Auflösung des großen Duden-Tests: Sprache auf Low-Carb-Diät (Friedhof der Wörter)
Wer gerne und viel wandert, kennt die Hosen, die unterhalb des Knies einen Reißverschluss haben. So kann man im Sommer den unteren Teil leicht abtrennen – und bekommt eine Dreiviertelhose.
Abzippe nennt man diese Trennung. „Abzippen“ ist eines der Wörter, die der Duden in seine aktuelle Auflage genommen hat. Nach der Bedeutung von „abzippen“ hatte ich im „Friedhof der Wörter“ in der vergangenen Woche gefragt. Was bedeuten die übrigen elf Neuen?
Compi ist ein Scherzwort, eine Kurzform für Computer.
Enkeltrick stammt aus dem Wortschatz der Polizei. „Rat mal, wer anruft“, meldet sich ein Mann bei älteren Menschen und gibt sich als Enkel aus oder naher Verwandter. So ergaunern Betrüger Zigtausende von Euro und mehr.
Fremdvergeben ist die lobenswerte Verwandlung eines Anglizismus: Ein Betrieb vergibt eine Herstellung oder Dienstleistung in einen anderen Betrieb, meist um Kosten zu sparen. Das „Outsourcen“ steht auch noch im Duden.
Gentrifizieren zählt zu den überflüssigen Soziologen-Wörtern, schafft es gleichwohl in den Duden: Ein Stadtteil verwandelt sich – etwa von einem Armen- in ein Künstlerviertel.
Low-Carb-Diät meint den Verzicht auf Kohlehydrate, also Kuchen, Kartoffeln und Erbsen.
Nanoskalig ist ein Fachbegriff, der auf extrem Kleines (Nano) verweist und nichts im Duden zu suchen hat.
Performant bedeutet in der EDV-Welt: leistungsfähig.
Rabaukin ist der Sieg der Männer über die weiblich dominierte Sprache: Der Rabauke wird zur Frau.
Schüttelbrot ist ein hartes Fladenbrot, das in Südtirol gerne mit Speck oder Käse gegessen wird.
Spacko kommt aus der Umgangssprache ebenso wie der
Vollpfosten – beide Wörter meinen: besonders dumme Menschen.
Sind Sie ein Sprachgenie?
Wer 9 bis 12 Wörter kennt, darf sich als hochbegabt feiern lassen: Er ist schlank, gut bezahlt und kennt sich in der Nanotechnik so gut aus wie in der Gosse.
Wer 5 bis 8 kennt, ist ein wacher, neugieriger Mensch, der weiß, was wichtig ist, aber auch was man alles nicht wissen muss und kann.
Wer weniger als 5 Wörter kennt, kann sich glücklich schätzen: Er hat nichts verpasst und ist alles, nur kein dummer Mensch.
Der längste Satz und die meisten Klicks
Ich freue mich, dass sich viele Journalisten um die Sprache sorgen:
– ECHO –
Meistgeklickter Link am Freitag Morgen war der bisher längste Zeitungssatz 2013. Er kommt von „FAZ“-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier und ist 208 Wörter lang.
journalismus-handbuch.de
Turi2, 1. Juli 2013
Die Deutsche Meisterschaft des längsten Satzes: 208 Wörter – Wer findet mehr?
Wir sind auf der Suche nach dem längsten Satz in diesem Jahr, der in einer Zeitung gedruckt wurde. Zur Zeit führt der Feuilletonist Gerhard Stadelmaier, der in seinem Text über die Trauerfeier von Walter Jens 208 Wörter in einem Satz unterbrachte (nach der Word-Wörterzählung):
Abgesehen davon, dass Jens im Jahr 1998 zu Mozarts „Requiem“ (KV 626) Zwischentexte, Reflexionen schrieb, die den ewigen protestantischen Aufklärer Jens und Auf-Verbesserung-der-Welt-Hoffer als doch etwas leichtfertigen Um- und Gegendeuter und Verharmloser der gewaltigen katholischen Totenmesse zeigt, die das Jüngste Gericht und die Flammen der Verdammnis und die Sühne für alle Sünden und die Gnadenlosigkeit eines Gottes beschwört, bei dem allein die unberechenbare Gnade liegt; abgesehen auch davon, dass Jens im Jahr 2006, als er zur „Reqiem“-Musik seine „Requiem“-Gedanken vortrug, plötzlich das Vermögen, etwas vorzulesen, verließ, er stockte und stotterte und sich so seine Demenz, an der er über die Jahre ohne Sprache und Gedächtnis hinweg verdämmerte, offenbarte; abgesehen auch davon, dass die Stiftskirche, in der einst die Universität Tübingen gegründet wurde und die sozusagen deren erster öffentlicher Raum war, zum Tübinger Öffentlichkeitsspieler- und Nutzer Walter Jens doch wunderbar passt: Es ist ein seltsam Empfinden, wenn jenseits aller Rhetorik und jedes Meinens und Polemisierens und Kritisierens, jedes Forschens und Ergründens und jeder Buchgelehrsamkeit ein Satz in die vollbesetzte Kirche fährt: „Liber scriptus proferetur“ (Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen jede Schuld auf Erdentagen), wo sich dann „solvet saeclum in favilla“ (das Weltall sich entzündet) und „quantus tremor est futurus“ (ein Graus wird sein und Zagen).
