Süddeutsche: Leserbriefe werden Kultur
Das neue Design der Süddeutschen Zeitung hat den Leserbriefen einen neuen Ort geschenkt: Das Feuilleton-Buch vor der Wissens-Seite. So adelt die überregionale Zeitung die Meinung der Leser, bringt auf der Seite „Forum & Leserbriefe“ auch die Korrekturen, einen Rückblick „Vor zehn Jahren“ oder eine Auswahl der Leserbeiträge von Facebook, Google Plus und Twitter – stets mit komplettem Namen, aber nicht mit Ort und nicht mit Nickname.
Nicht mehr zur Kultur zählt die SZ die „Medien“, die Seite ist verbannt auf die vorletzte Seite des Sportbuchs, zwischen „Bayern“ und dem Fernsehprogramm.
(zu: Handbuch-Kapitel 53 Was die Leser wollen + 55 Der neue Lokaljournalismus)
Innenminister gibt ein wenig nach
In der Endlos-Geschichte um die staatlichen Medaillen-Vorgaben hat der Innenminister nach 14 Monaten erstmals Informationen herausgegeben. Die Geschichte der Verweigerung erzählen Daniel Dreppen (Freier im WAZ-Reporter-Ressort) und Niklas Schenk (Henri-Nannen-Schüler) auf Der-Westen.de
Allerdings geht es den beiden Reportern nicht nur um die Vorgaben des Staates, wie viele Medaillen die Olympioniken holen müssen nach dem Motto „Gold für Geld“ – auch wenn dies während der Olympischen Spiele die meisten Journalisten und TV-Zuschauer interessiert; es geht auch um eine umfassende Akteneinsicht: Wie läuft das Verfahren ab, nach dem die Millionen verteilt werden? Welche Kriterien gibt es?
Bisher in diesem Blog: Geld gegen Gold (am 10. August) und Gericht: Olympioniken-Chef muss Journalisten Auskunft geben (3. August)
(zu: Handbuch-Kapitel 17-18 Wie Journalisten recherchieren)
Gericht: Olympioniken-Chef muss Journalisten Auskunft geben!
Die Journalistenvereinigung netzwerk recherche fordert Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und den Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper, auf: Legt die Medaillen-Zielvorgaben für die deutschen Athleten bei den Olympischen Spielen ohne weitere Verzögerung offen!
Die Journalisten Daniel Drepper und Niklas Schenck hatten bei einer Recherche für die WAZ-Mediengruppe vor dem Verwaltungsgericht Berlin erstritten, dass das Innenministerium die Medaillenziele offenlegen muss.
Das Gericht hat zweifelsfrei erklärt, dass die Auskünfte jetzt erteilt werden müssen. Die Offenlegung hinauszuzögern, bis die Spiele in London vorbei sind, wäre in höchstem Maße unsportlich,
erklärt Oliver Schröm, Vorsitzender von netzwerk recherche. Mehr als 10 Millionen Euro an Steuergeldern werden jährlich über die Zielvereinbarungen an die Sportverbände verteilt. „Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, unter welchen Voraussetzungen dies geschieht“, so Schröm.
Michael Vesper war übrigens Gründungsmitglied der Grünen.
(Aus einer Pressemitteilung von Netzwerk-Recherche)
Darf ein Reporter Löws Hotelzimmer durchsuchen? Oder: Die Jagd nach dem blauen Pullover
Journalisten durchsuchen Löws Papierkorb im Warschauer EM-Mannschaft-Hotel, finden darin den blauen Pullover, zuvor zum Kultobjekt des deutschen Siegeswillen erhoben.
Hatte Löw ihn nach der Italien-Niederlage wütend weggeworfen? Nein, sagen Löws Begleiter, er war in der Wäsche eingelaufen. Und andere Begleiter zitiert die Süddeutsche: Ein Tabubruch! Dass Reporter und Fotografen das Hotelzimmer des Bundestrainers nach seiner Abreise durchwühlen, das ist noch nie vorgekommen!
Die Durchsuchung ist rechtlich am Rande der Zulässigkeit, aber ein Tiefpunkt der journalistischen Moral.
(Quelle: SZ 28. Juli 2012)
(zu: Handbuch-Kapitel 48-49 Presserecht und Ethik)
Heute um 20.45 Uhr: Fussball in Leopolis (Friedhof der Wörter)
Noch einmal: Lemberg; noch einmal die Stadt in der Ukraine, in der die deutschen Fußballer am Sonntag spielen und auf einen Sieg hoffen. Noch einmal: Der Name der Stadt, der zeigt, dass Worte nicht nur Worte sind, sondern aufgeladen mit Geschichte und Geschichten. Die Namen der Städte raunen uns zu aus längst vergessenen Epochen, künden von Träumen und noch öfter von Albträumen.
