Warum „Sandy“ zum Monster wird (Friedhof der Wörter)
Sandy ist ein netter Name. Wir stellen uns Sandy als freundliche junge Frau vor, die bald einen ebenso freundlichen jungen Mann heiraten wird. Sandy war ein netter Name. Seitdem Wissenschaftler den Sturm, der Teile von New York verwüstete, Sandy nannten, hat Sandy seinen freundlichen Klang verloren.
Zu allem Überfluss haben wir Deutschen „Sandy“ auch noch einen Vornamen gegeben: Monstersturm. Der kommt im Wortschatz der Meteorologen gar nicht vor: Hurrikan und Orkan sind die Steigerungen von Sturm, also prägnante, Schrecken andeutende Wörter. Warum greifen wir zum „Monster“, wenn wir kurze und starke Wörter nehmen könnten?
- Zum einen ist es die Sorge, als unwissenschaftlich gescholten zu werden: Die Experten hatten den Hurrikan zum Sturm abgestuft.
- Zum anderen ist es die berechtigte Sorge, dass „Sturm“ harmlos klingt angesichts der Opfer und Zerstörungen. Da erinnern wir uns an die Kraft der Legenden, über die wir sonst eher lächeln.
Wenn sich Menschen in den alten Zeiten wehrlos fühlten gegen die Natur, verwandelten sie Unwetter und Katastrophen in lebende Wesen – etwa in einen Drachen, der eine Stadt bedroht, Menschen vertilgt und schließlich von Georg, dem Helden, getötet wird. Die Zeit der Drachen ist nie vorbei.
Unser Drache heißt Monster, ist ebenso hässlich und groß. Und wenn wir, die alles beherrschen wollen, die Natur nicht beherrschen, machen wir es wie die Alten und erfinden uns einen Drachen.
Thüringer Allgemeine 12. November 2012
Der Zauber des Sonntags (Friedhof der Wörter)
Warum heißt der Sonntag überhaupt Sonntag? Vor zwei Jahrtausenden betrachteten die Römer die Planeten, wählten sieben aus und gaben den Wochentagen ihren Namen.
Dem Lieblings-Gestirn, das Licht in Überfülle schenkt, ebenso Wärme und Leben, der Sonne also widmeten die Römer den ersten Tag der Woche: Sonntag, der Tag der Sonne.
Auch wenn der Sonntag – wie in der Schöpfungsgeschichte – auf den letzten Tag der Woche gerutscht ist, bleibt der Zauber: Die Sonne erfreut uns an keinem Tag mehr als an diesem, meist freien Tag der Woche; fehlt sie, sinkt die Stimmung, nicht selten auch an den Tagen danach.
In ihrem Zukunft-Roman „Die Verratenen“ erzählt Ursula Poznanski von der Zeit nach der „Langen Nacht“, als die Erde in Dunkelheit und Kälte gefallen war. Während der Langen Nacht haben die Menschen auch die Wörter verändert, entzaubert. Der Sonntag heißt nicht mehr Sonntag – „weil die Menschen nicht an eine Sonne erinnert werden wollten, die sich ihnen nicht zeigte“.
Wörter bergen einen Zauber in sich. Sie entwerfen ein Bild, das uns verzaubert, in gutem wie im schrecklichen Sinne.
Viele neue Wörter, die wir erfinden, lassen noch nicht einmal den Zauber ahnen. Wer spürt schon einen Zauber, wenn er liest: Elektrizitätswirtschaftsorganisationsgesetz oder Nahrungsmittelunverträglichkeit?
Thüringer Allgemeine 29. Oktober 2012
Martin Walser, der Dichter des Bandwurm-Wortes
Warum lieben wir Deutschen Bandwurm-Wörter? Warum mögen wir es kompliziert, wenn es doch einfach geht – und wenn einfach sogar schön ist?
Ein Wort verliert mit jeder Silbe seine Kraft, erst recht mit jeder überflüssigen Silbe. Schopenhauer, der Philosoph, spottete schon über die Wortdreimaster. Den hinteren Mast kann man oft einfach entfernen, schlägt er vor.
