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„Hintergründe aufdecken gegen Gerüchte und gefühlte Wahrheiten“ (Krüger-Interview 2)

Geschrieben am 28. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, spricht im zweiten Teil des Kress-Interviews über Strategien, wie Journalisten mit Politik-Verdrossenheit oder Verschwörungstheorien umgehen sollen.

Wie gewinnen Journalisten das Vertrauen zurück? Müssen sie mehr erklären, wie sie arbeiten?

Thomas Krüger: Dies ist ja bereits in vollem Gange. Redaktionen bekommen über die Sozialen Medien unmittelbare Rückmeldungen zu ihrer Berichterstattung. Journalisten die diesen Kommunikationsweg nicht als „Meckerecke“ abtun, sondern reagieren und sich auf die Diskussion einlassen. Der Dialog ist das A und O, um herauszufinden, was die Nutzerinnen und Nutzer eigentlich möchten. Für die wiederum ist es wichtig, dass sie ernst genommen werden und in den Journalisten seriöse Partner wissen.

Ist die Medienverdrossenheit ein Spiegel der Politikverdrossenheit?

Thomas Krüger: Für bestimmte Personenkreise ist das sicherlich der Fall. Es ist ja kein Zufall, dass der Schlachtruf „Lügenpresse“ genau dort salonfähig ist, wo es Leute gibt, die – aus welchen Gründen auch immer – meinen, keine politische Stimme mehr zu haben und sich leider im demokratischen Parteienspektrum nicht mehr angemessen vertreten fühlen.

Redaktionen werden von ihren Lesern mit Verschwörungs-Theorien konfrontiert. Sollen sie darauf eingehen, wenn sie geballt in Briefen, Anrufen oder auf Facebook eintreffen?

Thomas Krüger: Auch bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien spielt das Internet eine große Rolle. Es hat dazu beigetragen, dass viele dieser Theorien überhaupt erst im Mainstream bekannt geworden sind, darunter auch solche, die einen rechtsextremen Hintergrund haben. Unser Anspruch als politische Bildner ist es ja, alle erreichen zu wollen und niemanden verloren zu geben. Natürlich ist es schwer, Personen argumentativ zu begegnen, deren Weltbild nicht mehr auf der Grundlage des Common Sense basiert. Versuchen muss man es trotzdem. Gerade dann, wenn solche Theorien auf öffentlichen Plattformen wie Facebook gestreut werden. Denn hier erreichen die Gegenargumente ja nicht nur den Absender selbst.

Sozialpsychologen haben herausgefunden: Die Verschwörung, detailliert nacherzählt, bleibt im Kopf hängen, die Widerlegung dagegen verblasst schnell. Was bedeutet das für Journalisten? Und für die politische Bildung?

Thomas Krüger: Das bedeutet, dass sowohl die Medien als auch wir in der politischen Bildung der „Kreativität“ der Verschwörungstheoretiker ebenso kreative Angebote entgegensetzen müssen.

Wie könnte solch eine Kreativität in einer Lokalredaktion aussehen?

Thomas Krüger: Sie sollte das machen, wofür Journalismus eigentlich schon immer steht: Hintergründe investigativ und faktenbasiert aufdecken und erklären. Ich halte dies für eine der wirkungsvollsten Methoden, um emotional geführten Debatten, die häufig von Gerüchten, Vorurteilen und „gefühlten Wahrheiten“ bestimmt werden, den Druck zu nehmen und in geregeltere Bahnen zu lenken.

Sind denn die Hassprediger noch zum Dialog bereit? Die Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen hat es versucht – offenbar ohne Erfolg.

Thomas Krüger: Wenn wir zum Beispiel von den Anführern der Pegida-Bewegung sprechen, dann geht es um Personen, die seit Jahren in ihrem Weltbild gefestigt sind und sich mit Personen umgeben, die sie in diesem Weltbild bestätigen und bestärken. Es ist sehr schwer, solche Leute noch mit politischen Bildungsangeboten zu erreichen, da diese – ab einem gewissen Alter – ja immer auf freiwilliger Basis ablaufen. Politische Bildung kann keinesfalls das alleinige Mittel sein, ein gesamtgesellschaftlicher Prozess muss angestoßen werden. Und hier sehe ich politische Bildung wiederum in der Pflicht ihren Beitrag zu leisten.

Sind also die Sympathisanten noch zu erreichen? Die Menschen, die den Hasspredigern Beifall zollen?

Thomas Krüger: Am Auf- und Abschwung der Pegida-Veranstaltungen sieht man ja, dass dem so ist. Die zunehmende Radikalisierung der Forderungen hat nicht dazu geführt, dass die Demonstrationen mehr Zulauf bekommen – im Gegenteil. Ein für mich eindeutiges Zeichen, dass auch Personen noch erreichbar sind, die dem dort verbreiteten Gedankengut in Teilen zustimmen oder in der Bewegung zeitweise ein Ventil für ihre Sorgen gesehen haben.

Nirgends ist das Vertrauen der Leser so groß wie in ihren Lokalteil. Die Wut-Briefe, die in Redaktion eingehen, zeugen doch davon, dass die Menschen seit Jahrzehnten und immer noch die Zeitung lesen. Was würden Sie als Lokalchef tun?


Thomas Krüger: Das Fundament eines erfolgreichen Lokaljournalismus ist die Recherche. Aktueller Präzedenzfall ist natürlich die Suche nach Unterkünften für Geflüchtete. Verschiedene Lokalmedien haben hier großartige Arbeit geleistet, indem sie transparent aufgezeigt haben, wie viele Geflüchtete tatsächlich in die Region kommen, welcher Ort wie viele von ihnen aufnimmt, wie sie dort leben und woher sie kommen. In der „drehscheibe“, unserem Magazin für gute Ideen und Konzepte im Lokaljournalismus, stellen wir genau solche gelungenen Beispiele vor und hoffen, dass sich andere Zeitungen an ihnen orientieren.

