Alle Artikel mit dem Schlagwort " Sprache"

„Unausrottbarer Volksglaube“ oder: Wer macht die Sprache? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 4. Mai 2013 von Paul-Josef Raue.

Auf der Leserseite ist mir ein Fehler aufgefallen, dem ich sehr häufig in der TA, aber auch anderswo begegne. ,Erstmal auf eigene Leute setzen‘, lautet eine Überschrift. Richtig müsste es heißen: ,Erst mal…‘, denn es handelt sich um die Kurzform von „,erst einmal‘, und das schreiben Sie ja auch getrennt.

So schreibt ein Leser aus Erfurt an die „lieben Zeitungsmacher“. Der Leser hat Recht, aber der Redakteur hat trotzdem keinen Fehler gemacht. Der Duden empfiehlt „erst mal“ – also eine Empfehlung, keine Regel; „erstmal“ ist möglich, eine „alternative“ Schreibweise. Zudem setzt der Duden „erstmal“ auf seine Liste der „rechtschreiblich schwierigen Wörter“.

Warum drückt sich der Duden vor einer verbindlichen Regel? Wie der Leser korrekt feststellt, ist „erst einmal“ die hochsprachliche Urform. Im Alltag neigen wir aber dazu, Wendungen aus der Hochsprache zu verkürzen. So wird aus „erst einmal“ ein „erst mal“.

Wenn das Alltagswort oft gebraucht wird, schleicht es sich in die Hochsprache, also in die Sprache der Dichter und Journalisten. An der Universität Leipzig schauen Forscher Tag für Tag in die Zeitungen und die großen Internet-Seiten: Welche Wörter werden heute am meisten benutzt? In den Jahren wuchs eine große Sammlung des deutschen Wortschatzes. Der Wettlauf zwischen „erstmal“ und „erst mal“ hat keinen eindeutigen Sieger, beide Schreibweisen kommen ähnlich oft vor.

Wolfgangs Peters‘ Hinweis auf die Logik reicht nicht hin. Unsere Sprache, die sich auch auf der Straße bildet, ist nicht immer logisch. Das verwandte Adverb „erstmals“ schreiben wir zusammen – verbindlich. Und auf der Straße holen wir zwischen „erst“ und „mal“ keine Luft. Das spricht für die Ein-Wort-Lösung. Die Ursprungsform „erst einmal“ legt die Zwei-Wörter-Lösung nahe.

Ich wage die Prognose: „Erstmal“ setzt sich durch. Das Volk und mit ihm eine ausreichend große Zahl von Journalisten wird dafür sorgen – auch wenn das „Zwiebelfisch-ABC“ des Spiegel, wo die Hohepriester der Sprache richten, zur Volksbeschimpfung greift:

Entgegen einem unausrottbaren Volksglauben wird ,erst mal‘ in zwei Wörtern geschrieben.

Thüringer Allgemeine, geplant für den 6. Mai 2013

Peter Handke: Die scheußlichsten Wörter kommen von Journalisten

Geschrieben am 8. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Wenn Sie das Wort einknicken noch mal verwenden, stelle ich Sie hinaus in den Regen. Einknicken, sich hinauslehnen, verschnarcht: Die scheußlichsten Wörter der Bundesrepublik kommen von Journalisten.

Peter Handke in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung (19.10.2012)

Eine vorbildliche Recherche: Offshore-Leaks der SZ

Geschrieben am 5. April 2013 von Paul-Josef Raue.

