Alle Artikel mit dem Schlagwort " Thüringer-Allgemeine"

Ein Wirtschaftsminister liebt die Anglizismen (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 27. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Sind Sie fit für die Zukunft? Sind Sie innovativ? Dann wissen Sie sofort, was diese Wörter bedeuten:

  • Green Tech
  • Life Science
  • Meetingcenter
  • Highlights
  • Mentoring-Advisory-Funktion
  • E-Government

Diese Wörter lesen wir im „Zukunfts- und Innovationsprogramm Thüringen 2020“ von Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD), das gerade erschienen ist. Diese Wörter sollen zeigen, so ahnen wir: Dieser Minister und seine besten Beamten leben in einer modernen Welt, sind international, plagen sich nicht mehr mit unserer alten deutschen Sprache – kurz: Ein neues Thüringen braucht eine neue Sprache!

Dabei ist alles nur Wortgeklingel. Diese Anglizismen sind unnötig, denn sie verdrängen deutsche Wörter, die jeder versteht, die klar sind – aber meist alt:

  • Green Tech ist: Grüne Technik
  • Life Science: Lebens- oder Biowissenschaft
  • Meetingscenter: Konferenz- oder Beratungs-Zentrum
  • Highlights: Höhepunkt
  • Mentoring-Advisory: Förderer-Beirat
  • E-Government: Digitale Verwaltung oder Netz-Verwaltung.

So ganz möchte das Ministerium aber nicht auf deutsche Wörter verzichten: „Thüringen goes middle-classes“ steht so eben nicht an der zentralen Stelle des Zukunft-Programms, sondern „Thüringen goes Mittelstand“.

Was würde der Engländer dazu sagen: „Anything goes“ – alles ist erlaubt.

geplant für 29. April in der Thüringer Allgemeine

Gehört der Doktor-Titel zum Namen? Nein

Geschrieben am 15. April 2013 von Paul-Josef Raue.
2 Kommentare / Geschrieben am 15. April 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, D. Schreiben und Redigieren.

Schreiben wir in der Zeitung prinzipiell „Dr. Müller“ – weil der Dr.-Titel zum Namen gehört?

Nein. Die Thüringer Allgemeine erklärte es ihren Lesern im Blatt:

Warum ein „Dr.“ seinen Titel verliert – Nachrichtenagenturen geben die Regeln vor

Ein Arzt aus Nordthüringen bittet um Antwort:
„Ich frage mich, wieso die Redaktion meinen Doktortitel unterschlagen hat. Laut der Pressewartin unseres Vereins war mein Titel in dem Artikel an Sie noch vorhanden. Ich hätte hierzu gerne eine Erklärung. Vor allem in Zeiten, da Promotionen immer wieder hinterfragt werden, kann ich mir nicht verkneifen, hier eine Böswilligkeit zu vermuten.“

Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortet:
Akademische Titel wie Prof. oder Dr. werden nicht erwähnt. In Meldungen über wissenschaftliche Themen kann der Professorentitel genannt werden.“

So lautet eine Regel im Stilbuch der Nachrichtenagentur dapd. Ähnlich formuliert es die Deutsche-Presse-Agentur (dpa) in ihrem Handbuch: „Akademische Titel sind zwar Bestandteil des Namens, doch verzichten wir auf die Nennung, sofern der Titel nicht für das Verständnis wichtig ist.“

Regeln im Journalismus werden von den großen Nachrichten-Agenturen aufgestellt, die jeden Tag Hunderte von Nachrichten verbreiten für Zeitungen, Radios und Fernsehsender. Redaktionen, wie auch unsere, halten sich an diese Regeln − in der Regel.

Die amerikanische Nachrichtenagentur AP weist in ihrem Regelbuch darauf hin, dass die meisten Leser den Dr.-Titel auf einen Arzt beziehen − und somit die Nennung eines Titels nur Sinn macht, wenn das Fachgebiet des „Dr.“ genannt wird. Interessant für den Leser ist in der Tat nicht der Titel, sondern allenfalls das Fach, in dem jemand promoviert wurde.

Warum soll bei einem Bundesliga- Schiedsrichter der Titel genannt werden, wenn sich der „Dr.“ auf eine Promotion in Zahnmedizin bezieht? Oder bei einem Politiker im Verkehrsausschuss, der in Chemie promoviert wurde?

