„Die Lokalzeitung ist Anwalt der Leser, nicht Richter“ (Golombek-Interview 2)
Wer legt fest, was die Menschen diskutieren? Es sind die Lokaljournalisten,sagt Dieter Golombek. Im zweiten Teil des Interviews beleuchtet er das Verhältnis von Politikern und Journalisten; Teil 1: „Was reizt Sie so am Lokaljournalismus“.
Darf die Lokalzeitung selber Themen anstoßen? Muss sie nicht warten, bis Politiker oder Initiativen Themen anbieten?
Golombek: Wer, bitte sehr, soll festlegen dürfen, was in der Gesellschaft wann diskutiert wird? Die Politiker, die Verwaltungen, die vielen Initiativen? Journalisten müssen im Auftrag und im Interesse ihrer Leser selber Debatten anstoßen können. Sie müssen dabei gut aufpassen, dass sie sich nicht vor einen Karren spannen lassen.
Genau das versuchen aber doch viele Politiker?
Golomek: Ja, und machen es mit Raffinesse. Sie verfolgen eben ihre Interessen. Der Auftrag für die Zeitung ist aber anders, sie darf sich nicht einbinden lassen, in politische Geschäfte auch nicht durch Vertraulichkeit – etwa nach dem Motto: „Ich erzähle Dir jetzt, wie es wirklich läuft, Du sollst ja Bescheid wissen, aber schreiben darfst Du darüber natürlich nicht.“
Die politisch Handelnden wollen Entscheidungen in ihrem Sinne durchsetzten, sie sind daran interessiert, nur Tatsachen ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, die für ihr Vorhaben sprechen. Es kommt nicht von ungefähr, dass sie die lokalen Medien in diesem Sinne instrumentalisieren wollen.
In Städten und Kreisen kommen sich Politiker und Journalisten sehr nahe. Sind Konflikte da nicht vorprogrammiert?
Golombek: Das ist richtig und darin lauert auch eine große Gefahr. Wenn mein Sohn mit dem Bürgermeistersohn dieselbe Klasse besucht, die Frauen sich gut verstehen, er kein unrechter Typ ist, wenn man sich freundlich begegnet, dann kann es schon sehr schwer fallen, für den Bürgermeister unangenehme Nachrichten ins Blatt zu bringen.
Nachrichten trotz Nachbarschaft zu liefern, ist das schwere Brot für Lokaljournalisten.
Es erfordert Mut, Missstände und Versäumnisse öffentlich zu machen, es erfordert Mut und Augenmaß, das Wächteramt auszufüllen. Die lokale Tageszeitung ist der Chefanwalt für Öffentlichkeit vor Ort, Anwalt, aber nicht Richter.
Interview in der Thüringer Allgemeine, 13. Oktober 2012 (Auszug)
(zu: Handbuch-Kapitel 55 Der neue Lokaljournalismus)
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