„Offshore-Leaks“, die Serie der Süddeutschen, ist, abgesehen vom Serientitel, ein Vorbild für alle Reporter:

  1. Die Quellen sind genannt: Eine anonyme Festplatte, die per Post gekommen ist; darauf sind Dokumente, die auf den Servern zweier Firmen gesammelt wurden: Portcullis („Fallgitter“), ein Finanzdienstleister auf den Cook-Inseln, und CTL, Commonwealth Trust Limited, auf den Britischen Jungferninseln.
  2. Die Überprüfung der anonymen Quellen übernehmen seriöse Zeitungen – und in Deutschland auch der NDR – wie die Washington Post, der Guardian, Le Monde.
  3. Die meisten Personen werden zu Vorwürfen befragt, wie der Nachlassverwalter von Gunter Sachs, oder die Sprecher von Banken, wie der Deutschen Bank; die meist abwiegelnden Erklärungen werden veröffentlicht ebenso wie das Schweigen.So fällt auch das Fehlen der Quellen auf, meist bei Vorwürfen gegen internationale Prominenz wie die Tochter des philippinischen Diktators Marcos; da behilft sich die Redaktion mit einer unbeantworteten Frage („Stammt das Geld aus dem unrechtmäßigen Vermögen des Vaters?“) und dem Hinweis, die Behörden auf den Philippinen wollen prüfen.
  4. Die Geschichte ist verständlich, meist sehr gut geschrieben. Die Autoren verschanzen sich nicht hinter dem Argument „komplexe Materie“, sondern entwirren nach dem ehernen Journalisten-Grundsatz: Quälen muss sich der Redakteur, nicht der Leser.
  5. Grafiken helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Aber das ist der einzige Nachteil der SZ-Serie: Die Grafiken sind meist wirr, nur schwer zu enträtseln – und haben keine Bildzeile, also keine Lesehilfe („Wie muss ich die Grafik lesen?“).

Zur Kommentierung wird dann der Poet der Redaktion geladen, der in einem großen moralischen Eintopf „Offshore“ mit der Armut in Deutschland verknüpft, mit Hartz IV und dem Grundgesetz. Wie überwältigt Heribert Prantl von der Fleißarbeit seiner Kollegen war, zeigen allein schon die Sprachbilder und Substantive im ersten Absatz seines Leitartikels: Schöpfungen Gottes, Palmen, weiße Strände, Idylle, Sehnsucht, Verklärung, Badetuch, Tresore, Paradies, Geldmagnet, Gier. Wie gesagt – so viel Phantasie in einem einzigen Absatz!

Wie bei fast allen Skandalen, die von Journalisten recherchiert werden, stellt sich die Frage nach der Moral: Dürfen wir Material nutzen, das illegal oder sogar mit krimineller Energie beschafft wurde, oder von moralisch zwielichtigen Typen kommt?

Ja, weil das Material nur den Anlass zur Recherche gibt. Nur was der Redakteur auch belegen kann durch eigene Recherche, das kommt an die Öffentlichkeit – die ein Recht darauf hat, in die Kulissen der Macht zu schauen.

Im „Handbuch des Journalismus“ ist im Kapitel 17 „Die eigene Recherche“ zu lesen:

Hartnäckigkeit und Fleiß bringen nicht immer den Lohn, manchmal spielen eher unmoralische Motive die Hauptrolle, damit der Moral zum Siege verholfen wird. Hätte nicht der Spiegel einem Informanten eine horrende Summe bezahlt, so wüssten wir immer noch nicht, auf welche Weise sich die Chefs der ,Neuen Heimat‘ bereichert haben.

Kein Reporter hatte sich geplagt, sondern ein gekränkter Angestellter der ,Neuen Heimat‘ sein Wissen zu Geld gemacht. Weniger Gekränktheit beim Angestellten oder weniger Geld beim Spiegel, und die Öffentlichkeit hätte die Wahrheit vermutlich nie erfahren.“

Brauchen wir korrektes Deutsch? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Was ist denn das für eine Denkhaltung: Hauptsache verständlich, korrekt muss es nicht unbedingt sein.

So zürnt Hiltrut Schmerbauch aus Ingersleben mit dem Autor des „Friedhofs der Wörter“. Sie zürnt zu Recht: Wer denkt, wir müssten nicht korrekt schreiben, der ist ein Tor.