Da zudem viele Promovierte ihren Dr.-Titel nicht erwähnen oder er der Redaktion nicht bekannt ist, dürften die Nachrichtenagenturen die Regel aufgestellt haben: Wir verzichten auf den Titel − es sei denn er ist für das Verständnis des Textes notwendig.

Einige Leser protestierten dagegen (auch weil Redakteure bisweilen gegen die Haus-Regel verstoßen) und betonten: Der Dr. gehört doch unbedingt zum Namen.

Die FAZ schreibt in „Beruf und Chance“ nicht nur, das der „Herr Dr.“ bald ausgedient habe und die Promotion nicht unbedingt der Karriere nütze, sondern stellt auch fest: Der Doktortitel gehört nicht zum Namen!

Sowohl der Bundesgerichtshof 1962 wie das Bundesverwaltungsgericht 1957 haben entschieden: Ein akademischer Titel, aber kein Namensbestandsteil. In dem Punkt irrt also dpa. Allerdings kann der „Dr.“ seit 1988 in Reisepass und Personalausweis eingetragen werden.

Quelle: FAZ 13. April 2013, Zeit 1/2009 oder SZ 14.7.2011

Brauchen wir korrektes Deutsch? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Was ist denn das für eine Denkhaltung: Hauptsache verständlich, korrekt muss es nicht unbedingt sein.

So zürnt Hiltrut Schmerbauch aus Ingersleben mit dem Autor des „Friedhofs der Wörter“. Sie zürnt zu Recht: Wer denkt, wir müssten nicht korrekt schreiben, der ist ein Tor.

Beides gilt: Verständlich muss die Sprache sein und korrekt – und darüber hinaus noch farbig und unterhaltsam. Die Reihenfolge ist mit Bedacht gewählt: Die Verständlichkeit steht vorn – denn wem nützt die beste Sprache, wenn sie einer nicht versteht, der sie verstehen soll, gar verstehen muss.

In der Prozession der Wichtigkeit folgt das Korrekte wie ein Zwilling – denn nur, wenn wir uns an die Regeln halten, halten wir die Sprachgemeinschaft zusammen. Hiltrut Schmerbauch schreibt, wieder zu Recht: „Die Grundlage einer jeden Kommunikation ist nun mal die Sprache, und die sollte eben richtig sein.“

Wer nach Beliebigkeit oder Laune, wegen Faulheit oder Ignoranz die Regeln ändert, der verwirrt uns und schadet der Verständlichkeit.

Es folgen zwei Einwände, die bedenkenswert sind:

  • Erstens verändere sich Sprache unentwegt, weil Neues zu benennen ist wie der Computer, das Internet oder die Energiewende; weil Wörter aus anderen Sprachen uns erst bedrängen, dann gefallen wie Flirt und Steak, Tsunami und Blamage; weil junge Leute anders sprechen wollen als die Alten und sich freuen, wenn diese „geil“ gar nicht geil finden.
  • Zweitens sei der Duden eine wankelmütige Instanz, der jeden Fehler zur Regel erhebt, wenn er nur oft genug zu lesen ist.

Doch ist es aller Mühe wert, nicht zu kapitulieren vor denen, die unsere Sprache verschandeln – vor Werbern, die uns den „Service Point“ unterjubeln, vor digitalen Ureinwohner, die ihre Tastatur in ein „keyboard“ verwandeln, vor Experten, die lieber von einem „justiziellen Verfahrensablauf“ sprechen statt von einem Gerichtsprozess, oder vor Journalisten, die jeden sprachlichen Unsinn verbreiten statt ihn zu ächten.

Wer die Regeln ändern will, muss dies gut begründen können. Dies allerdings muss möglich sein – auch gegenüber dem Duden, dem Spiegel oder Peter Sloterdijk.

Verbünden wir uns also mit Hiltrut Schmerbauch aus Ingersleben und retten die korrekte Sprache – und die verständliche.

geplant für Thüringer Allgemeine 2. April 2013

Leser fragen zur Wulff-Affäre: Waren Journalisten übereifrig?

Geschrieben am 1. April 2013 von Paul-Josef Raue.