Gerade für die Lokalzeitungen gilt, dass sie nah an den Leserinnen und Lesern sein müssen. Sie sollten ihnen das Gefühl vermitteln, in der Presse ein Sprachrohr und eine Plattform für die vor Ort geführten Diskurse haben, gerade auch für jene, die besonders kontrovers geführt werden. Nicht umsonst unterstützt die bpb seit vielen Jahren die lokale Politikberichterstattung mit den verschiedenen Angeboten des Lokaljournalistenprogramms.

Erleben wir die Dämmerung der Demokratie? Wächst langsam wieder die Sehnsucht nach einem, der alles besser macht?

Thomas Krüger: So schwarz sehe ich auf gar keinen Fall. Laut Kishon ist Demokratie ja das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann. Ich bin überzeugt, dass sich dessen auch viele derer bewusst sind, die gerade ihre sogenannten Sorgen sehr lautstark äußern. Außerdem erlebe ich täglich zahllose engagierte Akteure, die daran mitarbeiten, die Demokratie lebendig zu halten. Dieser Einsatz, das Wissen und der Einfallsreichtum dieser Menschen sind die Voraussetzungen dafür, dass auch jene, die an unserer Gesellschaft zweifeln, wieder auf die richtige Seite gezogen werden können.

Deshalb müssen wir sie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Auch die Rolle der Institutionen darf man nicht unterschätzen. Natürlich geben sie als „Teil des Systems“ ein dankbares Ziel für Kritik ab. Trotzdem ist es wichtig, dass Ministerien, Behörden, alle Teile der öffentlichen Hand ein klares Signal senden, indem sie Vielfalt und Demokratie vorleben. Nur so bleibt beides zukunftsfähig.

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Mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, sprach Paul-Josef Raue. Das komplette Interview:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134670-interview-mit-bpb-praesident-thomas-krueger-stimmt-unsere-politik-berichterstattung-nicht-mehr.html

„Journalisten schalteten sich zu spät in Netz-Debatten ein“ (Interview Thomas Krüger)

Geschrieben am 27. April 2016 von Paul-Josef Raue.
Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Foto: bpb/Ulf Dahl

In einem Interview mit kress.de spricht Thomas Krüger (56),  Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, über „Dunkeldeutschland“,  Journalisten und das Misstrauen der Bürger gegenüber den Medien, Medien-Manipulation und den Fehlern, die Journalisten verschweigen oder zugeben.Thomas Krüger (56)  studierte Theologie in der DDR, war nach der Revolution Jugend-Senator in Berlin und ab 1994 einige Jahre Abgeordneter im Bundestag.

Gerade im Westen sagen viele: 25 Jahre Einheit müssten doch ausreichen, um die Diktatur aus den Köpfen zu vertreiben.


Thomas Krüger: Diktatur-Aufarbeitung dauert lange, das ist ein Generationen-Projekt. So etwas braucht seine Zeit. Nehmen Sie mal die Zeit des Nationalsozialismus. Sie dauerte 12 Jahre. Der zeitliche Abstand zur DDR ist heute 26 Jahre, also wären wir, was die NS-Aufarbeitung angeht, heute gerade mal im Jahr 1971 angelangt, also: vor der TV-Serie „Holocaust“, dem Gedenkstättenboom, dem kritischen Nachfragen einer neuen Generation. Die DDR dauerte 40 Jahre, also fast zwei Generationen. Warum sollte die „Aufarbeitung“ und Bewältigung schneller gehen als bei der des Nationalsozialismus?


Ist der Osten also wirklich noch Dunkeldeutschland?

Thomas Krüger: Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich sehe – wie der Bundespräsident – in ganz Deutschland und auch in Ostdeutschland eine engagierte und organisierte zivilgesellschaftliche Willkommenskultur, viele Ostdeutsche verurteilen die Fremdenfeindlichkeit und die Übergriffe aufs Schärfste. Aber gerade in den letzten Monaten, wo sich Menschen, die aus größter Not zu uns gekommen sind, gewalttätigen rechtsextremen Demonstranten aussetzen, gibt es eine Notwendigkeit, diese Schattenseiten klar und deutlich anzusprechen.

Haben Journalisten diese Schattenseiten nicht deutlich genug angesprochen. Kurzum: Haben die Medien, haben die Journalisten versagt?

Thomas Krüger: Nein, ich bin Anhänger der These, dass der Journalismus heute nicht schlechter, die Leser aber sehr viel kritischer sind. Als publizistisches Rückgrat der demokratischen Öffentlichkeit bleiben Journalisten unersetzlich und natürliche Verbündete der politischen Bildung. Beiden geht es darum, Sachverhalte zu erklären, Kontroversen aufzuzeigen und letztendlich das demokratische Bewusstsein und die aktive Mitarbeit zu stärken.

Offenbar haben auch Journalisten einiges falsch gemacht. Umfragen deuten an: Das Vertrauen ist bei vielen Bürgern erschüttert. Haben Journalisten vielleicht wie Oberlehrer aufs Volk hinabgeschaut – was die Bürger eben nicht mögen?

Thomas Krüger: Wenn Journalisten etwas falsch gemacht haben, dann höchstens zwei Dinge: Erstens, dass sie sich zu spät in die Debatten im Netz, in den sozialen Medien eingeschaltet haben. Hier haben viele Journalisten die Möglichkeiten unterschätzt, sich frühzeitig Gehör zu verschaffen. Und zweitens haben Sie ihr Licht unter den Scheffel gestellt. Guter Journalismus setzt sich schon durch, dachte man, dass dazu aber heute eine transparente Kommunikation gehört, haben viele noch nicht begriffen.

Journalisten wie der ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte schreiben: Medien manipulieren, lassen sich korrumpieren und von Amerika und der Nato einspannen. Stimmt unsere Politik-Berichterstattung nicht mehr?