Wetten dass der Autor stolz ist auf diesen Satz? Dass er stolz ist, dass ihn nur wenige verstehen? Dass er stolz ist, dass er klüger als alle, die nur kurze Sätze schreiben?
Trotzdem taugt der Satz für jeden Volontärskurs: Wie zertrümmere ich einen Schachtelsatz?
In demselben Text findet sich auch dieser Satz – ohne Semikolon und Doppelpunkt -, der es auf 54 Wörter bringt:
Der Rhetorikprofessor, Schriftsteller, Polemiker, republikanische Redner, Sich-überall-Einmischer, Pazifist, Praeceptor, Germaniae, Akademiepräsident, Homo politicus, Essayist, Linker und Großaufklärungsgrundbesitzer scheint auf dem Zauberberg am Neckar, den er – eine Mischung aus Nathan der Weise, Vater Courage und wenigstens Worte, wenn schon nicht Wirklichkeiten verändernder Prospero – über Jahrzehnte beherrschte, doch irgendwie eine Figur respektvoll anerkannter Vergangenheit zu sein.
Wer hat das Verb im Hauptsatz entdeckt? Es ist „scheint“ – mittendrin, schlapp und unscheinbar muss es sich gegen starke Hauptwörter durchsetzen wie Polemiker, Linker und das 27-Buchstaben-Wort Großaufklärungsgrundbesitzer. Da haben wir den Anwärter auf die Meisterschaft des längsten Wortes auch schon gefunden.
Beide Sätze erschienen in „Das letzte Wort“, FAZ 18. Juni 2013.
Wer entdeckt noch längere Sätze?
Luther, Goethe und der Starkregen (Friedhof der Wörter)
„Himmel, Arsch und Starkregen!“ ist kein Fluch, denn Starkregen ist – im Vergleich mit Himmel und Arsch – ein schwaches Wort. Doch der „Starkregen“ war in den vergangenen Wochen eines der am meisten genutzten Wörter; im Wetterbericht stand es an erster Stelle.
Doch wir haben ein starkes Wort, ein Gefühls-Wort, das in Vergessenheit gerät und dem schwachen Starkregen weicht: Wolkenbruch. Vor einem halben Jahrtausend schlüpfte es in die deutsche Sprache.
Martin Luther schwankte noch, gebrauchte erst die damals geläufige „Wolkenbrust“ – wenn er beispielsweise in seinen Tischreden gegen den Oberchristen in Rom wetterte: „Da ist der Papst mit seinen schädlichsten Traditionen herein gefallen wie eine Wolkenbrust und Sündflut.“
Später wechselte Luther zum modernen „Wolkenbruch“, wenn er dem Volk ins Gewissen redete: „Dich überfallen hier nicht allein Tropfen, sondern eitel Wolkenbrüche mit Sünden.“
Paracelsus war ein berühmter Arzt und Zeitgenosse von Luther. Als er vom Aufplatzen einer Wunde sprach, das er „Platz“ nannte, verglich er es so: Ein Platz geschieht wie ein Wolkenbruch.
Drei Jahrhunderte später machte sich der Dichter Friedrich Hebbel seine Gedanken über die leere Speisekammer: „Hat man nichts zu Hause, so kommen die Gäste wie Wolkenbruch und Hagelschlag.“ Übrigens sah man im Wolkenbruch eine Zeit lang eine Frau: Die Wolkenbruch.