Lange hielt die Mehrheit der Deutschen Christian Wulff die Treue und kritisierte die Journalisten, sie organisierten eine Kampagne gegen den Präsidenten. Nachdem die Ermittlungen offenbar wenig ergiebig waren, schreibt ein Leser der Thüringer Allgemeine an den Chefredakteur:

Dabei habe ich noch nicht vergessen, mit welchem Eifer auch Ihre Leute hier bei der Sache waren.

Der Leser reagiert auf einen Bericht am 18. März: „Ermittlungen gegen Wulff sollen eingestellt werden“:

Wenn Herr Wulff tatsächlich wegen eines Freundschaftsdienstes in der Größenordnung von 800 Euro aus dem Höchsten Staatsamt gedrängt worden ist, so ist das eine tief beschämende Angelegenheit.

Den Leserbrief habe ich in meiner Samstags-Rubrik „Leser fragen“ beantwortet (30. März):

Sie haben Recht, wenn Sie den Ausgang der Ermittlungen gegen den früheren Bundespräsidenten Wulff eine „tief beschämende Angelegenheit“ nennen. Nur – für wen beschämend?

Zuerst für die Staatsanwaltschaft: Sie wusste, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Präsidenten seinen Rücktritt provozieren würde. Dabei hatte sie offenbar kaum Beweise und nur windschiefe Indizien.

Nun ist ein Oberstaatsanwalt, der die Ermittlungen anordnet, an Weisungen gebunden – im Gegensatz zu einem Richter, der völlig frei in seinen Entscheidungen ist. Der damals zuständige Justizminister Busemann in Hannover war ein Parteifreund von Christian Wulff, mit dem er in Niedersachsen sogar gemeinsam am Kabinettstisch gesessen hatte.

Die Staatsanwälte halten heute Christian Wulff immer noch verdächtig der „Bestechlichkeit bzw. Bestechung“, bieten aber gleichzeitig an, der Verdächtige könne sich schuldig erklären und freikaufen – wie in hunderttausend und mehr Fällen in jedem Jahr. Will Wulff seine Unschuld beweisen, lässt er es auf einen Prozess ankommen.

Sie suggerieren auch eine Mitschuld unserer Zeitung und offenbar der Journalisten insgesamt. In der Tat sind einige Medien übers Ziel hinausgeschossen, aber vergessen wir nicht Wulffs Halbwahrheiten vor dem Parlament in Hannover und zu seinen Krediten, die Erpressungs-Versuche gegen Journalisten und anderes mehr.

Dieser Präsident hat sich als Präsident moralisch ins Zwielicht gestellt. Es Aufgaben von Journalisten, dies fair zu berichten – ohne die Rolle des Richters einzunehmen; das ist eine andere Gewalt.

Der Anwalt des Staates täte jetzt gut daran, Wulff in Ruhe zu lassen und die Ermittlungen einfach zu beenden. Der Verlust des Amtes, der Ehefrau, des Seelenfriedens und eines Teils des Vermögens reichen als Strafe. Es ist genug.

Nach Thüringer Allgemeine vom 30. März 2013

Facebook-Kommentar von Super Illu-Chefreporter Gerald Praschl: „Treffend analysiert“

Erinnern mit Goethe und Josef Fischer (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 22. März 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 22. März 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Friedhof der Wörter.

Ist dieser Satz falsch? Gar Denglisch?

„Seine Mutter starb früh, und er erinnert heute noch in allen Einzelheiten ihren Tod.“ Der Satz stand in unserer Zeitung im Porträt des Starkochs Heinz Winkler.

Da verfällt der Autor unversehens in einen gepflegtes Denglisch, schimpft ein Zeitungsleser aus Weimar und begründet es so:

„Diese englische Variante des deutschen ,sich erinnern‘ wurde schon vor Jahren durch den Ex-Außenminister Josef Fischer kreiert, der seine Putztruppenzeit absolut nicht erinnert.“
Vergessen wir Josef Fischer, bleiben wir in Weimar. „Erinnre mich nicht jener schönen Tage“, schrieb Goethe in der „Iphigenie auf Tauris“.

Ist Goethe verdächtig, in einem gepflegten Denglisch zu schreiben? Nur weil er nicht dichtete: „Erinnre mich nicht an jene schönen Tage“?

Zu Goethes Zeiten brachen nicht englische, sondern französische Wörter in die deutsche Sprache ein: Jede Zeit hat ihre Sprachmoden.

