lesers nicht mehr ertrage.

Wir werden dennoch auch in Zukunft keine Zensur bei Leserbriefen ausüben.

Verwechselt oder missverstanden werden die Begriffe von Meinungs- und Pressefreiheit. Einzelne Leser meinen, wir verstießen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit, wenn wir ihren Brief nicht veröffentlichen. Die Meinungsfreiheit kann die OTZ gar nicht beschränken, weil jeder Mensch das Recht hat sich auf den öffentlichen Marktplatz zu stellen und unbehelligt seine Meinung zu sagen. Das ist Meinungsfreiheit.

Pressefreiheit meint etwas anderes, im Grunde genau das Gegenteil was der eben erwähnte Leser glaubt. Die Pressefreiheit liegt bei der Presse. Die Presse ist frei darin zu entscheiden, was sie veröffentlicht und was nicht. Damit soll gerade verhindert werden, dass Leser, Politiker, Verbände, Gewerkschaften, Vereinsvertreter oder andere Interessengruppen nach eigenem Gutdünken Einfluss darauf nehmen, was in einer Zeitung steht.

Vorwürfe in diesem Zusammenhang, die Zeitung sei parteiisch, beziehen sich in der Regel auf Kommentare, die optisch bewusst anders gekennzeichnet sind als normale Berichte in der Zeitung. Kommentare stellen ein Meinungsangebot dar, dem man folgen kann oder auch nicht. Die Zeitungsmacher der OTZ sehen sich nicht als Missionare und wollen niemanden bekehren. Aber zur Meinungsvielfalt, die der Ostthüringer Zeitung sehr wichtig ist, gehört es zunächst einmal, dass Meinungen geäußert werden. Ohne Meinung kann es keine Meinungsvielfalt geben. Wer anderer Meinung ist, schreibt dazu gern einen Leserbrief. Und natürlich kann man auch schreiben, wenn man der gleichen Meinung ist.

Gelenkte Systemmedien

Die pauschale Behauptung, die Medien – wer immer „die Medien“ auch sein sollen – seien gelenkt vom System, ist falsch, wird aber immer wieder gern wiederholt. Was sind Systemmedien? Die Vorgängerzeitung der Ostthüringer Zeitung, davor kurz Ostthüringer Nachrichten, die „Volkswacht“ , war eine vom System des DDR-Regimes gelenkte Zeitung. Sie diente dazu im Sinne der Partei, der SED, den Lesern das Bild vorzugaukeln, was die Staatsführung gern von ihrem Staat vermitteln wollte.

Was nicht sein durfte, wurde ausgeblendet. Kritik fand nicht statt. Wenn es Engpässe beim Fleisch gab, wurde der Volkswacht vorgegeben nur noch Rezepte für Gemüsegerichte zu veröffentlichen. Regelmäßig wurde die Redaktionsleitung der Volkswacht nach Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, vorgeladen. Dort teilte das System der Redaktion dann mit, wie man in der nächsten Zeit zu berichten habe.

So was gibt es heute nicht mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird zwar wissen, dass es eine Ostthüringer Zeitung gibt, sie wird aber selbst in ihren kühnsten Albträumen nicht daran denken, der OTZ irgendwelche Weisungen zu geben. Sie liest noch nicht mal die Kommentare, die sich mit Ihrer Politik befassen.

Die Wahrnehmungsschwelle für Zeitungen wie der OTZ sind gestiegen. Und deshalb versuchen allenfalls Parteienvertreter auf Landesebene, Druck auf Zeitungen auszuüben, und zwar alle Parteien. Das muss die Redaktion, insbesondere der Chefredakteur, aushalten, darf sich nicht einschüchtern lassen, wenn Kommentierungen oder Berichte kritisiert werden.

Es ist nicht verboten, sich über die Zeitung zu beschweren. Die Aufregung über das örtliche Blatt gehört gewissermaßen zum Kulturangebot einer aufgeklärten und meinungsfreudigen Gesellschaft. Und tatsächlich erscheinen in der Zeitung, auch in der OTZ, Fehler. Beispielsweise weil der Redakteur einen schlechten Tag hatte und eine Zahl falsch verstanden hat, weil die Redaktion von einem Veranstalter mit falschen Daten versorgt wurde, weil die Quelle selbst schon falsch informiert war. Dann gibt es die Möglichkeit eine Richtigstellung oder eine Berichtigung zu verlangen. Die OTZ wird Fehler, soweit bekannt, immer berichtigen.