Enden wir das Loblied auf den Wolkenbruch mit einem Fluch des Weimarer Dichters Goethe, zu entdecken in einem seiner Lustspiele: „Wolkenbruch und Hagel!“ Und eben kein Starkregen.
Thüringer Allgemeine, Montag, 24. Juni 2013
Der 17. Juni, BILD – und die „DDR“ in Tüttelchen (Friedhof der Wörter)
Sprache fällt nicht vom Himmel und nur selten aus dem Maul des Volks. Sprache wird öfter von Politikern, aber auch von Journalisten manipuliert; sie ist selber ein Politikum.
Wer in Artikel von westdeutschen Zeitungen schaut, die nach dem 17. Juni 1953 erschienen, liest selten von der „DDR“, sondern von der „Sowjetzone“, der „SBZ“, der „ Ostzone“ oder einfach von der „Zone“. Das Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Brandenburg nennt die Wörter Ostzone und Zone „derb“, der Duden nennt sie „veraltet, oft abwertend“.
Der Duden hat Recht. Wer von der „Zone“ schrieb oder sprach, der meinte: Die Bürger sind nicht frei, leiden noch unter der Knute der sowjetischen Besatzer – im Gegensatz zur freien Republik im Westen, die sich weitgehend von den Besatzern abgenabelt hat. Sprache verrät die Haltung.
In der Bildzeitung oder in der „Welt“ schrieben die Journalisten bis in den Sommer 1989 hinein die „DDR“ mit Tüttelchen – als ein Zeichen, so der Chefredakteur, „für unseren Standpunkt zu Freiheit und Selbstbestimmung“. Deutlicher kann man nicht festlegen, dass Wörter politisch sind und ein Mittel im Meinungs-Streit – auch gegen die Wirklichkeit.
Als „Welt“ und „Bild“ im August 1989 die „DDR-Tüttelchen“ abschafften, schrieb Altbundeskanzler Helmut Schmidt: Der Versuch hat sich überlebt habe, Journalismus gegen die Wirklichkeit zu betreiben.
Die Süddeutsche Zeitung konnte ihre Ironie nicht halten und kommentierte „Den Staatslenkern des real existierenden Sozialismus wird schon etwas fehlen, wenn sie zum ersten Male ungeschützt in ‚Bild‘ entdecken werden – die DDR, ganz nackt!“ Die Bildzeitung blieb
ungerührt: „Wir ändern die Schreibweise, nicht die Überzeugung.“
Die DDR-Staatsführung und die SED-Zeitungen wehrten sich auf ihre Weise und nannten den Westen: „BRD“. Und wer im Westen „BRD“ schrieb, wurde überführt als Kommunist und Verfassungsfeind.
Und das Volk, dem wir abschließend aufs Maul schauen, sprach schlicht von „drüben“ – was auf beiden Seiten funktionierte und richtig war und ist, bis heute.
Thüringer Allgemeine 17. Juni 2013 (Kolumne Friedhof der Wörter)
Studie: Jeder Zweite versteht keine Anglizismen
Journalisten, die ihre Leser mögen, wissen es: Vermeide Anglizismen, wenn du verstanden und gelesen werden willst! Jetzt gibt es auch einen Beweis: Über 47 Prozent haben keine oder nur geringe Kenntnisse der englischen Sprache nach einer Studie der GfK für Wall Street English. Nimmt man noch all die dazu, die mittelmäßig die englische Sprache beherrschen, dann sind es fast drei Viertel.
Es gibt also keinen Grund, Anglizismen zu nutzen – es sei denn Journalisten wollen ihre Leser nicht respektieren, wollen nur Ihresgleichen gefallen oder ihrer Faulheit nachgeben, ein verständliches deutsches Wort zu finden.
Ähnliches gilt für Politiker, die ihre Wähler nicht ernst nehmen wollen, und für Werber und Agenturen, die ihren zahlenden Kunden schaden, wenn sie mehr englische als deutsche Slogans erfinden. Also – come in and find out.