Was ist der Unterschied zwischen Glatteisbildung und Glatteis? Glatteis ist nur glatt, wenn es sich gebildet hat.
Und was der Unterschied zwischen Rückantwort und Antwort? Also können wir oft auch den vorderen Mast entfernen und bekommen ein kurzes, kraftvolles Wort.
Der Dichter des Bandwurmwortes ist Martin Walser. In seinem neuen Roman „Das dreizehnte Kapitel“ strapaziert er die Geduld der Leser, indem er neue Wörter erfindet – lang, länger, am längsten. Eine Auswahl:
- Gefühlsausführlichkeiten
- Zudringlichkeitsverfasser
- Unerwachsenheiten
- Voraussetzungslosigkeit-Beziehung
- Mittagsonnenfarbe
- Tannenwipfelwiegen
Wenn wir ein Hauptwort mit einem anderen kuppeln, zerstören wir seine Anschaulichkeit. Walsers „Gewohnheitskäfig“ brennt kein Bild in unserem Kopf – Im Gegensatz zum „Käfig voller Gewohnheiten“.
Und mein „Bandwurmwort“ kann auch anschaulich werden: „Wörter, so lang wie ein Bandwurm“.
Aus der Thüringer Allgemeine vom 22. Oktober 2012
„Welche Spielchen werden mit der freien Presse gespielt?“
Welchen Einfluss haben Politiker auf Redakteure? Diese Frage beschäftigt nach der CSU-ZDF-Affäre auch die Leser von Tageszeitungen. Ein Leser der Thüringer Allgemeine reagierte auf die TA-Samstags-Kolumne „Leser fragen“, in der die stetigen, aber erfolglosen Rügen der Politiker thematisiert waren:
Man „rügt“ Sie, wie Sie schreiben, „immer wieder“. Sind das etwa „Leute“, die an oder in der Regierung sind oder politische Pöstchen haben?
Hier denke ich an Herrn Dr. Strepp und das ZDF!
Ich frage Sie, Herr Chefredakteur, welche Spielchen werden mit uns und der ‚sogenannten‘ freien Presse gemacht in unserem schönen Thüringenland; der alte Vogel und Althaus sind doch nicht mehr da. Aber sicher gibt es neue Akteure, die Telefone bedienen können.
Chefredakteur Paul-Josef Raue antwortete in der TA:
Weder auf die Leser-Seite noch auf die Artikel der Redakteure haben Politiker einen Zugriff. In der Tat rufen Minister bisweilen an, mal in scharfem Ton, mal in gesteigerter Tonstärke, mal umwerbend, mal umarmend. Das ist ihr gutes Recht: Auch Politiker dürfen sich beschweren, dürfen rügen, dürfen loben.
Doch keiner spielt mit uns ein Spielchen. Wir haben einen großen Vorteil gegenüber einigen Redakteuren bei ZDF oder anderen öffentlich-rechtlichen Sendern: Wir werden nicht von Politikern kontrolliert; kein Redakteur, vor allem kein Leitender, verdankt seine Karriere einem stark politisch durchsetzten Gremium.
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
Vorsicht: Ironie!
Leser schreiben auch vortreffliche Satiren – beispielsweise Karl-Ernst Schwartz aus Sondershausen in der Thüringer Allgemeine, als er während der Schulessen-Affäre auf die Frage reagierte: Warum waren nur ostdeutsche Länder von der Lieferung vergifteter Erdbeeren betroffen?
Das ist nur die Spitze des Eisberges. Um das dahinterliegende System zu verstehen, müssen wir in die Vergangenheit schauen:
Zuerst hat man uns Ostdeutschen unsere zwei Eriche genommen, von denen der eine uns besonders geliebt und dies auch öffentlich zum Ausdruck gebracht hat. Dann wurde der Hauptteil unserer Ersparnisse in harter DDR-Mark auf Wunsch des westdeutschen Großkapitals 2:1 abgewertet.
