Darf man in einem Nachruf nachtreten?

Geschrieben am 1. März 2015 von Paul-Josef Raue.

Die Neue Zürcher Zeitung tritt nach: In der Nachricht über den Tod des Journalisten und Schrifdtstelles Fritz J. Raddatz erinnert sie gleich im zweiten Satz: 

Der langjährige Feuilletonchef der Zeit war einst über ein nicht ausgewiesenes Zitat aus der NZZ gestolpert.

Dann druckt sie noch einmal in der Original-Fassung die Kulturnotiz über die Ablösung von Raddatz bei der Zeit:

Raddatz hatte ein angebliches Goethe-Zitat aus der Neuen Zürcher Zeitung übernommen, ohne zu merken, dass es sich um eine parodistische Erfindung handelte. Dies brachte ihm nicht nur Hohn und Kritik in anderen Medien ein, sondern auch einen Rüffel der Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, die ihm in der eigenen Zeitung „Schludrigkeit“ vorwarf.

Wolf Lotter, herausragender Brand-Eins-Autor, nennt dies in einem Tweet „ganz schlechten Stil“. 

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Facebook von Alexander Will am 1. März um 13:10

Kann man auch anders sehen: Das ohnehin im Deutschen fast immer falsch verstandene „de mortuis nil nisi bene“ dient doch viel zu oft zu heuchlerischer Verfälschung der Vergangenheit…

2 Kommentare

  • In einem Nachruf darf auch Negatives über den Verstorbenen stehen. Ich meine, wenn es korrekt und prägnant ist, vielleicht für den Menschen stehen kann, sollte man das nicht als „Nachtreten“ bezeichnen. Selbst in Nachrufen muss Journalismus wahrhaftig bleiben. In Sachen Raddatz und NZZ könnte man Nachtreten deshalb unterstellen, weil die NZZ von dem beschriebenen Vorgang selbst betroffen gewesen ist. Aber genau das ist es auch, was es gerade in der NZZ rechtfertigt.
    Anton Sahlender, Leseranwalt, Main-Post, Würzburg

    • Darf man einen Fehler für das ganze Leben nehmen? Darf man einen großen Intellektuellen mit all seinen Widersprüchen an einem Satz festnageln und all die Häme, die damals er erntete, noch einmal wiederholen? Gerecht muss das Urteil in einem Nachruf sein – und respektvoll.

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