Beides gilt: Verständlich muss die Sprache sein und korrekt – und darüber hinaus noch farbig und unterhaltsam. Die Reihenfolge ist mit Bedacht gewählt: Die Verständlichkeit steht vorn – denn wem nützt die beste Sprache, wenn sie einer nicht versteht, der sie verstehen soll, gar verstehen muss.

In der Prozession der Wichtigkeit folgt das Korrekte wie ein Zwilling – denn nur, wenn wir uns an die Regeln halten, halten wir die Sprachgemeinschaft zusammen. Hiltrut Schmerbauch schreibt, wieder zu Recht: „Die Grundlage einer jeden Kommunikation ist nun mal die Sprache, und die sollte eben richtig sein.“

Wer nach Beliebigkeit oder Laune, wegen Faulheit oder Ignoranz die Regeln ändert, der verwirrt uns und schadet der Verständlichkeit.

Es folgen zwei Einwände, die bedenkenswert sind:

  • Erstens verändere sich Sprache unentwegt, weil Neues zu benennen ist wie der Computer, das Internet oder die Energiewende; weil Wörter aus anderen Sprachen uns erst bedrängen, dann gefallen wie Flirt und Steak, Tsunami und Blamage; weil junge Leute anders sprechen wollen als die Alten und sich freuen, wenn diese „geil“ gar nicht geil finden.
  • Zweitens sei der Duden eine wankelmütige Instanz, der jeden Fehler zur Regel erhebt, wenn er nur oft genug zu lesen ist.

Doch ist es aller Mühe wert, nicht zu kapitulieren vor denen, die unsere Sprache verschandeln – vor Werbern, die uns den „Service Point“ unterjubeln, vor digitalen Ureinwohner, die ihre Tastatur in ein „keyboard“ verwandeln, vor Experten, die lieber von einem „justiziellen Verfahrensablauf“ sprechen statt von einem Gerichtsprozess, oder vor Journalisten, die jeden sprachlichen Unsinn verbreiten statt ihn zu ächten.

Wer die Regeln ändern will, muss dies gut begründen können. Dies allerdings muss möglich sein – auch gegenüber dem Duden, dem Spiegel oder Peter Sloterdijk.

Verbünden wir uns also mit Hiltrut Schmerbauch aus Ingersleben und retten die korrekte Sprache – und die verständliche.

geplant für Thüringer Allgemeine 2. April 2013

31 Millionen Euro gegen die Vertwitterung des Journalismus

Geschrieben am 9. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Schlechte Nachrichten für alle, die den Untergang der Zeitungen und die Vertwitterung des Journalismus in naher Zukunft erwarten. Am Donnerstag weihte die Braunschweiger Zeitung eine neue Zeitungsdruckerei ein, in die die Funke-Mediengruppe 31 Millionen Euro investiert hat.

Der Braunschweiger Geschäftsführer Harald Wahls stellte die modernste Zeitungsdruckerei denn auch mit leichter Ironie vor: „Wir schauen optimistischer in die Zukunft, als die allgemeine Nachrichtenlage über Zeitungen suggeriert.“ Zur Eröffnung waren denn auch alle gekommen, die wichtig sind in Braunschweig, Wolfsburg und Niedersachsen – ob Oberbürgermeister, Chef der VW-Autostadt, Verleger, Politiker und Unternehmer.

Stephan Weil, der neue Ministerpräsident, kam nach Braunschweig, wenige Tage nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Er sprach kurz, frei, und er lobte die Regionalzeitung als das am meisten vertrauenswürdige Medium. Von seiner Erziehung durch die Zeitung erzählte er: Das Lesen hat er im Sportteil der Zeitung gelernt, so wie auch seine Kinder das Lesen gelernt haben. „Ich wünsche mir, dass auch ein Enkelkind mit Hilfe des Sportteils einer Zeitung das Lesen lernen wird.“

Es waren gestandene Männer aus dem analogen Zeitalter, die das Lob der Zeitung sangen, also Menschen, die sich einen Morgen ohne das Knittern von Papier nicht vorstellen können – für die eine Zeitung mehr als die Aufnahme von Information zwecks Speicherung im Hippocampus unseres Gehirns. „Die gedruckte Zeitung ist etwas Emotionales im Vergleich zum Laptop, auf dem wir das E-Paper lesen“, sagte der Braunschweiger Oberbürgermeister Gert Hoffmann, der in der digitalen Welt auch den Verfall von Sprachkultur beklagt.