Thomas Krüger: Natürlich kann man manches kritisieren. Wenn zum Beispiel der Eindruck entsteht, im politischen Berlin würde eine Art „Hofberichterstattung“ stattfindet, und zum Beispiel Pressekonferenzen nur dazu genutzt werden, um O-Töne einzuholen, statt Dinge kritisch zu hinterfragen – dann werden Journalisten ihrer Rolle als „vierte Gewalt“ nicht mehr gerecht. Aber es gibt sie ja noch, die investigativen und meinungsstarken Formate und Reporter und die genannten Vorwürfe von Herrn Ulfkotte sind doch sehr verschwörungstheoretisch. Da macht es auch keinen Unterschied, dass er mal für die FAZ geschrieben hat.

Wenn Redaktionen Fehler öffentlich zugeben, laufen sie Gefahr, dass andere wie beispielsweise der Ministerpräsident Seehofer sagen: Seht Ihr, jetzt geben sie schon selber zu, dass sie Fehler machen! Wäre es da nicht besser zu schweigen und die Fehler auszusitzen?

Thomas Krüger: Auf keinen Fall! Fehler müssen benannt und analysiert werden – auch öffentlich. Die Taktik, solche Dinge totzuschweigen, ist nicht mehr zeitgemäß und führt keinesfalls dazu, Vertrauen, das durch einen Fehler möglicherweise verloren gegangen ist, wieder zurückzugewinnen. Gerade in den lokalen und regionalen Tageszeitungen konnten wir aktuell feststellen, dass sich besonders die Lokalredaktionen herausgefordert sehen, sie aktiv auf ihre Leser zugehen – durch Bürgerdialog-Veranstaltungen und andere Events. Hinzu kommt eine neue Ombuds-Bewegung, die sich den Fragen und der Kritik der Leserschaft annimmt.

Teil 2 folgt.

Das komplette Interview, geführt von Paul-Josef Raue:

http://kress.de/news/detail/beitrag/134670-interview-mit-bpb-praesident-thomas-krueger-stimmt-unsere-politik-berichterstattung-nicht-mehr.html

SZ-Chefredakteur über die unsozialen Netzwerke: Schnellstgerichtsbarkeit (Zitat der Woche)

Geschrieben am 4. März 2016 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 4. März 2016 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, C 5 Internet-Revolution.

Die manchmal in die Nähe der Existenzvernichtung gehende digitale Schnellstgerichtsbarkeit ist eine der unangenehmsten Erscheinungen in der schönen neuen Welt der Allzeit-sofort-Kommunikation.

Kurt Kister in seinem Leitartikel „Moral und Moralisten“ (SZ, 4. März 2016), in dem er auch eine Politiker-Typologie entwirft:

Auf der einen Seite die Moralisten, Fundis und „Gutmenschen“ (meistens links), auf der anderen Seite die flexiblen Pragmatiker, ich-bezogenen Machiavellisten und effizienten Verwalter.

Kriminelle Ausländer und Flüchtlinge: Muss der Presserat seinen Kodex ändern?

Geschrieben am 7. Januar 2016 von Paul-Josef Raue.

Nach dem Silvesterabend auf dem Kölner Bahnhofsplatz werden Medien hart kritisiert: Dürfen sie sexuelle Übergriffe auf Frauen verschweigen oder verharmlosen, um Fremdenfeindlichkeit nicht zu schüren? Dürfen sie die Herkunft der Täter unterdrücken?

Auf der einen Seite sind Medien wie ARD und ZDF, aber auch die taz, die ihre Zurückhaltung verteidigen. Daniel Bax schreibt in der taz:

Unter dem Druck der rechten Gegenöffentlichkeit aus dem Netz, sind auch seriöse Medien im vorauseilendem Gehorsam dazu übergegangen, die Herkunft von Straftätern offensiv zu benennen – jedenfalls, so lange es sich um migrantische Straftäter handelt.

Auf der anderen Seite kritisieren nicht nur Nutzer der sozialen Medien die Zurückhaltung oder gar Einseitigkeit von Journalisten, vor allem im Fernsehen, sondern beispielsweise auch Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer. Er versteht die Menschen, die den „Nanny-Journalisten“ vorwerfen, „eher einem pädagogischen als einem journalistischen Auftrag zu folgen“.

Das sind die Fakten und Fragen:

  1. Der Presserat zieht diese Grenze in der Berichterstattung:

    In der Berichterstattung über Straftaten wird die Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.

    In dieser Richtlinie 12 überwiegt das pädagogische Moment. Der Presserat setzt voraus: Die Leser oder zumindest eine ausreichend große Zahl haben Vorurteile. Daraus folgt er: Der Journalist soll durch Verschweigen bewirken, dass die Leser in ihren Vorurteilen nicht bestärkt werden.

  2. Wie berichten Journalisten über Debatten, die öffentlich toben, ausgelöst durch die sozialen Netzwerke und einem Aktualitäts-Druck, der kaum Zeit zum Nachdenken lässt? Journalisten haben eine Recherche- und Sorgfalts-Pflicht: Reicht der Hinweis darauf aus, erst spät – vielleicht zu spät – zu informieren und reagieren?
  3. Gibt es eine Tendenz zur moralischen Zensur in einigen Medien? Hindert diese Zensur an einer intensiven Recherche? Der Vorwurf der Einseitigkeit aus moralischen Gründen trifft vor allen ARD und ZDF. FAZ-Redakteur Michael Hanfeld nennt es das „betreute Fernsehen“.
  4. Stehen wir vor einer Spaltung der Medien, zumindest im Internet: Die aktuellen, schnellen und vorschnellen, die jede Nachricht sofort raushauen, gegen die seriösen, die auf Sorgfalt achten, den Hintergrund ausleuchten und dem Leser Orientierung geben?

Die Debatte, geführt von Journalisten und in sozialen Netzwerken, sollte der Presserat aufgreifen: Dürfen Journalisten in einer aufgeklärten Gesellschaft zum Vormund ihrer Leser und Zuschauer werden? Sind sie laut Verfassung nicht Treuhänder der Bürger, die selber entscheiden sollen, wie sie Nachrichten bewerten? Hat sich die Öffentlichkeit nicht wesentlich durch die sozialen Netzwerke verändert – und muss nicht der Pressekodex darauf reagieren?