Anschließend verschleuderte die Treuhand unser Eigentum an modernsten Betrieben und Einrichtungen, wie wir fast jeden Tag in dieser Zeitung lesen können. Unsere Rentner kümmern mit ihren jämmerlichen, nicht angepassten Ostrenten dahin und verhungern reihenweise, auch hier fast täglich nachzulesen.
Nicht genug damit, unsere ostdeutsche Jugend, insbesondere die jungen, gut ausgebildeten Frauen, werden mit Versprechungen höherer Löhne und Gehälter in die Betriebe westdeutscher Ausbeuter gelockt, wer weiß, was dort mit ihnen geschieht.
Zu guter Letzt werden auch noch unsere ostdeutschen Kinder, von denen es sowieso nicht viele gibt, und möglicherweise unsere intellektuelle Elite, die Pädagogen, mit verseuchtem Schulessen, zum Hohn auch noch mit roten chinesischen Erdbeeren, vergiftet.
Das ist Völkermord! Wann schreitet endlich die UNO ein?
Die TA druckte die Satire, aber unter der Überschrift: Vorsicht Ironie!
(zu: Handbuch-Kapitel 38 Die Satire)
WAZ-Chef Nienhaus: Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren
Rufen Sie uns an! Bei unseren Zeitungen dürfen sich auch Politiker beschweren! Darüber beschweren wir uns nicht. Aber – aus der Zeitung fliegt deswegen kein Beitrag!
WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus in Erfurt am Dienstag bei der Verabschiedung von Martin Jaschke, der als Geschäftsführer zu den Stuttgarter Zeitungen wechselt, und zur Einführung von Inga Scholz, der neuen Sprecherin in der Geschäftsführung der Zeitungsgruppe Thüringen (u.a. TA, OTZ, TLZ) und der ersten Frau an der ZGT-Spitze
(zu: Handbuch-Kapitel 49 Wie Journalisten entscheiden sollten)
Anton Sahlenders Kommentar via Facebook:
Das gilt nicht nur bei der WAZ. Und sie haben es wohl immer schon getan, die Politiker, überall. Entscheidend ist, wie man in Medien damit umgeht. Und da könnte es beim ZDF eine Art Notwehrreaktion gegeben haben.
Wie provinziell ist der Lokaljournalismus? (Golombek-Interview 3)
Im dritten Teil des Interviews sprach Paul-Josef Raue mit Dieter Golombek über die Zukunft des Lokaljournalismus im Internet-Zeitalter:
Ist der Lokaljournalismus nicht in Gefahr, mit seinen Nachrichten aus der Nachbarschaft provinziell zu sein?
Golombek: Er ist in der Gefahr und er muss ihr begegnen, die ganze Zeitung muss es tun. Die Chefredakteure müssen ihre Redaktionen neu aufstellen, um auf die Herausforderungen und Chancen richtig zu reagieren, die diese Medienwelt hergibt. Sie muss sich auf ihre Kernkompetenz besinnen und den Brückenschlag schaffen zwischen den Interessen ihrer Leser und der Fülle möglicher Informationen, den Brückenschlag zwischen den lokalen Welten und der einen Welt.
Eine gewaltige Aufgabe . . .
Aber sie ist nun mal da, und es ist die Marktlücke für die Tageszeitung. Viele Themen spielen ins Lokale hinein, aus Brüssel, aus Berlin, aus Erfurt, aus der ganzen Welt. Der Leser will begreifen, will nachvollziehen, was das Ganze für ihn, in seinem Dorf, in seiner Stadt bedeutet: Ozonloch, Eurokrise, terroristische Bedrohung, demografischer Wandel, die neue Schulvergleichsstudie.
Alle diese Informationen finde ich doch auch im Netz?
Aber sie verwirren mehr als sie orientieren. Eine schier unendliche Fülle von höchst widersprüchlichen Informationen überfällt mich, die Bezüge zu meiner Region fehlen.