Für Christian Nienhaus, Geschäftsführer der Funke-Mediengruppe, ist Zeitung Entschleunigung. Angenommen, so sein Gedankenexperiment, statt Gutenbergs Erfindung wären wir vom Papyrus gleich zum Computer übergegangen: Wären Papier und Zeitung dann nicht eine moderne Innovation? Zudem seien nicht nur Banken systemrelevant, sondern auch Zeitungen – relevant für unser System Demokratie.

In einem Interview mit der Braunschweiger Zeitung hatte Nienhaus hingewiesen, dass die Herstellung der Zeitung in der neuen Druckerei ein vollständig digitaler Prozess sei, an dessen Ende ein anologes Produkt stehe.

Gauck als Meister der Floskeln und taumelnden Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 24. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
Die Macht des  Bundespräsidenten ist seine Sprache. Da er sonst wenig zu entscheiden hat, soll er wenigstens gut reden – am besten den Politikern ins Gewissen, manchmal auch dem Volk.

In dieser Woche hat unser Bundespräsident seine erste große Rede gehalten. Er sei nervös gewesen, schreiben Kommentatoren, und sie meinen es positiv: Besser ein nervöser Politiker als ein überheblicher. Und er schreibe seine Reden selbst, und auch das meinen sie positiv.

Die Rede war nett, sie tat keinem weh, vor allem den Briten nicht, die gerade erdulden müssen, dass die deutsche Wirtschaft besser läuft als ihre. Da tröstet es, wenn ein Bundespräsident sagt: Auch Engländer gehören zu Europa, sogar die Schotten, die Waliser, Nordiren und „britische Neubürger“.

Nur – war die lange Rede des Präsidenten mehr als eine Reihung von Floskeln, hübsch, aber leer? Ein Beispiel:

 Einst waren europäische Staaten Großmächte und Global Player. In der globalisierten Welt von heute kann sich im besten Fall ein vereintes Europa als Global Player behaupten.
Da taumeln die Wörter:
  • Global Player sind Unternehmen, die weltweit handeln, und nicht Staaten.  Staaten leiden unter „Global Playern“ und ihrer Finanzmacht, mit der sie Politiker unter Druck setzen können.
  •  Globalisierte Welt ist wie ein weißer Schimmel. Pleonasmus nennen es die Wissenschaftler, abgeleitet vom griechischen Wort für Überfluss:  Zwei Wörter, deren Sinn ähnlich ist.
Globalisierung bedeutet laut Duden „weltweite Verflechtung“; globalisiert leitet sich von „global“ ab, das „weltweit“ bedeutet.

Wer von „globalisierter Welt“ spricht, meint keine weltweite Welt, sondern eine schnelle Welt, in der Informationen und Transporte in einem Tempo um die Welt rasen wie nie zuvor – dank Internet, Flugzeugen und Containerschiffen. Für viele folgt diese schnelle Welt nicht mehr dem menschlichen Maß. Aber das ist ein neues Thema.

Thüringer Allgemeine 25. Februar 2013

„Taschendiebinnen“, die Sprache und der Sexismus

Geschrieben am 16. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Frage der Drehscheibe:

Gibt es in der Redaktion Regeln zum nicht-sexistischen Sprachgebrauch, zum Beispiel was männliche und weibliche Schreibweisen betrifft? Wenn ja, wie sehen diese Regeln aus?