Und wir wissen es oft nicht mehr. Wir nutzen die Wörter im Alltag wie andere nützliche Gegenstände, wie ein Stück Seife oder eine Scheibe Brot. Sie sind Lebensmittel; also Mittel, um zu leben, um sich zu verstehen und zu verständigen.
Lemberg ist für die meisten Fernseh-Zuschauer einfach der Name einer ukrainische Stadt, in der deutsche Fußballer spielen. Dürfen Deutsche so unbekümmert mit den Namen umgehen? Mit der Geschichte?
Nein, schreibt empört ein Leser und verweigert sogar am Ende seines Briefs den freundlichen Gruß. Wer Lemberg schreibt statt Lwow, der schreibe „im Stil großdeutscher Denkweise“. Unser Leser blickt in die Geschichte: Lediglich von 1772 bis nach dem Ersten Weltkrieg hatte Lwow einen deutschen Namen. Er fährt fort:
„Was sollen also derartige Bezeichnungen in einer deutschen Zeitung? Oder sind Sie möglicherweise ein zu spät geborener Vertreter der Ideologie, die diese Gebiete nach wie vor als zu Deutschland gehörig ansehen?“
Wie denkt eine Schriftstellerin aus der Ukraine über den Namensstreit? „Wie soll ich den Namen meiner Heimatstadt schreiben?“, fragt Natalka Snjadanko und geht die Namen durch: Lwiw (ukrainisch)? Lwow (russisch)? Lemberg (deutsch)?
Leopolis will sie ihre Heimatstadt nennen, zurückgreifend auf den ältesten, den lateinischen Namen. Das sei politisch neutral, schreibt sie, entrücke den Streit in eine mythische Vergangenheit.
So ist auch die Dichterin kein Trost im Streit um Lemberg, den Namen und den rechten Umgang mit der Vergangenheit. Sie macht aber klar: Es sind nicht einfach nur Namen, die wir gebrauchen, nicht einfach nur Worte.
Der Text von Natalka Snjadanko steht in dem gerade erschienenen Sammelband „Totalniy Futbol – eine polnisch-ukrainische Fußballreise“ (Suhrkamp-Verlag, 18 Euro)
Das perfekte Interview: Provozierend? Oder respektvoll?
Wie respektvoll muss ein Journalist mit seinen Gesprächspartnern umgehen? Waldemar Hartmann, der zur EM „Waldis Club“ aus Leipzig moderiert, sagt in einem Interview mit der Zeitschrift GQ:
Mit Aggression jedoch erreicht man wenig. Im Studio erst recht nicht. Wer sich da vor die Kamera setzt, heißt nicht umsonst Studiogast – er ist nicht vorübergehend festgenommen.
Bei den jungen Sportjournalisten vermisst er bisweilen den Respekt:
Es gibt zugegebenermaßen Kollegen, die Widerspruch geradezu herausfordern. Unter Sportreportern herrscht besonders große Schmerzfreiheit. Ich bedauere das und versuche, das jungen Kollegen auch immer zu sagen, aber das aktuelle Geschäft lässt sie nicht zuhören. Bei denen bin ich immer nur der Weichspüler.
(zu: Handbuch-Kapitel 26 „Das Interview“)
Wolf Schneider: Journalistische Texte werden schludriger
Die „Drehscheibe“, das Lokaljournalisten-Magazin, veröffentlicht auf ihrer Webseite Interviews mit den Autoren des Handbuchs. Stefan Wirner sprach mit Wolf Schneider. Auszüge aus dem Interview:
Die Entwicklung im Online-Bereich ist rasant. Finden Sie, dass deutsche Zeitungen damit geschickt umgehen?
Nein. Eine alte Krankheit großer Blätter – an zwei von drei Tagen ist ihr Aufmacher identisch mit der ersten Nachricht der „Tagesschau“ – ist im Online-Zeitalter geradezu grotesk geworden. Die Sportjournalisten liefern schon seit 50 Jahren keine Überschrift mehr von der Art „Bayern siegt 3 : 1“, sie haben aus dem Fernsehen beizeiten gelernt. Die nackte Nachricht gibt keinen Aufmacher mehr her.
Glauben Sie, die Verlage sollten ihre Präsenz in sozialen Foren wie Facebook, Google oder Twitter intensivieren? Muss man alles mitmachen?
Intensivieren müssen sie wohl. Alles mitmachen müssen sie nicht.
Raufen Sie sich eigentlich zuweilen die Haare, wenn Sie den flapsigen Umgang mit Sprache in sozialen Foren beobachten?
Ja.
Wie hat sich die sprachliche Qualität von journalistischen Texten in den vergangenen Jahren entwickelt?
Sie werden schludriger.
(zu: Handbuch-Kapitel 54 „Die neue Seite 1“ + Kapitel 5 „Die Internet-Revolution“ + Kapitel 11ff „Verständliche Wörter“
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