„Dunkeldeutschland“ ist ein Unwort (Friedhof der Wörter)
Hell und dunkel, weiß und schwarz, Himmel und Hölle – diese Wörter haben die Menschen schon immer fasziniert und ihr Denken bestimmt. In der deutschen Sprache springen die Gefühle, die diese Wörter auslösen, in die Vokale hinein: Das helle fröhliche „e“ in hell, das tiefe unheimliche „u“ in dunkel.
Der Gegensatz von hell und dunkel drängt sich selbst kritischen Geistern auf, wenn sie die Menschen verwirrt und sie sich nach einfachen Erklärungen sehnen – wie unser Bundespräsident. Angesicht der brennenden Flüchtlingsheime und der Bürger, die sich vor Fremden fürchten, sortierte er: „Es gibt ein helles Deutschland, das sich leuchtend darstellt, gegenüber dem Dunkeldeutschland.“
Diese schlichte Ordnung der Welt in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, hat nicht unser Bundespräsident erdacht, sie ist so alt wie unser Denken überhaupt. Immer wenn Gesellschaften wanken, haben solche Philosophien Konjunktur, wie sie der Perser Mani im dritten Jahrhundert begründet hat: Die Welt gehört zum Reich der Finsternis, aber die Guten, die Kinder des Lichts, erlösen sie.
Diese Philosophie, die jedem zugänglich ist, mögen die Religionen und Ideologien, das Christentum ebenso wie der Kommunismus, Augustinus wie Karl Marx. Nur in friedlichen Zeiten finden auch Philosophen Gehör, die skeptisch sind, die den Menschen sehen, wie er ist: Manchmal gut, manchmal böse, meist widersprüchlich. Der Mensch ist weder hell noch dunkel, er ist grau.
So sind auch die Gesellschaften. Es gibt kein Helldeutschland, selbst das Wort braucht keiner: Wer im Internet danach sucht, wird nicht fündig. Es gibt auch kein „Dunkeldeutschland“, zumal dieses Wort belastet ist: Westdeutsche nutzten es, wenn sie durch die DDR reisten und sich über die wenigen Straßenlaternen wunderten.
Nach der Revolution demütigten Westdeutsche so die Ostdeutschen, so dass 1994 „Dunkeldeutschland“ sogar in die Auswahl zum Unwort des Jahres kam. Wörter haben auch ihre Geschichte: Der Bundespräsident, der aus dem Osten kommt, wird dies wissen.
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Quelle:
Der Bundespräsident sagte am 26. August beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf in Berlin laut Tagesschau: (Er lobte) die „vielen Freiwilligen, die zeigen wollen, es gibt ein helles Deutschland, das hier sich leuchtend darstellt gegenüber dem Dunkeldeutschland, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören“. Gauck bezeichnete Rechtsextremisten und Ausländerfeinde als Hetzer, die das weltoffene Bild Deutschlands beschädigten.
Thüringer Allgemeine, 31. August 2015, Friedhof der Wörter
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