Und hier kommt die Zeitung ins Spiel. Bei ihr arbeiten Redakteure, die diese unendlich komplizierte und vielschichtige Wirklichkeit sichten und in nachvollziehbare Nachrichten umsetzen und so die Welt verstehbar machen können. Nachrichten aus Politik und Wirtschaft, überregionale Themen brechen sie auf das Lokale herunter. So wird Welt verstehbar, so macht sich Zeitung unverzichtbar – wenn sie gut ist.
Ein hoher Anspruch . . .
Zeitungen wollen überleben, und sie sollen überleben – im Interesse der Demokratie, im Interesse des wohlinformierten Bürgers, den diese Demokratie braucht. Zeitungen überleben, wenn sie das Lokale als Auftrag ernst nehmen, nicht kleinkariert und provinziell, sondern mit dem Anspruch, die großen Themen der Zeit für die Region und in der Region zu übersetzen. Tageszeitungen und Journalisten, die diesem Auftrag gerecht werden, verdienen hohen Respekt.
Sie organisieren seit über drei Jahrzehnten den Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben Tausende von Konzepten, Serien, Aktionen und Reportagen gelesen. Was hat sich verändert?
Die Qualität im Lokalen ist deutlich gestiegen, sie ist höher als vor zehn oder zwanzig Jahren. Der Anteil der guten und sehr guten Einsendungen zum Preis ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Immer mehr Redaktionen befreien sich von Routinen, geben nicht nur Pressemitteilungen wieder oder drucken ab, was ihnen Politiker oder Funktionsträger diktieren. Sie erkunden die Bedürfnisse ihrer Leser, sie erforschen, was sie lesen wollen. Sie binden ihre Leser ein, öffnen die Zeitung für die Debatten, die dieses Land, diese Demokratie braucht.
Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 55 Die Internet-Revolution)
„Die Lokalzeitung ist Anwalt der Leser, nicht Richter“ (Golombek-Interview 2)
Wer legt fest, was die Menschen diskutieren? Es sind die Lokaljournalisten,sagt Dieter Golombek. Im zweiten Teil des Interviews beleuchtet er das Verhältnis von Politikern und Journalisten; Teil 1: „Was reizt Sie so am Lokaljournalismus“.
Darf die Lokalzeitung selber Themen anstoßen? Muss sie nicht warten, bis Politiker oder Initiativen Themen anbieten?
Golombek: Wer, bitte sehr, soll festlegen dürfen, was in der Gesellschaft wann diskutiert wird? Die Politiker, die Verwaltungen, die vielen Initiativen? Journalisten müssen im Auftrag und im Interesse ihrer Leser selber Debatten anstoßen können. Sie müssen dabei gut aufpassen, dass sie sich nicht vor einen Karren spannen lassen.
Genau das versuchen aber doch viele Politiker?
Golomek: Ja, und machen es mit Raffinesse. Sie verfolgen eben ihre Interessen. Der Auftrag für die Zeitung ist aber anders, sie darf sich nicht einbinden lassen, in politische Geschäfte auch nicht durch Vertraulichkeit – etwa nach dem Motto: „Ich erzähle Dir jetzt, wie es wirklich läuft, Du sollst ja Bescheid wissen, aber schreiben darfst Du darüber natürlich nicht.“
Die politisch Handelnden wollen Entscheidungen in ihrem Sinne durchsetzten, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen.
In Städten und Kreisen kommen sich Politiker und Journalisten sehr nahe. Sind Konflikte da nicht vorprogrammiert?
Golombek: Das ist richtig und darin lauert auch eine große Gefahr. Wenn mein Sohn mit dem Bürgermeistersohn dieselbe Klasse besucht, die Frauen sich gut verstehen, er kein unrechter Typ ist, wenn man sich freundlich begegnet, dann kann es schon sehr schwer fallen, für den Bürgermeister unangenehme Nachrichten ins Blatt zu bringen.
Nachrichten trotz Nachbarschaft zu liefern, ist das schwere Brot für Lokaljournalisten.