Wenn sich die Zeitung stur stellt, eine Berichtigung nicht bringen will, hält Deutschland eine Fülle von Möglichkeiten bereit, sich gegen die Berichterstattung in der Zeitung zu wehren. Beispielsweise mit einer Beschwerde beim Deutschen Presserat. Oder mit der guten, alten Gegendarstellung, die in jedem Landespressegesetz steht, aber eher aus der Mode gekommen ist. Mit einer Gegendarstellung kann man falsche Tatsachenbehauptungen gerade rücken.

Abgelöst wurde die Gegen­darstellung mehr und mehr von der strafbewehrten Unterlassungserklärung, häufig von Prominenten oder Unternehmen als Instrument eingesetzt, wenn man durch die Berichterstattung in der Zeitung sein Image beschädigt sieht oder vorgibt, Schadensersatzansprüche zu haben. Um Druck auf den Chefredakteur auszuüben und in dem Gedanken, ihn einzuschüchtern, kommen Unterlassungserklärungen häufig am Freitagnachmittag mit Fristsetzung bis Montag früh und werden von Kanzleien verschickt, bei denen schätzungsweise 20 Anwälte rechts auf dem Briefbogen stehen. Da aber Chefredakteure meistens zu den eher erfahrenen Journalisten gehören, klappt das mit dem Einschüchtern nicht recht. Zudem hat die Funke Mediengruppe, zu der auch die OTZ gehört, natürlich eine versierte Rechtsabteilung, die meist deutlich machen kann, wie rechtlich zweifelhaft das Begehren der gegnerischen Partei ist. Die Berufserfahrung zeigt, dass nicht alle, aber die meisten Fehlervorwürfe, unberechtigt sind.

Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing

Wenn schon die Politik der Zeitung nicht sagen kann, wo es lang geht, dann doch bestimmt der Besitzer, mutmaßen manche Leser und schreiben deshalb zur Einleitung einer Kritik an der Zeitung vorwurfsvoll: Wes Brot ich ess‘, des Lied ich sing.

Auch hierzu ist zunächst eine Besonderheit des deutschen Pressewesens zu erklären. Wenn in einer Fabrik Erbsen eingedost werden, dann ist der Geschäftsführer der Erbsendosenfabrik verantwortlich dafür, was in der Dose drin ist. Bei Zeitungen ist das bewusst nicht so. Nicht die Geschäftsführung trägt die presserechtliche und publizistische Verantwortung für die Inhalte der Zeitung, sondern der Chefredakteur. Man wollte auf diesem Weg nach den historischen Erfahrungen mit den Diktaturen in Deutschland die Unabhängigkeit von Redaktionen in Zeitungen stärken.

Inhaltliche Eingriffe von Geschäftsführern in das redaktionelle Programm bei der OTZ gibt es nicht. Die in diesem Zusammenhang zuweilen geäußerte Mutmaßung, die Geschäftsführer oder Herausgeber wählten die Journalisten nach inhaltlichen Kriterien der Willfährigkeit aus, sind ebenfalls falsch. Die Kaufleute von Unternehmen bestimmen natürlich das Budget der Zeitung und damit wie viel Redakteure bei einer Zeitung wie der OTZ beschäftigt sein können. Welche das sind, obliegt in der Auswahl aber dem Chefredakteur.

Um Redaktionen vor der Einflussnahme andererseits auch von Gewerkschaften, also Arbeitnehmervertretern inhaltlich ebenso zu schützen, sind Zeitungen sogenannte Tendenzschutzbetriebe. Das heißt, es sind sogar bestimmte Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes außer Kraft gesetzt.

Putin ist der Gute, nur die gelenkten Medien begreifen es nicht.

Hier wird die Verschwörungstheorie der Systemmedien auch noch in einen globalen Zusammenhang gestellt. Wer Kritik an Putin äußert, ist von den imperialistischen US-Amerikanern gelenkt und es wäre nicht verwunderlich man äußere auch noch die These, der US-Präsident Barack Obama bestimme selbst, was zu Russland in der OTZ steht und was nicht. Dies wird in einzelnen Fällen noch von der Behauptung gestützt, es gäbe eine Anweisung, in der OTZ dürfe nichts mehr Gutes über Russland stehen und selbst über Naturkatastrophen dort werde nicht mehr berichtet. Eine solche Anweisung gibt es nicht. Das Meinungsbild der OTZ zum Konflikt in der Ukraine ist differenziert und bleibt es auch.