Sieben Tag nach der Silvesternacht in Köln hat sich der Presserat noch nicht geäußert – im Gegensatz zum DJV, der größten Journalistengewerkschaft; ihr Vorsitzender Frank Überall:

Eine nicht durch solide Recherchen gedeckte Verdachtsberichterstattung ist nicht nur unvereinbar mit den Prinzipien des professionellen Journalismus, sondern auch innenpolitisch brandgefährlich.

Lügenpresse (9) Meine Chronik des Jahres: Wie Regionalzeitungen reagieren

Geschrieben am 31. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Das posteten Leser zum Thema „Lügenpresse“ auf unserer Facebook-Seite.

Thomas Bärsch reagierte mit fünf Punkten in der Zeitung:

1. Unser oberster Anspruch heißt Wahrhaftigkeit

Wer jemanden der Lüge bezichtigt, der beschuldigt ihn, vorsätzlich wahrheitswidrig zu reden oder zu schreiben. Er nimmt zugleich für sich in Anspruch zu wissen, was die Wahrheit ist.Wir Journalisten erheben diesen Anspruch für uns nicht – vor allem aus der Erkenntnis heraus, dass es die eine objektive und unveränderliche Wahrheit oft nicht gibt. Stattdessen haben wir uns die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Aufgabe gemacht.Wahrhaftigkeit heißt, nach der Wahrheit zu streben. Es heißt nicht, in ihrem vollständigen Besitz zu sein oder dies von sich zu behaupten. Wenn wir berichten, dann im Ergebnis von Recherchen, von Informationen aus verschiedenen Quellen und oft auch auf der Grundlage unserer Beobachtungen – zum Beispiel bei Demonstrationen.

2. Wir reklamieren für uns keine Vollständigkeit

Es gehört zur journalistischen Sorgfalt, dass wir unsere Leser erkennen lassen, was recherchierte Fakten, was Aussagen Dritter und was unsere eigenen Beobachtungen sind. Dabei vermeiden wir es, den Eindruck zu erwecken, der von uns gelieferte Bericht, das von uns gezeichnete Bild spiegele die Wirklichkeit bis ins letzte Detail wider. Vielmehr wählen wir oft aus einer Vielzahl von Fakten und Aussagen aus, die es den Lesern ermöglichen, sich ein möglichst ausgewogenes und umfassendes Bild zu machen und eine eigene Meinung zu entwickeln.Wichtig ist dabei für uns vor allem, dass wir keine Fakten weglassen, die entscheidend für das Verständnis eines Sachverhalts sind oder diesen sogar konterkarieren.

3. Weglassen ist keine Fälschung und keine Lüge

Immer wieder sehen wir uns mit dem Vorwurf konfrontiert, wir würden die Wirklichkeit verfälschen, indem wir Fakten oder auch einzelne Meinungsäußerungen nicht veröffentlichen. Dann ist das Wort „Lügenpresse“ schnell gesagt.Tatsache ist, dass wir Fakten und Aussagen nach ihrer Relevanz für die Beurteilung eines Sachverhalts wichten. Darüber, ob unsere jeweilige Entscheidung richtig ist, wird vor allem in der aktuellen Flüchtlingsdebatte oft gestritten – übrigens auch während der Entscheidungsfindung innerhalb der Redaktion.Entscheidend ist für uns, ob Informationen nachprüfbar oder glaubhaft sind. Wenn es etwa  einen Polizeieinsatz in Flüchtlingsheimen gibt, berichten wir darüber.

4. Facebook & Co. sind nicht die Wirklichkeit

Wir berichten nicht über alles, was wir hören oder lesen. Das gilt vor allem dann, wenn es auf Gerüchten beruht, die sich über die sozialen Netzwerke verbreiten. Für uns gilt: dass eine Behauptung oft wiederholt wird, macht sie nicht wahr.Leider beobachten wir eine gewisse Neigung mancher Menschen, Gerüchten und Mutmaßungen zu glauben, dagegen aber von Journalisten recherchierte oder hinterfragte Informationen als Lüge abzustempeln. Stammen diese Informationen gar aus offiziellen Quellen – also zum Beispiel von Behörden –, lässt der Vorwurf der Staatsnähe meist nicht lange auf sich warten.

5. Meinungs- und Pressefreiheit sind zwei Dinge

Gern wird jetzt von diesen beiden Freiheiten gesprochen. Die erste ist ein Grundrecht, das den Bürgern garantiert, ihre Meinung frei und offen zu äußern – auch gegen den Staat. Der AfD-Fraktionschef Björn Höcke nutzt dieses Recht, wenn er etwa auf Demonstrationen spricht.Die Pressefreiheit dagegen ist das Recht der Presse auf freie Ausübung ihrer Tätigkeit – ohne staatliche Zensur oder jedwede andere Form der Einmischung von außen. Zu dieser Freiheit gehört für uns, dass wir selbst entscheiden, ob und in welchem Umfang wir von der Aktuellen Stunde und der Demonstration am Mittwoch berichten. Schon jetzt können wir versprechen, dass wir dies ausführlich tun werden. Nicht versprechen können wir dagegen, dass unsere Berichterstattung allen passen wird.

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Zum guten Schluss für alle Chefredakteure, die 2015 wenig zu lachen hatten. Thomas Bärsch ist amtierender Chefredakteur der Thüringer Allgemeine, der das Schmunzeln nicht verlernt hat; er schrieb am 13. Dezember diesen Tweet

Ist das laute Abspielen von Heino eigentlich noch Ruhestörung oder schon Landfriedensbruch?

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Im Dezember ist dieser Blog zum Tausender geworden: Über tausend Blog sind  seit der Gründung 2012 von 160.000 Besuchern gelesen worden. Es ist ein kleiner Blog geblieben, bewusst auf eine kleine feine Leserschaft von Journalisten konzentriert und auf Leser, die  Journalismus als Garanten der Demokratie verstehen.