Es erfordert Mut, Missstände und Versäumnisse öffentlich zu machen, es erfordert Mut und Augenmaß, das Wächteramt auszufüllen. Die lokale Tageszeitung ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort, Anwalt, aber nicht Richter.
Interview in der Thüringer Allgemeine, 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus)
Was reizt Sie so am Lokaljournalismus? Golombek-Interview
Neuigkeiten zu verbreiten, reicht heute für eine Lokalzeitung nicht mehr aus, sagt Dieter Golombek. Vielmehr muss sie Debatten anstoßen und Voraussetzungen für gute Debatten schaffen. Die Journalisten dürfen sich jedoch vor niemandes Karren spannen lassen – und sich schon gar nicht zum Anwalt von Stammtischparolen machen.
Dieter Golombek ist der Gründer des Lokaljournalistenprogramms (in der Bundeszentrale für politische Bildung). Der große Förderer und Forderer des Lokaljournalismus ist Sprecher der Jury des Deutschen Lokaljournalistenpreises. Am Rande der diesjährigen Preisverleihung sprach Paul-Josef Raue in Bonn mit Golombek.
Sie mögen die Stadt und das Dorf, die kleine Politik und die großen Fragen. Sie gelten als Pionier der Lokalzeitungen. Was reizt Sie so am Lokaljournalismus?
Dieter Golombek: Nirgendwo ist der Journalist den Menschen so nahe. Und in der Pflicht, die Bürger dazu einzuladen, „sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen“, wie es der frühere Bundespräsident Horst Köhler formuliert hat.
Hört sich nach einem Bildungsauftrag an?
Golombek: Das ist auch so. Es reicht für die Zeitungen nicht mehr aus, den Leser mit Neuigkeiten zu versorgen. Das schafft das Internet schneller. Informationen müssen immer wieder so komponiert werden, dass Orientierung entsteht.
Bei Themen, die die Menschen bewegen, wollen sie Bescheid wissen: Welche Folgen hat der demografische Wandel für meine Region, wie steht es um die Qualität von Pflegeheimen, wie kommen die Stadtwerke mit der Energiekrise zurecht und welche Folgen hat dies für meinen Geldbeutel? Solche Themen dürfen nicht im Klein-Klein der routinierten Lokalberichterstattung versanden. Sie brauchen Raum, um verständlich rüberzukommen.
Dann wollen die Leser doch mitreden?
Golombek: Ja. Und dafür hat die Zeitung die Voraussetzungen zu schaffen. Das ist ihr vornehmster Auftrag in einer Demokratie: Debatten anzustoßen und Voraussetzungen für gute Debatten zu schaffen mithilfe des guten alten Mediums Tageszeitung und mit Unterstützung der neuen medialen Möglichkeiten, dem Online-Auftritt ebenso wie Facebook und Twitter.
Zeitung soll Bündnisse eingehen mit der Konkurrenz?
Golombek: So ist es. Für Zeitungen eröffnen sich umso mehr Möglichkeiten, je weiter das Netz um sich greift. Online-Journalismus ist eine große Chance für die lokalen Tageszeitungen, mit den neuen medialen Möglichkeiten Leser und Nutzer zu Mitdenkern und Mitgestaltern zu machen.
Viele Leser verlangen von ihrer Zeitung, sie solle sich radikal auf ihre Seite stellen, ihr Anwalt sein im Kampf gegen Staat und Politiker.
Die Redakteure können es sich leicht machen, Politiker beschimpfen, Politik verächtlich machen und sich als Anwalt der Unzufriedenen in Szene setzen.Das kommt bei vielen bestimmt gut an. Journalisten sind aber gehalten, genau zu recherchieren, Problemen auf den Grund zu gehen, auch zu zeigen, wie schwierig sich Entscheidungen oft gestalten, weil es nicht möglich ist, allen Anforderungen, Wünschen und Interessen gerecht zu werden. Journalisten dürfen sich auf keinen Fall zum Anwalt von Stammtischparolen machen.