Meine Antwort:

Die Debatte um das große I, um Diskriminierung in der Sprache, führen wir schon lange in der TA, zum Beispiel in der Kolumne „Friedhof der Wörter“. Im November begann die Kolumne so:

„Frauen sind die Benachteiligung leid, lehnen sich dagegen auf und erregen sich über die Sprache, die überwiegend männlich geprägt ist. Warum nur sind der Gott und der Mensch männlich?“

Zitiert wird dann aus einem Infobrief der Erfurter „Linke“: „Ein Parallelität zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht (Genus und Sexus) besteht nicht.“

Und die Kolumne endet: „Zudem ist unsere Sprache ungerecht auch zu den Männern: Warum ist die Brüderlichkeit  weiblich und der Hampelmann männlich? Die Liebe weiblich und der Hass männlich? Der Verbrecher männlich, auch der Sündenbock und der Taschendieb – oder haben Sie schon einmal gelesen: Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt?“

Es ist Unsinn, die Debatte um den „Sprachgebrauch“ in die „sexistische“ Ecke zu stellen. Das ist zu viel Ehre für Herrn Brüderle.

Stalingrad, Goebbels, der Krieg und die Wörter (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 3. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 3. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Vor siebzig Jahre endete im Kessel von Stalingrad die wahrscheinlich blutigste Schlacht der Geschichte. Propaganda-Minister Joseph Goebbels redete die Niederlage schön und verbot den Deutschen, ein Wort auszusprechen:

Für uns aber war es seit jeher feststehender und unumstößlicher Grundsatz, dass das Wort Kapitulation in unserem Sprachschatz nicht existiert!

Im Krieg stirbt die Wahrheit immer zuerst, sagte Churchill, und jeder Krieg beweist: Er ist immer auch ein Kampf um die Worte. Meistens wollen die, die Krieg führen, ihre Bevölkerung milde stimmen und Bomben, Tod und Elend beschönigen – auch in Demokratien.

Jamie Shea war vor fünfzehn Jahren Sprecher der Nato während des Kosovo-Kriegs. Er sprach vom „Kollateralschaden“ und meinte Zivilisten, die bei einem Bombardement getötet wurden. Das Wort wurde in Deutschland zum „Unwort des Jahres“ gewählt.

Jamie Shea entschuldigte sich dafür in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau:

Der Begriff wird von Militärs benutzt. Ich habe daraus gelernt, dass der Jargon, der innerhalb einer Behörde benutzt wird, außerhalb eine sehr negative Wirkung haben kann.

Jamie Shea nutzte öffentlich noch andere Wörter aus der Behörde, mit der er die Armee meinte:

  • Smart Bombs, also: intelligente Bomben, wobei „smart“ im Englischen eine positive Bedeutung hat, etwa gepflegte Kleidung oder edles Restaurant; selbst der Nato-Sprecher räumt ein: „Smart Bombs waren natürlich nicht immer smart.“
  • Luft-Kampagne statt Bombardement und Luftkrieg. Das sei ein diplomatischer Ausdruck, rechtfertigte sich der Nato-Sprecher. „Wir wollten das Wort Krieg bewusst vermeiden. Denn Krieg bedeutet immer, dass es keinen Platz mehr für Diplomatie gab.“

„Der Krieg ist das Gebiet der Ungewissheit“, schrieb Carl von Clausewitz vor 180 Jahren, „drei Viertel derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel.“ Aus der Not der Generäle haben die Propagandisten die Untugend des Euphemismus entwickelt: Sprich schön, obwohl es hässlich ist.

Sie erfanden Wörter wie Bombenteppich oder Waffengang und erklärten einen Krieg zur „Operation Regenbogen“. Das ist der Nebel der Wörter im Krieg.

Thüringer Allgemeine, geplant für 4. Februar 2013

Was ist korrekt: Selbständig oder selbstständig? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 2. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 2. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

„Wann führt die TA endlich die Rechtschreibreform ein?“, fragt Peter Nolze, ein Leser der Thüringer Allgemeine aus Kranichfeld. Immerhin habe eine Expertenkommission getagt – „und die Vorschläge von klugen Menschen sollte man als verbindlich annehmen“.

Als Beispiel führt der Leser das Wort „selbstständig“ an und lobt die Redakteure: Immerhin schreiben sie „selbstständig“ mittlerweile richtig.

