Der Dativ und die DDR oder: Wer ging besser mit der Sprache um?
Die Gebildeten in der DDR waren sicher, sie achteten mehr auf die korrekte Sprache als die Menschen im Westen. Im Leseland DDR schrieben die Leute besser, genauer und regelgerecht, so die auch heute noch vorherrschende Überzeugung. Der Blick in die Zeitungen genüge, dass Schludrigkeit nach der Wende eingezogen sei.
Ein Erfurter Leser der Thüringer Allgemeine schrieb zu einer Überschrift auf der Titelseite vom 15. April:
Sie schreiben: „Mädchen ertrinkt in Ententeich“. In der DDR hätte man geschrieben: „Mädchen ertrinkt im Ententeich“.
Merke zu den Präpositionen: Mit dem Dativ stehen sie so, wenn man fragen kann: Wo? (Lehrstoff 3. Klasse, Grundschule). Aber DDR zählt heute nicht mehr! Oder vielleicht doch?
Der TA-Chefredakteur greift in der Samstags-Kolumne „Leser fragen“ das Thema auf und antwortet (20. April 2013):
Sie haben Recht – mit der Präposition. „Mädchen ertrinkt im Ententeich“ ist korrekt.
Dabei haben wir nicht den Dativ unterschlagen, sondern den Artikel: „Mädchen ertrinkt in einem Ententeich.“ Das Weglassen des Artikels in einer Überschrift ist eine Medien-Eigenart: Da in eine Überschrift nur wenige Buchstaben passen, geizen Journalisten mit jedem als unnötig erachteten Wort und Buchstaben. Sie können es ruhig eine Medien-Schlamperei nennen.
Diese Überschrift „Mädchen ertrinkt in Ententeich“ fanden Sie an diesem Tag dutzendfach im Internet – bei fast allen Medien vom „Focus“ über „Die Zeit“ bis zu RTL und T-Online. Dieser journalistische Herdentrieb macht es aber weder besser noch richtig.
Was das Mädchen, im Ententeich ertrunken, mit der Achtung vor der DDR zu tun, ist schon schwerer zu verstehen. Der Dativ war im Westen und in Österreich ebenfalls geachtet und wurde in den Schulen gelehrt.
Gerade in der Sprache blieb Deutschland einig – trotz Mauer. Der in Wismar geborene Sprach-Professor Harald Weinrich stellte 1983 in einem Göttinger Vortrag über die Zukunft der deutschen Sprache fest: Nach einer Generation getrennter Sprachentwicklung kann festgestellt werden, die deutsche Sprache ist ungetrennt und ungeteilt.
Er folgerte daraus. „Es ist offenbar einfacher, einen neuen Staat als eine neue Sprache zu gründen.“
Kommentar eines TA-Lesers:
Als interessierter Leser insbesondere der Leserbriefseite der TA heben sich – wie ich es empfinde – bestimmte Beiträge häufig wiederkehrender Leserbriefschreiber hervor; der o.g. Leserbrief stellt jedoch ob seiner entlarvenden Schlichtheit alles in den Schatten.
Umso beeindruckender habe ich Ihre nüchterne, pointierte Antwort empfunden.
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