Interview in der Thüringer Allgemeine vom 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + 53 Was die Leser wollen + 3 Warum die Gesellschaft bessere Journalisten braucht)
Was ist guter Lokaljournalismus? Themen setzen, die die Menschen bewegen
Alle Redaktions-Projekte, ausgezeichnet mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis, haben nichts mit Terminkalender-Journalismus zu tun, sind nicht Ergebnis irgendeiner Pressekonferenz.
Alle Redaktionen brillieren, weil sie Themen setzen.
So Jury-Sprecher Dieter Golombek in seinen Schlussgedanken beim Gespräch mit den Preisträgern im Bonner Post-Tower; dies Gespräch findet traditionell am Vorabend der Preisverleihung statt und wird von Preisträgern als der heimliche Höhepunkt gepriesen. Die Redakteure, die sich den Preis erarbeitet haben, erzählen von der Lust, aber auch von den Schwierigkeiten bei ihrem Projekt. Auf einer DVD fände man es unter: The Making Of.
In all den Jahren fällt auf: Da die meisten Konzepte und Aktionen neu sind, als Idee noch unvollkommen, zudem so nirgends verwirklicht, kommen die meisten Widerstände aus den Redaktionen selbst. Wer die gewohnten Wege verlässt, muss in vielen Redaktionen offenbar mit Unverständnis rechnen. Davon ist bei der Preisverleihung aus guten Gründen selten etwas zu hören; da überwiegt, auch aus guten Gründen, die Freude über ein großes Projekt.
Was zeichnet konkret die Preisträger in diesem Jahr aus? Dieter Golombek:
Alle Preisträger waren viel unterwegs, die Freiburger Badische Zeitung über tausend Kilometer bei ihren Touren durch die Stadtteile, die Thüringer Allgemeine dreihundert Kilometer bei ihren Wanderungen die alte innerdeutsche Grenze entlang, die Augsburger Allgemeine bei ihren Ausflügen in über zweitausend Jahre Zeitgeschichte, der Bremer Weser Kurierbei seinem Versuch, ein Schwein ein Schweineleben lang zu begleiten. Und nicht zuletzt die Reporter aus Hameln (Deister-und-Weserzeitung) und der Stuttgarter Zeitung, die sich zu Reisen in die Zeit aufgemacht haben.
Sie tun es nicht, weil sie unbedingt Lust auf das Thema haben, sie tun es im Interesse ihrer Leser. Sie greifen die Themen auf, die die Menschen bewegen, den regionalen Verkehrskollaps ebenso wie die Energiepolitik der Stadtwerke, die Alltagsprobleme von Familien ebenso wie das E-Auto, das die Wirtschaftskraft einer Region bedroht.
Die Redakteure nehmen also nicht die Themen, die ihnen, ihren Bekannten und Freunden gefallen, sondern sie hören zu, worüber die meisten Menschen in ihrer Stadt und ihren Dörfern reden oder reden wollen. Sie bewältigen die größte Schwierigkeit der Lokalredakteure: Sie müssen sich außerhalb ihrer Gemeinschaft umhören, dort wo sich nicht die hoch gebildeten Eliten versammeln, den Meinungsträger, die Bestimmer.
Mehr zu den Konzepten der Preisträger auf www.drehscheibe.de
Die Preisträger, ausgesucht unter 588 Einsendungen (so viele wie nie zuvor):
1. Preis: Bonner General-Anzeiger für das Konzept einer Familienzeitung.
Die Zeitung macht Familien, deren Alltagsprobleme und Herausforderungen, deren Wünsche und Träume zur Richtschnur für ihre redaktionelle Arbeit. Die Redaktion liefert in einer gigantischen Serie, die über Jahre läuft, Familien Gesprächsstoff und Lebenshilfe und macht sie zu Mitgestaltern der Zeitung.
2. Preis, geteilt: Die Mittelbayerische Zeitung für das Konzept der Themenwochen
Die Westfälische Rundschau für ihr Konzept der Themenpräsentation.