Matthias Claudius, ein schlichter Zeitgenosse Goethes, schrieb nicht nur „Der Mond ist aufgegangen“, sondern auch „Da unser einer doch täglich seiner Sterblichkeit erinnert wird“ in seinem „Wandsbecker Boten“ – und eben nicht „Unser einer wird täglich an seine Sterblichkeit erinnert.“

Jahrhunderte vor Goethe und Claudius übersetzte Martin Luther die Bibel: „etwas erinnern“ und nicht „an etwas sich erinnern“. Kurzum: Denglisch ist teuflisch, aber „erinnern“ ist, wie auch der Duden beteuert, so zauberhaft wie die goldnen Sternlein, die prangen – am Himmel hell und klar.

Thüringer Allgemeine geplant für 25. März 2013

Vertriebene oder Umsiedler? (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 17. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Vertriebene? Umsiedler? Zwangsmigranten? Wie bezeichnen wir die Menschen, die nach dem Krieg aus Schlesien nach Thüringen kamen?

Ein Ortschronist nannte sie in der Thüringer Allgemeine „Umsiedler“, als er darüber sprach, dass sich nach dem Krieg die Zahl der Einwohner verdoppelt hatte. Leser protestierten: Wir sind keine Umsiedler! Wir sind Vertriebene!

Wieder sprechen wir über Wörter, die Politik machen und über Wörter, die Menschen manipulieren sollen – sei es um einer Ideologie zu dienen, Interessen durchzusetzen und Macht zu bekommen oder zu festigen.

Sicher sind die Menschen in Schlesien und Ostpreußen vertrieben worden – gegen ihren Willen und mit Gewalt.
Doch die Regierung der DDR musste Rücksicht nehmen auf die Verbündeten im Osten. Diejenigen, die DDR-Bürger vertrieben hatten, waren politische Freunde geworden.

So erließ die Volkskammer ein „Gesetz zur weiteren Verbesserung der Lage der ehemaligen Umsiedler in der Deutschen Demokratischen Republik“ und verschwieg damit nicht nur die Vertreibung, sondern sprach den Vertriebenen auch das Recht ab, darüber zu sprechen: Aus Vertriebenen wurden Umsiedler, aus Umsiedlern wurden Ehemalige.

Auch im Westen war das Wort „Vertreibung“ umstritten – nicht nur bei denen, die argwöhnten: wer von „Vertreibung“ spricht, will die Schuld der Deutschen am Weltkrieg leugnen. 1985 sprach Bundespräsident Richard von Weizsäcker, zum 40. Jahrestag des Weltkriegs-Ende – von der „erzwungenen Wanderschaft“.

„Umsiedlung“ nannte die DDR 1952 und 1961 auch die Vertreibung der Menschen, die im Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze lebten, als politisch unsicher bewertet wurden und ins Innere der DDR gefahren wurden: Aktion Kornblume und Aktion Ungeziefer waren die Namen für die Vertreibung.

Der thüringische Innenminister Willy Gebhardt, verantwortlich für die „Aktion Ungeziefer“ in Thüringen, schrieb mit der Hand an den SED-Landessekretär Otto Funke: „Otto, diese Zahlen hat mir eben Gen. König durchgegeben. Das wäre das Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“

Worte zeichnen ein Bild vom Menschen – und auch von der Verachtung des Menschen.

geplant für Thüringer Allgemeine 2. April 2013

Wie Goethe den Genitiv missachtete (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 10. März 2013 von Paul-Josef Raue.

Prüfen Sie sich! Welche der folgenden Sätze sind richtig:

1. Dank meines Fleißes werde ich in den Bundestag gewählt?
2. Großalarm wegen totem Hund?
3. Trotz Umbaus geöffnet?
4. Laut unseres Briefes sind sie von der Zahlung befreit?

Wer die deutsche Sprachen retten will, der rettet den Genitiv. Helmut Wolf aus Erfurt, Leser der Thüringer Allgemeine, ärgert sich, wenn in der Zeitung „immer wieder“ Genitiv und Dativ verwechselt wird – sogar auf der Kinderseite und ausgerechnet in einem Artikel über die Bildungsministerin.

Helmut Wolf hat Recht: Wir sollten den Genitiv wahren, so es die Regel gibt. Aber wir sollten bedenken, dass auch die Regel eine Geschichte hat. Nehmen wir als Beispiel: Der Genitiv nach der Präposition „wegen“.

