Entschleunigen und die Entdeckung der Langsamkeit: Flugmodus statt Handy-Nacken (Friedhof der Wörter)

Geschrieben am 12. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 12. Dezember 2015 von Paul-Josef Raue in Aktuelles, C 5 Internet-Revolution, Friedhof der Wörter.

Die „Entdeckung der Langsamkeit“ ist sprichwörtlich. Der Berliner Schriftsteller Sten Nadolny hat sie vor drei Jahrzehnten als Buchtitel gewählt; seitdem sprechen weitaus mehr Menschen davon, als je das Buch gelesen haben.

Eine Reihe von Buchtiteln hat diese Sprichwort-Karriere gemacht: Den „Robinson“ kennen viele als gehobenen Urlaubs-Klub, aber nur wenige haben den „Robinson Crusoe“, den Klassiker von Daniel Defoe, je gelesen. Andere Buchtitel inspirierten zu Nachahmungen: Goethes „Leiden des jungen Werther“ sind ein Welterfolg; Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W“, 1972 als Drama in Halle uraufgeführt, zählt zu den erfolgreichsten Texten der DDR.

Doch zurück zur „Entdeckung der Langsamkeit“, die in die Advents-Zeit passt jenseits von Weihnachtsmarkt, Glühwein und Geschenke-Stress. Der Held in Nadolnys Roman ist ein Mensch, der schon als Kind langsam ist, sehr langsam, aber logisch und zielstrebig – und als Polarforscher sogar ein berühmter Entdecker wird.

Solche Vorbilder nutzen geschäftstüchtige Zeitgenossen und bieten Entschleunigungs-Seminare für tausend Euro und mehr an: „Stress-Management für Manager“ oder ein Konzentrations-Wochenende „Bogenschießen im Kloster“.

Es gibt sogar einen „Verein zur Verzögerung der Zeit“, gegründet von einem Universitäts-Professor: Er verpflichtet seine siebenhundert Mitglieder zum Innehalten und Nachdenken statt zu blindem Aktionismus. 75 Euro kostet die Mitgliedschaft im Jahr.

Also – entschleunigt Euch! Wer mit diesem Motto seine Kinder oder nervende Vorgesetzte missionieren will, braucht zwei neue Wörter:

Handy-Nacken: Den bekommen Beschleuniger, die unentwegt auf den Bildschirm schauen. Junge Leute zwischen 17 und 25 schauen regelmäßig drei Stunden am Tag auf ihr Smartphone, durchschnittlich – also einige noch um einige mehr.

Sie verkrümmen ihren Halswirbel und leiden. Unglücklich werden sie zudem, haben Bonner Forscher festgestellt, nachdem sie 60.000 Handy-Nutzer anderthalb Jahre lang beobachtet hatten.

Flugmodus: Diese Einstellung am Handy ist für den Urlaubsflug entwickelt worden, auf dem jedes Senden und Empfangen strikt verboten ist. Doch die Einstellung ist auch ideal zum Entschleunigen: Keine Handy-Musik beim Einkaufen, beim Cafe-Besuch oder gemütlichen Rotwein-Abend zu Hause. Plötzlich merkt man: Es gibt noch eine Welt hinter dem Bildschirm.

**

Thüringer Allgemeine, 14. Dezember 2014, Friedhof der Wörter (hier erweiterte Fassung)

Diskutieren Sie mit uns den Artikel "Entschleunigen und die Entdeckung der Langsamkeit: Flugmodus statt Handy-Nacken (Friedhof der Wörter)"