Kategorien-Preisträger:
Augsburger Allgemeine für die Serie „Augsburgs starke Geschichte“ (Kategorie Geschichte),
Badische Zeitung für das Projekt „BZ-Stadtteilcheck“ (Kategorie Service),
Deister- und Weserzeitung für die Serie „Zeitgeschichten“ (Kategorie Alltag),
Rhein-Zeitung für die Reportage „Lobo, der Wolf vom Zentralplatz“ (Kategorie Reportage),
Süderländer Tageblatt für die Serie „Höchst elektrisierend – die neue Mobilität“ (Kategorie Wirtschaft),
Saarbrücker Zeitung für die Serie „Nix verstehen?!“ (Kategorie Integration),
Stuttgarter Zeitung für die Serie zur Zeit (Kategorie Alltag),
Thüringer Allgemeine für die Serie „Auf dem Kolonnenweg“ (Kategorie Zeitgeschichte),
Weser Kurier für das Projekt „Ein Schweineleben“ (Kategorie Verbraucher).
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus + Service C Erste Adressen: Journalistenpreise, Seite 381)
Rubriken
- Aktuelles
- Ausbildung
- B. Die Journalisten
- C 10 Was Journalisten von Bloggern lernen
- C 5 Internet-Revolution
- C Der Online-Journalismus
- D. Schreiben und Redigieren
- F. Wie Journalisten informiert werden
- Friedhof der Wörter
- G. Wie Journalisten informieren
- H. Unterhaltende Information
- I. Die Meinung
- Journalistische Fachausdrücke
- K. Wie man Leser gewinnt
- L. Die Redaktion
- Lexikon unbrauchbarer Wörter
- Lokaljournalismus
- M. Presserecht und Ethik
- O. Zukunft der Zeitung
- Online-Journalismus
- P. Ausbildung und Berufsbilder
- PR & Pressestellen
- Presserecht & Ethik
- R. Welche Zukunft hat der Journalismus
- Recherche
- Service & Links
- Vorbildlich (Best Practice)
Schlagworte
Anglizismen BILD Braunschweiger Zeitung Bundesverfassungsgericht chefredakteur DDR Demokratie Deutscher-Lokaljournalistenpreis Die-Zeit dpa Duden Facebook FAZ Feuilleton Goethe Google Internet Interview Kontrolle der Mächtigen Leser Leserbriefe Luther (Martin) Lügenpresse Merkel (Angela) New-York-Times Organisation-der-Redaktion Persönlichkeitsrecht Politik Politiker-und-Journalisten Pressefreiheit Presserat Qualität Schneider (Wolf) Soziale-Netzwerke Spiegel Sport Sprachbild Sprache Süddeutsche-Zeitung Thüringer-Allgemeine Twitter Wahlkampf Welt Wulff Zitat-der-Woche
Letzte Kommentare
- Daniel Grosse: Die Sendung mit der Maus sollte uns „ja so erwachsenen und klugen“ Autoren und...
- Sportreporter: In meiner Redaktion kommt es vor, dass Lokalsport-Redakteure sonntags für zehn bis zwölf Seiten...
- Udo Heinze: Ich kam Anfang der 70-er von Gesprächen mit der amerikanischen Newspaper-Association zurück. Dort...
- Härtel: Ich bin von den viel verwendeten Anglizismen genervt. Im Berufsleben begegnet mir jetzt „content“, „hashtag“,...
- Oliver Horvath: Männliche Zuschauerinnen sehen wohl aus wie weibliche Zuschauer – wie eine Gruppe eben...
Meistgelesen (Monat)
Sorry. No data so far.
Meistgelesen (Gesamt)
- Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre
- Der NSU-Prozess: Offener Brief aus der Provinz gegen die hochmütige FAZ
- Wie viel Pfeffer ist im Pfifferling? (Friedhof der Wörter)
- Die Leiden des Chefredakteurs in seiner Redaktion (Zitat der Woche)
- Wer entdeckt das längste Wort des Jahres? 31 Buchstaben – oder mehr?