„Empfangsbedürftige Willenserklärung“ (Friedhof der Wörter)
Was ist eine „Verkehrssicherungspflichtverletzung“? Der Redakteur Marc Baumann, Schöffe an einem Münchner Amtsgericht, übersetzt ins Deutsche: „Vor der Einfahrt wurde nicht Schnee geräumt.“
Der deutschen Sprache bedienen sich beide: Der Jurist und der Journalist. Der eine will genau sein, der andere bedient sich eines Beispiels. Den einen verstehen nur Spezialisten, den anderen alle.
Marc Baumann gibt uns im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ noch zwei Beispiele:
„Empfangsbedürftige Willenserklärung“ heißt auf gut deutsch: „Wenn Sie kündigen, müssen Sie das Ihrem Arbeitgeber auch sagen.“
„Beuteabsicherungsabsicht“ bedeutet: „Er hat mir nicht nur mein Handy geklaut, sondern auch mit geballter Faust klargemacht, dass ich es nicht zurückkriege.“
Nicht alle Juristen sprechen so kompliziert wie in den drei Beispielen, und nicht alle Journalisten können so gut übersetzen wie Marc Baumann. Dennoch bleibt die Frage: Warum sprechen sie so unterschiedlich?
Richter und Staatsanwälte schaffen damit Distanz, denkt sich der Journalist als Schöffe. Die Distanz ist noch größer als die zwischen dem erhöhten Richtertisch und dem Saal, in dem der Angeklagte sitzt und zu den Richtern und Schöffen aufsieht.
Wer also unverständlich spricht oder schreibt, schaut von oben auf andere hinab. Das gilt für alle, die von der Kanzel sprechen, ob sie in der Kirche steht oder anderswo.
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