Machtspiele oder: Wovon Spiegel-Redakteure träumen
Der Spiegel muss zu alter Stärke zurückfinden, sind sich die Ressortleiter einig. Wir dürfen nicht mehr der Süddeutschen allein die tiefen und überraschenden Recherchen überlassen, wollen selber in Offshore-Leaks schauen, sagen sie dem neuen Chefredakteur, sogar einmütig, was sonst nur bei Aufständen gelingt. Wir wollen wieder das Gewissen der Nation werden, das Sonntags- und Montags-Gespräch der Deutschen. Wir wollen über Deutschland, Gott und die Finsternis der Welt reden statt nur über uns. Wir müssen die Kraft, Intelligenz und Phantasie der Redaktion nutzen, vor allem beim Finden des Titels, der über den Verkauf und damit über unser Gehalt entscheidet – statt einer kleinen Autisten-Runde zuzuschauen, die sich am Freitag einschließt und die Kollegen am Samstag überrascht, wenn der Bote die neue Ausgabe bringt. Wir wünschen uns „Hausmitteilungen“, die nicht die schwächsten Beiträge gleich zu Beginn des Heftes sind, und wir wünschen uns einen guten und starken Chefredakteur, der vieles macht, der zuerst zuhört und dann entscheidet, in dieser Reihenfolge; der sich gegen die Berufs-Bedenker in der Redaktion durchsetzt und sei es mit leichter Ironie. Wir wollen einen guten, einen besseren Spiegel – den nicht nur wir brauchen.
Es wäre nützlich, edel und gut gewesen, wenn sich die Spiegel-Ressortleiter am Montag so ihrem neuen Chefredakteur präsentiert hätten. Nach allem, was zu hören und zu lesen war, ging’s nicht um Recherchen und Themen, um Titel und Hausmitteilungen, sondern um das Spiel der Macht – das Redakteure nun einmal nicht beherrschen, ja sie finden nicht einmal zur Einsicht, dass sie vieles können, nur dies nicht.
Die versammelte Intelligenz der Spiegel-Ressortleiter ist die höchste in deutschen Redaktionen. Aber was spricht aus der Resolution der Ressortleiter? Ist es Phantasielosigkeit und intellektuelle Armut , die sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt: Wir sind dagegen?
Deutschland braucht keine Spiegel-Redaktion, die sich lähmt und verkämpft und am Ende nur verliert. Deutschland braucht eine Spiegel-Redaktion, die stark ist, für starke Geschichten kämpft und am Ende aufklärt, vielleicht nicht Gott, aber die Bürger und die Welt.
Die meisten Journalisten sind nicht kritikfähig (Zitat der Woche)
Jürgen Klopp, Trainer von Borussia Dortmund:
Ich bin kritikfähig bis zum Umfallen. Das sind die meisten Journalisten nicht. Wenn ich mal sage, dass jemand keine Ahnung vom Fussball hat, ist er beleidigt. Ich hab‘ in meinem Leben mehr Kritik abbekommen, als man sich vorstellen kann. Das vergessen heute nur alle.
(Interview mit der Süddeutschen Zeitung „Guardiola und ich arbeiten komplett anders“, 23. August 2013)
Sprachbild der Woche (in demselben Interview); Klopp über seinen neuen Star „Pappa“ Sokratis, der unbedingt in der Borussen-Mannschaft spielen will:
Pappa ist darauf heiß wie Frittenfett.
Wann stirbt die gedruckte Zeitung? Eine kleine Geschichte der Vorhersagen
Ich bin sicher: In zwanzig Jahren wird es keine gedruckten Zeitungen mehr geben.
Amazon-Gründer Jeff Bezos, der die Washington Post gekauft hat (laut SZ 14.8.2013)
Eine kleine Geschichte der Vorhersagen zum Tod der Zeitung (unvollständig, um weitere Hinweise wird gebeten):
- 2000 gibt es keine gedruckte Zeitung mehr (Microsoft-Gründer Bill Gates 1990)
- In zehn Jahre (also ca. 2018 / Microsoft-Chef Steve Ballmer 2008)
- In zwanzig Jahren (US-Medienexperte David Rubin)
- 2040 (US-Journalismus-Professor Philipp Meyer)
Recherche und stinkende Quellen (Zitat der Woche)
Eine Quelle ist eine Quelle, auch wenn sie stinkt.
Hans Leyendecker in einem Artikel über die Bildzeitung, die die Entführung eines Reporters enthüllte, von anderen Medien aus Sorge um sein Leben jahrelang verschwiegen.
(SZ 14. August 2013 „Eine üble Quelle“)
Wenn Rezensenten metaphern: Lynchen und Demolieren in Bayreuth
Wie drastisch und menschenverachtend darf die Sprache sein? Die Sprache des Feuilletons? Ist „Lynchen“ ein Sprachbild, das angemessen ist in der Besprechung einer Opern-Inszenierung? In der Süddeutschen Zeitung schreibt Reinhard J. Brembeck über den „Siegfried“ in Bayreuth:
Als der Vorhang fällt, setzt ein Buhgeschrei ohnegleichen ein. Hätte sich Castorf gezeigt, er wäre gelyncht und das Festspielhaus demoliert worden.