Ich wünsche allen Lesern, Kommentatoren und Kritikern meines Blogs ein gutes Jahr 2016, in dem sie das Lachen und Lächeln nicht verlernen sollten.

Ein Chefredakteur, Meinungsfreiheit und der Müll (Zitat der Woche)

Geschrieben am 9. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Das übelste an meinem Job sind die Arschlöcher, die sich angezogen fühlen, mir „ihre Meinung mitteilen zu müssen“ und dabei die „Meinungsfreiheit“ hervorheben und tatsächlich denken, dass ihr Müll was wert ist.

Hardy Prothmann, Chefredakteur Rheinneckarblog, am 7. August kurz vor Mitternacht

Auf Ministerpräsident Ramelows Facebook-Seite: Hat OTZ-Chefredakteur beim „Völkischen Beobachter“ gelernt?

Geschrieben am 4. August 2015 von Paul-Josef Raue.

Darf man über den Chefredakteur einer deutschen Regionalzeitung urteilen: “ Ich habe den Eindruck, er hat sein Handwerk beim ‚Völkischen Beobachter‘ gelernt.“ Ja, auch wenn Staatsanwälte mittlerweile Ungeheuerliches tun, würden sie in diesem Fall nicht einschreiten.

Darf ein Ministerpräsident einen solchen Kommentar auf seiner Facebook-Seite dulden? Ungelöscht und unkommentiert? Ja, auch das ist nicht verboten. Aber schon bemerkenswert.

Bodo Ramelow ist der deutsche Ministerpräsident, der am meisten twittert, retweetet, kommentiert, lobt und tadelt und auf Facebook schreibt und – so drängt sich der Eindruck auf – weniger regiert als unterwegs ist in den sozialen Netzwerken. Aber das kann ja die Regierung der Zukunft sein.

Bodo Ramelow, der Sozialist aus Thüringen, zeigt auch gerne den Journalisten, wo es lang geht. Er ruft schon mal beim Nachrichtensprecher des MDR an und weist ihn an, wie er eine Nachricht zu formulieren hat – so jedenfalls wird im Funkhaus erzählt; er schreibt einen Kommentar gegen einen Kommentar des Chefredakteurs der Ostthüringer Zeitung. Unter der Überschrift „Regierung fern des Rechts“ hatte Chefredakteur Riebartsch die Flüchtlingspolitik von Rot-Rot-Grün in Thüringen scharf kritisiert.

Ramelow schreibt dazu auf Facebook: „Es wird immer verrückter. Jetzt behauptet der OTZ-Chefredakteur einfach wahrheitswidrig, dass die Thüringer Landesregierung die Rechtslage nicht einhalten würde.“ Darüber hinaus macht Ramelow den Journalisten indirekt für anschwellenden Fremdenhass verantwortlich: „So wird die Stimmung einfach mit Unwahrheiten angeheizt.“

Solch eine Replik dürfte zumindest ungewöhnlich sein.

Und um diesen Kommentar, auf Ramelows persönlicher Facebook-Seite veröffentlicht, geht es. Kaum erschienen, vergleicht ein Sympathisant den OTZ-Chefredakteur mit dem  Nazi-Hetzblatt Völkischer Beobachter, dessen Chefredakteur nach dem Krieg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hingerichtet wurde. Bodo Ramelow, der sonst schnell kommentiert,  lässt laufen.

Der Eintrag steht seit dem 1. August auf Ramelows Facebook-Seite. Aus einem anderen der vielen Kurzkommentare spricht  freundschaftliches Mitleid mit Ramelow: „Es ist doch schlimm, mit welchem Blödsinn Du Dich leider beschäftigen musst!!!“

Keiner der Tweets findet den Nazi-Hetzblatt-Vergleich zumindest unpassend. Immer wieder wird dagegen suggeriert, dass Personen, die die Flüchtlingspolitik der Landesregierung kritisch sehen, Fremdenhass förderten. Eine Frau schreibt: „Hauptsache, die Stimmung wird weiter gegen Asylsuchende angeheizt, … wissen die Menschen wie dieser Redakteur eigentlich, was sie da tun?“

Eine weitere Frau merkt an: „Unverschämt!!! Solche Schreiberlinge entlassen und als Sachbearbeiter in einem Asylbewerberheim einstellen, aber gleich noch einen Verantwortlichen daneben, damit er dort keinen Unfug mehr anstellen kann.“

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Berichterstattung und Kommentar in der Thüringer Allgemeine 5. August 2015

 

 

Kritik von Journalisten an Journalisten: Stromlinienförmig, populistisch, unkritisch, unverständlich

Geschrieben am 18. Juli 2015 von Paul-Josef Raue.

Im Bemühen um Lesernähe übernehmen Journalisten gern nicht nur die Perspektive, sondern auch die Meinung des Normalverbrauchers. Damit betätigt man sich als Meinungsverstärker, bleibt aber Erklärungen und Einordnungen des Geschehens schuldig.

So antwortet ein Redakteur auf eine Umfrage des Ernst-Schneider-Preises: Wie schätzen Sie die Lage des Wirtschaftsjournalismus ein? 179 Journalisten antworteten. Eine Auswahl veröffentlicht die „Deutsche-Industrie- und Handelskammern (DIHK)“ in ihrem Medienbrief.

Stromlinienförmig (Kritik, die sich mit Pegida deckt):

  •  Journalisten produzieren, aus unterschiedlichen Gründen,  zunehmend Einheitsbrei, der vornehmlich der Erzeugung von Aufmerksamkeit und von Empörung dient.“
  • Der Trend ist der Zeit geschuldet: Zu wenig Hintergrund, zu sehr Social-Media-kompatible Plattheiten und Allgemeinplätze; viel zu wenig Fachwissen vieler Kollegen, die von ihren Redaktionsleitern und Geschäftsführern nur auf Klicks und Schnelligkeit getrimmt werden.