Wer „wegen totem Hund“ schreibt, wie in einer Überschrift unserer Zeitung, wer also Dativ und Genitiv verwechselt, gilt als Sprachverderber. Aber wie schrieb Goethe gleich mehrfach in seinen Briefen? „Wegen eintretendem Reformationsfeste“.

Noch derber trieb es der Geheimrat am Weimarer Hof, als er in einem einzigen Satz „wegen“ erst mit dem Genitiv, dann mit dem Dativ gebrauchte: „Wegen des Stoffs als wegen den Umständen“.

Auch Schiller verwechselte: „Wegen dem Göz von Berlichingen“, und Gerhard Hauptmann verwechselte und Adalbert Stifter.

Es geht drunter und drüber, wie so oft in der Geschichte unserer Sprache. Erst war „wegen“ mit dem Dativ verbunden, dann mit dem Genitiv – wie beispielsweise schon im Urkundenbuch des thüringischen Arnstadt von 1432:

Von wegen syner koniglichen Durchluchtigkeit.

Der Genitiv setzte sich durch, nur nicht jederzeit bei Goethe, Schiller und anderen dichtenden Heroen, vor allem wenn sie eiligst Briefe schrieben – und im Volke wohl auch nicht.

Meinetwegen, könnte man sagen: Ich bleibe beim Genitiv, den auch Schiller durchaus schätzte und das „wegen“ hinter das Hauptwort verbannte. Statt „wegen seiner Natur“ schrieb er: Es ist dem Menschen „von Natur wegen möglich gemacht, aus sich selbst zu machen, was er will“.

Was ist also richtig? Alle Sätze sind – mehr oder minder – falsch im Eingangstest, und so sind sie richtig:

1. Dank meinem Fleiß (laut Duden);
2. Großalarms wegen eines toten Hundes (allerdings registriert der Duden schon: umgangssprachlich auch mit Dativ);
3. Trotz Umbau geöffnet (denn Hauptwörter ohne Artikel oder Attribut werden meistens nicht gebeugt);
4. Laut unserem Brief (allerdings lässt der Duden auch „laut unseres Briefes“ zu).

Geben wir Friedrich Schiller das letzte, oder besser: vorletzte Wort:

Schätzen Sie mich wegen dem, was ich unter besseren Sternen geworden wäre.“

Thüringer Allgemeine 11. März 2013

Respekt und Nähe – am Beispiel des Amoklaufs in Erfurt

Geschrieben am 20. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
1 Kommentar / Geschrieben am 20. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, Lokaljournalismus, Presserecht & Ethik.

Lokaljournalisten suchen in der Regel nicht die Sensation, zumindest nicht auf Kosten der Menschen, mit denen sie Tür an Tür leben. Das Beispiel des Amoklaufs (am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt), auch wenn er ein Extremfall ist, zeigt deutlich das Dilemma des Lokaljournalisten, eben die Balance zwischen Distanz und Nähe.

Das ist ein Auszug aus meinem Beitrag in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung über Lokaljournalismus und Verantwortung. Es ist gerade ins Netz gestellt worden: „Respekt und Nähe“.

Hier mein Beitrag in der vollständigen Fassung, geschrieben im Februar 2012 (1. Teil):

 

Ein 19jähriger ermordet im April 2002 im Erfurter Gutenberg-Gymnasium sechzehn Menschen: zwölf Lehrer, zwei Schüler, eine Schulsekretärin, einen Polizisten – und tötet sich am Ende selbst. Der Amoklauf ist ein Schock für alle Erfurter.

Wer einen Angehörigen verloren hat, einen Freund oder Bekannten, der ringt um Fassung, manche verlieren sie. Sie wollen nur noch schweigen angesichts des Unbegreiflichen. Ihr Schmerz verdoppelt sich durch jedes Bild, jeden Text, der in der Zeitung steht, oder jeden Film, der im Fernsehen läuft.

