Gespreizte Verben: Hat der Papst dementiert – oder nicht?

Geschrieben am 13. Juni 2013 von Paul-Josef Raue.
Geschrieben am 13. Juni 2013 von Paul-Josef Raue in D 12 Durchsichtige Sätze.

Eine der häßlichsten Konstruktionen in der deutschen Sprache findet sich heute auf der Titelseite der FAZ: Das gespreizte Verb. Das Verb – „dementierte“ – steht im ersten Teil des Satzes, die wesentliche Aussage – dementierte „nicht“ – erst 27 Wörter später am Ende des Satzes. Relativ lange wird der Leser in der Erwartung gehalten, der Sprecher des Papstes habe die Korruption im Vatikan dementiert; erst spät wird diese Erwartung revidiert.

Der komplette Satz lautet:

Vatikansprecher Lombardi dementierte das auf der Internetseite der chilenischen Zeitschrift „Reflexion y Liberacion“ veröffentlichte Protokoll des Gesprächs mit sechs Vorstandsmitgliedern des „Verbandes lateinamerikanischer religiöser Männer und Frauen“ (CLAR) in Rom nicht.

Die Spreizung und das mögliche Missverständnis kann der Autor leicht vermeiden, indem er sofort nach dem Verb „dementierte“ das „nicht“ einfügt: „Vatikansprecher Lombardi dementierte nicht das …“

In demselben Text findet sich die Spreizung ein zweites Mal: Ein Nebensatz beginnt mit dem Verb „erhielten“, aber erst 31 Wörter und einen weiteren Nebensatz später klärt der Autor auf: „(erhielten) neue Nahrung“. Der komplette Satz:

Mutmaßungen über homosexuelle Seilschaften in der Kurie waren vom Vatikan bisher nie kommentiert worden, doch erhielten sie im Zusammenhang mit dem weiter unter Verschluss gehaltenen Bericht der drei Kardinäle, die für den Papst Benedikt XVI. die Affäre um die von seinem Schreibtisch gestohlenen Dokumente („Vatileaks“) aufklären sollten, neue Nahrung.

Dieser komplizierte Satz lässt sich leicht entwirren:

Mutmaßungen über homosexuelle Seilschaften in der Kurie waren vom Vatikan bisher nie kommentiert worden: Sie erhielten neue Nahrung durch den Bericht der drei Kardinäle, die für Papst Benedikt XVI. die Vatileaks-Affäre aufklären sollten. Darin geht es um Dokumente, die von seinem Schreibtisch gestohlen wurden; der Bericht wird weiter unter Verschluss gehalten.

Quelle: FAZ 13.Juni 2013 „Korruption und homosexuelle Seilschaft im Vatikan“

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