Ein Lob für das Semikolon im: Friedhof der Wörter
Wie viele Satzzeichen kennt die deutsche Sprache? Die meisten Deutschen, so sie überhaupt noch schreiben, kennen nur zwei: Punkt und Komma. Mitunter schleicht sich noch das Fragezeichen an den Schluss eines Satzes; aber selbst Fragen enden oft mit einem Komma: „Warum hast Du mich verlassen, frage ich dich“, schreibt der Freund der Freundin.
Warum vergisst er hinter „verlassen“ das Fragezeichen?, frage ich.
Fünf Satzzeichen haben die meisten Zeitgenossen schon begraben: Fragezeichen, Doppelpunkt, Ausrufezeichen, Semikolon – und Gedankenstrich. Ein Leser trauert vor allem dem Semikolon nach, dem Strichpunkt; er fragt: „In den Texten der Zeitung muss man lange nach einem Semikolon suchen; oder irre ich mich da?“
In einer beliebigen Zeitungswoche entdeckt unser Archiv 74 Semikolons in allen redaktionellen Texten der Thüringer Allgemeine. Das ist wenig, zu wenig.
Das Semikolon lässt einen Satz schweben. In einer Geschichte von Bertolt Brecht erzählt Herr Keuner, der Elefant sei sein Lieblingstier: „Er hat eine dicke Haut, darin zerbrechen die Messer.“
Die meisten würden einen Punkt setzen vor dem Satz, den Herrn Keuner folgen lässt: „Sein Gemüt ist zart.“ Brecht setzt ein Semikolon, er haucht den Satz noch nicht aus, er bringt eine überraschende Wendung, die ein Punkt verstören würde.
Das Komma ist zu wenig, der Punkt ist zu viel – da lockt das Semikolon; zudem erspart es Brecht, ein „aber“ einzufügen („Sein Gemüt ist aber zart“).
So lesen wir bei Brecht über den Elefanten: „Er hat eine dicke Haut, darin zerbrechen die Messer; sein Gemüt ist zart.“
Was der Dichter vermag, soll uns alle locken. Statt der Monokultur des Punkts bietet unsere Sprache die Vielfalt der Satzzeichen: Nutzen wir sie!
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