Der Rezensent, so ihn einer fragte, rechtfertigte sich wohl: Ist doch Ironie! Ist doch nur ein „Spaß“! Ist doch Kunst!
Das ähnelte dem Verhalten von Hundebesitzern. Rast ihr Liebling auf einen Jogger zu und freut sich aufs Zupacken bereit, ruft der Besitzer: „Keine Angst, der will doch nur spielen.“
SZ, 31. Juli
Was ist das „Sommerloch“?
Das Sommerloch ist ein gemeinnütziges, von den Presseorganen getragenes Unternehmen. Verwaltung und Organisation liegen bei den Nachrichtenagenturen, die laut Stiftungsvertrag verpflichtet sind, das Loch Jahr für Jahr mit adäquatem Material zu füllen… Die dpa zum Beispiel ist unlängst der Frage nachgegangen, ob man am Flug der Schwalben das Wetter vorhersagen könne.
Streiflicht der Süddeutschen Zeitung, 30. Juli 2013
Die drei großen Lügen in sozialen Netzwerken
1) Gefällt mir
2) Freund
3) Privatsphäre
Süddeutsche Zeitung Magazin, 19. Juli 2013, Seite 8
Wer kontrolliert die Lokalpolitiker?
Was passiert, wenn nicht mehr Lokalredakteure die Kommunalpolitik kontrollieren und ihre Leser informieren? Dann müssen Politiker das selber tun – wie in Italien.
In einer Rezension des Buchs „5 Sterne“, verfasst vom Komiker Beppe Grillo und anderen, wird Beppos Partner Gianroberto Casaleggio zitiert:
„Uns interessiert nicht die Macht.“ Man wolle nur in jedem Kommunalparlament vertreten sein, um Kontrolle auszuüben und die Bürger zu informieren.
Und was passiert, wenn keiner mehr kontrolliert und informiert?
Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 9.Juli – Henning Klüver über das Buch von Beppo Grillo, Gianroberto Casaleggio und Dario Fo „5 Sterne. Über Demokratie, Italien und die Zukunft Europas“.
In dem Buch spielen Grillo & Co durch, wie wir von einer repräsentativen zu einer direkten, „digitalen“ Demokratie mutieren können: „In einer direkten Demokratie brauchen wir keine Parteien mehr.“ Dann wird die Utopie wirklich: „Alle Staatsbürger sind Politiker, und alle Politiker sind Staatsbürger.“
Grillos Bewegung ist – ähnlich wie die „Piraten“ in Deutschland – schnell wieder in der Versenkung verschwunden.
Facebook-Kommentar von Manfred Günther:
Auch wenn’s den Politikern mitunter weh tut, für Journalisten muss noch immer gelten:
„Durch ein Unterlassen kann man genauso schuldig werden wie durch Handeln.“
Konrad Adenauer
Döpfner: Wir stehen vor einer Renaissance der Inhalte
Ich bin mir sicher, dass wir vor einer Renaissance der Inhalte stehen. Die technologiebetrunkene Anfangsphase der digitalen Revolution endet langsam. Auch der perfekteste Algorithmus mit Emotionszufallsgenerator nützt nichts, wenn ich irgendwann keine Inhalte mehr habe, die die Menschen wirklich interessieren.
Mathias Döpfner, seit 2002 Springer-Vorstands-Vorsitzender, im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (29. Juni 2013).
Vier Fragen, die leider nicht gestellt wurden?
1. Welche „Inhalte“ sind gemeint? Caspar Busse und Claudia Fromme sprachen in ihrer Frage von „reinen Inhalten im Internet“, die nicht mehr attraktiv sein sollen. Was sind „reine“? Und was sind schmutzige Inhalte?
2. Was interessiert die Menschen wirklich?
3. Renaissance bedeutet: Wiederkehr des Guten und Bewährten. Was war gut? Und warum ist es nicht mehr gut? Und warum soll es wieder gut sein?
4. Knapp zehn Prozent des Umsatzes von Springer kommt aus dem digitalen Geschäft. Eingestellt werden, so Döpfner, Software-Entwickler, abgebaut werden Stellen in den Redaktionen. Ist das nicht technologie-trunken? Und inhalts-fern?
Reportage-Schreiben ist wie Brot-Schneiden: „Sägen, nicht drücken“
„Schreibt so behutsam, wie meine Großmutter es für das Brotschneiden forderte: Sägen! Nicht drücken!“, lobt Carolin Emcke, Deutschlands vielleicht beste Reporterin, den SZ-Gerichtsreporter Hans Holzhaider, der den Herbert-Rhiel-Heyse-Preis gewonnen hat. In seiner Reportage „Der nackte Wahnsinn“ sägt der 66jährige Holzhaider laut Emcke langsam und rhythmisch, ohne Druck, ohne Vergeudung von Kraft und ohne Empörung.
Holzhaiders Reportage porträtiert einen Mann, der seit 18 Jahren in der geschlossenen Psychiatrie leben muss – weil er sich in der Öffentlichkeit entblößt hatte, mehr nicht. Carolin Emcke: Es ist die Geschichte eines Skandals, die ohne Skandalisierung auskommt; die Geschichte eines Menschen, der sich entblößt hat, die aber erzählt wird, ohne dass der Mensch vom Autor entblößt wird. „Eine zutiefst humanistische Haltung“, sagt Emcke.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 19. Juni 2013
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