Die Redakteure in der Lokalredaktion können nicht schweigen – auch wenn einige überwältigt sind, weil sie Angehörige oder Freunde verloren haben. Es gibt keinen in der Redaktion, der das Gymnasium nicht kennt, sei es von der eigenen Schulzeit her, sei es von Terminen, um vom „Gutenberg“ zu berichten:

Wie sollen die Redakteure berichten?
Was sollen sie erwähnen?
Welche Sprache ist angemessen?
Schon die Wahl der Worte ist schwer: Darf man von einem Amoklauf sprechen?
Das Wort verweist auf eine spontane Tat statt auf einen lang geplanten Mord. Darf man von einem Massaker sprechen? Das Wort erinnert eher an tausendfachen Mord, gar Völkermord.

Auch wenn für die Angehörigen Schweigen die beste Lösung wäre, so wiegt schwerer der Anspruch der Bürger, zu erfahren, was wirklich geschehen ist. In einer Gesellschaft, in der unzählige Medien unaufhörlich berichten, ist das Schweigen keine Alternative.

Es ist und war immer schon Aufgabe von Journalisten. die Wahrheit herauszufinden – auch um Legenden vorzubeugen und Agitatoren die Chance zu verwehren, aufzuwiegeln und die Trauer in Hass und Wut zu verwandeln. Zur Wahrheit gibt es keine Alternative.

Die Gesellschaft, als die Gemeinschaft der Bürger, muss versuchen, eine solche Tat zu verstehen – zum einen um Vorsorge zu treffen, wie künftig solch ein Amoklauf zu verhindern ist; zum anderen um herauszufinden, was schief läuft im Umgang miteinander, vor allem in der Bildung der jungen Generation.

Die Gesellschaft muss verstehen, um handeln zu können. Aber wie sollen Redakteure berichten? Recht einfach ist die Frage zu beantworten: Wie sollen sie nicht berichten.

Reporter haben in Erfurt die Trauernden nicht in Ruhe trauern lassen, haben Fotos von den Opfern aus den Kränzen am Sarg gestohlen. Sie haben Menschen, die bei sich bleiben wollen, selbst bei der kirchlichen Trauerfeier in die Öffentlichkeit gezerrt – als wären es Superstars oder Prominente, die die Kameras suchen; dabei waren diese Menschen gegen ihren Willen und gegen ihren Lebensplan in ein Unglück gestürzt, das der Verstand nicht fassen kann und das die Seele verdunkelt.

Die Menschen können zwischen den Zeilen lesen: Ihnen reicht die Andeutung, die Beschreibung durch Worte, um sich selbst eine Vorstellung von der Verzweiflung machen zu machen. Worte sind kühler, glaubhafter, menschlicher als Fotos, weil sie dem Leser die Chance bieten, sich selber ein Bild malen zu können. Worte, klug gewählt, fördern das Verstehen; Fotos können das Verstehen verstellen.

Wenn die Redaktion erklärt, dass viele der Trauernden nicht sprechen wollen – und dass die Redaktion dies akzeptiert, dann akzeptieren es auch die meisten Leser. Man lässt seine Nachbarn in Ruhe trauern, das ist seit altersher eine menschliche Regung.

Die Menschen können auch hinter die Bilder schauen: Sie brauchen keine verzweifelten Gesichter; ihr Mitgefühl ist so groß, dass ihnen Andeutungen und Gesten reichen, um sich die Trauer in den Augen der Angehörigen vorstellen zu können. Sie müssen nicht Bilder von verweinten Augen sehen, um mit den Menschen zu leiden.

Nach den Morden am Gutenberg-Gymnasium haben die Medien zu Recht harte Kritik einstecken müssen; Erfurter haben Journalisten beschimpft, bespuckt, mit Steinen beworfen, wenn sie Jagd machten nach Gesichtern, Bildern und intimen Szenen.

Dass diese Kritik auch in den Medien selber diskutiert worden ist, zeigt, dass unsere Demokratie zumindest robust ist und, man möchte hoffen, Journalisten auch lernfähig. Doch als 2009 ein 17jähriger in Winnenden fünfzehn Menschen ermordete, drehten Journalisten auf der Jagd nach der Sensation wieder durch – als hätten sie nichts gelernt aus der massiven Kritik nach dem Amoklauf in Erfurt.

Lokaljournalisten suchen in der Regel nicht die Sensation, zumindest nicht auf Kosten der Menschen, mit denen sie Tür an Tür leben. Das Beispiel des Amoklaufs, auch wenn er ein Extremfall ist, zeigt deutlich das Dilemma des Lokaljournalisten, eben die Balance zwischen Distanz und Nähe:

• Auch Lokaljournalisten brauchen Distanz, gar kühlen Abstand, um sich nicht von Emotionen übermannen zu lassen und um Verantwortung zu klären.