Zu unkritisch

  • Zu wenig kritische Reflexion des Handelns der Verantwortlichen.
  • Vor allem im Fernsehen – auch bei den öffentlich-rechtlichen Sendern – wird verkürzt und einseitig berichtet.
  • Versuchen Sie mal eine Reportage in einem Unternehmen zu machen und Sie werden auf Betonwände stoßen, wenn Sie einen auch nur annähernd kritischen Ansatz haben.
  • Personalisierung ersetzt Sachrecherche, Einzelschicksale werden übergewichtet.

Unverständlich

  • Es wird immer noch zu kompliziert berichtet, gerade wenn es um komplexe Themen wie TTIP geht.

Pressefreiheit mit Rabauken: Jagdszenen aus Mecklenburg

Geschrieben am 30. Mai 2015 von Paul-Josef Raue.

Das Bundesverfassungsgericht bekommt einen neuen Fall – hoffentlich. Eine Amtsrichterin in Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) hat den Nordkurier-Redakteur Thomas Krause zu einer 1000-Euro-Geldstrafe verurteilt, weil er sich – so der Nordkurier – „angeblich in der Wortwahl vergriffen habe, als er über den gefühllosen und ethisch verwerflichen Umgang eines Jägers mit einem Tier berichtete“. Die „Wortwahl“ bezieht sich vor allem auf das Wort „Rabauke“.

Nach dem Kommentar „Rabauken in Richter-Roben“ des Chefredakteurs Lutz Schumacher zu diesem Urteil hat der Oberstaatsanwalt Anzeige wegen Beleidigung erstattet. Davon erfuhr Schumacher aus einer Pressemitteilung des Sprechers des Oberstaatsanwalts. Schumacher reagiert im Nordkurier:

Die Staatsanwaltschaft entlarvt sich in ihrer Pressemitteilung selbst. Sie wollte offenbar gar nicht nur gegen das Wort ‚Rabauke‘ vorgehen, sondern in Missachtung unseres Grundgesetzes den gesamten Nordkurier-Artikel zensieren. Solche Juristen sind Feinde der Meinungs- und Pressefreiheit.

Die Chronik:

Rabauke Foto3. Juni 2014 Der Artikel „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“ erscheint im Nordkurier. Reporter Thomas Krause berichtet über einen Ueckermünder Jäger:, der ein totes Reh an der Anhängerkupplung seines Autos über die Bundesstraße 109 gezogen hatte. Anlass der Recherche ist ein Foto, das in den sozialen Netzwerken die Gemüter erregt. Der Nordkurier stellt nach Recherche fest: Das Bild ist echt, der Vorfall unbestritten. (Wortlaut des Artikels: Siehe unten)

Der Jäger stellt nach Erscheinen des Artikels Anzeige.

Juli 2014 Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren ein; der Jäger legt Beschwerde ein.

Sommer 2014 Die Jagdbehörde eröffnet Verfahren zum Entzug des Jagdscheins, weil „Grundsätze deutscher Weidgerechtigkeit“ verletzt worden sind. (Quelle FAZ)

2. Dezember 2014 Der Beschwerdeausschuss 2 des Presserats spricht eine Missbilligung aus, nachdem er eine Reihe von Artikeln zu dem Jäger-Fall ausgewertet hatte; der Nordkurier-Beitrag mit seiner Rabauken-Überschrift spielte keine hervorgehobene Rolle. Oliver Schlappat, Referent des Presserats, in einer Mail an den FAZ-Redakteur Jochen Zenthöfer:

Die Beschwerde wurde schließlich als begründet bewertet, weil in den Artikeln der Jäger so beschrieben worden war, dass er durch die Berichterstattung identifiziert werden konnte. Dies hat der Beschwerdeausschuss als Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex beurteilt (Schutz der Persönlichkeit). Darüber hinaus hat der Beschwerdeausschuss mindestens die Formulierung „fieser Wildschleifer“ als ehrverletzend angesehen.

Der Presserat habe nicht über den Artikel und die Überschrift „eine dezidierte Entscheidung“ getroffen – im Gegensatz zur Behauptung des Oberstaatsanwalts in einer Pressemitteilung.

Dezember 2014 Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren wieder ein; der Jäger legt wieder Beschwerde ein.

2. Februar 2015 Der Generalstaatsanwalt weist die Staatsanwaltschaft nach erneuter Prüfung an, noch einmal Ermittlungen aufzunehmen (Quelle: Nordkurier unter Bezug auf Generalstaatsanwalt).

Mai 2015 (Woche 21) Eine Amtsrichterin in Pasewalk verurteilt den Redakteur zu einer Geldstrafe von 1000 Euro, nachdem der Reporter einen Strafbefehl nicht akzeptiert hatte. Laut Nordkurier begründet sie, „dass man ein Kind noch als Rabauke betiteln könne, ein Erwachsener sich eine solche Formulierung aber nicht gefallen lassen müsse. Der Berichtsauftrag rechtfertige eine so ,pfeffrige und scharfe‘ Wortwahl nicht.“

21. Mai 2015 Der Nordkurier berichtet über die Verhandlung. Chefredakteur Schumacher kommentiert „Rabauken in Richter-Roben“, darin:

Zwar heißt es im Artikel 5 unserer Verfassung unmissverständlich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ – doch das schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch

27. Mai 2015 Die FAZ zitiert Chefredakteur Lutz Schumacher, der „Einschüchterungsversuche“ der Staatsanwaltschaft in den vergangenen Monaten beklagt und auf Ermittlungen verweist wegen Verleumdung und Geheimnisverrat, das waren Berichte aus nichtöffentlichen Gemeinderatssitzungen:

Die hiesige Staatsanwaltschaft ist übereifrig, man begreift dort nicht die verfassungsrechtlich geschützte Stellung der Presse. Dieser permanente Terror kann bei meinen Mitarbeitern eine Schere im Kopf verursachen, nach dem Motto: Dann berichten wir eben nicht mehr alles.

