Astrid Lindgrens „Neger“ und Walter Ulbrichts „Klopse“ (Friedhof der Wörter)
„Königsberger Klopse“ standen auf dem Speiseplan von Chefkoch Günther Griebel, als 1969 Walter Ulbricht in Oberhof Silvester feierte. Der 78jährige Staatsratsvorsitzende fuhr nicht nur Ski, sondern bereitete sich im Thüringer Wald auf seine TV-Rede zum neuen Jahr vor.
Im MDR-Fernsehen dieser Woche erzählte der Chefkoch von „Ulbrichts Nobelherberge in Oberhof“: Ulbrichts Frau Lotte kam, zeigte auf den handgeschriebenen Speisezettel und krittelte an den Königsberger Klopsen herum; erst dachte der Koch, sie wolle einen anderen Hauptgang, dann merkte er: Lotte mag das Wort nicht – „Königsberg“.
Im April 1945 hatte die Rote Armee die ostpreußische Hauptstadt nach einer erbarmungslosen Schlacht eingenommen, ein Jahr später in Kaliningrad umbenannt. „Königsberg“ gab es nicht mehr.
Um alle Erinnerungen an die deutsche Zeit, vor allem die Nazi-Zeit, zu löschen, kamen sogar die Klopse in Verruf. Wörter sind eben oft auch politische Wörter.
In diesen Tagen ist ein ähnlicher Streit wieder laut geworden: Dürfen wir literarische Texte verändern und Wörter wie „Neger“ und „Zigeuner“ löschen?
Vor vier Jahren verschwand der Neger aus „Pippi Langstrumpf“, geschrieben von Astrid Lindgren, immerhin Trägerin des alternativen Nobelpreises und des Friedenspreises der Deutschen Buchhandels; ein weiterer Liebling der Kinder, Otfried Preußlers „Kleine Hexe“, soll in der Neuauflage negerfrei werden.
Die eine Hälfte der Deutschen findet das nach einer Emnid-Umfrage richtig, die andere Hälfte spricht dagegen; doch je höher die Bildung, desto geringer die Zustimmung zur Löschung.
In der Tat ist der „Neger“ rassistisch, doch ist ein Gespräch mit Kindern über das Wort sinnvoller als seine Beerdigung. Wir können Geschichte verstehen, aber nicht löschen.
Thüringer Allgemeine 28. Januar 2013 (geplant)
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