„Journalismus ist Wahrheit zum Zeitpunkt des Andrucks“
Zeitung und Kunst ist das Thema einer sehenswerten Ausstellung im Berliner Gropius-Museum nahe des Checkpoint-Charly, die bis zum 24. Juni zu besichtigen ist. Ein Bummel durch die Ausstellung soll zu einem Besuch verführen:
Das Martin-Gropius-Museum liegt mitten in Berlin, ist Nachbar des Schreckens, der sich auf einigen hundert Metern versammelt hatte: Die Nazis folterten in den Zentralen von Gestapo und SS; heute ist hier die „Topographie des Terrors“ zu finden, eine Ausstellung, die zeigt, wie man ein Volk gewaltsam unterdrücken kann. Entlang des Museums verlief die Mauer, auch ein Instrument des Schreckens, das nur noch an wenigen Stellen zu sehen ist wie am nahen Checkpoint-Charly, wo sich Touristen mit Schauspielern in US-Uniformen fotografieren lassen.
Inmitten des Schreckens steht der Renaissance-Bau, vor gut 130 Jahren gebaut, eine friedliche Insel, der Kunst gewidmet. Wer in diesen Tagen das Museum besucht und in den großen Lichthof tritt, sieht eine große Druckmaschine, auf der mit Blei-Lettern noch zu Wendezeiten die Parteizeitungen gedruckt wurden. Aus der Maschine wachsen Sonnenblumen, drumherum geht der Besucher auf Buchstaben aus Blei, die wie Samen dahingeworfen wurden, und durch Bleirollen, die an Filmrollen erinnern, mit denen vor Erfindung des Digitalen die laufenden Bilder auf die Leinwand geworfen wurden.
Wer nicht weiß, welche Schau ihn erwartet, ahnt es bei diesem Anblick: Es geht um die Medien, noch genauer: um die Zeitung, um „Art and Press“, wie die Ausstellung genannt wird, um Kunst und Presse, um „Kunst – Wahrheit – Wirklichkeit“. Die Installation mit der Druckmaschine und den Sonnenblumen hat Anselm Kiefer eigens für die Ausstellung geschaffen und „Die Buchstaben“ genannt. Der Schüler von Joseph Beuys, 1945 geboren, hat ein für ihn ungewöhnlich friedliches Werk geschaffen: Blumen blühen aus Druckmaschinen. So friedlich bleibt es nicht in der Ausstellung.
Der chinesische Künstler Ai Weiwei, in seiner Heimat kujoniert, zeigt eigenartig geformte Eisenstangen. Was haben sie mit der Zeitung zu tun?
Die Antwort ist verblüffend einfach: Über die Eisenstangen wurde nie in chinesischen Zeitungen berichtet. Sie sind Zeichen des Schweigens in einer Diktatur.
Die Eisenstäbe stammen aus einer Schule in Beichuan, in deren Trümmern bei einem Erdbeben 2008 tausend Schüler und Lehrer sterben mussten. Der Einsturz der Schule war Folge von verpfuschten Bauarbeiten, bei denen sich keiner an die Auflagen gehalten hatte.
In westlichen Zeitungen wäre darüber ausführlich geschrieben, wäre die Frage nach der Verantwortung gestellt worden, die Korruption beim Namen genannt. Was die chinesischen Zeitungen nicht schrieben und nicht schreiben durften, macht der Künstler zum Thema – und gibt den Toten, die dem Vergessen zugedacht waren, ihre Würde zurück.
Eine Diktatur erfahren und erlitten hat auch Farhard Moshiri, 1963 im persischen Shiraz geboren; heute lebt er in Teheran und Paris. Er scheint in der Ausstellung mit der Zensur zu spielen: Ein Kiosk ist zu sehen, ein „Kiosk der Kuriositäten“, in dem 500 Zeitschriften ausgestellt sind, aber nicht aus Papier, nicht gedruckt, sondern 500 mit der Hand geknüpfte Teppiche, auf denen das Titelbild von persischen Magazinen zu sehen ist, deren Buchstaben und Sinn uns rätselhaft bleiben; meist sind aber westliche Magazine zu sehen, von „Gala“ mit Cameron Diaz oder der französischen „Elle“ oder einer Zeitschrift, die festliche Haarschnitte zeigt, oder der politischen „Newsweek“ mit einem Flugzeug, das am 11. September in einen der Zwillingstürme rast.
„Sarkastischer kann man die Mechanismen der Globalisierung nicht formulieren“, schreibt Walter Smerling, der künstlerische Leiter, im Katalog. „Moshiri präsentiert uns ein Alltagsbild seiner Heimat, in der Konsum- und Wunschvorstellungen geweckt werden, deren Verwirklichung aber aufgrund der politischen, religiösen und rechtlichen Verhältnisse undenkbar, in bestimmten Fällen sogar strafbar ist.“
Was ist die Wahrheit? In einer Diktatur ist die Frage einfach zu beantworten: auf jeden Fall nicht das, was in der Zeitung steht. Aber in einer Demokratie ist, im Umkehrschluss, nicht einfach alles wahr, was in der Zeitung steht.
