Eines der beliebtesten Sprachbilder von Journalisten: Die Reißleine ziehen
Rot-Weiß zieht die Reißleine
und trennt sich vom Trainer
Die Überschrift demonstriert die Schwierigkeit, die Sprachbilder bereiten. Das Bild „Reißleine ziehen“ ist nur denen vertraut, die mit dem Fallschirm springen: Die ziehen die Leine, um den Schirm zu öffnen – also den ungebremsten Fall zu stoppen; allerdings ist das Ziehen der Leine geplant und keine panische Reaktion (wie bei den meisten Trainerwechseln).
Weil dem Schreiber der Überschrift offenbar bewusst war, wie wenige das Bild verstehen, übersetzt er es in der zweiten Zeile, damit auch jeder weiß, was passiert ist: Der Trainer wird gefeuert. Warum nutzt der Redakteur dann ein Bild, das nichts mit Fußball zu tun hat, sondern aus einer anderen Bilder-Welt genommen wird? Es herrscht der Glaube, ein Journalist kennt Bilder, nutzt sie souverän und beweist so seine Qualität, Modernität und sein Stilgefühl. Seine Leser teilen den Glauben nicht.
Besonders beliebt ist das Reißleinen-Bild bei Kommentatoren und auf den Wirtschaftsseiten; einige Beispiele aus Tageszeitungen der vergangenen Tage (Dezember 2015):
> Wirtschaft und Reißleine:
Da muss man betriebswirtschaftlich irgendwann die Reißleine ziehen. (14. Dezember)
> Jetzt nicht mehr: Montag musste er die Reißleine ziehen und die Insolvenz beantragen (17. Dezember)
Also die Stop-Loss-Verkäufe, bei denen der halbe Planet an nahezu derselben Kursmarke ‚die Reißleine ziehen‘ will‚ (15. Dezember)
> Fußball, Trainer und die Reißleine
Für internen Eintracht-Zirkels steht bereits seit geraumer Zeit fest, dass die Verantwortlichen dann die Reißleine ziehen (14. Dezember)
> Politik und Reißleine
Mitte Juli dann entschied sich die Landesregierung dafür, die Reißleine zu ziehen und die Berufung zunächst auszusetzen. (17. Dezember)
> Kultur und Reißleine
Also musste der Chor die Reißleine ziehen. (16. Dezember)
Übrigens ziehen Fallschirmspringer nicht an einer Leine, sondern an einem Griff.
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