„Die Medienbranche hat ihre eigene Revolution verschlafen“ – NZZ-Chef über guten Journalismus und Geldverdienen
Diversifizierung des Kerngeschäfts, also Verkauf von Konzertkarten und Handel mit Gebrauchtwagen, contra Fokussierung auf das Kerngeschäft, also erstklassiger Journalismus? Welches Geschäftsmodell wählen Zeitungsverlage? „Fokussierung auf hochwertige Publizistik“ antwortet Etienne Jornod von der NZZ und überschreibt so auch seinen Beitrag zur Krise der Medienindustrie; er ist Präsident des Verwaltungsrats der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ). Im letzten Satz seines Beitrags, der eine Seite der NZZ füllt, dankt er seinen Aktionären, dass sie den Kurs unterstützen, hochwertige journalistische Angebote anzubieten.
Statt immer neuer Spar-Runden auf Kosten der journalistischen Qualität wählt die NZZ den Weg der Fokussierung. „Wir sind überzeugt, dass hochwertiger Journalismus auch im digitalen Zeitalter unerlässlich ist. Seit spätestens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts besitzt der Journalismus neben der Nachrichtenhoheit auch eine Deutungshoheit.“ Er nennt als Beispiel Kurt Tucholsky, der mit seinen scharfen Worten auch eine öffentliche Auseinandersetzung bewirkte. „Der Journalismus war eine gestaltende gesellschaftliche Kraft.“
Das soll so bleiben, gerade „in einer endlos ausufernden Informationswelt gewinnen Relevanz, profilierte Meinungen und Recherche neue Bedeutung“. Die NZZ sei überzeugt, dass man mit hochwertigem Journalismus auch weiter Geld verdienen könne. Als Beispiel dient die französischen Online-Zeitung Mediapart mit ihrem kostenpflichtigen Journalismus.
Der NZZ-Verwaltungsrats-Chef kritisiert: Wir haben zu viel Zeit verloren. „Ich kenne keine andere Industrie, die so wenig in Forschung und Entwicklung investiert wie die der Medien. Die Medienbranche hat ihre eigene Revolution verschlafen.“
Wie sieht der neue Journalismus aus, für den die Leser gern bezahlen, und der neue Verlag, der das Geld dafür beschafft:
1. Eine einfache Website reicht nicht, also das Befüllen allein durch Redakteure. Vielmehr müssen über soziale Medien die Kunden eingebunden werden – „als Verstärker und Transmissionsriemen zugleich. Sie helfen den Journalisten, Nachrichten zu sammeln, zu bewerten und zu teilen.“
2. „Soziale Medien ermöglichen eine rasche und kritische Auseinandersetzung mit journalistischer Arbeit.“ Es sei klug, auch nicht immer angenehm, „sich dieser neuen Konkurrenz zu stellen und sich ihrer positiven Seiten zu bedienen“.
3. „Nichtstun bedeutet Misserfolg“, also: Investieren in redaktionelle Projekte, die den Erfordernissen der digitalen Welt gerecht werden (zum Beispiel ein innovatives Produkt in Österreich) sowie Investieren in verwandte Gebiete mit Bezug zum Kerngeschäft (zum Beispiel in Konferenzen).
4. Es gibt zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Kunden, die wir bedienen müssen: Die Leser der gedruckten Zeitung, so wie sie schon immer war, und die Menschen, die weder heute noch morgen eine Zeitung lesen. „Wir müssen Vorstellungen und Erwartungen von Qualität auch in den digitalen Medien gerecht werden.“
5. Im Vordergrund steht: Unser hochwertige Inhalt kann mehrfach verwertet werden, einfach und kostengünstig verkauft werden. „Wir überlassen die Wahl der Nutzung unseren Kunden.“
6. Digitale Medien erreichen nicht nur die Jungen. Das Wachstum bei Twitter und Facebook in der Schweiz generieren hauptsächlich die über Fünfzigjährigen.
7. Trotzdem muss die Sicherung einer angemessenen Rendite das oberste wirtschaftliche Ziel bleiben. „Nur diese bildet eine nachhaltig solide Basis für unabhängigen und seriösen Journalismus.“
8. Journalisten können durch ihre Einstellung den Wandel beschleunigen und fördern.
9. Der Journalismus muss unabhängig bleiben.
FACEBOOK-Kommentare
Joachim Dege
Das Rennen ist noch nicht gelaufen. Wie zum Beispiel AmAbend aus Aachen zeigt. Im Gegenteil. Das Beste kommt noch. Und damit meine ich nicht nur die Krautreporter. Aber auch die. Und andere, die längst in den Startlöchern sitzen. Der wirtschaftliche Druck macht’s möglich. Und siehe da: Am Ende wird sich die Qualität durchsetzen.
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Es tut richtig gut, das zu lesen. Sicherlich sind viele Redaktionen nicht fit genug, um solchen Ansprüchen zu genügen. Aber eben das ist die eigentlich Problemanzeige: Wenn schon die Journalisten sich nicht um die Gestaltung (und nicht das Nachbeten) von Debatten kümmern, dann kann daraus auch kein Geschäftsmodell erwachsen. Womöglich müssen jetzt die Redaktionen stärker die Verlage fordern, nachdem es jahrzehntelang andersherum war.
Wie macht man denn Redaktionen fit? Wo ist flächendeckend eine Ausbildung, die uns eine neue Generation beschert, die nicht weiter im alten Trott Seiten füllt, sondern Ideen hat – für jede Form -, aber sich vor allem souverän im Netz bewegt? Was bringt es, die Verlage zu fordern, wenn zu viele Redaktionen ratlos sind? Wenn zu viele Chefredakteure überfordert sind: Sie sollen Vorbild sein und gleichzeitig ihre Leute von Veränderungen überzeugen, Etats kürzen und sich mit falschen Propheten herumschlagen, die – innen wie außen – unentwegt vom Untergang reden?