27.Mai 2015 Stefan Ludmann berichtet auf NDR-1 von Reaktionen auf das Urteil, das bei Politikern Kopfschütteln ausgelöst hat:

> Stefanie Drese, Rechtexpertin der SPD-Fraktion: Eine Richterin kann sich nicht als „Zensorin der Medien“ aufschwingen: Hinter der vermeintlichen Justizposse zeigt sich eine gefährliche Denkweise, die die Meinungsfreiheit angreift.

> Vincent Kokert, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion: Das Wort Rabauke ist dem Sprachgebrauch in Mecklenburg-Vorpommern nach kein Begriff mit beleidigendem Inhalt. Angesichts des Verhaltens des Jägers ist das Wort sogar noch geschmeichelt, da ließen sich schlimmere Wörter finden.

> Helmut Holter, Chef der Fraktion Die Linke: „Rabauken-Jäger“ ist von der Meinungsfreiheit voll gedeckt, der Jäger müsse sich fragen lassen, ob er angesichts seines rüden Verhaltens den Titel Jäger noch tragen sollte.

> Jürgen Suhr, Vorsitzender der Grünen-Fraktion: Ich bin froh, wenn Journalisten kritische Vorgänge gut lesbar aufarbeiten. Es wäre ein falsches Zeichen, wenn sich Journalisten durch ein solches Urteil verunsichert würden.

> Der Presserat bleibt einsam in seiner Einschätzung und erkennt keine Gefährdung der Pressefreiheit. Sprecher Oliver Schlappat spricht von einer sehr hitzigen Diskussion und appelliert an die Verantwortung der Medien: Es ist in dem Prozess kein Thema gewesen, ob die Zeitung über den Fall berichten durfte oder nicht. Journalisten müssen rechtliche und ethische Grenzen beachten. Wenn die Grenze zur Beleidigung oder Schmähkritik überschritten wird, so findet die Meinungsfreiheit darin ihre Grenzen.

BILD Rabauke Nordkurier28. Mai 2015

Die Bildzeitung berichtet über das Urteil und druckt den Artikel als Faksimile ab.

 

 

 

 

 

Rabauken Staatsanwalt PM29.Mai 2015

In einer Pressemitteilung gibt der Oberstaatsanwalt in Neubrandenburg bekannt, er habe Anzeige wegen Beleidigung erstattet gegen Nordkurier-Chefredakteur Schumacher.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Undsoweiter Lutz Schumacher wird voraussichtlich mit Presserechts-Anwalt Professor Johannes Weberling in die weiteren juristischen Händel gehen.

 

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Die Nordkurier-Artikel am 21. Mai 2015 im Wortlaut:

Zum Abschuss freigegeben

Ein Nordkurier-Redakteur wurde in dieser Woche vom Pasewalker Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Grund: Er hat sich angeblich in der Wortwahl vergriffen, als er über den gefühllosen und ethisch verwerflichen Umgang eines Jägers mit einem Tier berichtete.

Erst schleifte er ein Reh an der Anhängerkupplung über die Bundesstraße, jetzt zerrte er den Nordkurier vor Gericht: Der Mann, der als Wildschleifer von Vorpommern bundesweit traurige Berühmtheit für seine Rohheit im Umgang mit einem verendeten Tier erlangte, ist auf einmal sehr sensibel, wenn es um ihn selbst geht. Der Mann fühlte sich durch unsere Berichterstattung zu dem Fall und die Reaktionen darauf in der Jägerschäft und bei unseren Lesern in seiner Ehre verletzt. Er wandte sich aber nicht an den Nordkurier, um seine Sicht der Dinge vorzutragen und eine ergänzende Berichterstattung zu ermöglichen. Im Gegenteil, er blockte alle Versuche einer Kontaktaufnahme ab. Um dann, als sich die Wogen schon etwas geglättet hatten, Strafanzeige wegen Beleidigung gegen einen einzelnen Redakteur unseres Hauses zu stellen.

Gerichtliche Auseinandersetzungen sind für den Nordkurier natürlich nichts Neues. Wer die Dinge klar beim Namen benennt, auch strittige Themen engagiert angeht und dabei deutlich Stellung bezieht, provoziert natürlich auch Widerspruch. Und stellt sich dem gerne in presserechtlichen Verfahren, in denen noch einmal auf den Prüfstand kommt, ob die Redaktion ihrer Pflicht zur Sorgfalt und Wahrhaftigkeit nachgekommen ist. Das ist beim „Spiegel“ nicht anders als bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und eben auch beim Nordkurier.

Unwaidmännisches Verhalten

In diesem Fall war es allerdings anders – und für die ganze Branche höchst untypisch. Jetzt wurde nicht um die Wahrheit gestritten, sondern mit den Mitteln des Strafrechts gegen unseren Reporter Thomas Krause und eine einzige Formulierung vorgegangen. Es ging um den Begriff „Rabauken-Jäger“, durch den sich der Wildschleifer angeblich aufs Höchste gekränkt fühlte. Jäger ist der Mann schon einmal, das steht fest, zumindest hatte er einen Jagdschein und ein eigenes Jagdrevier. Der Jagdverband allerdings würde ihn nicht Jäger nennen wollen. Zu unethisch und unwaidmännisch fand man dort sein Verhalten, das im Juni 2014 durch ein Foto dokumentiert wurde. Darauf sah man, wie ein verendetes Reh an der Anhängerkupplung über die Bundesstraße 109 geschleift wurde. Das Foto geisterte durch soziale Netzwerke im Internet, binnen 24 Stunden konnte der Nordkurier dann Zeugen auftreiben und die Herkunft des Fotos klären. Das Bild war echt, der Vorfall hatte sich tatsächlich so zugetragen und wird bis heute nicht bestritten. Der Nordkurier veröffentlichte daraufhin das Bild und ging der Frage nach, ob ein Jäger sich so verhalten darf.