Quelle: Bild, 14. Juni 2013, Titelseite
Die deutsche Sprache und die Feministinnen (Zitat der Woche)
Die deutsche Sprache ist eine schöne Sprache, auch mit ihren Artikeln und Substantiven, die das Geschlecht verraten. Wir sind bereit, dem Feminismus zu geben, was des Feminismus ist. Aber nicht die deutsche Sprache, wie wir sie mögen. Und wir mögen sie möglichst korrekt, möglich so, wie die meisten anderen sie auch schön finden. Mit einem Herrn Professor und einer Frau Professorin, die wir – Chapeau! – den Feministinnen verdanken.
Der Kölner Germanistik-Professor Karl-Heinz Göttert zum Beschluss der Uni Leipzig, auch die männlichen Professoren als „Professorin“ zu führen. / Quelle: Die Welt 8.Juni 2013
Die Zukunft des SPIEGEL (1): Wohin führt Büchner das Magazin?
Wird der Spiegel wieder das Magazin, das die Themen in Deutschland setzt? Das exklusive Nachrichten anbietet? Das Politiker das Fürchten lehrt? Zur Zeit treibt der Spiegel wie eine Brücke, die einmal eine wichtige Verbindung war, und nun weggespült ist.
Nehmen wir das Titelbild der aktuellen Ausgabe. Da wird alles falsch gemacht, was ein Redakteur falsch machen kann: 19 Wörter, eine „nicht“-Aussage, ein altes, nichtssagendes Datum („08.02.2012“), eine kleine Bildmontage am unteren Rand des Bildes. Die Wörter sind kalt, blitzen nicht sofort ins Gedächtnis: abschätzbar, technisch, zeitlich, finanziell. „Drohne“ – das Wort, das alleine schon Leser gereizt hätte, kommt klein in einem Kuppelwort am Ende vor: „Drohnen-Affäre“. Eine Woche zuvor hieß die Affäre noch gewaltig „Drohnen-Desaster“, als Störer klein über „DER SPIEGEL“ gezogen.
Das Mini-Bild soll an Janoschs Tiger-Ente erinnern: Der Minister zieht eine Drohne wie eine Ente hinter sich her. Wenn doch wenigstens die Drohne nicht grau, sondern schwarz-gelb gestreift wäre!
Laut Impressum gibt’s vier Redakteure allein fürs Titelbild, gibt’s weit über hundert Redakteure, darunter die besten der Republik. Wenn die über den Titel reden, debattieren, streiten und kämpfen, müsste allemal was Besseres raus kommen als „Betreff Euro Hawk“.
Dass der Aufmacher respektabel geschrieben ist, eine gut recherchierte Spiegel-Geschichte, vergrößert das Dilemma: Den Text konnte nur lesen, wen das Titelbild zum Kauf animiert hatte. Offenbar braucht selbst die beste Redaktion Deutschlands einen Kopf, der ein Themen-Trüffelschwein ist, der ein Gespür für die beste Zeile und das emotionale Bild hat, der den gemeinen Spiegel-Leser nicht theoretisch entwirft, sondern kennt und spürt.
Redakteure neigen allerdings dazu, jeden Unsinn intellektuell rechtfertigen zu wollen – nicht selten aus rhetorischem Übermut heraus, nicht aus Überzeugung und Eifer. So bringt auch die Konferenz der Edlen nicht unbedingt das Thema und den Titel, die die Käufer zum Kauf locken, aber sie hilft dem Mann an der Spitze, sichtet ihm die Argumente, macht ihn locker (wenn er’s zulässt).
Auf Wolfgang Büchner wartet ein harter Job. Bei dpa hat er bewiesen, dass er eine Redaktion umkrempeln kann und modernisieren – auch gegen den Widerstand der Beamten-Fraktion. Beim Spiegel wird er beweisen müssen, dass er Deutschland bewegen kann. Nichts anderes ist der Wert des Magazins, sein Markenkern.
NSU-Prozess: Wenn Zschäpe vom Teufel besessen ist, geht sie uns nichts mehr an (Friedhof der Wörter)
„Der Teufel hat sich schick gemacht“ – lautete am Dienstag die Schlagzeile der Bildzeitung. Beate Zschäpe wird als Teufel identifiziert, wobei die Boulevardzeitung die Geschlechtsumwandlung nicht stört: Der Teufel wird zur Frau.
Die Redaktion spielt auf einen erfolgreichen Film an: „Der Teufel trägt Prada“. Meryl Streep spielt die von Macht berauschte und schöne Chefredakteurin, die feine Sache trägt, nicht nur Prada. Der Film ist eine Satire.
