Christoph Waltz über den kleinen Mann ohne Geschichte
Jeder Mensch hat eine Geschichte, die man erzählen kann. Das könnte eine Reporter-Weisheit sein, vor allem Lokaljournalisten würden zustimmen.
„Der kleine Mann aus Omaha verdient es überhaupt nicht, dass seine Geschichte erzählt wird – wenn es keine interessante Geschichte ist“, sagt dagegen Christoph Waltz, Deutschlands berühmtester Schauspieler, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Wenn die Geschichte des kleinen Manns erzählenswert ist: „Ist er dann noch ein kleiner Mann?“, fragt Christoph Waltz. „Ist er nicht in dem Moment groß, in dem wir seine tolle Geschichte ins Zentrum einer Erzählung rücken?“
Christoph Waltz spielt eine Nebenrolle in dem Film von Alexander Payne: „Downsizing“; erzählt wird die Geschichte von Menschen, die auf 12 Zentimeter geschrumpft sind. Für Waltz ist der Film weniger ein Appell für mehr Umweltschutz, als
„eine Metapher für die menschliche Denkweise: Eigentlich sollte seit Kopernikus bekannt sein, spätestens aber seit der Aufklärung, dass der Mensch nicht das Maß aller Dinge ist. Gerade durch die digitale Revolution, bei der jeder Mensch in der Lage ist, seine Meinung überall öffentlich kundzutun, ohne dafür geradestehen zu müssen, neigen viele Menschen wieder dazu, sich für das Zentrum des Universums zu halten. Genau wie vor der Aufklärung.“
Waltz empfiehlt einen „wunderbaren Aufsatz von Wilhelm Reich aus den späten Vierzigern: Rede an den kleinen Mann“, in dem Reich zu einem Menschen, der sich machtlos fühlt, sagt: „Du bist nur klein, weil du dich klein machst. Die anderen, die du für groß hältst, sie sind genauso klein. Du bist derjenige, der sie als groß akzeptiert.“ Das sei das beste Mittel gegen die Machtlosigkeit – „Die anderen klein machen.“
Christoph Waltz liest offenbar viel, Geschichten über Größenwahn und Demut, Erfolg und Misserfolg – und empfiehlt Brechts „Leben des Galilei“: Der kleine Mönch sagt seinen Eltern die Wahrheit über die Welt.
„Sie hätten sich plötzlich aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit Gottes verstoßen gefühlt. All das Leid, die Mühsal, die Menschen willig ertragen haben, sind ohne einen Gott nur mehr unerträgliche Willkür.“
Quelle: Süddeutsche Magazin, 19. Januar 2018 „Maul halten und Hirn einschalten“
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Nachtrag:
Reporterlegende Kai Hermann («Wir Kinder vom Bahnhof Zoo») beschäftigte sich immer wider mit Außenseitern, berichtete aus Krisengebieten im Nahen Osten und über den jugoslawischen Bürgerkrieg. „Jeder Mensch ist eine Geschichte, das habe ich gelernt“, lautet sein Fazit. „Und: Gut und Böse gibt es nicht in der realen Welt.» (dpa, 24-1-18)
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