Darf er nicht. „Es widerspricht allen ethischen und moralischen Wertvorstellungen, die wir mit der Jagd verknüpfen“, erklärte Kreissprecher Achim Froitzheim dazu. Der Beitrag im Nordkurier schlug hohe Wellen, in der Redaktion gingen viele Leserkommentare dazu ein, im Internet machten sich empörte Tierfreunde Luft. Auch darüber berichtete der Nordkurier. Und weil die Kommentare einhellig die Rohheit und Gefühllosigkeit eines solchen Umgangs mit einem Tier zum Thema hatten und den rabiaten Pragmatismus dieses „Jägers“ aufs Korn nahmen, erschien dieser Beitrag am 3. Juni unter der Überschrift „Rabauken-Jäger erhitzt die Gemüter“. Nach Meinung unseres Reporters und auch der Redaktion wurde so das Verhalten des Wildschleifers auf den Punkt gebracht.

Abrechnung mit den Medien

Seiner Meinung nach nicht. Er suchte aber wie gesagt nicht die Auseinandersetzung mit dem Nordkurier, er kämpfte auch nicht für seine Sicht auf die Ereignisse, sondern zeigte den Kollegen wegen Beleidigung an. Nun also der Prozess vorm Pasewalker Amtsgericht. Und dort staunten die Prozessbeobachter nicht schlecht, als es auch hier nicht um das Verhalten des Wildschleifers ging, sondern der Staatsanwalt in seinem Plädoyer gegen die Medien allgemein und den Nordkurier speziell zu Felde zog. Da ging es nicht mehr um den „Rabauken-Jäger“, sondern da gab es eine Generalabrechnung mit dem ganzen modernen Medienbetrieb. Zu laut, zu schnell, zu plakativ. Die wahren Rabauken, so klang das unterm Strich, sind die Journalisten.

Die Richterin wollte ebenfalls nicht gelten lassen, dass eine Zeitung die Dinge im Sinne der Meinungsfreiheit auch deutlich benennen darf. Selbst wenn ein Reporter ein Verhalten als unangemessen charakterisieren wolle, dürfe er dazu keine derartigen Formulierungen benutzen. Konkret führte sie aus, dass man ein Kind noch als Rabauke betiteln könne, ein Erwachsener sich eine solche Formulierung aber nicht gefallen lassen müsse. Der Berichtsauftrag rechtfertige eine so „pfeffrige und scharfe“ Wortwahl nicht.
Reporter soll 1000 Euro zahlen

Da half es auch nicht viel, dass der Nordkurier-Anwalt ausgeführt hatte, dass sogar die hochseriöse Börsen-Zeitung GdL-Chef Weselsky als Rabauken bezeichnet hatte. Der könne ja auch klagen, ließ die Richterin wissen und machte sich, anders als der Nordkurier, keine großen Sorgen, welche Auswirkungen das auf die Pressefreiheit haben könnte. Ihrer Meinung nach rechtfertige auch der Berichterstattungsauftrag diese Wortwahl nicht. Und weiter: „Ich wäre auch erbost, wenn ich als Rabauken-Richterin bezeichnet werden würde.“ Im Ergebnis erkannte sie auf schuldig.

1000 Euro soll Nordkurier-Reporter Krause jetzt zahlen. Aber noch im Gerichtssaal kündigte der Nordkurier-Anwalt an, gegen dieses Urteil Rechtsmittel einzulegen. Und unser Kollege erklärte, dass er die Nordkurier-Berichterstattung nach wie vor für angemessen und wahrheitsgemäß halte.

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Schumacher-Kommentar nach der Verurteilung des Redakteurs:

Rabauken in Richter-Roben

Das Grundgesetz gilt eigentlich in ganz Deutschland. Im Amtsgericht Pasewalk und bei der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg scheint das wichtigste deutsche Gesetz jedoch irgendwie verschludert worden zu sein. Zwar heißt es im Artikel 5 unserer Verfassung unmissverständlich: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“ – doch das schert offenbar weder einen sich im Gerichtssaal mit Schaum vor dem Mund über die Presse ereifernden Staatsanwalt noch seine Erfüllungsgehilfin am Richtertisch. Sie meinen allen Ernstes, es sei Sache von Strafgerichten zu entscheiden, was und in welchem Tonfall die Presse zu berichten habe.

Dieses Land hat zwei Diktaturen hinter sich und leider auch eine entsprechend fürchterliche Justizgeschichte. Die beiden über die freie Presse herfallenden Juristen haben daraus nichts gelernt. Vielleicht wäre es ihnen genehm, wenn der Nordkurier seine Artikel künftig den Behörden vorab zur Begutachtung vorlegt – war doch früher auch schon so. Und den Nachsatz im Artikel 5 des von Rabauken in Richter-Roben vergessenen Grundgesetzes – „Eine Zensur findet nicht statt“ – vergessen wir halt auch.

In Mecklenburg-Vorpommern will die Justizministerin im Rahmen einer Justizreform kleine Amtsgerichte auflösen. Der Nordkurier steht diesem Plan bislang eher kritisch gegenüber. Amtsgerichte, die offenen Verfassungsbruch begehen und die Meinungen von Journalisten bewerten und bestrafen wollen, sollten allerdings wirklich schleunigst dichtgemacht werden. Damit das Grundgesetz künftig auch wieder in unserer Region gilt. Ich freue mich in diesem Zusammenhang bereits jetzt auf Post: Lieber Staatsanwalt, auch dieser Kommentar dürfte Ihnen nicht schmecken. Bitte schicken Sie Ihre Ladung aber wenigstens mit dem Nordkurier-Briefdienst.

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Kommt herunter vom Thron, verehrte Bischöfe und Journalisten!

Geschrieben am 27. Februar 2015 von Paul-Josef Raue.

Die sozialen Medien zwingen uns, herunterzukommen vom Thron, den Menschen zuzuhören und interaktiv zu werden.

Sagt Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Der Spruch passt auch auf eine Reihe von Journalisten – mit der Einschränkung: Um den Thron zu verlassen, braucht man keine soziale Medien. Zweitens: Viele lassen sich auch durch Facebook & Co nicht zwingen. Drittens eine Frage: Wie wird man interaktiv?

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Quelle: RN-Kiwits Newsletter vom 27. Februar 2014 (Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Hildesheim)

Seiten:«123»

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