• Lokaljournalisten brauchen Nähe, um mit den Menschen sprechen zu können, sie in ihrem Schmerz zu begreifen, um Unerklärliches doch erklären zu können und sei es bruchstückhaft.

(zu: Handbuch-Kapitel 55 „Der neue Lokaljournalismus“)

Karl Valentin, der Papst und die Frage „Wo ist der Fremde fremd?“ (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 17. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.
0 Kommentare / Geschrieben am 17. Februar 2013 von Paul-Josef Raue in Friedhof der Wörter.

Er ist ein Spielverderber, der den Menschen die Freude und das Lachen nicht gönnt. So schüttelten viele den Kopf, als der Papst seinen Rücktritt ausgerechnet am Rosenmontag erklärte. Oder hatte sich der alte Mann an einen Rosenmontag vor 65 Jahren erinnert?

Am Rosenmontag 1948, drei Jahre nach dem Krieg, starb Karl Valentin  – ein Bayer, der Komiker war, Pessimist und ein Spieler mit der Sprache, wie es wenige in Deutschland gibt. Mit seinen Spielen brachte er zuerst die Menschen zum Lachen und dann zum Innehalten, wenn sie den doppelten Boden der Wörter sahen. Denn ein Wort ist meist mehr als ein Wort.

„Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“, lässt Karl Valentin den Schüler Max sagen, als sich der Lehrer im Unterricht über die Fremden auslässt. Wörter können also ihren Sinn verändern, je nach Ort, Zeit, Situation. Ein Thüringer ist ein Fremder in der Türkei, ein Türke ist ein Fremder in Thüringen.

Aber diesen doppelten Boden des Wortes will der Lehrer gar nicht zeigen. „Es  kann aber auch einem Einheimischen etwas fremd sein!“, sagt er.

„Gewiss“, entgegnet  Fehrni, eine Schülerin, “ manchem Münchner zum Beispiel ist das Hofbräuhaus nicht fremd, während ihm in der gleichen Stadt das deutsche Museum, die Glyptothek, die Pinakothek und so weiter fremd sind.“

„Die Fremden“ schrieb Karl Valentin 1940.

Als Karl Valentin am Aschermittwoch vor 65 Jahren in Planegg beerdigt wurde, machte sich ein Theologiestudent, 20 Jahre jung, vom nahen München auf den Weg und war dabei, als der Sarg in die gefrorene Erde gesenkt wurde. Es war der Student Joseph Ratzinger, der auch diesen Satz des Valentin gekannt haben mag:

„Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut.“

Thüringer Allgemeine geplant für 18. Februar 2013

„Taschendiebinnen“, die Sprache und der Sexismus

Geschrieben am 16. Februar 2013 von Paul-Josef Raue.

Frage der Drehscheibe:

Gibt es in der Redaktion Regeln zum nicht-sexistischen Sprachgebrauch, zum Beispiel was männliche und weibliche Schreibweisen betrifft? Wenn ja, wie sehen diese Regeln aus?

Meine Antwort:

Die Debatte um das große I, um Diskriminierung in der Sprache, führen wir schon lange in der TA, zum Beispiel in der Kolumne „Friedhof der Wörter“. Im November begann die Kolumne so:

„Frauen sind die Benachteiligung leid, lehnen sich dagegen auf und erregen sich über die Sprache, die überwiegend männlich geprägt ist. Warum nur sind der Gott und der Mensch männlich?“

Zitiert wird dann aus einem Infobrief der Erfurter „Linke“: „Ein Parallelität zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht (Genus und Sexus) besteht nicht.“

Und die Kolumne endet: „Zudem ist unsere Sprache ungerecht auch zu den Männern: Warum ist die Brüderlichkeit  weiblich und der Hampelmann männlich? Die Liebe weiblich und der Hass männlich? Der Verbrecher männlich, auch der Sündenbock und der Taschendieb – oder haben Sie schon einmal gelesen: Vor Taschendieben und Taschendiebinnen wird gewarnt?“

Es ist Unsinn, die Debatte um den „Sprachgebrauch“ in die „sexistische“ Ecke zu stellen. Das ist zu viel Ehre für Herrn Brüderle.

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