Der NSU-Prozess ist Wirklichkeit. Erst Elitz, Kommentator der Bildzeitung, schreibt: „Das Böse hat ein Gesicht. Beate Zschäpe“; der Kommentator war immerhin Intendant von Deutschlandradio Kultur, einem angesehenen Sender in Deutschland.
Dürfen wir einen Menschen einen „Teufel“ nennen? Im Alltag denken wir uns wenig dabei. „Teufel“ ist leicht jeder, der seine Macht offen zeigt. Selbst Kinder, die ihren Willen testen, nennen wir „kleine Teufel“ – und nicht selten lächeln wir dabei.
Aber ein „Teufel“ auf der Anklagebank? Das ist nicht mehr zum Lachen, das ist Vorverurteilung, das ist Zerstörung, Dämonisierung eines Menschen, der nicht verurteilt ist. Das ist eines Rechtsstaates unwürdig.
In seinem Roman „Der Name der Rose“ lässt Umberto Eco seinen Helden, den Mönch William, mit einem Abt über das Wirken des Teufels diskutieren. Kann es sein, so William, dass die Richter und das ganze Volk sehnlichst eine Präsenz des Bösen wünschen? „Vielleicht ist das überhaupt der einzige wahre Grund für das Wirken des Teufels: die Intensität, mit welcher alle Beteiligten in einem bestimmten Augenblick danach verlangen, ihn am Werk zu sehen.“
Wer vom Teufel besessen ist, ist von einer fremden bösen Macht gesteuert. Dann können wir uns zurücklehnen und sagen: Sie ist keine von uns, das geht uns nichts an.
Thüringer Allgemeine, geplant für die Kolumne „Friedhof der Wörter“ am 13. Mai 2013
Wörter haben eine Seele oder: Journalisten sind für die Wirkung ihrer Texte verantwortlich
Wo ist Ihr Mitgefühl?
fragt ein Leser nach der Lektüre einer Kolumne, die sich mit dem Dativ beschäftigte: Ist es richtig, in der Überschrift zu schreiben „Mädchen ertrinkt in Ententeich“ – oder muss es heißen „Mädchen ertrinkt im Ententeich“?
Der Leser weiter:
Ein zweijähriges Mädchen ist durch unglückliche Umstände ertrunken. War es nun im oder in Ententeich, das war Ihnen eine Kolumne wert. Fragen Sie mal die Familie, wie wichtig in diesem Fall der Dativ für sie ist.
Meine Antwort:
Sie haben Recht, und Sie haben auch ein Recht darauf, dass ich um Entschuldigung bitte. Zudem ärgere ich mich. Denn in meiner Kolumne „Friedhof der Wörter“, die montags auf der Kultur-Seite erscheint, schreibe ich mit einer Beharrlichkeit, die manche Deutschlehrer ebenso irritiert wie einige der Gebildeten unter unseren Lesern:
Unsere Sprache ist keine Maschine, die nach einem Takt läuft, der einmal festgelegt wurde. Unsere Sprache spiegelt unser Leben wieder, sie ist die Seele der Gesellschaft.
Es reicht also nicht, korrekt zu schreiben. Wichtiger als jeder korrekte Dativ, wichtiger als die perfekte Grammatik ist die Wirkung, die wir mit den Wörtern erzielen.
Wir sind verantwortlich dafür, dass wir korrekt schreiben, aber wir sind auch verantwortlich dafür, was wir anrichten mit den Wörtern. Wir können mit Wörtern ebenso verletzen wie mit dem Sprechen über Wörter, wie mit dem Sprechen über Regeln der Wörter und Sätze. Wörter fordern den Verstand, aber sie berühren auch unsere Seele.
Unsere Sprache ist uralt, reicht zurück in die Steinzeit des Denkens und Fühlens. Also müssen wir den Wörtern und Regeln misstrauen, den alten und erst recht den neuen. Denn die Sprache ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.
Der Teufel trifft sich in der von Goethe ausgeschmückten Hexenküche mit Faust. Es ist dieser neugierige Mensch, der entdecken will, was sein Leben und die Welt im Innersten zusammenhält.
„So schwätzt und lehrt man ungestört“, doziert der Teufel als Sprachkritiker und fügt hinzu:
„Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen.“
Thüringer Allgemeine, unredigiert, 4. Mai 2013 (Leser fragen)
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