Deutsch lernen mit Luther (3): Kurze Wörter, nicht unbedingt kurze Sätze (Friedhof der Wörter)
Wie hält es Luther mit kurzen Sätzen? Je kürzer, desto besser?
Kürze propagieren moderne Sprachtrainer, weil in unserer Welt alles schneller wird: Filme haben hektische Schnitte, Bücher abgehackte Sätze, oft nicht einmal vollständig; Comics schätzen Gestammel: Aääh, bäh, brumm; gähn, plopp, urg. Ein Ratgeber für Blog-Schreiber, also Tagebücher im Internet, beginnt mit dem kurzen Satz: „Der kurze Satz gewinnt!“
Nun lebte Luther ein halbes Jahrtausend vor dem Internet. Aber in einem hätte er sich mit den Bloggern und Twitterern verbrüdern können: Schreibt so, dass die Leute Euch verstehen! Dafür braucht man keine kurzen Sätze.
In der Lukas-Geschichte der Kreuzigung bildet Luther immer wieder Sätze mit mehr als zwanzig Wörtern:
Die Männer aber, die Jesus hielten, verspotteten ihn und schlugen ihn, verdeckten ihn und schlugen in sein Angesicht und fragten ihn und sprachen…
Der Satz hat 23 Wörter: Warum stört uns die Länge nicht? Warum klingt er wie ein kurzer, gut verständlicher Satz? Nicht die Zahl der Wörter entscheidet über die Verständlichkeit, sondern vor allem die Zahl der Silben. In der Folter-Geschichte hat die Hälfte der Wörter nur eine Silbe; gerade mal drei Wörter haben drei.
Je kürzer ein Wort, desto einprägsamer ist es: „Recht und Schlecht“ geht sofort in den Kopf, eine Wendung aus dem alttestamentlichen Buch der Sprüche.
Aber nicht der Geiz mit den Silben allein schafft attraktive Sätze: In der Folter-Szene finden wir nur einen Nebensatz mit gerade mal drei Wörter. Der Hauptsatz dominiert, in ihm erzählt Luther eine komplette Geschichte und erzeugt mit dem Stakkato der Aufzählung eine Atmosphäre des Schreckens – ohne ein einziges Adjektiv.
Noch ein 24-Wörter-Satz aus der Leidensgeschichte: Wieder nur ein Hauptsatz, sogar mit zwei viersilbigen Wörtern – doch nicht minder verständlich:
Und als es Tag wurde, sammelten sich die Ältesten des Volks, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, und führten ihn hinauf vor ihren Rat und sprachen…
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