So wird die Wahrheit zum zentralen Thema der Ausstellung. Kai Diekmann, Chefredakteur der Bildzeitung, sagt in einem Gespräch über die Wahrheit des Journalismus:
„Wir können nur Ausschnitte der Wirklichkeit zeigen. Und wir sind auch immer nur so klug, wie der Tag es zulässt. Journalismus kommt von ,Jour‘, und auf dieses Rad ist man geflochten. Selbst die gründlichste Recherche kann nicht immer verhindern, dass später neue Informationen auftauchen, die eine Geschichte in ein völlig anderes Licht tauchen. Journalismus zeigt immer nur die Wahrheit zum Zeitpunkt des Andrucks.“
Kai Diekmann und die Bildzeitung haben „Art and Press“ gefördert und im Blatt über Wochen, meist über eine halbe Seite hinweg, die Bilder der Ausstellung nebst einem Experten-Artikel gezeigt. Denn – „Die Kernkompetenz von ,Bild‘ ist es, Geschichten in Bildern zu erzählen“, sagt Kai Diekmann, „Künstler tun das Gleiche. Sie wissen um die Kraft der Bilder.“
Ein anderer Förderer der Ausstellung ist Jürgen Großmann, der schwergewichtige Chef des Energie-Konzerns RWE. Für ihn kreist die Frage nach der Wahrheit der Presse um die Kontrolle der Medien: „Weil Künstler unabhängig sind, können sie die Medien eher kritisieren und infrage stellen. Sie sind ein intelligentes Korrektiv zur Macht der Medien. Von ihnen können wir lernen, wie man sich gegen zu große Einflussnahme der Presse zur Wehr setzt.“
Bummeln wir durch die Ausstellung, in der 56 Künstler ihre Werke zeigen, die alle in den vergangenen fünfzig Jahren entstanden sind oder eigens für „Art and Press“ erstellt wurden:
Aufregend ist eine 38-teilige Serie des vor zwei Jahren gestorbenen Sigmar Polke: „Original + Fälschung“. Nicht nur in der Kunst gibt es Fälscher, sondern auch in den Medien. Bilder werden hier wie dort manipuliert, Tatsachen verdreht oder der Blick wird in die Irre geleitet.
Zu betrachten sind nicht nur 24 Bilder von Polke, sondern auch 14 „Kommentarbilder“, auf denen er die Zeitungsausschnitte zeigt, die ihm die Anregung gegeben haben. So entsteht, wie Walter Smerling sagt, „eine Beziehung zwischen künstlerischer Produktion und der Arbeit des Künstlers. Die Lügen der Bilder werden durch die vom Künstler gewählte Kombination von Zeitungsmeldung und Kunstwerk zum eigentlichen Thema.“
In eine Art Mediengefängnis, das sie „Denkräume“ nennt, führt die Amerikanerin Barbara Kruger. Auf dem Fußboden geht der Besucher über eine Collage mit Meldungen aus Lokalzeitungen, die Immigration in Deutschland thematisieren: „Familien von Amts wegen zerrissen“ oder „Fatale Migrationspolitik“. In fetten Buchstaben, in tiefes Grün getaucht, sind einzelne Wörter herausgehoben: Rache, Willkommen oder Hass. Auf den vier Wänden stehen in schnörkelloser Schrift plakative Aussagen wie „NICHTS GLAUBEN“ und „Hütet euch, in die Pose des abgeklärten Zuschauers zu verfallen, denn das Leben ist kein Schauspiel, ein Meer von Leid ist keine Bühne, ein Mensch, der schreit, ist kein tanzender Bär.“
Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Der Künstler macht sie wieder lebendig – wie der in Düsseldorf lehrende Markus Lüpert, der das brennende „Dubrovnik“ während des Balkankriegs zeigt: Die schöne mittelalterliche Stadt am Mittelmeer, zum Weltkulturerbe erkoren, ist zu sehen und mittendrin eine gefaltete „Süddeutsche“, die wie ein Schiff in die Stadt sinkt, zu lesen die Schlagzeile „Dubrovnik in Flammen“.
Unübersehbar und unübersehbar politisch und provozierend sind die bunt flackernden LED-Schriftbänder der Amerikanerin Jenny Holzer. Zu lesen sind Protokolle von Verhören, die amerikanische Militärs mit Verdächtigen führten im sogenannten Anti-Terror-Krieg. Da wurde manipuliert und gefoltert – als wäre es das Demokratischste von der Welt. Die Laufbänder sind attraktiv – und geraten so in Widerspruch zu ihrer kritischen Botschaft, schreibt Peter Iden im Katalog. „Es ist aber auch gerade dieser Gegensatz, der die Künstlerin beschäftigt und den die Arbeiten thematisieren.“
Mit dem 1926 in Nürnberg geborenen und heute in London lebenden Gustav Metzger beenden wir den kleinen Rundgang durch eine überaus sehenswerte Ausstellung: Metzgers Installation nimmt einen großen rechteckigen Raum ein. In der Mitte ist eine Glaskabine aufgestellt, wie s im Prozess gegen Adolf Eichmann im Jerusalemer Gerichtssaal.
An einer Wand stapeln sich Zeitungsstapel bis zur Decke, an der anderen Wand steht ein Transportband, auf dem die Stapel zur Auslieferung vorbereitet werden – wie ein Gleichnis für die von Eichmann geplanten Transporte in die Gaskammern –, an der dritten Wand stehen drei Ortsnamen: Jerusalem – New York – Port Bou.
Port Bou ist ein Ort nahe der spanischen Grenze, an dem sich der jüdische Philosoph Walter Benjamin das Leben nahm auf der Flucht vor den Nazis. Benjamin hatte über den Angelus Novus, den neuen Engel, geschrieben, einer Zeichnung von Paul Klee nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs.
Der Engel starrt mit aufgerissenen Augen, sieht, wie sich Trümmer auf Trümmer häufen:
„Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
(aus der Thüringer Allgemeine“ vom 5. Mai 2012 / Foto Raue: Besucher betrachten Fotografien von Julian Schnabel)
(zu: Handbuch-Kapitel 48 „Wie Journalisten entscheiden“)
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