Kommentare zu: Medien und Christian und Bettina Wulff
Die Medien und den Rücktritt des Bundespräsidenten thematisieren nur wenige Kommentatoren. Auf der Titelseite des Samstag-Feuilletons der FAZ greift Michael Hanfeld, nach achtzig Zeilen „Ende einer Hetzjagd?“, eine sensible Frage auf: Warum beschäftigte sich selbst die Bildzeitung nicht mit Frau Wulff und ihrer Vergangenheit?
„Von ehrverletzenden Gerüchten über Bettina Wulff, die man bei einer Google-Suche im Internet sofort angezeigt bekommt, war, wenn wir es richtig überblicken, in der deutschen Qualitätspresse nirgends zu lesen, nicht einmal in der „Bild“-Zeitung. Blogs hingegen sind voll davon. Und hingedeutet darauf hat niemand anderes als Wulff selbst – in seinem Interview mit ARD und ZDF.“
Im englischen oder amerikanischen Boulevard wäre die Vergangenheit der First Lady schnell ein Thema gewesen, vielleicht als Pretty-Woman-Story, vielleicht als Skandal. Niedersächsische Zeitungen wussten schon davon zu Zeiten, als Wulff Ministerpräsident in Hannover war. Sie brachten nichts darüber trotz der Verärgerung, dass Wulff seine Trennung, Scheidung und neue Freundin exklusiv über „Bild“ öffentlich gemacht hatte.
Michael Hanfeld verteidigt, nach einigen Seitenhieben, die Recherche-Leistung der deutschen Zeitungen: „Es sind ohne Zweifel Pharisäer unter uns. Es gibt auch keinen Grund, zu jubeln. Doch eine Presse, die ihre Arbeit ernst nimmt, kann auf Recherchen und auf die entsprechenden Berichte und Kommentare nicht verzichten. Den Gegenstand dafür hat Christian Wulff produziert. Er hat sich politisch selbst zerstört.“
Dass auch Zeitungsleser die Medien genau beobachten, zeigt ein Leserbrief aus Gotha, den die „Thüringer Allgemeine“ in der Dienstag-Ausgabe (21.2.2012) veröffentlicht:
„Unfraglich hat sich Christian Wulff mehr als ungeschickt und in keiner Weise auf dieses Amt vorbereitet verhalten. Wahrscheinlich sollte man die Stellenbeschreibung für das Amt des Bundespräsidenten bis ins Detail präzisieren. Denn wer immer auch bereit sein sollte, für dieses Amt zu kandidieren, muss wissen, dass es für ihn keine Privatspäre und keinen Datenschutz geben wird.
Er muss wissen, dass der große Bruder, die Presse, ihm ständig über die Schulter schaut und auch die kleineste Verfehlung in Vergangenheit und Gegenwart bis ins Detail zu recherchieren vermag. Und die Macht der letzteren ist nicht zu unterschätzen, denn wer mit uns im Fahrstuhl hochfährt, fährt auch wieder mit uns runter, lautet eine eiserne Regel der Klatschpresse.“
Positiv über die Leistung der Journalisten urteilt auch Kurt Kister, der Chefredakteur der „Süddeutschen“, im Leitartikel am Samstag:
„Die Medien übrigens, vor allem die Printmedien, haben in der Angelegenheit Wulff im Großen und Ganzen jene Rolle gespielt, die sie spielen sollten: Es waren professionelle Journalisten, die jene hundert Kleinigkeiten, aber auch die paar sehr relevanten größeren Dinge herausgefunden und veröffentlicht haben. Gewiss, auch dabei gab es Fehler. Übertreibungen und Bizzarrerien wie etwa einen Reime schmiedenden FAZ-Herausgeber oder die Vielzahl der posaunierenden Kollegen, die ein Bobbycar für 30 Silberlinge hielten und jeden Tag dreimal Wulffs Rücktritt forderten.
Ohne die manchmal auch in Sackgassen führende Recherche und durchaus auch das Räsonieren der Journalisten aber hätten die Kontrollmechanismen so versagt, wie sie über Jahre hinaus in Niedersachsen nicht funktioniert haben.“
(zu: Handbuch-Kapiteln 2-3 „Die Journalisten“ und 91 „Recherche“)