**

OTZ 24. Januar 2015, Seite 3

Lügenpresse und absolute Wahrheit gegen eine unabhängige Redaktion: Wie Leser online kommentieren

Geschrieben am 24. Januar 2015 von Paul-Josef Raue.

Man kann natürlich alles bezweifeln. Auch dass unsere Lügenpresse gar nicht lügt, sondern da die „Sucher der Wahrheit“ sind. Aber ganz ehrlich: Die Journalisten machen alle die ganze Zeit Fehler, sie sind einfach vielleicht ein bisschen, rein menschlich, dumm. Kann das sein?

So fragt „Alexander“ online im Internet der Thüringer Allgemeine und bezieht sich auf die Berichterstattung zu „25 Jahre TA„. In seiner Samstag-Kolumne „Leser fragen“ antwortet der Chefredakteur:

Verehrter „Alexander“,

Ihre Frage dürfte eine rhetorische sein. Sie geben in Ihrem Kommentar auch die Antwort:

„Es gibt etwas, was den Glauben (an Journalisten, die die Wahrheit suchen) daran enorm erschwert: Wenn sie alle zusammen auf einmal schlafen gehen, dann alle zusammen in einer Zeit aufwachen, alle zusammen aufs Klo marschieren, „eins-zwei, eins-zwei links links.. links. Dafür kann nicht nur bloße Dummheit schuld sein.“

Hunderte von Kommentaren versammeln sich zu dem Thema im Internet. Hier sind einige Einträge. Ich kommentiere sie nicht, denn sie kommentieren sich selbst:

> Angestellte Journalisten sind nur so frei und unabhängig wie trainierte Schlittenhunde. Und bei einem schlechten Musher dürfen sogar hinterhältige Beißer und exzessive Urinierer mitlaufen. Hauptsache, die Richtung stimmt.

>Dieses scheinheilige Getue ist doch Leserverhöhnung par exellence! Zum Kotzen!

> (Antwort auf einen Leser-Kommentar) Mit dem verstehenden Lesen haben Sie es wohl nicht so. Daher ist ja dieses Wurstblatt für sie auch Quell und Hüter der Demokratie, das Manna des sich nach Pluralismus sehnenden Demokraten, nicht wahr?!

> Wenn ich mir überlege, dass eines Tages meine Todesanzeige wohl in dieser Zeitung zu lesen sein wird…. Nein Freunde, ich möchte unsterblich sein nur aus dem Grunde, dass nie mein Name in diesem Schmierenblatt zu lesen ist.

> Was ist nun wieder die absolute Wahrheit? Die absolute Wahrheit gibt es nicht; nirgendwo. Wozu diese umfassende Begriffsklauberei?

> Und so einen Schwachsinn, wie einige hier von sich geben, soll eine ,unabhängige‘ Presse also schreiben? Da kann sich die TA auch wieder umbenennen in „Das Volk“. Ich erwarte von keiner Zeitung die absolute Wahrheit, ich informiere mich umfassend in vielen Medien und bilde mir dann meine persönliche (!) Meinung, wissentlich das auch diese nicht der absoluten Wahrheit entspricht.

> Liebe TA, lasst euch nicht beirren und geht euren Weg weiter! Jedem Menschen Recht getan ist…

**

Thüringer Allgemeine, Leser fragen, 24. Januar 2105

Seiten:«12345678»

Journalisten-Handbuch.de ist ein Marktplatz für journalistische Profis. Wir debattieren über "Das neue Handbuch des Journalismus", kritisieren, korrigieren und ergänzen die einzelnen Kapitel, Thesen und Regeln, regen Neues an, bringen gute und schlechte Beispiele und berichten aus der Praxis.

Kritik und Anregungen bitte an: mail@journalisten-handbuch.de

Rubriken

Letzte Kommentare

  • Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
  • Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
  • Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
  • Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
  • Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...

Meistgelesen (Monat)

Sorry. No data so far.