Ein Blick ins  Archiv zeigt: Auch in der TA findet man noch die alte Schreibweise „selbständig“ ebenso wie in renommierten Zeitungen wie dem Tagesspiegel aus Berlin oder dem Magazin Spiegel.

In einem Artikel über junge Ausländer, die Deutsch lernen, lesen wir im Schulspiegel  (29.1.2013): „Der 15-jährige Grieche Zacharias kann das Wort „selbständig“ mühelos aussprechen.“

Also – „selbständig“ ohne das doppelte „st“. So sprechen wir, so lernen es junge Leute am besten: Geschrieben wie gesprochen.

Wer regelmäßig diese Kolumne liest, kennt meinen Grundsatz: Verständlich und logisch soll die Sprache sein, unmissverständlich und schön – und korrekt. Wer nur korrekt, aber unverständlich  schreibt, verwirrt jeden Leser, erst recht „die armen Kinder in der Schule“, an die der Kranichfelder Leser denkt.

Wer bestimmt überhaupt, was korrekt ist? Der Duden? Nein, er registriert, was üblich ist. Sollten die Bildzeitung und die Süddeutsche Zeitung  den Analphabeten durchweg in einen „Analfabeten“  verwandeln, dann stünde der „Analfabet“ nach einigen Jahren im Duden – als korrekte Schreibweise.

Übrigens ist „selbständig“ auch korrekt, so steht es im Duden. Kein Lehrer dürfte es rot anstreichen.

Thüringer Allgemeine 4. März 2013

Astrid Lindgrens „Neger“ und Walter Ulbrichts „Klopse“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. Januar 2013 von Paul-Josef Raue.

„Königsberger Klopse“ standen auf dem Speiseplan von Chefkoch Günther Griebel, als 1969 Walter Ulbricht in Oberhof Silvester feierte. Der 78jährige Staatsratsvorsitzende fuhr nicht nur Ski, sondern bereitete sich im Thüringer Wald auf seine TV-Rede zum neuen Jahr vor.

Im MDR-Fernsehen dieser Woche erzählte der Chefkoch von „Ulbrichts Nobelherberge in Oberhof“: Ulbrichts Frau Lotte kam, zeigte auf den handgeschriebenen Speisezettel und krittelte an den Königsberger Klopsen herum; erst dachte der Koch, sie wolle einen anderen Hauptgang, dann merkte er: Lotte mag das Wort nicht – „Königsberg“.

Im April 1945 hatte die Rote Armee die ostpreußische Hauptstadt nach einer erbarmungslosen Schlacht eingenommen, ein Jahr später in Kaliningrad umbenannt. „Königsberg“ gab es nicht mehr.

Um alle Erinnerungen an die deutsche Zeit, vor allem die Nazi-Zeit, zu löschen, kamen sogar die Klopse in Verruf. Wörter sind eben oft auch politische Wörter.

In diesen Tagen ist ein ähnlicher Streit wieder laut geworden: Dürfen wir literarische Texte verändern und Wörter wie „Neger“ und „Zigeuner“ löschen?

Vor vier Jahren verschwand der Neger aus „Pippi Langstrumpf“, geschrieben von Astrid Lindgren, immerhin Trägerin des alternativen Nobelpreises und des Friedenspreises der Deutschen Buchhandels; ein weiterer Liebling der Kinder, Otfried Preußlers „Kleine Hexe“, soll in der Neuauflage negerfrei werden.

Die eine Hälfte der Deutschen findet das nach einer Emnid-Umfrage richtig, die andere Hälfte spricht dagegen; doch je höher die Bildung, desto geringer die Zustimmung zur Löschung.

In der Tat ist der „Neger“ rassistisch, doch ist ein Gespräch mit Kindern über das Wort sinnvoller als seine Beerdigung. Wir können Geschichte verstehen, aber nicht löschen.

Thüringer Allgemeine 28. Januar 2013 (geplant)

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